Festplatten-Simsalabim mit IMAGIC WIZARD

Bild 1: Die Arbeitsoberfläche von IMAGIC WIZARD

Wenn man zum Englischwörterbuch greift und nachsieht, was die beiden magischen Worte wohl bedeuten, findet man: „Image“ bedeutet soviel wie Bild oder Verkörperung, „imagin“ läuft auf Phantasie usw. hinaus, und „wizard“ kennen wir seit dem Film über Alice im Wunderland als den Zauberer. Nun gut, wenn sich einige Programmentwickler zu solch phantasiebehafteter Namensgebung entschlossen haben, dann muß die Software das doch irgendwie reflektieren - Nomen est omen (wie man so schön sagt).

Wenn die Entwickler von IMAGIC WIZARD nun auch noch halten, was ihre Ankündigungen versprechen, dann verfügt die ST-Anhängerschaft in puncto Filehandling über AT-üblichen Standard. Zugegeben, die MS-DOS-Anwender waren bislang nicht gerade mit „Benutzeroberflächengüte“ verwöhnt worden, was wahrscheinlich auch zur Entwicklung von „PC-Tools“ oder „Norton Utilities“ führen mußte. Um dieses hoch gesteckte Ziel auch auf dem Atari ST zu erreichen, muß der Zauberer aus dem Hause IMAGIC SYSTEMS beweisen, daß seine Magie nicht nur Augenwischerei ist, sondern durchaus ein handfestes Werkzeug sein kann. Bleibt also abzuwarten, ob IMAGIC WIZARD der gleiche Stellen wert eingeräumt werden kann wie vergleichbaren Tools im PC/AT-Bereich.

Vorab sei eine Frage erlaubt: Filehandling-Software (oder wäre Ihnen die deutsche Umschreibung „Dateienhandhabungsprogramme“ lieber?) - was soll das? Für den einen ein wenig Desktop, für den anderen ein wichtiges Tool für Backups, dazu ein Plattenoptimierer, und das alles möglichst leicht zu bedienen. Bei der Entwicklung von IMAGIC WIZARD V2.0 wurde offenbar viel in Richtung Funktionsvielfalt, Übersichtlichkeit und Bedienungskomfort gedacht. Das Programm ist komplett in GEM eingebunden und bietet dem Anwender sowohl eine Bedienung der Funktionen über die Maus, als auch vollständige Tastaturunterstützung. Dabei wurde bei der Benutzerführung auf Pull-Down Menüs fast vollständig verzichtet (warum eigentlich?). Eine Ausnahme bildet hier der sicherlich sinnvolle Zugriff auf Accessories, den man allerdings nur über einen kleinen Umweg erreicht.

Bild 2: So präsentiert sich uns der Disketteneditor

Die strukturiert angeordnete Hauptbedienungsoberfläche mit zwei (leider) statischen Dateifenstern läßt schon erahnen, welche Möglichkeiten dieser „Hexer“ bietet. Überwältigend groß ist die Anzahl der Buttons, jeder mit einer Markierung für den Zugriff über Tastatur versehen. In den beiden Fenstern sieht man die Directories der ausgewählten Laufwerke und Pfade. Durch Anklicken von Dateien und Ordnern werden diese wie gewohnt invers dargestellt und sind somit für weitere Arbeiten selektiert. Programme startet man durch einen Doppelklick aus beiden Fenstern heraus.

Da die beiden Dateifenster unabhängig voneinander sind, kann beispielsweise nach der Selektion von Dateien das Directory hin- und hergescrollt werden, ohne daß die Selektion aufgehoben wird. Ordner sind im aktiven, wie im passiven Dateifenster durch einen Doppelklick zu öffnen. Damit besteht die Möglichkeit, nach dem Aus wählen von Dateien, den Zielpfad im passiven Dateifenster nachträglich zu ändern, ohne die Dateien erneut selektieren zu müssen.

Altbewährtes im modernen Gewände?

So quasi als Voraussetzung für alles weitere verfügt IMAGIC WIZARD über alle Grundfunktionenen für den Umgang mit Dateien, die jedermann vom Desktop her bekannt sind. Jedoch erinnern vereinzelt nur noch die Namen an diesen alten Meister. So ist das Formatieren von Disketten (auf Wunsch auch im MS-DOS-Format) ebenso möglich, wie eine hübsche grafische Darstellung von Laufwerksinformationen. Dateien können verschoben und ediert werden (Fremdeditor erforderlich), Ordner lassen sich im aktiven, wie im passiven Dateifenster erstellen. W eit über das übliche Umbenennen von Dateien geht „Rename“ hinaus. Hiermit lassen sich so gar Gruppenumbenennungen (zB. alle *.ACC in *.ACX) durchführen. Auch „DiskCopy“ fehlt als Funktion nicht, je doch ist es bedauerlich aber verschmerz bar, daß Disketten mit 11 Sektoren nicht kopiert werden können.

„Tree“ zeigt die vollständige Directory - Hierarchie eines kompletten Laufwerks oder einer Partition an. Selektiert man einen Ordner, wird dieser in ein beliebiges Dateifenster übernommen. Darüberhinaus können die Baumstruktur oder einzelne Directories auf den Drucker ausgegeben werden. Ich hätte mir in der Darstellung etwas mehr Grafik gewünscht, also echte Baumstruktur mit Linien und Kästchen (was soll’s).

Das Auffinden von Dateien wird durch die Funktion „Find File“ erheblich er leichtert. Die Suchkriterien (Wildcards möglich) sind, ebenso wie die Partitionen, auf denen gesucht werden soll, frei wählbar. Ebenso erfreulich ist der Umstand, daß Dateien in einem Arbeitsgang gesucht und gelöscht werden können (wichtig für lästige Duplikate). Die Funktion „View“ gestattet nicht nur das Ansehen von Textdateien, sondern auch von Bildern der gängigsten Formate (Stad, Degas, Degas Elite, Doodle). Selbst Signum-Zeichensätze können mit IMAGIC WIZARD auf dem Bildschirm dargestellt werden (SIGNUM-Benutzer wird’s freuen). Es lassen sich mehrere Bilder und Zeichensätze selektieren und nacheinander anschauen. Zusätzlich können alle Dateien in einem eigenen Monitor angezeigt werden. Last but not least sei an dieser Stelle erwähnt, daß sich Wechselplattenbesitzer über die volle Unterstützung beim Mediumwechsel freuen dürfen. Kurzum, eine solide Basis für alles, was da kommen mag.

Bild 3: Sehr anschaulich, der Füllungsgrad einer Partition

Neues vom Hexer

Den ersten gewichtigen Schwerpunkt setzt der Filehandler IMAGIC WIZARD beim Kopieren und Löschen von Dateien. Zwei Modi stehen dem Anwender zur Verfügung. Der eine arbeitet in gewohnter Desktop-Geschwindigkeit mit ausführlichen Informationen zur aktuellen Datei, der andere leistet gleiches in extrem optimierter Geschwindigkeit. Ein Feature, das in letzter Zeit wohl bei keinem Tool mit professionellem Anspruch fehlen darf.

Zur eindrucksvollen Demonstration der Leistungsfähigkeit dieser Hochgeschwindigkeitsoption soll folgende Benchmark genügen: Für das Löschen von 71 Dateien von Diskette benötigt IMAGIC WIZARD lediglich 7 Sekunden. Das Desktop verhilft dem Anwender beim gleichen Arbeitsgang zu einer über zweiminütigen Zwangspause. Da gerade beim schnellen Löschen keine Zeit verbleibt, um irrtümlich ausgewählte Dateien noch vor dem endgültigen Verlust zu retten, haben die Entwickler von IMAGIC WIZARD eine besonders bemerkenswerte Maßnahme realisiert. Nach jedem wichtigen Dateibearbeitungsvorgang (dazu zählen Copy, Delete, Rename und Zero) besteht für den Anwender die Möglichkeit, das ursprüngliche Directory wiederherzustellen, sofern kein weiterer Schreib- oder Lesezugriff auf die betreffende Partition erfolgt ist. Diese Tatsache verhindert, daß kleine Unaufmerksamkeiten größere Katastrophen nach sich ziehen. Gerade dem unerfahrenen Anwender dürfte dieses Feature die beruhigende Sicherheit geben, Fehlbenutzungen wieder rückgängig machen zu können.

Durchaus gut gelungen ist die Realisierung der IMAGIC WIZARD RAM-Disk. Es können bis zu 14! (vierzehn) resetfeste virtuelle Laufwerke installiert, gespeichert, geladen und wieder gelöscht werden!Jede einzelne RAM-Disk kann als Datei abgespeichert werden. Diese RAM-Disk ist nicht nur innerhalb von IMAGIC WIZARD, sondern auch außerhalb des Systems (mit Hilfe eines mitgelieferten Programms) aufrufbar. Ein Manko bei vielen RAM-Disks war bisher, daß sie nach Gebrauch den Speicherplatz unnötig blockierten und nur nach einem Reset oder Kaltstart entfernt werden konnten. IMAGIC WIZARD ist in der Lage, die virtuellen Laufwerke aus dem Speicher zu ent fernen und den belegten Speicherplatz wieder freizugeben. Für spätere Versionen wäre es jedoch wünschenswert, wenn die zu löschende RAM-Disk frei bestimmt werden kann.

Wizard Command File

Ein Highlight dieses Filehandlers ist die ihm eigene Kommandosprache. Mit ihr können Sie Batch-Dateien erstellen, die ein implementierter Interpreter selbstständig abarbeitet. Für Vorgänge, die sich ständig wiederholen, z.B. das tägliche Backup von Dateien, muß einmal eine WCF-Datei programmiert werden, die dann auf Tastendruck automatisch abgearbeitet wird. An dieser Stelle sei noch einmal auf die mächtige Dateiauswahlfunktion hingewiesen, deren Befehle auch im Batch-Modus zur Verfügung stehen. Beispiel:

wl C:\WORKFILE\ ; Pfad im linken Fenster setzen
rl C:\BACKUP\ ; Pfad im rechten Fenster setzen
al ; linkes Fenster aktivieren
so ; vergleichende Selektion
cp ; Kopiervorgang starten

Diese WCF-Datei selektiert alle neu er stellten und seit dem letzten Backup geänderten Dateien im Ordner C:\WORKFILE\ und kopiert sie nach C:\BACKUP.

Eine bequemere Möglichkeit als das Programmieren der sehr abstrakten Kommandodateien, bietet die Funktion Record. Auf Tastendruck schneidet der Zauberer die nachfolgenden Aktionen mit und erstellt automatisch eine WCF-Datei. Mit ca. 40 Befehlen umfaßt die Kommandosprache die wesentlichen Funktionen. Eine Erweiterung auf alle Kommandos wäre jedoch in jedem Fall wünschenswert.

Bild 4: Etwas zu groß geraten: eine typische Dialogbox

Komfort pur - Select

Ein modernes Filehandling-System benötigt ein umfangreiches Selektierungsangebot, damit der komfortable Umgang mit Dateien gewährleistet ist. Diesen Grundsatz haben die Entwickler von IMAGIC WIZARD durchaus erkannt und dementsprechend viel Aufwand mit der Selektionsroutine betrieben.

Eines sei schon jetzt vorweggenommen: In puncto Selektion läßt IMAGIC WIZARD keine Wünsche unerfüllt. Select bietet 24 (!) Buttons, die frei edierbar für Wildcard-Einträge sind. Darüber hinaus werden 8 ebenfalls frei belegbare Edierfelder angeboten, in denen Selektionsbefehle (z.B. Selektion nach Datum, Zeit, Größe usw) eingegeben werden können. Selbstverständlich können die edierten Felder abgespeichert werden, so daß jeder Benutzer die Select-Funktion an seine Bedürfnisse anpassen kann.

Weitere Möglichkeiten erschließen feste Selektionsmerkmale wie z.B. Auswahl aller Dateien und Selektion mit oder ohne Ordner. Doch damit an Auswahl nicht genug. IMAGIC WIZARD läßt sogar Verknüpfungen von Selektionen zu. Durch die Option „Many“ können beliebig viele Auswahlkriterien miteinander kombiniert werden.

Die Hauptbedienungsoberfläche bietet dem Anwender eine weitere Gruppe von Auswahlkriterien an: die vergleichende Selektion. So ist es möglich, die Directories der beiden Dateifenster nach verschiedenen Kriterien miteinander zu vergleichen. Durch Tastenkombinationen kann hier nach gleichen oder ungleichen, älteren oder neueren, kürzeren oder längeren Dateien selektiert werden.

Trotz dieses reichhaltigen Angebots wurde jedoch nicht vergessen, dem Benutzer jederzeit die Möglichkeit zu geben, sich über Art und Umfang der Selektion zu informieren. Zu diesem Zweck gibt die Funktion Select Info die Daten bekannt und überprüft auf Wunsch, ob der Speicherplatz auf dem Zielpfad ausreicht (wichtig für die optimale Ausnutzung von Disketten und RAM-Disks).

Um das Gesamtbild eines komplexen Werkzeuges abzurunden, stellt IMAGIC WIZARD einige der wesentlichsten Harddisk-Utilities zu Verfügung. Als die wichtigste Funktion ist hier sicherlich „Unerase“ hervorzuheben. Sie versucht Dateien, die außerhalb des Programms gelöscht wurden, wieder herzustellen.

Jedoch sind realistische Chancen für ein erfolgreiches Gelingen nur dann gegeben, wenn nach dem Löschvorgang kein Schreibzugriff auf die Diskette oder Platte erfolgte. Wie dem auch sei, schon eine einzige erfolgreiche Restauration einer bedeutenden Datei rechtfertigt die Realisierung dieser Funktion.

Darüber hinaus gibt es einige Funktionen zur Plattenoptimierung. „Optimize Partition“ sammelt über das Laufwerk verstreute Cluster einer Datei und legt sie hintereinander in einem Block auf die Partition. „Optimize Dir" vernichtet alle unbelegten Einträge im Directory und erhöht auf diese Weise die Zugriffsgeschwindigkeit auf das Verzeichnis. Ebenso nützlich, wenn auch seltener in der Anwendung, sind die Funktionen Zero, Wipe Disk und Mark Bad.

Bild 5: Zu selektieren gibt es genug.

Handbuch

Zum Lieferumfang von IMAGIC WIZARD gehört ein über 150 Seiten umfassendes Handbuch (geheftet), in dem die Bedienung des Programms ausführlich und verständlich mit einigen Abbildungen und Beispielen erklärt wird.

Fazit

IMAGIC WIZARD ist bei einem Preis von 89,- DM sicherlich ein interessantes Produkt unter den Utilities, besonders was Bedienungskomfort und Funktionsvielfalt angeht. Zu den herausragenden Eigenschaften gehören das Restaurieren von gelöschten Dateien, das schnelle Kopieren und Löschen von Dateien, das Abar beiten von Batch-Dateien und die umfangreiche Dateiauswahlfunktion. Sicherlich wäre es in einem Update sinnvoll, die angebotenen Harddisk-Utilities um weitere Funktionen zu ergänzen (ich kennen noch einige).

IMAGIC WIZARD ist ein zuverlässiges Werkzeug, welches den täglichen Umgang mit Dateien erheblich komfortabler gestaltet.

Bezugsquelle: H. Richter Distributor Hagener Straße 65 5820 Gevelsberg


Dieter Kühner
Aus: ST-Computer 05 / 1991, Seite 46

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