16 Megabyte-RAM im ST - ...und es geht doch

Was war das doch für eine Sensation, als 1985 der Atari ST mit 512 kB RAM vorgestellt wurde. 512 kB! Wer sollte diesen Riesenspeicher jemals voll nutzen können? Was für gewaltige Anwendungen mußten das sein?

Nun, wie jeder weiß, erwies sich dieser Speicher schon sehr bald als viel zu klein und die "Aufrüstung“ auf ein Megabyte wurde unvermeidlich. Lange Zeit genügte diese Speichergröße für viele Anwendungen. Erst mit Erscheinen des Atari-Laserdruckers (der über keinen eigenen Speicher verfügt) und der daraus resultierenden DTP-Welle wurde wieder ein „Speicher-Aufrüstungs-Wettlauf" in Gang gesetzt. Heute sind 2 bzw. 4 Megabyte Hauptspeicher nicht mehr selten, ja meistens sogar die Regel geworden. Aber geht nicht noch mehr?

Mehr als 4 Megabyte, geht das?

Bislang galt die magische Grenze von 4 Megabyte als unüberwindlich. Die ST-MMU (Memory-Management-Unit), ein Spezialchip von Atari, ist aufgrund seiner technischen Spezifikationen nicht in der Lage, mehr als 4 Megabyte RAM-Speicher zu verwalten. Doch wie das immer so ist, es gibt keine Regel ohne Ausnahme. Zunächst fanden clevere Bastler die Möglichkeit den ST-Speicher um eine weitere Speicherbank bis auf 5 Megabyte zu erweitern. Theoretisch kann der Motorola-68000-Prozessor sogar 16 Megabyte adressieren. Warum sollte man das nicht auch nutzen können? Diese Frage stellten sich die Entwickler der Firma GE-Soft und schritten zur Tat. Was dabei herauskam, stand uns in Form eines Prototypen für einige Zeit zur Verfügung. Prototypen haben die Angewohnheit, sehr wild verdrahtet zu sein und sich recht absturzfreudig zu verhalten. Wild verdrahtet zwar, aber erstaunlich ruhig und verträglich erwies sich die 16 Megabyte-Karte von GE-Soft. Problemlos verrichtete sie ihren Dienst in einem umgebauten Mega-ST 2.

Von allen Programmen nutzbar

Der ganz große Vorteil dieser Karte gleich vorweg: Der komplette Speicher ist linear als ST-RAM von jedem Programm aus zu nutzen. Kein Bank-Switching-Verfahren oder Verwendung des Speichers lediglich als RAM-Disk schränken die Möglichkeiten der Karte ein. Jedes Programm kann über den gesamten 16 Megabyte RAM-Speicher verfügen. Halt, nicht ganz 16 Megabyte. Der Fairness halber müssen wir erwähnen, daß es „nur“ 15.2 Megabyte sind, die sich dem Zugriff stellen. Der restliche Speicher kann nicht angesprochen werden, da er in dem Adreßbereich liegt, den auch diverse Peripheriebausteine des ST nutzen, z.B. die ACIAs und der MFP (Multi-Function-Prozessor). Dort würde ein gleichzeitiger Zugriff auf RAM und Hardware-Register unvermeidlich zum Daten-Crash, sprich Absturz führen. Diese kleine Einschränkung ist aber durchaus zu verkraften. Ein Blick in die Innereien unseres ST zeigt uns, daß die Entwickler der 16-Megabyte-Karte völlig neue Wege gegangen sind. Eine selbstentwickelte MMU verrichtet auf der Karle ihren Dienst und verurteilt die „alte“ Atari-MMU zu einem Schattendasein. Als Speicherchips werden die brandneuen 4 Megabit-Chips eingesetzt, was dazu führt, daß der Stromverbrauch des Speichers nicht wesentlich höher ist als der eines normalen Mega-ST-4. Ein stärkeres Netzteil wird also nicht erforderlich! (Vorausgesetzt, das serienmäßige ST-RAM wird komplett entfernt und zieht somit keinen Strom mehr!) Unser Testmuster-ST enthielt zusätzlich noch eine 16-MHz-Beschleunigerkarte vom Typ Hypercache Turbo+. Laut Auskunft von GE-Soft ist eine Verbindung der beiden Karten nicht nur möglich, sondern sogar ratsam, weil die normale Taktfrequenz von 8 MHz des ST bei solchen Speichermengen schon recht einschläfernd wirkt. Gerade aber in Verbindung mit dem Hypercache kamen doch einige Probleme auf. Bei aktiviertem Cache-Speicher war zeitweise ein störendes Flackern des Bildschirmes festzustellen, welches sich durch Zuschalten des Blitters noch verstärkte. Eine Anfrage bei GE-Soft ergab, daß es sich dabei um Schwierigkeiten des Prototyps handele, die bei den Seriengeräten beseitigt sein werden. Der Testrechner wurde offen, also ohne Gehäusedeckel betrieben. Das Flackern des Bildschirmes verstärkte sich sprunghaft, sobald wir den Rechner irgendwie abdeckten. Dies deutet auf Wärmeprobleme hin, soll aber, so GE-Soft, mit Erscheinen der ersten Seriengeräte nicht mehr der Fall sein. Abgesehen davon gab es hardwareseitig keine Probleme mit der Speichererweiterung. Das Gerät hatte selbst unseren mehrtägigen harten Dauertest als Mailbox-Rechner ohne Absturz überstanden. Doch was sagen die diversen Anwendungen wie Textverarbeitung, Grafikprogramme, DTP usw. zu diesem „Speicher-Gigantismus“?

Wie verhält sich die Software?

Die wenigsten Programme sind auf eine solche Speichermenge ausgelegt. Das TOS ist hier der Retter in der Not. Die flexible Speicherverwaltung des Betriebssystems sorgt dafür, daß so gut wie kein Programm seinen Dienst unter der 16-Megabyte-Erweiterung verweigert. Fehler treten meist nur dann auf, wenn der verfügbare Speicherplatz in Bytes angezeigt werden soll. Hier fehlen fast immer ein bis zwei Stellen in der Zahlenausgabe, so daß augenscheinlich falsche Angaben entstehen. Einen negativen Einfluß auf den Programmablauf an sich hat dies aber nicht zur Folge. Auch wenn der Speicher nicht korrekt angezeigt wird, ist er doch vorhanden und kann benutzt werden. Viele Anwendungen, wie z.B. Calamus oder Sound-Sampler profitieren enorm von dem Riesenspeicher. Eine resetfeste RAM-Disk mit 8 Megabyte-Größe? Bitte, kein Problem. Große Kopieraktionen über die Festplatte oder gar Disketten haben damit ein Ende. Da macht das Arbeiten mit dem ST wieder richtig Spaß.

Besser TOS 1.04 verwenden

Eines sollte man allerdings beachten. Zwar ist die Karte auch unter TOS 1.0 und TOS 1.02 einsetzbar, aber ein Programmstart wird dort zur Qual. Bei diesen älteren TOS-Versionen wird jedesmal nach dem Laden eines Programmes der gesamte freie Speicher gelöscht, also „ausgenullt“. Bei 4 Megabyte Rechnern ist dies schon deutlich durch eine halbe Sekunde Wartezeit vernehmbar. Unter der I6-Megabyte-Erweiterung wird das Warten allerdings zur Tortur. Abhilfe schafft hier nur ein TOS>=1.04. Mit einem kleinen Zusatzprogramm, welches Atari dem TOS 1.04 beilegt, kann das sogenannte Fastload-Bit im Programm-Header gesetzt werden. Dadurch wird das lästige Löschen des Speichers unterbunden, so daß die Wartezeiten bei Programmstarts entfallen. Trotzdem wird die Boot-Phase unter der 16MB-Erweiterung extrem verlängert, was an dem Speichertest des Betriebssystems liegt. Dies kann man leider nicht umgehen, der Anwender muß sich also bei jedem Booten auf 10-15 Sekunden Wartezeit einstellen, bevor sich der Rechner wieder zurückmeldet. Gemessen an den Wartezeiten von PCs ist das aber immer noch erträglich.

Speicher? Watt Ihr Volt!

16 Megabyte freier RAM-Speicher, wer hat davon nicht schon mal geträumt? Was bislang nur wesentlich teureren Workstations oder Mini-Computern Vorbehalten war. läßt sich nun doch entgegen alle anderslautenden Gerüchte auch auf einem normalen Atari-ST verwirklichen. Und zu welchen Preisen? Die Leerkarte, also mit allen Kabeln und der MMU, aber ohne RAMs, kostet 998.- DM. Ein stolzer Preis, aber wenn man bedenkt, wer als Kundenkreis für eine solche Speichererweiterung in Frage kommen könnte, sind die hohen Anschaffungskosten durchaus zu rechtfertigen. Mit RAMs bestückt, ist die Karte in 3 Ausbaustufen erhältlich. Mit 8 Megabyte bestückt, kostet sie 2498,- DM. Für 12 Megabyte wird man mit 2998,- DM zur Kasse gebeten. Die volle Ausbaustufe von 16 Megabyte verschlingt satte 3498,- DM. Nun fragt sich keiner mehr, mit welcher Zielrichtung die Karte auf den Markt losgelassen wird. Da aber immer mehr professionelle Anwender den ST benutzen (beispielsweise in DTP-Studios (Hierunter Musikerkreisen) wird sicherlich auch der Kundenkreis für eine solche Speichererweiterung immer größer werden. Begutachten kann man die Karte auch auf der Atari-Messe vom 23. bis 25.08.1991 in Düsseldorf, wo die Firma GE-Soft ebenfalls vertreten sein wird.

CM

Bezugsadresse:

GE-Soft Computersysteme Habsburger Straße 13 W-5216 Niederkassel-Rheidt



Aus: ST-Computer 09 / 1991, Seite 161

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite