Fliegender Wechsel: 88-Megabyte-Wechselplatte

Das kleine Gehäuse der MD-88 paßt nicht so recht zum Atari-Design.

Eine gelungene Mischung zwischen Festplatte und Diskette macht weiterhin Geschichte. Die Wechselplatte, bekannt durch das 44 Megabyte fassende SyQuest-Laufwerk mit der Bezeichnung SQ 555, bekommt einen großen Bruder. Die 88-Megabyte-Wechselplatte ist nun erhältlich. Uns stand eines der ersten Exemplare zum Test zur Verfügung.

Festplatten haben entscheidende Vorteile gegenüber anderen Speichermedien wie Disketten oder Bandlaufwerken. Sie sind schnell und warten mit extrem hohem Speicherplatz auf. Aber sie sind auch leider etwas unflexibel. Eine Festplatte ist in der Regel in ein Computersystem integriert und läßt sich nicht so einfach transportieren. Die aus Feinstmechanik bestehenden Geräte sind zudem sehr erschütterungsempfindlich, und schon aus diesem Grunde sollte man sie lieber dort stehenlassen, wo sie hingehören. Was aber, wenn der Benutzer darauf angewiesen ist, seine Datenbestände, Programme, Source-Codes usw. zwischen verschiedenen Computern auszutauschen? Natürlich kann man das alles per Disketten erledigen. Diskette rein - kopieren - Diskette raus - nächste Diskette rein usw... Bei kleinen Datenmengen ist das noch erträglich, doch wenn ganze Installationen transportabel gehalten werden sollen, wird die Diskettenlösung eher zu einen akrobatischen Akt schaustellerischer Natur (einem Jongleur ist nix zu schwör!).

Die Lösung auf alle Fragen?

Vor einigen Jahren brachte die Firma SyQuest eine endlich praktikable Lösung des Problems auf die Welt: die Wechselplatte. Schnell und komfortabel wie eine Festplatte und doch mit einem auswechselbaren Speichermedium ausgestattet, wie man es von Disketten her kennt, sollte sie die Welt der Massenspeicher revolutionieren. Die erste Version faßte damals schon 44 Megabyte an Daten, war aber noch etwas langsam im Vergleich zu den üblichen Festplatten. Schon bald folgte eine verbesserte Version, die auch in bezug auf Geschwindigkeit mit den „Hartplatten“ mithalten konnte. Diese fast schon legendär zu nennenden Wechselplattenlaufwerke wurden ein Renner. Auf fast allen Computersystemen sind sie zu finden. Besonders Atari-und Apple-Computer machten von den wechselnden Medien regen Gebrauch. Im Zuge der fortschreitenden technischen Entwicklung und der damit verbundenen immer größer werdenden Datenberge, die es zu verarbeiten gilt, war es an der Zeit, die Wechselplatte weiterzuentwickeln. SyQuest tat dies und kündigte auf der diesjährigen CeBit ein neues Modell mit 88 Megabyte Fassungsvermögen an.

Kurz nachdem die ersten Geräte erhältlich sind, werden sie auch schon anschlußfertig für Atari-Computersysteme angeboten. Uns stellte die Firma Fischer-Computer freundlicherweise ein Testexemplar zur Verfügung. Das Gehäuse der Wechselplatte mit der Bezeichnung MD-88 ist etwas kleiner ausgefallen als die Atariüblichen Abmessungen. Dadurch fügt es sich leider nicht ganz so harmonisch in einen Turm aus Mega-ST und Festplatte ein. Farblich wurde aber versucht, es dem bekannten Atari-Grau anzupassen. Das eigentliche Laufwerk unterscheidet sich optisch lediglich durch einen kleinen Schriftzug „88 Megabyte“ von seinem Vorgänger, doch schon beim Einschieben des Mediums und Hochlaufen der Platte vernimmt man deutlich andersartige Geräusche als man es von der 44-Megabyte-Version gewohnt war. Die Laufgeräusche sind nur wenig reduziert. Die Zugriffsgeräusche der Schreib-Leseköpfe sind aber kaum noch wahrnehmbar. Leiser ist die neue Platte also schon geworden. Auf der Rückseite findet der Benutzer eine Fülle an Schnittstellen und Bedienungselementen. Neben dem üblichen DMA-in- und DMA-out-Port spendierten die Entwickler der MD-88 auch einen Standard-SCSI-Anschluß. Dadurch wird das Gerät universal verwendbar, auch für andere Computersysteme, wie z.B. dem Apple Macintosh. Auch kann man mit einem entsprechenden Kabel eine direkte Verbindung zum SCSI-Port des Atari-TT herstellen und dessen wesentlich höhere Übertragungsgeschwindigkeit nutzen. Für diesen Fall muß allerdings der eingebaute Host-Adapter abgeschaltet werden. Doch auch daran wurde gedacht. Ein kleiner Wippschalter an der Rückseite bewerkstelligt dies. Eine rote LED an der Frontseite verkündet den Zustand des Host-Adapters. So läßt sich auch von vorn erkennen, über welchen Anschluß das Laufwerk arbeitet. Die SCSI-Device-Adresse kann ebenfalls an der Rückfront bequem über einen Tippschalter eingestellt werden. Verrenkungen und Schraubenzieherakrobatik wird damit wirkungsvoll vorgebeugt. Schraubsicherungszugang und Kaltgerätebuchse für die 220-Volt-Spannungsversorgung sollen nicht unerwähnt bleiben. Ungewöhnlich ist, daß eine 220-Volt-Kaltgerätekupplung ebenfalls mit eingebaut wurde. Dies stammt sicherlich aus PC-Krei-sen, in denen es üblich ist, die Spannungsversorgung des Bildschirms über solche Buchsen zu schalten. Der Atari-Benutzer wird hiervon wohl kaum Gebrauch machen können.

Reichlich mit Schnittstellen und Bedienungselementen bestückt: die Rückseite.

Spezielle Medien vonnöten

Natürlich kann man die 88 Megabyte nicht mit den alten Medien erreichen. Spezielle Medien sind dazu notwendig. Formatieren und Partitionieren geht dank der mitgelieferten Software der Firma ICD rasch und zuverlässig vonstatten. Die Software läßt darauf schließen, daß in dem Gehäuse der Wechselplatte ebenfalls ein Host-Adapter der Firma ICD seinen Dienst tut. In diesem Fall ist es der ICD-Advantage. Wir haben das Gehäuse geöffnet und nachgeschaut. Etwas eng geht es darin zu, aber dank des eingebauten, kräftigen, aber dennoch leisen Lüfters ist eine zu hohe Wärmeentwicklung innerhalb des Gehäuses nicht zu befürchten. Der Host-Adapter befindet sich direkt hinter dem Wechselplattenlaufwerk, das Netzteil rechts daneben. Natürlich ist in diesem Gehäuse kein Platz mehr für eine zusätzliche Festplatte, wie dies zum Beispiel bei den original Atari-44-MB-Wechselplatten vorgesehen war. Bastelfans werden also hier nicht auf ihre Kosten kommen.

44-MB-Medien nur „lesbar“

In der Praxis traten keinerlei Probleme auf. Dank der reichhaltigen Schnittstellen und Bedienungselemente kann die Wechselplatte in kürzester Zeit jeder bestehenden Konfiguration angepaßt werden. Wer nun denkt, er könne seine alten 44-MB-Medien auf den Müll transportieren, täuscht sich. SyQuest gibt an, daß die 44-MB-Medien anstandslos verarbeitet werden. Ganz ohne Haken ist dies aber nicht. Zwar lassen sich die 44-MB-Medien problemlos lesen, bei einem Schreibzugriff aber stürzt der Computer nach Ausgabe einer Schreibschutzmeldung sang- und klanglos ab. Programme, die also automatisch irgendwelche Schreibzugriffe während des Betriebs tätigen (um z.B. Speicher auszu-lagem oder Infodateien abzulegen), sind mit den alten Medien nicht mehr zu gebrauchen. Ärgerlich ist besonders der Absturz des Systems nach einem versehentlichen Schreibzugriff. Laut Aussage von Fischer-Computer liegt dies zur Zeit noch an der Treiber-Software, es werde aber in Zukunft ein Accessory mit ausgeliefert, welches den Totalabsturz unterbinden soll. Trotzdem ist es wohl angebracht, sofort alle Daten auf neue 88-MB-Medien umzukopieren. Damit treten dann selbstverständlich keinerlei Probleme auf.

**SyQuest SQ 555 (44 Megabyte)** CHECKHD V8.3 TOS 1.4 Zylinder 1275 Zyl. zu Zyl. (2550 Wechsel] 4.4 ms 1000 zufällige Wechsel 26.5 ms 1000 maximale Wechsel 39.5 ms 1000 Wechsel/425 Zyl. 10.4 ms Lesetest 203 kB/s Transfer 1 456.3 kB/s II 912.7 kB/s

SyQuest SQ 5110 (88 Megabyte)

CHECKHD V8.3 TOS 1.4

Zylinder: 1766
Zyl. zu Zyl. (3330 Wechsel): 4.1 ms
1000 zufällige Wechsel: 23 ms
1000 maximale Wechsel: 32.3 ms
1000 Wechsel/555 Zyl.: 9.6 ms
Lesetest : 459 kB/s
Transfer I: 697.9 kB/s
II: 932.7 kB/s

Spin-Up und Spin-Down Zeiten
der 88-MB- im Vergleich zur 44-MB-Wechselplatte: (handgestoppt)

Spin-Up Spin-Down
SQ 5110 : 14 Sek. 4.0 Sek.
SQ 555 : 20 Sek. 4.5 Sek.

Anschluß am TT

Über ein spezielles Kabel läßt sich die Wechselplatte auch direkt am SCSI Bus des TT betreiben. Zu beachten ist dabei allerdings, daß die SCSI-Adresse der Wechselplatte nicht auf 0 eingestellt ist, da diese schon von der internen-TT-Platte benutzt wird. Leider hat Atari nicht die Möglichkeit vorgesehen, die SCSI-Adresse der internen Platte zu ändern. Somit ist es nicht ohne weiteres möglich von einer extern angeschlossenen Platte zu booten. Falls man den Atari-Harddisk-Treiber verwendet, sollte man zudem darauf achten, daß keine „Lücken“ in der Belegung der SCSI-Adressen auftreten. Es ist zum Beispiel nicht möglich, die Wechselplatte als SCSI-Device 2 oder höher anzumelden, wenn kein Device 1 existiert. Der TT bootet dann zwar korrekt von seiner internen Platte (Device 0), der Atari-Treiber bricht aber den Suchvorgang nach SCSI-Geräten ab, sobald er eine nicht belegte Adresse registriert. Dadurch kann er Geräte mit höheren SCSI-Adressen gar nicht erst erkennen.

Das bekannte Testprogramm RATEHD zeigt die deutliche Geschwindigkeitszunahme der SQ 5110 gegenüber der SQ 555.

Schneller als der Vorgänger

Die Vergleichstabelle in puncto Geschwindigkeit bedarf eigentlich keines weiteren Wortes. Zugriffsgeschwindigkeit und Datentransferrate wurden zum Teil erheblich verbessert. Als Testprogramm verwendeten wir die neue Version 8.3 des Check-HD von Claus Brod. Der Testrechner war ein Mega ST-4 mit TOS 1.04. Die Spin-Up- bzw. Spin-Down-Zeiten geben an, wieviel Zeit vergeht, bis das Laufwerk nach Einlegen eines Mediums bereit ist, bzw. bis ein Medium nach Betätigen der Auswurftaste entnommen werden kann. Für Anwender die häufig ihre Medien wechseln müssen, kann dies unter Umständen wichtig sein.

Mitgelieferte Datenblätter zum neuen SyQuest-Laufwerk, das die Bezeichnung SQ 5110 trägt, geben auch für den technisch Interessierten tiefergehende Informationen. Alles in allem kann man dem 88-MB-Wechselplattenlaufwerk Professionalität in sämtlichen Belangen bescheinigen. Sicher, die Einschränkung, 44-MB-Medien nur lesen zu können, wiegt schwer, hat aber sicherlich prinzipbedingte Gründe. Damit wird man leben müssen.

3 Mark pro Megabyte

Der Preis erscheint mit 2298,- DM (inkl. ein Medium) im Vergleich zu Festplatten dieser Kapazität sehr hoch, man darf aber dabei nicht vergessen, daß jeweils weitere 88 Megabyte nur noch 268,- DM kosten (das sind ca. 3,-DM pro Megabyte!). Da kann sich jeder selbst ausrechnen, wann sich die Anschaffung einer solchen Wechselplatte lohnt.

CM

Fischer Computer-Systeme Goethestraße 7 W-6101 Fr.-Crumbach



Aus: ST-Computer 09 / 1991, Seite 152

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