Junior Office - Das kleine und feine Büro

Mehrere Module können nacheinander nebeneinander aufgerufen werden.

Seit etwa eineinhalb Jahren besteht die Möglichkeit, mit dem ST und einem dafür vorgesehenen Modem Faxe zu versenden und auch zu empfangen. Wichtig ist aber nicht nur die Hardware, sondern auch die Qualität der Software - gerade in einem Bereich, in dem es (anders als etwa bei Textverarbeitungen) nicht schon jahrelange Erfahrungen gibt, ist näheres Hingucken gefragt.

Die Firma TKR aus Kiel war die erste, die sich auf dem ST-Markt sowohl an die Entwicklung von entsprechender Software, als auch an den Vertrieb von Modem und Programm begab. Das Interesse war groß - ebensogroß aber waren auch die Beschwerden der Benutzer über das relativ bedienungsunfreundliche und nicht gerade reichhaltige Faxprogramm ST-Fax, auch über die nachfolgende Version II. Bilder und Texte konnten nur untereinander plaziert werden, und nicht frei über die zu erstellende Fax-Seite. Nach eineinhalb Jahren nimmt TKR ein neues Programm in sein Angebot auf, das das bisherige ersetzen soll: Junior Office, der kleine Bruder' und in gewisser Hinsicht gewiß auch Werbeträger des später erscheinenden Professional-Programmes Tele Office. Es soll hier vorgestellt, geprüft und kritisiert werden. Da es eine völlige Neuprogrammierung seitens eines anderen Autors darstellt, nehme ich nicht weiter auf ST-Fax II Bezug, weil die beiden Programme kaum etwas miteinander zu tun haben.

Der Aufruf der Module ist im Accessory-Betrieb auch aus Anwendungsprogrammen heraus möglich.

Programmkonzeption

Das Programm ist modular konzipiert: Drei der vier wesentlichen Programmteile (Fax anzeigen, Fax-Layout und Konfiguration, nicht aber die Adreßverwaltung) sind voneinander unabhängig und (bis auf Konfiguration) mehrfach hintereinander aufrufbar. Da sich für jedes geöffnete Modul ein Fenster öffnet, ist das Hin- und Herschalten zwischen verschiedenen Faxen problemlos möglich. Außerdem hilft diese Konzeption, Speicherplatz zu sparen, denn selbstverständlich beansprucht nur ein geöffnetes Modul auch Speicherplatz. Sogar einzelne Menüpunkte im Modul Konfiguration werden erst beim Aufruf nachgeladen - dies macht sich zwar nicht grob verlangsamend bemerkbar, zeigt aber deutlich, daß Junior Office eindeutig für den Betrieb mit einer Fest- oder Wechselplatte konzipiert ist - was ich bei Faxdateien, die nicht selten über 100 Kbyte lang werden, per se als notwendig erachte.

Ein weiterer Vorteil der modularen Konzeption schlägt sich in dem leichten Einsatz des Programmes als Accessory nieder: Beim Aufruf aus der Infoleiste des Desktops oder eines GEM-Programmes erscheint eine vertikale Menüleisten) mit den weitergehenden Modulen.

Konfiguration

In der Konfiguration kann neben den notwendigen Einstellungen des Modems etwa oder der Pfade von Grafik- bzw. Texteditor - auch die Erstellung eines aufwendigen Seiten-Layouts vorgenommen werden: Jeweils getrennt für die erste und alle weiteren Seiten können Kopf- und Fußbereiche durch Text und Grafik gestaltet werden. Hierbei ist die Überlappung von Text und Grafik möglich; der Gestaltungskreativität sind also kaum Grenzen gesetzt - allenfalls, wenn kein Grafikprogramm vorhanden ist, das Grafiken mit 1728 Pixeln Breite erzeugen kann, denn so breit ist ein Fax. Junior Office hilft hier mit der Option der Verdoppelung der Grafikbreite, so daß notdürftig auch mit nicht so umfangreichen Grafik program men annähernd breitenfüllende Grafiken erstellt werden können.

Layout

Beim Faxlayout steht dem Benutzer ein Fenster zur Verfügung, in dem links eine Symbolleiste und rechts das „leere Blatterl Papia“, das zu erstellende Fax, abgebildet sind. Nun können bereits erstellte Texte oder Grafiken ausgewählt und mit der Maus frei auf dem Fax positioniert werden. Oder der Text- bzw. Grafikeditor wird aufgerufen, und die damit erstellten Elemente werden direkt nach der Rückkehr in Junior Office plaziert. Hier stört wie bei allen Faxprogrammen die geringe Auswahl von Formaten: Texte müssen, um sinnvoll verarbeitet werden zu können, als reine ASCII-Datei vorliegen, was noch leicht machbar und verständlich erscheint, Grafiken aber bleibt nur das IMG-Format, das zwar mittlerweile aus allen guten Grafikprogrammen heraus erzeugbar ist, aber dennoch meist erst extra gespeichert werden muß. Eine programminterne Umwandlungsroutine vom PAC-Format etwa hätte dem Abhilfe geschaffen.

Junior Office zeigt die Kopf- und Fußbereiche beim Layout zunächst verwirren-derweise nicht mit an, berechnet aber die Seitenlängen korrekt. Man kann also von einer korrekten Endformatierung ausgehen. Überhaupt sind die Seitenlängen zudem noch beliebig manuell veränderbar, es besteht also z B. die Möglichkeit, für eine kurze Mitteilung die Seitenlänge so zu wählen, daß nicht unnötig viel Papier aus dem Empfängerfaxgerät quillt.

Außerdem ist nun festzulegen, mit welcher vertikalen Auflösung (98 dpi oder 196 dpi) das Fax erstellt werden soll, davon abhängig sind einerseits die Qualität und andererseits die Länge der Übertragungsdauer.

Versand

Vordem Versenden kann „Fax anzeigen“ angewählt werden. Nach einer längeren Prozedur der Konvertierung präsentiert sich je nach Bildschirmgröße das Fax bzw. ein Ausschnitt davon in einem Fenster. Erfreulicherweise wurde daran gedacht, verschiedene Lupeneinstellungen (1:1 bis 1:3) zu implementieren, so daß man sich das Fax in fünf verschiedenen Auflösungen - und damit auch Übersichtlichkeitsstufen - ansehen kann. Außerdem kann von diesem Modul aus, das auch bereits früher gespeicherte Faxe anzeigen kann, das Fax ausgedruckt oder als IMG-Grafik gespeichert werden.

Die interne Adreßverwaltung enthält als Felder komplette Adressenangaben inkl.

Telefon- und natürlich Faxnummer sowie zwei frei definierbare Felder - etwa für Kundennummer oder sonstige zusätzliche Angaben. Bei der Konvertierung zum endgültig versandfertigen Fax werden mit Hilfe dieser Adreßdatei sieben Synonyme aus den Textdateien ausgetauscht, wie dies aus Serienbrieffunktionen von Textverarbeitungen bekannt ist. Die anderen 10 Synonyme werden aus dem Speicher ausgelesen (z.B. Tag, Monat...) bzw. laufend durchnumeriert (Seitennummer).

Junior Office stellt zwar zum Versand fertige Dateien her, kann diese aber nicht selbst versenden. Dafür ist ein externes Programm zuständig, das abhängig von der Hardware des Modems ausgewählt werden muß. Dieser „Driver“, der auch

für den Empfang von Faxen zuständig ist, sieht in einem der recht vielen Systemordner von Junior Office nach, versendet nach-einander alle fertigen und unversandten Faxe und trägt in einer Logliste den Erfolg bzw. Mißerfolg und diverse Daten wie Datum und Dauer des Versands ein. Wird er als Accessory ständig im Speicher gehalten, sieht er immer wieder im Hintergrund nach, ob Faxe zu versenden sind, und unterbricht ggf. die aktuelle Anwendung. Wird er extern aufgerufen, sieht er nacheinander den Systemordner durch -aber dieser externe Aufruf erinnert dann doch zu sehr an alte SIGNUM!-Zeiten.

Das 56seitige Handheft ist alles in allem verständlich und gut gegliedert. Es spricht allerdings an einer Stelle von angeblich eingesetzten Flydials - es handelt sich allerdings nicht um die allseits bekannten frei über den Bildschirm verschiebbaren Dialogboxen, sie sind allenfalls über Tastatur bedienbar. Hier wurde ein Fachbegriff offensichtlich unreflektiert aufgegriffen.

Die Faxanzeigenfunktion, hier mit der Lupeneinstellung 1:2.
Das Fax im Endstadium: der Treiber, der alles versendet.

Fehler und Mängel

Junior Office wies in der mir vorliegenden Version, die nach Angaben von TKR versandfertig sein soll, einige z.T. schwerwiegende Fehler auf. Es mag zwar unpraktisch, aber vielleicht noch zu verschmerzen sein, daß der Text in den Buttons mancher Dialogboxen um einige Pixel nach oben „verrutscht“ oder daß ab und an nach dem Versand der Faxe das Modem zum weiteren Arbeiten aus- und wieder eingeschaltet werden muß. Ausgesprochen ärgerlich ist aber, daß 196 dpi-Faxe nicht angezeigt werden können (Rechnerabsturz) und manchmal intern ein Fax nicht als 'versandt' gekennzeichnet wird, obwohl es angekommen ist - beim nächsten Aufruf des Drivers wird es daher erneut versandt. Im Grunde unentschuldbar ist ebenso, daß mehrseitige Faxe - in meinem Test war es ein 10seitiges Fax - gar nicht erst ankamen, aber als korrekt versandt in die Logliste eingetragen wurden - stutzig geworden bin ich allein durch die sprichwörtliche Angabe des Programmes, fast ein Megabyte innerhalb von 48 Sekunden übertragen zu haben.

Das Ausdrucken über den mitgelieferten GDOS-Druckertreiber führte bei meinem NEC-Drucker nur zu wüsten Pixel-Orgien - die Chaostheorie mag interessant sein, ist aber in ihrer Anwendung an dieser Stelle fehl am Platze.

Unpraktisch ist auch, daß die Pfade für Texte, Grafiken und Faxe nicht editiert werden können, man ist so anachronistischerweise auf die „werkseitige“ Einstellung der Pfade angewiesen. ST-Fax II-Benutzer werden zudem die Listen vermissen, die gewisse Standardeinstellungen (z.B. zusätzliche Vorspänne, Unterschriften...) fast per Knopfdruck sehr einfach übernehmen ließen. Außerdem muß die Fax-Nummern-Liste komplett neu angelegt werden.

Fazit

TKR bringt mit Junior Office sicherlich mehr als die Überarbeitung des alten ST-Fax II heraus. Insbesondere die Bedienfreundlichkeit, das gute Archivsystem der Faxe und die Adressendatei überzeugen und lassen mit relativ wenig Installationsarbeit Faxe erstellen und versenden, die professionell und sauber aussehen. ST Fax-II-Besitzer sollten das Angebot von TKR auf Upgrade wahrnehmen, ihr ST Fax II allerdings nicht wegwerfen - denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dieses für eine sichere Übertragung leider noch notwendig. Sollte TKR es denn schaffen, Junior Office soweit nachzubessern, daß zumindest von einer sicheren Übertragung der kompletten Faxe ausgegangen werden kann und Minimaleinstellungen der Systemkonfiguration vorgenommen werden können, bietet es sicherlich eine gute Möglichkeit zum Faxen mit dem Atari ST.

Bezugsadresse:

TKR
Stadtparkweg 2
W-2300 Kiel 1


Sebastian Lovens
Aus: ST-Computer 04 / 1992, Seite 66

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