STEVE - Von Faszination zum Frust und zurück

Mußte es unbedingt STEVE sein? Was treibt beispielsweise einen Arzt dazu, sich überhaupt mit Computerprogrammen abzugeben? Fertige Artzpraxenprogramme gibt es doch fast wie Sand am Meer! Richtig, doch erstens nicht unbedingt zahlreich für den Atari und zweitens nicht mit Bildverwaltung! Kurz und gut es gilt der Wahlspruch: „Das Bessere ist des guten Feind“. Unter diesem Motto habe ich mich dem Programm STEVE genähert, um meine bisherige Datenverwaltung zu verbessern. Meine Schritte vom Konzept bis zur annähernden Verwirklichung sollen in diesem Artikel gezeigt werden.

Bei solch einer konkreten „Fallschilderung“ kann der Leser sich sicher ein gutes Bild über die Fähigkeiten des Programmes, seine Vorzüge und Schwierigkeiten machen. Ich möchte in dieser Darstellung mein Augenmerk nicht nur auf die vielfältigen Möglichkeiten des beschriebenen Programmes legen, sondern auch die „Umweltbedingungen“ für eine erfolgreiche Arbeit sichtbar machen, sind diese doch für einen „Laien“-Anwender ganz andere als für routinierte Programmtester. Vielleicht kann dadurch angeregt werden, bei zukünftigen Software-Tests das Environment (Service etc.) mehr als bisher zu berücksichtigen.

Bild 1: STEVEsche Fileselectbox (Diskmenü I)

Zur Verwaltung einer Arztpraxis gehört die Erfassung von relativ konstanten Daten, wie Patientenstammdaten (Anschrift etc.), Diagnosen, Befunden, Rezepturen und auch von häufiger veränderlichen Daten wie den Einträgen in die Karteikarte. Diese Daten müssen nach verschiedenen Kriterien miteinander verbunden und auf verschiedene Weisen ausgegeben werden. Die ärztliche Abrechnung setzt sich aus Einträgen in der Karteikarte, den Gebührenziffern, den Diagnosen und den Patientenstammdaten zusammen. Bei privat versicherten Patienten ist auch eine Rechnung aus den gleichen Parametern zu erstellen. Ich habe mir für die Erfassung dieser Daten einzelne Datenbankmodule (Dateien), erstellt, die dann untereinander vernetzt und in eine Datenbank integriert wurden. Mit dem Datenbankprogramm ADIMENS ließ sich diese Strukturierung sehr gut bewerkstelligen.

Über Verbindungsskürzel kann von einer Datei in eine andere übergewechselt werden. Es können beispielsweise Etiketten gedruckt werden für alle Patienten, die im laufenden Quartal anwesend waren (Einträge in der Datei KARTEI) und auf denen aus den Dateien PATIENTEN und DIAGNOSEN die benötigten Daten übernommen werden. Auch können mit entsprechenden Mischformularen Rechnungen erstellt werden. Dabei benötigte Rechenvorschriften sind ebenfalls konzipiert.

Nun, wenn doch alles geht, warum dann STEVE? Nun, vieles geht mit ADIMENS, manches geht jedoch offensichtlich nicht oder sehr umständlich, und dann ist da noch das Element der Faszination: Es könnte doch noch besser gehen, oder? Das Mischen der einzelnen Daten bedarf bei Adimens immer der „Handarbeit“ mit Verschieben von Bildchen am Computer. Eine nette Sache, doch in der Routine-Praxis wäre ein kurzes Tastenkommando sicher sinnvoller, weil schneller. Eben, das Bessere ist des Guten Feind. Und die Bildverwaltung von Adimens ist kurz gesagt doch recht bescheiden. Ich für meine Zwecke hätte gerne die Bilder und andere patientenrelevante Daten zusammen sichtbar am Schirm - und das geht mit Adimens nicht, aber mit STEVE. Die (seinerzeit) STEVE umschwirrende Werbung mit einem Flair des Geheimnisvollen hat mich außerdem schon immer fasziniert, wurde doch stets mit der Vielseitigkeit, der Geschwindigkeit geworben. Leider kannte ich keinen Menschen, der sich mit dem Programm selbst vertraut gemacht hätte, also gab es nur den Sprung ins kalte Was-

Bild 2: einfache (Orginal-Steve) Menüzeile

Die Katze im Sack!

Kaum hatte ich die Software im Haus, setzte auch schon der erste Frust ein. Das Programm meldete sich mit einem völlig überflüssigen Titelbild und man mußte geduldig abwarten, bis es von alleine verschwand. Glücklicherweise habe ich dann eine Notiz im Handbuch gefunden, wie ich diesen Unfug abstellen konnte, doch welcher Atari-Besitzer liest denn zuerst das Handbuch, bevor er ein Programm startet? Die nächste Überraschung war eine für meine Verhältnisse ziemlich ungewöhnliche Fileselectbox. Nicht allein, daß nicht alle meine Hardisk-Partitionen angezeigt wurden, auch die Auswahl des zu ladenden Files erfordert immer mehrere Bewegungen. Statt des so eingeübten „Doppel-Klicks“ mit der Maus, muß hier zuerstein Feld (File lesen von Disk) und dann eine anderes (das File selbst) angeklickt werden.

Ich fühlte mich in die Steinzeit zurückversetzt! Der Frust wurde noch erhöht durch den absolut schwarzen Bildschirm, auf dem die Menüzeile nur durch „zufälliges“ Anstoßen am oberen Rand plötzlich auftauchte. Meine ersten Versuche mit dem aufgeschlagenen Handbuch auf den Knien ließen mich schier verzweifeln. Wie rohe Eier behandelte ich die Tastatur, hatte doch der geringste Tip auf ein Zeichen am Bildschirm verwirrende Effekte zur Folge, ich war ein Opfer der „offenen“ Gestaltung des Programms und seiner Geschwindigkeit geworden.

„Help me!“

Aber irgendwie habe ich mich dann doch aufgerafft, das Programm nicht einfach in den Papierkorb zu werfen (Wirkung des Werbe-Faszinations-Virus vermutlich!), sondern habe mich mit der WOLTERschen Ausgabe von STEVE befaßt. Der Lieferant der deutschen Version bietet auch den Vertrieb des WOLTERschen STEVE-EXTRA an, einer Kombination von Buch und Software-Erweiterung. Nach geduldigem Durcharbeiten dieses Werkes, das offensichtlich für den nachtarbeitgestreßten Leser extra mit übergroßen Lettern geschrieben wurde, begann ich „Einblicke“ in das Konzept von STEVE zu gewinnen.

Grob vereinfacht kann man die Struktur folgendermaßen beschreiben: Dem Programmkern steht eine Textdatei (Meldungsdatei) zur Verfügung, die alle jemals auf dem Bildschirm erscheinenden Programmhinweise und Menüzeilen enthält. Die Einträge in diese Textdatei können vom Benutzer geändert werden. Da diese Einträge auch quasi Programmbefehle enthalten, können hiermit auch Programmfunktionen geändert werden. So kann man zum Beispiel die Menüzeile selbst gestalten.

Bild 3: Systemtabellen

Hiermit ist es möglich, für Mittarbeiter, die nur Teilfunktionen des Programmes nutzen sollen, eigene Menüzeilen zu entwerfen!

Dem Programm stehen dann außerdem noch weitere Dateien d.h. Systemtabellen zur Verfügung, welche die vielfältigen Funktionen Textsystem, Datenbank, Grafikprogramm, DTP, Datenfernübertragung, Schrifterkennung (ich hoffe, ich habe nichts vergessen) an den Anwender anpassen. Dann gibt es eine Textdatei, die Textbausteine, eine, die Abkürzungen, sowie eine die Füllmuster für den Grafikteil enthält. Diese können ebenfalls vom Benutzer verändert werden und sind eigentlich beliebig groß, so Sie genügend Speicher haben. Aus diesen Mosaiksteinchen setzt sich das Programm STEVE zusammen und gestattet quasi als „integriertes Paket“ Textverarbeitung, Datenbank, Grafik, Datenfernübertragung, DTP und ... (nun, vielleicht habe ich ja auch irgendeine Funktion noch überhaupt nicht erkannt!)

Nach diesen prinzipiellen Erkenntnissen machte ich mich an die ersten Anpassungsversuche. Es galt, meinen Briefkopf in die Kopf- und Fußzeilendatei zu integrieren, damit meine Schreiben mit dem gewohnten „Praxis-Layout“ erscheinen konnten. Leider stand mir für diese Arbeiten das WOLTERsche Buch nicht mehr hilfreich zur Verfügung. Es beschränkt sich vielmehr auf die (bisher von mir noch völlig unausgeschöpften) Programmierungsmöglichkeiten des Programmes STEVE.

Bild 4: Ausschnitt aus der Kopf- und Fußzeilendefinition

Jetzt erlebte ich meine zweite unangenehme Überraschung. Es wollte mir einfach nicht gelingen, aus dem Original-Handbuch die richtigen Anweisungen zu entnehmen. Also erging ein Hilferuf an den STEVE-Vertrieb nach Software-Hilfe. Erst ein Brief, dann noch einer - vielleicht war ich von der ADIMENS-Hotline ja verwöhnt - immer noch keine Reaktion, dann plötzlich das freundliche Schreiben, das mir einen Software-Beratungsvertrag gegen Bares offerierte. Und ich dachte naiverweise immer, daß zu einer verkauften Software auch Beratung gehörte. Nun Beratung war nicht, ich mußte mich weiter selber mit den Anpassungen abquälen. Aber nicht nur mit den Anpassungen, die ich ja getreu dem Handbuch vorzunehmen hatte, auch mit nicht erfüllten Werbeversprechungen mußte ich mich selber rumschlagen! Beispielsweise funktionierte die Übernahme von Texten von 1st Wordplus mit Erkennen der Formatierungen (fett, kursiv, unterstrichen, Seitenende) keineswegs, wie in der Werbung behauptet.

In meinem Frust schrieb ich dann einen STEVE-Benutzer an, der in der ST-Computer schon einen Artikel über STEVE veröffentlicht hatte. Und siehe da, auf der nichtkommerziellen Ebene wurde mir dann Hilfe in Form von Tips und Erklärungen zu Teil. Auch Kontakt zu einer STEVE-User-Zeitschrift konnte ich bekommen: STEVE Nederland, Theo Richel Producties, Stationsstraat 43, NL-4421 AK Kapelle.

With a little help from my friends

Jetzt stellten sich erste Erfolge ein! Ich konnte solche „simplen“ Sachen wie meine Kopf- und Fußzeilen integrieren, das Abkürzungsverzeichnis mit Befehlen erweitern, die jetzt auch den Zugriff auf meine weiteren Harddisk-Partitionen gestatten (erste zaghafte Schritte in Richtung Programmierung). Hierbei war mir das WOLTERsche STEVE-EXTRA-Bucheine große Hilfe!

Langsam entwicklete sich eine gewisse Faszination für das Programm. Allein das Abkürzungsverzeichnis, mit dem quasi beliebige Makros abgerufen werden können, ist ‘ne Wucht, denn diese Makros können auch Programmbefehle enthalten und somit ganze Programmteile steuern. Per Knopfdruck können so beispielsweise bestimmte Datenbanken geladen, nach diversen Kriterien sortiert und ausgegeben werden. Fast(?) alles ist möglich, wenn man nur genügend Gehinrschmalz umwälzt. Bei diesen Tüfteleien mit den Programmierungen ist das STEVE-Extra (mit Buch) von Wolters eine große Hilfe!

Bild 5: Text in Grafik umgewandelt

Ich konnte Datenbankenmasken erstellen, die die Übernahme meiner mit ADIMENS erfaßten Arztpraxisdaten ermöglichten. Jetzt endlich war es mir möglich, einen kleinen Teil der in der Werbung so gelobten Fähigkeiten von STEVE „live“ zu erfahren. Das Sortieren meiner eingespeicherten Patientendaten, das Suchen etc. ging wesentlich schneller als mit ADIMENS. Speziell das Mehrfachsortieren (beispielsweise nach Krankenkasse, nach Name und nach Alter) ging quasi im Handumdrehen vor sich. Besonders hilfreich war hier die STEVE-Funktion, erstellte Listen als Datenbank anzusehen und nach den einzelnen Feldern sortieren zu können (welches Programm kann das schon?). Das Blättern in umfangreichen Textdateien (beispielsweise in der Meldungsdatei mit ca. 160 Seiten) ging so schnell von der Hand, daß ich an Zauberei zu glauben begann, war ich doch bisher wesentlich langsameres Arbeiten gewöhnt!

Mit der Möglichkeit, den Inhalt einer jeden Diskette in einen Datenbankeintrag zu verwandeln (Eintrag Directory in der File-Auswahl Diskmenü I, Bild 02) war es mir möglich, endlich einen schnellen Überblick über die vielen angesammelten Scheibereien zu gewinnen - und derer gibt es in einer Arztpraxis eine ganze Menge!

Mein Frust begann sich langsam zu legen. Leider habe ich noch nicht alle Möglichkeiten des Programmes wirklich erforschen können. Der Unterrichts- und der DTP-Teil strahlen noch immer ihre Faszination auf mich aus - aber die Zeit und die Patienten. Und dann gibt es ja auch noch den Grafikteil, die Datenübertragung (mir ein Rätsel mit sieben Siegeln), und als Option eine Schrifterkennung -nur gut, daß ich diese Version nicht auch noch vor mir habe. Die Bilder mit Beispielen aus den beiden Grafikprogrammen lassen nur dezent erahnen, welche Möglichkeit noch in dem Programm ruhen. Seit neuestem kann man auch mit den „hochwertigen“ DTP-Schriften die Grafiken beschriften!

Bild 6: Graphic 1

Irgendwas fehlt doch immer!

Bei meinen Versuchen, den Fähigkeiten des Programmes näher zu kommen habe ich natürlich auch eine ganze Reihe von Kritikpunkten gesammelt, die zumindest in meinen Augen verbesserungswürdig sind. Ganz zuoberst steht der schlechte Software-Service. Es sollte dem Programm eine Beispiel- oder auch Lehrdiskette beigelegt sein. Mit dem STEVE-eigenen Unterrichtsprogramm ist es ja gut möglich, ein Lernprogramm zu schaffen, das die vielfältigen Programmpunkte erklärt. In Holland (s.o.) beispielsweise gibt es erste Ansätze in dieser Richtung, es wird eine Video-Kassette mit Erklärungen vertrieben.

Auch die vielen möglichen Programmanpassungen (Systemtabellen) sollten mit mehr Beispielen erläutert werden. Vielleicht könnte auch in dieser Zeitschrift eine Ecke mit „Aktuellen User-Tips“ eingerichtet werden. Dies ist sicher nicht nur eine gute Sache für STEVE, sondern auch für andere Programme!

Es ist erfreulich, daß ich Texte mit verschiedenen Zeilenabständen drucken kann, störend ist aber beim Seitenumbruch, daß die Fußzeile nach oben rutscht, wenn man den Seitenumbruch vorzieht. Fußzeilen gehören nun einmal in den Fußbereich des Textes, sonst würden sie ja „Bauchbinden“ heißen! Auch, daß man beim Schreiben nicht sieht, ob jetzt schon ein Seitenumbruch kommt, wie der Blocksatz aussieht etc., finde ich schade. Gerade bei kleineren Schreibereien (z.B. Attesten in der Praxis) ist es ziemlich unschön, wenn der Seitenumbruch dann plötzlich durch den Absender geht! Und bis man das Personal soweit hat, auf solche Feinheiten zu achten, selbst bei Programmen, die laufend den Seitenumbruch anzcigen, wird gerne darüber hinweggesehen!

Die versprochene Übernahme von Wordplus-Texten sollte halt auch wirklich funktionieren. Mir ist es immerhin gelungen, auch noch in der neuesten mir vorliegenden STEVE-Vesion 3.301 einen (glücklicherweise behebbaren) Fehler beim Import von Wordplus-Texten zu finden. Ich habe meine Erkenntnisse der STEVE-User-Zeitschrift zugeleitet, auf daß sie unter die Leute komme.

Auf dem „schwarzen“ Bildschirm sollte eine Statuszeile eingeblendet sein, damit man nicht (im wahrsten Sinne des Wortes) im Dunkeln tappt, sondern weiß, in welchem Text und an welcher Stelle man sich befindet. Bei 10 (!) gleichzeitig geladenen Texten kann man leicht die Übersicht verlieren.

Auch sollte es möglich sein, mehrere Texte gleichzeitig auf dem Bildschirm betrachten zu können. Gerade für eine so vernetzte Datenbankstruktur wie meine Praxisverwaltung wäre es sinnvoll, wenn ich mehrere Dateien gleichzeitig (quasi auf einen Blick) überprüfen könnte!

Die angedeutete Möglichkeit, Fremd-Fonts einzuladen für den DTP-Teil, sollte viel deutlicher beschrieben und vorexerziert werden. So erscheint es nur eine „leere“ Versprechung! Im Datenbankteil sollte es eine Möglichkeit geben, die Datenbankmasken vor „Überschreiben“ zu schützen, denn das geschieht bei den Geschwindigkeiten des Programmes leider doch sehr häufig-

Eine sehr gute Ergänzung zu dem Abkürzungsprogramm, das in STEVE integriert ist, wäre eine „Makro-Recording-Funktion“, wie sie z.B. das PC-Programm WORD besitzt. Damit ließe sich die offene Struktur von STEVE, wo fast alle Programmbefehle dem Benutzer zugänglich sind, noch effektiver nutzen.

Bild 7: Graphic 2

Die Faszination des Unvollendeten!

Obwohl ich nicht alle meine Arbeiten auf STEVE umgestellt habe (wer traut sich schon, sein Personal mit einem solchen Programm vertraut zu machen?) stellt STEVE doch für meine umfangreiche Datenverarbeitung ein segensreiches Hintergrundprogramm dar. Und wenn ich mehr Zeit zum Tüfteln und Prüfen gehabt hätte, würde es sicher in den Vordergrund rücken. Die Auswertung der in der Praxis erhobenen Daten geschieht mit STEVE; die Erstellung der Krankenscheinmahnungen geschieht mit STEVE; die Kontrolle über die geschriebenen Atteste geschieht mit STEVE. Demnächst werden vermutlich auch die Patienteninformationsschriften in meiner Praxis mit dem DTP-Teil von STEVE verbessert!

Trotz all der Schwierigkeiten kann ich sagen, wenn ich noch kein Datenbankprogramm hätte, ich würde mich wohl mit STEVE begnügen.

Dr. med. W. Singer

Bezugsquelle:

Fa. Kieckbusch Baumstammhaus W-5419 Vielbach



Aus: ST-Computer 07 / 1992, Seite 10

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