Formel X: Formelsatz in jeder Anwendung

Das Problem ist seit langem bekannt, und dennoch gibt es kaum sinnvolle Lösungen: Eine Textverarbeitung eignet sich hervorragend für Schreibschrift in allen Variationen bis hin zum Serienbriefmodul, aber wenn es um technisch-wissenschaftliche Texte geht, lassen sie uns fast alle im Regen stehen. Selbst Textprogrammen, die grafikorientiert die Zeichen zu Bild und Drucker bringen, lassen sich oft sehr schwer ein Wurzel- oder Integralzeichen entlocken (und nicht jeder benutzt das Satzsystem TeX).

Die Firma Compo Software stellt uns ein Produkt vor, das aus einem größeren Zeichenvorrat Formeln erstellt, die dann als IMG-Grafik abgespeichert in eine Textverarbeitung eingebunden werden können. Voraussetzung: Das Textprogramm muß den Bildimport als GEM-Image erlauben, und das müßte auf jeden Fall bei echten GEM-Program-men machbar sein. Dabei ist eine Maximalgröße von 1920 * 600 Bildpunkten die Grenze. Wenn ein Programm das neue XACC-Protokoll (Stufe 2) beherrscht, ist z.B. ein Zwischenspeichern des Bildes nicht mehr nötig - nur: Formel X muß in der Textverarbeitung dann als Accessory laufen.

Formel X kann also wahlweise als ACC installiert oder als normales PRG gestartet sein. Die entsprechende Installation wird durch ein Hilfsprogramm ausgeführt. Auch die Wahl des Zeichensatzes geschieht hierbei, wo zwischen 300 und 360 dpi gewählt werden kann.

Wenn Formel X aufgerufen wird, bietet sich einem ein vielfältiges Bild. Der gewählte Zeichensatz ist oben zu sehen, unten zeigen sich Funktionstasten und Lineal und links erkennt man eine Icon-Box zur Ansteuerung weitererFunktionen. Das Feld in der Bildmitte bleibt der Formel Vorbehalten (siehe Bild).

Formelsatz in kleinen Schritten

Eine Formel wird in zweierlei Richtung dimensioniert, einerseits in ihrer horizontalen Ausdehnung, der Breite, und andererseits der vertikalen, also der Höhe. Gerade die Höhenausdehnung ist noch einmal in kleine Abschnitte (man ist fast geneigt „Zeilen“ dazu zu sagen) aufgeteilt, Ebenen genannt. In diesem Programm gibt es 7 verschiedene Ebenen (das deuten die kleinen Kästchen am Icon-Block an). Innerhalb jeder einzelnen Ebene ist dann noch einmal eine Feinpositionierung für Indizes und Exponenten in 5 Stufen möglich (zur Positionierung hierfür sind die Kästchen rechts zuständig). Die maximale Formelgröße beträgt somit 80 Zeichen in der Breite, in 7 Ebenen in der Höhe bei 500 Zeichen insgesamt.

Neben dem normalen Zeichensatz ist noch eine Fülle von weiteren Zeichen und Markierungen anwählbar: Sonderzeichen (Wurzel, Integral, Limes usw.), Sondertexte (sin, log, dim usw.), Operatoren (größer, kleiner gleich, unendlich usw.), Markierungen (Vektorpfeile, Zeitableitungen, Punktunterstriche usw.), Klammern, Matrizen, Determinanten in maximal 7 Ebenen, Zeichenfunktionen, Schriftstiländerung - und das ist bei weitem noch nicht alles!

Speicher bitte!

Eine nicht unwesentliche Frage ist bei allem Komfort die Speicherauslastung. Dabei nimmt Formel X fast 550 KB Arbeitsspeicher (bei 120 KB Programm- und Resourcenlänge) in Anspruch, womit sich die Verwendung als ACC auf einem 1MB-Rechner fast schon von selbst erledigt. Und wer eine größere Arbeit schreibt und entsprechend aufwendige Formeln bearbeiten möchte, wird sogar auf einem 2 MB-ATARI ins Schwitzen kommen.

WYSIWYG

FORMEL X zeigt alles so, wie es auf dem Drucker bzw. in dem Textprogramm herauskommt. Das Schlagwort „WYSIWYG“ dürfte in diesem Zusammenhang berechtigt sein. Der Vorteil, alles auf dem Bildschirm so zu sehen, wie es letzten Endes auf dem Papier erscheint, hat auch einen Nachteil: Man muß sich an die Handhabung, das Umherwandern in Ebenen mit ihren Zwischenstufen (besonders bei Matrizen) erst gewöhnen.

Handbuch

Obwohl man in der Software-Branche immer mehr davon abkommt, das Benutzerhandbuch auch vom Programmautor schreiben zu lassen, muß ich Stefan Piesche für das Gedruckte, das er zu seinem Programm mitliefert, ein großes Lob aussprechen. Nicht nur, daß er auf fast 80 Seiten die Bedienung des Programms haarfein und sauber erklärt, er hat auch eine kleine Einsteigerlektion in drei "Perfektionsschritten" eingebaut. Und man ist als Neubenutzer erstaunt, wie man durch die gute Anleitung die kompliziertesten Formeln erschaffen kann - und zudem sind alle sinnvolle, wirklichkeitsnahe Beispiele und keine Phantasiegebilde. Es sind nur Kleinigkeiten, die mir nicht so ganz gefallen haben: keine Marginalspalte, keine auflockernden Piktogramme, zu lange Textzeilen (ermüdend), zu fetter Font und zu wenig Bebilderung.

Sehr lobenswert ist auch, daß man sich im Handbuch ganz offen über die Grenzen des Programms ausläßt, wovon die Einschränkungen, daß z.Zt. in Zähler und Nenner eines Bruches selbst kein weiterer Bruch mehr erscheinen darf, daß in einer Matrix größer als 2*2 keine Brüche Vorkommen dürfen, und daß eine Wurzel nicht über mehr als einen Bruch gezogen werden kann, die gravierendsten sind.

Zielgruppe

Fast immer stellt sich in einer Produktbesprechung die Frage: „Für wen soll das denn gut sein?". Die typische Anwendung wird wohl eine Studienoder Diplomarbeit sein, wobei eine mathematische Orientierung naheliegt. Immer dann, wenn man bereits ein Textverarbeitungsprogramm besitzt, das entweder die mathematischen Sonderzeichen nicht mitbringt, bei dem die Erstellung von Formeln bzw. Rechenvorschriften übermäßig umständlich oder überhaupt nicht möglich ist, das grundsätzlich ASCII-orientiert arbeitet, aber zumindest Grafikeinbindung zuläßt, wird sich die Anschaffung eines Formelsatzprogramms wie FORMEL X rentieren.

Schlußwort

FORMEL X ist zunächst wegen der Funktionsfülle unbedingt mit den Lektionen im Handbuch zu erlernen. Späterhin fällt einem die Arbeit leicht, besonders wenn man sich an die etwas eigenwillige Oberfläche (Funktionstasten, Icon-Box, Tastaturkürzel) gewöhnt hat. So ruft beispielsweise die rechte Maustaste ei ne Optionsbox und die ESC-Taste eine Box für Zeichenfunktionen auf. Pull-Down-Menüs gibt es leider (noch) nicht, ganz offensichtlich um im ACC-Modus keine Probleme zu bekommen (andere Programme können das schon).

Der Preis von DM 149,-scheint mir für dieses spezielle Hilfsprogramm mit einer relativ engen Zielgruppe doch um einige Zehnerstellen zu hoch angesetzt.

DK

Formel X

Positiv:

Negativ:

Bezugsquelle:
Heim Verlag Heidelberger Landstraße 194 W-6100 Darmstadt 13



Aus: ST-Computer 11 / 1992, Seite 16

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