Bildspiele: Xact Draw, das universelle Grafikprogramm

Mit dem Computer zu malen, heißt nicht immer, gepixelten Bildern zu frönen. In vielen Fällen bietet sich der Einsatz eines objektorientierten Zeichenprogrammes an. Vor allem für Präsentationen, Illustrationen, auch im technischen Bereich, für schematische Zeichnungen jeglicher Art, lohnt sich der Einsatz einer solchen Software. Mit ,Vektorgrafik‘, wie sie auch häufig genannt wird, läßt sich einfach gestalten, verwerfen, verändern, also auf eine Weise arbeiten, die die Vorteile des Computers gegenüber herkömmlichen Techniken ausschöpft.

In den Entwicklungslaboratorien der Hamburger Firma SciLab erblickte unlängst Xact das Licht der ATARI-Realität (siehe Test in [1]). Nun liegt uns eine Auskopplung daraus vor: Xact Draw. Es handelt sich dabei um das gleiche Programm, allerdings haben die SciLab-Leute es um jegliche Funktion zum Generieren von Diagrammen oder Tabellen beschnitten. Was blieb übrig? Ein einfaches Vektorgrafikprogramm, dessen herausragendes Merkmal neben der sauberen GEM-Oberfläche (da war schon der Vorgänger SciGraph richtungsweisend) die völlige Unabhängigkeit von Monitor und Maschine ist.

Unterschiede

Objekte mit Selektionsrahmen: der GEM-Standard in Xact Draw

Warum nun eignen sich solche objekt-oder vektororientierten Grafikprogramme für bestimmte Aufgaben einfach besser als die Kollegen, die in Pixeln 'denken'? Lassen Sie uns dazu einen Blick auf die Arbeitsweise beider Arten von Software werfen:

Zunächst betrachten wir, wie ein herkömmliches Malprogramm ein Rechteck darstellt. Es färbt auf dem Bildschirm einzelne Punkte schwarz, der Hintergrund bleibt weiß. Als Datenbasis fungiert das Bildschirmraster. Ein nachträgliches Verändern dieses Rechtecks ist nicht möglich. Was passiert nun, wenn solch ein Bild auf einen Drucker ausgegeben wird? Der Drucker besitzt z.B. ein Punktraster, das viermal so dicht ist. Dann wird das Rechteck eben nur ein Viertel so groß. Vorteil der Pixel-Technik: Sie läuft schnell ab und ist programmseitig leicht zu handhaben, da sich die Bilder als simple Speicherbereiche darstellen.

Ganz anders im Vektor-Format. Unser Rechteck basiert auf seinen vier Eckpunkten. Die Denkweise ist etwas mathematischer. Es gibt einen Ursprung, von dort an zählen Koordinaten in waagerechter und senkrechter Richtung. Jeder Punkt im Bild wird durch ein Koordinatenpaar (einen ,Pfeil1 oder , Vektor1) eindeutig beschrieben. Das Grafikprogramm legt für ein Bild eine Liste an, in die es alle Objekte des Bildes einträgt. Solch ein Eintrag könnte so lauten:

Rechteck, Ecke 1, Ecke 2, Ecke 3, Ecke 4, Linienart, Linienstärke, Linienfarbe, Füllmuster, Füllfarbe

Und damit ist im Grunde schon erklärt, warum objektorientierte Grafikprogramme ihre Vor- und Nachteile besitzen. Sie können jedes Element des Bildes immer wieder verändern, weil sie es mit allen seinen Attributen in der Liste speichern. Sie brauchen für jeden Bildaufbau jedoch eine gewisse Zeit, weil sie Eintrag für Eintrag die Liste auf den Bildschirm bringen. Sie arbeiten geräteunabhängig, weil sie erst für die Ausgabe (z.B. auf dem Drucker) das Bild in das Raster des Gerätes umrechnen.

Gruppenbildung

Radierer ade

Jetzt ist auch klar, warum man in einem objektorientierten Programm vergeblich nach einem Radierer sucht. Denn ein Rechteck ist ein Rechteck; ihm eine Ecke zu stehlen, ist nicht möglich. Dahingegen kann im Raster-Programm leicht mal ein Bildschirmpunkt verändert werden.

Und ein Zoom auf das Bild, eine Betrachtung durch die Lupe also, bringt im Pixel-Programm lediglich vergrößerte Punkte, aber nicht mehr Details zum Vorschein. Das Vektor-Programm zeigt wirklich eine vergrößerte Ansicht, weil - siehe oben - das Bild für die neue Darstellung auch neu berechnet wird. CAD-Program-me sind objektorientierte Programme, denn sie speichern die einzelnen Linien einer Zeichnung ebenfalls in Listen. Doch viel weiter reicht die Verwandtschaft der Vektorgrafikprogramme, von denen hier die Rede ist, mit der CAD-Software nicht. Denn erstere kennen mehr Objektarten und sind zu schöneren Effekten in der Lage. So die Unterscheidung von Vorder-und Hintergrund. Ein nachträglich gezeichnetes Objekt kann z.B. in den Hintergrund gelegt werden, indem einfach die Liste umsortiert wird.

Bestandteile

Kommen wir zurück zu Xact Draw und schauen uns an, aus welchen Grundelementen ein Bild bestehen kann.

Jedes dieser Objekte kann natürlich, sofern das sinnvoll ist, Attribute tragen. Als da wären:

Hier trifft Xact Draw Kritik. Ein Rechteck kann z.B. nicht in einen Linienzug verwandelt und auch nicht entsprechend verändert werden. (Wir kommen dazu später noch). Genauso muß man vor dem Zeichnen einer Ellipse entscheiden, ob man die ganze oder nur ein Segment haben möchte. Eine nachträgliche Änderung ist nicht mehr möglich. Hier sollte Xact Draw ein wenig mehr Abstraktionsvermögen besitzen.

Ecke für Ecke im Punktmodus

Ist das Ellipsensegment erst einmal gezeichnet, wird es stets als komplettes Tortenstück, also auch mit den Winkelstrahlen, dargestellt. Wollte man den Bogen allein haben, müßte man ihn mit einer Kurve ,zu Fuß1 nachbilden. Einen Kreis zu erzeugen, erfordert die nachträgliche Änderung einer Ellipse mittels Eingabe in ein Zahlenfeld. Das 'proportionale Aufziehen', das das Höhen/Breitenverhältnis eines Objektes unverändert läßt, wirkt leider nicht bei der Erzeugung von Objekten.

Lob hingegen verdient die Überwindung des GEM-Linienbreitenproblems. Entgegen der betriebssystemeigenen Funktion ist Xact Draw in der Lage, auch gestrichelte Linien mit mehr als einem Pixel Breite auf dem Bildschirm sowie dem Drucker darzustellen. Bei den Pfeilenden hingegen begegnet uns wieder die GEM-Normalausführung. Daher läßt sich ihre Größe nur über die Breite der Linie (!) beeinflussen.

Welches denn?

Die Bedienung der Objekte im Bild und von Xact Draw insgesamt erfolgt auf eine so genial einfache wie standardisierte Weise: Die Werkzeuge zum Zeichnen liegen am linken Bildschirmrand bereit. Jedes Objekt kann auch nach dem Einfügen in das Bild per Mausklick selektiert, also für Veränderungen aktiviert werden. Es erhält dann einen sog. 'Selektionsrahmen' (siehe Bild). Der besitzt Griffe, an denen mit der Maus gezogen werden kann, woraufhin sich die Größe und Proportion des jeweiligen Objektes ändern.

Seit GEMs Gründertagen ist dieser Weg Standard. Wer noch GemDraw, das Zeichenprogramm, das dem ersten ATARI ST beilag, kennt, fühlt sich auch in Xact Draw sofort zu Hause. Ersteres hatte ja auch als Vorbild für EasyDraw gedient, das ebenfalls vielen bekannt ist. Um ganz ehrlich zu sein, findet alles seinen Ursprung - wo auch sonst - auf dem Macintosh -, und zwar bei MacDraw.

Xact Draw hat ja wenig hinzugefügt. Lediglich die Art, im Hintergrund liegende Objekte zu selektieren, ist gegenüber den Vorbildern verfeinert worden.

Veränderungen - der Sinn der Sache

Welche Veränderungen stehen einem zur Verfügung, wenn man ein Objekt selektiert hat?

Auch hier bietet Xact Draw Standardkost. So ist das freie Drehen eines Objektes nicht möglich - die Winkel sind auf Vielfache von 90° festgelegt. Eine Undo-Funk-tion zur Rücknahme der letzten Veränderung fehlt ebenfalls. Allerdings kann man eine noch nicht abgschlossene Maus-Aktion mit der rechten Maustaste abbrechen. Das proportionale Vergrößern und Verkleinern ist bei eingeschaltetem Gitter gänzlich unmöglich. Wurden, wie im Bild, mehrere Objekte angewählt, hat man noch weitere wertvolle Möglichkeiten der Bearbeitung:

Außergewöhnlich: Dateiauswahl mit Vorschau

Punkt für Punkt

Wenn nahezu keine der normalen Bearbeitungsmöglichkeiten über Bekanntes hinausgeht, haben die SciLab-Entwickler ein Feature, das sonst eher fortgeschritteneren Programmen eigen ist, erfolgreich in ihr Xact Draw integriert. Das ist der ,Punktmodus‘, wie er aus Outline Art oder Didot bekannt ist. Mit ihm wird nicht ein Objekt in seinen Außenmaßen verändert, sondern die Lage seiner Eckpunkte. Leider bleibt Ellipsen und Rechtecken diese Funktion versagt, so daß sie lediglich auf Polygonzüge bzw. Freihandlinien wirkt.

In diesem Modus läßt sich die Spitze der Sprechblase verschieben, während der Rest an seiner alten Position bleibt. Gleichfalls lassen Sich dann innerhalb der Linienzüge Linien zu Kurven und umgekehrt wandeln. Linienzüge können geschlossen und geöffnet werden, und sogar die ,unsichtbare' Verbindung zwischen zwei Teilen eines Zuges ist vorgesehen. An dieserStelle darf man allerdings nicht die Funktionalität eines Didot Line Art oder ähnlicher Programme erwarten. Das gleichzeitige Selektieren mehrerer Stützpunkte z.B. beherrscht Xact Draw bereits nicht mehr. Das Schwergewicht liegt vielmehr auf einfacher Bedienung.

Reichhaltig: Xact Draws Exportmöglichkeiten

ATARI und die Schriften

Wird dieses Problem jemals gelöst werden? Wird die Firma mit dem A es je schaffen, ein Font-System zu veröffentlichen? Wenn nicht, was werden die Software-Hersteller bis dahin tun? Dies und vieles weitere mehr werden Sie erfahren, wenn es wieder heißt...

Tja, wann Sie das erfahren, wissen wir auch nicht. SciLab hat sich mit Xact Draw so aus der Patsche geholfen: Geladene (FSM-)GDOS-Schriften werden vom Programm genutzt. Mitgeliefert wird eine Standardauswahl: Times und Swiss in einigen Größen für gängige Drucker. Wer 200,- DM Aufpreis zahlt, kommt in den Genuß echter Vektorschriften aus dem Hause Bitstream, die PostScript-Schriften entsprechen. Die akzeptiert Xact Draw dann ebenfalls.

Wer das nicht tut, erhält den im Bild sichtbaren Effekt: Jede Schrift, die in der benötigten Größe nicht vorhanden ist, wird vergrößert oder verkleinert, was bei Pixelschriften eben zu den unansehnlichen Treppen führt (s. a. oben: Vorteile der Vektordarstellung). Diese Probleme sind allerdings nicht Xact Draw anzulasten, im Gegenteil, die Lösung überzeugt.

Helferlein

Einige Kleinigkeiten weiß man immer erst zu schätzen, wenn man sie häufiger in Anspruch genommen und sich richtig an sie gewöhnt hat. Xact Draw erlaubt z.B., einzelne Objekte vor Veränderung zu schützen, sie zu sperren. Damit lassen sich bereits fertiggestellte Teile der Grafik oder der Hintergrund sehr gut vor ungewollten Aktionen bewahren

Oder die Tastaturbefehle, über die sich fast alle wichtigen Aktionen aufrufen lassen. Da der grafisch Tätige ohnehin immer eine Hand frei hat (die, die nicht auf der Maus ruht), kann er so seinen Wirkungsgrad kräftig steigern.

Oder die Lineale links und oben am Fensterrand (hier fehlt mir ein Fadenkreuz). Oder das Gitter, auf dem die Objekte auf Wunsch einrasten. Lästig allerdings ist, daß dessen Einstellungen nicht mit jedem Bild geladen werden, wie überhaupt (fast) alle Einstellungen nur global für das Programm gesichert werden. Denn Xact Draw benutzt kein eigenes Dateiformat, sondern die GEM-Metafiles. Und in denen sind solche Einstellungen natürlich nicht speicherbar.

Oder die Druckausgabe über die GDOS-Treiber (wer sie nicht besitzt, bekommt sie mitgeliefert). Sogar ein zweiter in der ASSIGN.SYS angemeldeter Drucker kann angesprochen werden.

Oder die Xact-Draw-eigene Dateiauswahlbox, die ein einmaliges Feature birgt: eine Vorschaumöglichkeit auf GEM-Dateien. Dafür braucht es zwar - je nach Plattengeschwindigkeit und Größe der Datei - etwas Zeit, aber das ist allemal besser, als sie tatsächlich zu laden. Zumal einem so einige Mausklicks erspart bleiben.

Ein Rechteck in Pixel-Darstellung
Ein Rechteck in Vektordarstellung

Weltoffen

Nicht ganz von ungefähr kommt es, daß Xact Draw äußerst kommunikationsfreudig ist, was die Weitergabe der mit ihm erzeugten Werke betrifft. SciLab selbst sind mit ihrem Xact mittlerweile in mehreren Rechnerwelten zu Hause, und das ver-langtFormate wie Windows Metafiles oder EPS. Letzteres schafft Anbindung zum Macintosh, während Corel Draw unter Windows das Ventura-GEM-Format bevorzugte. Und auf dem ATARI selbst - da ist auch für jedes alte und neue Programm etwas dabei. Bereits diese reichhaltigen Möglichkeiten, Dateien für alle (Rechner-) Welt verständlich zu erzeugen, wird für so manchen die Ausgabe von 198,-DM für Xact Draw rechtfertigen. Zumal es als Eingabe auch das Calamus-Vektorformat (CVG) akzeptiert.

Last not least - dank neuer Treiber ist auch das Konvertieren der Datei in ein Pixel-Bild möglich. Also: Wer’s gleich mit TeleOffice in die weite Welt faxen möchte, braucht das Bild in Pixel-Form. Und Xact Draw erlaubt auch diese Ausgabevariante. Xact Draw hinterläßt viele gute Eindrücke. Die Standsicherheit des Programms ist in allen Auflösungen und unter MultiGEM nicht zu beeinträchtigen. Der Grafikeditor beherrscht bis zu 16,7 Millionen Farben, birgt ansonsten aber wenig Neues. Die Integration der Objekttypen, Drehen um beliebige Winkel, mehr Möglichkeiten in derPunktbarbeitung. Das sind Dinge, die weiterhin auf der Wunschliste stehen. Abgerundet wird das Programm durch exzellente Exportfunktionen und ein gelungenes Handbuch, das mit vielen Bildern den Weg zur eigenen Grafik weist. Xact Draw empfiehlt sich jedem, Illustrator1, der keine extremen Ansprüche stellt, dafür umso mehr Wert auf gute Bedienung legt. Wer auf die Bitstream-Vektorschriften verzichtet, bekommt für weniger als 200,- DM ein Produkt mit einem hervorragenden Preis/Leistungsverhältnis.

IB

Preis: DM 198,-

mit Bitstream-Satzschriften: DM 398,-
Updates, auch auf Xact, sind möglich.

Literatur:

[1] Xact - SciGraphs neue Identität, ST-Computer 7-8/92, S. 36ff.

Bezugsquelle:

SciLab GmbH Isestraße57 W-2000 Hamburg 13

Xact Draw

Positiv:

Negativ:



Aus: ST-Computer 11 / 1992, Seite 45

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