Arbeiten mit LineArt (1)

Es mag von Vorteil sein, daß LineArt wie inzwischen auch weitere Calamus-Module, mit einem „digitalen Handbuch“ ausgeliefert wird. Der Vorteil beschränkt sich jedoch nur auf die Bedienbarkeit der einzelnen Funktionen, da eine Beschreibung immer dort vorhanden ist wo man sie im Programm gerade braucht Den Ablauf von Gestaltungsarbeiten oder die praktische Anwendbarkeit einzelner Funktionen sucht man jedoch vergebens. In unserem kleinen LineArt-Workshop wollen wir einmal die Möglichkeiten des Moduls ausloten und jede Menge Tips und Tricks vorstellen, von denen Sie einige bisher sicher noch nicht kennen.

Bei der Anlage eines Pfadtextes fließt der Text schnell auf den Pfad’ wenn mit der Insert-Taste die „Zeichensatzübersicht“ aufgerufen wird.

Das Calamus-Modul LineArt ist ein „Programm im Programm“, das auch wie ein solches erlernt werden muß, wenn man seine vielfältigen Funktionen kennenlernen und arbeitserleichternd im Calamus ersetzen will. Die Unterschiede zum Calamus-internen Vektormodul beginnen schon beim Aufziehen eines Vektorrahmens. Mußte zur Vektorarbeit im Calamus ohne LineArt zuerst ein Vektorrahmen aufgezogen werden, der dann quasi die Arbeitsfläche für die Pfadarbeiten definierte, so kann mit LineArt die ganze Dokumentenseite als Arbeitsfläche für die Objektgestaltung genutzt werden. Zu diesem Zweck reicht es aus, einen sehr kleinen Vektorrahmen beispielsweise in der linken oberen Seitenecke aufzuziehen. Die Größe dieses Rahmens spielt dabei keine Rolle, die Dokumentenseite wird so lediglich als Arbeitsfläche für den Vektormodus definiert.

Wenn dieser Vektorrahmen selektiert ist, kann ins LineArt-Modul gewechselt werden. Wie im bisherigen Vektormodul oder jedem externen Vektoreditor können nun Vektorgrafiken erzeugt oder bereits vorhandene modifiziert werden. Wir wollen uns hier jedoch nur auf einige Besonderheiten LineArts beschränken und daneben auch einige Bedienungsprobleme in den Griff kriegen, die trotz mitgeliefertem Helptext Probleme bereiten können.

Textarbeiten

Einen im Calamus-Textrahmen gesetzten Text in ein Vektorobjekt zu konvertieren, das ging bisher nur über den Umweg „Dataformer“ oder dessen Nachfolger „Bridge“. Diese Arbeiten können nun auch mit LineArt erfolgen. Für manch einen Calamus-Grafiker ist die Entscheidung für LineArt sicher auch durch diese Funktion des Moduls beeinflußt worden.

Aber wozu braucht man einen mit vielleicht edlen Zeichensätzen gesetzten Text auch noch im Vektorformat, als dann nicht mehr editierbare Objektgrafik? Beispiele für derartige Notwendigkeiten gibt es genug: Wortmarken in einem Firmenlogo, Headlines in einer Zeitungsanzeige, in der Plakatgestaltung oder in einem Handzettel müssen in der Größe angepaßt werden, Sonderzeichen eines Fonts, die vorwiegend grafisch genutzt werden wie z.B. Pfeile, Kreise, Piktogramme von Telefonen ebenfalls. Da die Größeneinstellung von Schriftzeichen, also die Bestimmung des Schriftgrads, im Textmodus nur in vertikaler Richtung möglich ist, kann die oft benötigte horizontale Ausrichtung eines Textes nur über viele Versuche mit unterschiedlichen Punktgrößen zum Ziel führen. Ändert sich im Laufe der Gestaltung das Layout, muß der Schriftgrad wieder neu angepaßt werden usw.

Noch zeitintensiver wird die Arbeit, wenn ein Gestaltungselement aus mehreren unterschiedlichen Rahmentypen inklusive eines Textrahmens besteht, die gemeinsam proportional vergrößert werden sollen. Vektorgrafik, Rasterflächen und auch Rastergrafiken und Linien lassen sich gemeinsam im Gruppenrahmen skalieren. Der darin befindliche Textrahmen natürlich auch, nur eben sein Inhalt nicht, da der Text auf einen bestimmten Textstil und eine Größe fest eingestellt ist. Handarbeit muß also da helfen, wo der Computer eigentlich imstande sein sollte, die Arbeit zu leisten, denn alle Texte im Calamus liegen eigentlich schon im Vektorformat vor.

Und genau dies kann mit LineArt erledigt werden, plus einigem an zusätzlichem Komfort. Ich will hier einige der Wege aufzeigen, mit denen man Textrahmen in LineArt bearbeiten kann. Alle Beispiele setzen voraus, daß das „ClipArt-Modul“ geladen ist. Dieses Modul wird in keiner Phase der Vektorbearbeitung benötigt, es setzt aber Calamus-intern die zur Textkonvertierung notwendigen Funktionen frei.

Auch komplexere Rahmen (z.B Gruppen) lassen sich mit LineArt in den Vektormodus holen und weiterverarbeiten.

Text goes Vektor

Setzen wir zuerst einmal voraus, daß wir einen herkömmlich gesetzten Text als reines Vektorobjekt benötigen. Zu diesem Zweck müssen wir den Textrahmen von der Dokumentenseite in den Vektormodus holen. Man klickt also mit gedrückter linker Shift-Taste die Kopierfunktion (Kamera) im Line-Art-Hauptmenü einmal an. Das Icon wird daraufhin invertiert dargestellt, weiter passiert zunächst nichts. Nun können aber die auf der Dokumentenseite vorhandenen Textrahmen selektiert und bewegt werden. Ist der gewünschte Textrahmen selektiert, wird die Kamera ein zweites Mal angewählt. Der Textrahmen kann jetzt über das erscheinende Formular in den Vektormodus verschoben oder kopiert werden.

Normalerweise ist in einem frühen Stadium der Gestaltung noch nicht sicher, ob der Text später nicht vielleicht doch noch mit einem anderen Zeichensatz oder mit anderen Stilelementen versehen werden muß. In diesem Fall kann man in dem Auswahlformular „Kopieren“ anwählen und vorher die Kopierart im Calamus-Menü auf „Virtuelle Kopien“ stellen. Der Vorteil: Der ursprüngliche Textrahmen ist nach wie vor vorhanden (z.B. auf dem Clipboard!) und kann bei Bedarf in Inhalt, Zeichensatz und Stil geändert werden. Da unser Vektortext lediglich eine virtuelle Kopie desTextrahmens ist, werden alle im Textrahmen vorgenommenen Änderungen auch in der „Vektorkopie“ durchgeführt.

Hier wird schon deutlich, daß LineArt zu einigem mehr fähig ist als zur bloßen Konvertierung von Satztext ins Vektorformat. Unser Vektortext liegt in diesem Stadium aber noch nicht als „richtiges“ Vektorobjekt vor, obwohl es sich dehnen und skalieren läßt wie ein ganz normales Vektorobjekt. Wollen wir den Text auch auf der Pfadebene verändern, was beispielsweise bei Wortmarken in Logo-Gestaltungen durchaus sinnvoll sein kann, oder mit den Netztransformation modifizieren, müssen wir ihn erst in ein Vektorobjekt wandeln. Dann kann er allerdings nicht mehr editiert werden, z.B. über die eben dargestellte virtuelle Rahmenkopie.

Die Konvertierung eines bereits im Vektormodus vorliegenden Textes in ein Vektorobjekt bereitet sicher manch einem, der gerade seine ersten Versuche in LineArt macht, einiges an Kopfzerbrechen. Die Ursache für die hier auftretenden Probleme liegt dabei aber zum Teil in der Benutzerführung des Moduls. Manch eine Funktion, eigentlich sind es nur zwei wesentliche, ist bei der Entwicklung des Moduls in Bearbeitungsfelder hineingerutscht, in denen sie eigentlich gar nichts zu suchen hat. Das gesuchte Icon zur Konvertierung in Vektorobjekte befindet sich nicht im Hauptmenü, wo man es vielleicht zuerst suchen würde, sondern im Bearbeitungsfeld für „Netztransformationen“ Die andere wichtige, etwas versteckte Funktion zum Drehen von Vektorobjekten befindet sich im Bearbeitungsfeld für die Verlaufsfunktionen. Mit dieser Funktion können also nicht nur Verlaufsobjekte, sondern alle Vektorobjekte in LineArt gedreht werden. Der gewünschte Drehwinkel kann über die Koordinatenanzeige in der Calamus-Kopfzeile eingegeben werden.

Nach der Konvertierung des Textes in ein Vektorobjekt liegen die Zeichen des Textes als einzeln anwählbare Objekte vor, die sich dann auch auf der Pfadebene bearbeiten lassen. Um alle selektierbaren Objekte gemeinsam auf eine Pfadebene zu legen, braucht kein dafür vorgesehenes Icon angewählt zu werden, wie es im Calamus-Vektormodul noch der Fall ist. Die Objekte werden alle selektiert und dann ins Bearbeitungsfeld zur Pfadbearbeitung gewechselt.

Mit einer weiteren Tastenkombination können Textrahmen, die sich im Vektormodus befinden, auch zurück auf die „normale“ Dokumentenseite geschoben oder kopiert werden. Sie liegen dann wieder als editierbare Textrahmen vor. Hierzu wird erneut die LineArt-Kamera angewählt, aber diesmal mit gedrückter Control-Taste. Dann Objektrahmen anwählen und wieder ein Klick auf die Kamera. Der Rahmen liegt nun wieder auf der Dokumentenseite. Diese Funktion bietet sich auch ideal dazu an, einzelne Vektorobjekte, die sich innerhalb eines gemeinsamen Objektrahmens befinden, als separates Vektorobjekt auf die Dokumentenseite zu schieben.

Pfadtext

Es mag reine Geschmackssache sein, Texte auf beliebig geschwungenen Bézier-Linien in Gestaltungen darzustellen, um so einen Effekt vorzutäuschen, der mit etwas Geschick auch mit „solideren“ Gestaltungsmitteln zu erreichen gewesen wäre. Kann sein, daß ich in diesem Punkt etwas zu konservativ bin, zumindest was die typografische Arbeit angeht. Textsatz auf Ellipsen und Kreisen ist da schon des öfteren notwendig. All diese Textsatzarbeiten auf Pfaden lassen sich mit LineArt nun direkt im Calamus-Layout anlegen. Als Pfad für die Schriftlinie kann jeder Vektorpfad benutzt werden, also auch die Pfade bereits vorhandener Vektorgrafiken. LineArt legt dann beim Textsatz ein Duplikat des gewählten Pfades an, auf dem der Text gesetzt wird. Dieser Pfad ist im späteren Vektorobjekt nicht sichtbar, intern jedoch immer noch vorhanden. Das ist wichtig, wenn zu einem anderen Zeitpunkt der Pfadsatz neu editiert werden sollte.

Die Texteingabe auf Vektorpfaden läuft im Moment noch sehr schwerfällig und mit zu langen Pausen zwischen den Tastatureingaben der einzelnen Buchstaben. Richtig schnell geht es wieder unter Zuhilfenahme einer weiteren Tastenkombination: mit der Insert-Taste wird im Textpfad-Modus das Formular zur ASCII-Eingabe auf den Bildschirm geholt. In die untere Zeile des Formulars wird der gewünschte Text eingegeben, wobei man sich bei Bedarf auch Sonderzeichen aus der Tabelle picken kann. Nach Verlassen des Formulars fließt der eingegebene Text schnell auf den Pfad.

Einige Probleme bereitet die Ausrichtung eines Textes auf Kreisen und Ellipsen. Kreistext wird normalerweise zentriert gesetzt, die Mitte eines Satzes steht also im Kreis genau oben oder unten, je nach Drehrichtung des Textes. Diese Notwendigkeit, einen Text gleichmäßig um den Kreis auszurichten, ist in LineArt auf den ersten Blick aber gar nicht so einfach, da der Cursor nicht auf eine beliebige Position auf den Pfad gesetzt werden kann.

Bezugspunkt für die Formatierung einer Textzeile ist immer der Pfadbeginn. Zieht man in LineArt einen Kreis als Schriftlinie auf, so liegt der Pfadbeginn immer rechts, wo dann auch die Texteingabe beginnen muß. Eine Möglichkeit zur Ausrichtung des Textes besteht darin, den Kreis nach Eingabe des Textes in die gewünschte Lage zu drehen. Das geht nur mit viel Augenmaß, wobei man derartige Arbeiten ja eigentlich der Software überlassen sollte. Eine Möglichkeit: man wählt bei selektiertem Kreisobjekt die Drehfunktion (Menü „Netztransformation“) und gibt über die Tastatur 270° ein. Der Pfadbeginn des Kreise liegt jetzt unten. Nach der anschließenden Texteingabe stellt man den Text im Bearbeitungsfeld auf „zentriert“. Der Text liegt nun genau mittig über dem Kreisbogen.

Eine zweite Möglichkeit ist dann von Vorteil, wenn Start- und Endpunkt des Kreisausschnitts bereits festliegen. Hier sollte man keinen Vektorkreis für die Schriftlinie aufziehen, sondern gleich die Form „Kreisausschnitt“ wählen. Es wird dann nur der Teil des Kreises als Vektorpfad angelegt, der für die Schriftlinie auch wirklich gebraucht wird. Ist bei einer voreingestellten Schriftgröße der Text länger als der Pfad, verringert sich die Schriftgröße, so daß der Text bündig über den ganzen Pfad läuft.

Erzeugung von Fraktalen

Fraktale im Calamus? Die 3 Abbildungen zeigen, daß das direkt auf der Dokumentenseite möglich ist; auf Knopfdruck und mit ein paar kleinen Tricks. Die Werkzeuge, die zur Erzeugung von Fraktalen mit beliebigen Vektorobjekten im Calamus nötig sind, haben wir gerade kennengelernt: einige LineArt-Funktionen und das Clip-Art-Modul. Wie die Arbeitsschritte im einzelnen aussehen, wird im 2. Teil unseres LineArt-Workshops im nächsten Monat verraten (wer es vorher rausfindet, kriegt vielleicht ’nen Kuß von Sylvie, mal sehen ...)

Kaum zu glauben: Fraktale Elemente lassen sich über LineArt mit allen Vektorobjekten direkt im Calamus-Dokument erzeugen. Der Calamus eröffnet damit ungeahnte kreative Möglichkeiten in der grafischen Arbeit Wird in das Bild hineingezoomt wiederholen sich die Strukturen bis zur maximalen Vergrößerungsstufe, und die liegt im Calamus immerhin bei knapp 1 Million Prozent!

Jürgen Funcke
Aus: ST-Computer 01 / 1994, Seite 78

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