Für alle sieben Sinne: Was ist Multimedia?

Nachdem stehende Bilder - schwarzweiß oder farbig - seit jeher zum Repertoire der ATARI-Welt gehören, setzt der neueste Trend an, das Pantoffelkino auf den Schreibtisch zu zaubern. Multimedia ist in aller Munde, Augen und Ohren. Wir wollen uns im Folgenden weniger um eine erneute Begriffsdefinition bemühen, sondern viel mehr diejenigen Techniken vorstellen, deren Zusammenspiel am ehesten mit „Multimedia“ beschrieben werden kann.

Daß der Computer aufgrund der vielmedialen Entwicklungen seinen Platz auf dem Schreibtisch verliert und ihn gegen einen im Fernsehschrank oder neben der HiFi-Anlage eintauscht, ist vielleicht der wichtigste Aspekt dieses Trends. Vom reinen Bürogerät vergangener Jahre wandeln sich Funktion und Anwendung der „Rechner“ mehr und mehr in Richtung der klassischerweise konsumierten Medien. Daß er die oben zitierten Geräte allerdings ersetzt, seinem Benutzer also einen allumfassenden Zugang zu allen Medien erlaubt, bleibt weiterhin Zukunftsmusik.

Dazu haben sich Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen, Telefon, Computer- und andere digitale Netzwerke im Laufe ihrer Geschichte als Nachrichtenträger in zu unterschiedliche Richtungen entwickelt. Sie - vor allem im technischen Sinne - zu vereinen, bereitet außerordentliche Schwierigkeiten. In erster Linie fehlt es dabei an Standards. Aber neben erneutem Medienkonsum betrifft ein wichtiger Aspekt von Multimedia die Interaktion mit dem Menschen. So gesehen, ist ein mit Ton versehenes Adventure-Spiel, dessen Verlauf vom Spieler gesteuert wird, bereits eine multimediale Anwendung. Mit Hilfe des Rechners stehen aber auch Werkzeuge zur Verfügung, die die Produktion der Medien erlauben. Auf Desktop Publishing folgt nun Desktop Video.

Wort und Bild

Eingangs wurde bereits angedeutet, daß das unbewegte Bild für den ATARI-User im Gegensatz zu Anwendern anderer Rechnersysteme keinesfalls eine unbekannte Größe darstellt. Auf diese Weise hielten neben Datenformaten für Texte auch solche für Bilder Einzug in die Software-Welt. Textverarbeitungen oder Datenbankanwendungen lesen wie selbstverständlich Bilddaten ein. Da ist der Schritt zur Erstellung kompletter Publikationen nicht allzu weit. DTP-Programme besorgen diese Integration von Text- und Grafikdaten.

Musikdaten - ebenfalls eine Domäne der ATARI-Rechner - hingegen fristen eher ein Mauerblümchendasein in der MIDI-Ecke. Präsentationen, die die Verschmelzung von Bild und MIDI-Klängen ermöglichen, sind bisher nicht gesichtet. Mit dem Falcon ist nun für jeden Besitzer einer solchen Maschine die Möglichkeit gegeben, beliebige Klangdaten in den Rechner einzulesen. Und zügig wächst aus dieser Fähigkeit Software, die deren Bearbeitung ermöglicht. Jedoch (noch) separat von bisherigen Technologien.

Laufende Bilder

Digitizer ermöglichen es, Videobilder in den Rechner einzulesen. Zunächst einmal steht dabei das stehende Bild im Mittelpunkt des Interesses. Das heißt, aus der Sequenz bewegter Bilder wird eines.,eingefroren“, das dann auf gleiche Weise bearbeitet werden kann wie ein gescanntes Bild. Das Blockschaltbild eines solchen Digitizers zeigt eine nebenstehende Abbildung. Der technisch anspruchsvollste Teil der Digitizer ist die Digitalisierung des analogen Femsehsignals. Das PAL- Fernsehbild besteht aus 25 Einzelbildern pro Sekunde. Daher bleiben dem Digitizier nur 40 Millisekunden, um das gesamte Bild zu digitalisieren.

Als sogenannte Overlay-Karten wiederum werden Hardware-Produkte bezeichnet, die das laufende Videobild in den Computerbildschirm einblenden. Innerhalb eines Fensters läuft dann MTV oder was Sie gerne bei der Arbeit nebenbei sehen wollen. Die Overlay-Karten haben nicht nur die Digitalisierung des Fernsehsignales in angemessener Zeit zu erledigen, sondern müssen es auch noch innerhalb der 40 ms in ein computergerechtes Datenformat (RGB) transferieren. Außerdem ist die Beförderung der Daten in den Bildschirmspeicher fällig.

Prinzip des Key-Frame/Delta-Frame-Verfahrens

Wir rechnen ein wenig: Ein Fernsehbild wird typischerweise in 768 x 576 Bildpunkten digitalisiert. Bei voller Farbenpracht (24 Bit) ergibt das bei einer Folge von 25 Bildern pro Sekunde (25 fps) eine Datenmenge von rund 33 MByte pro Sekunde. Reduziert man die Anzahl der Farben und die Auflösung z.B. auf 65000 Farben (16 Bit) bei 320 x 240 Bildpunkten, bleiben immer noch 3,8 MByte pro Sekunde zu bewältigen. Zum Vergleich: Die Digitalisierung von Klanginformation ist dagegen anspruchslos: Bei der Aufzeichnung von acht Spuren gleichzeitig in CD-Qualität, wie sie im Falcon stattfindet, fließt ein Datenstrom von ca. 1 MByte/s.

Aufgrund dieser riesigen Datenmengen haben Overlay-Karten entweder direkten Zugang zum Bildschirmspeicher oder bieten ihn selbst an. In letzterem Fall ist die Overlay-Karte zugleich Grafikkarte, an ihr ist also der Monitor angeschlossen.

Achtung, Aufnahme

Typischerweise können Overlay-Karten neben der Speicherung eines Einzelbildes keine Bildsequenzen im Rechnerspeicher oder auf der Festplatte ablegen.

Größtes Handicap bei der Speicherung von Bildfolgen ist deren enormer Platzbedarf. Zudem übersteigt die notwendige Bandbreite die maxi malen Transferleistungen heutiger Rechnersysteme. Auf dem Wege der Datenkomprimierung ist allerdings eine deutliche Verringerung des weiter oben bereits beschriebenen Speicherbedarfs zu erreichen.

JPEG

Solche Komprimierungsverfahren sind aus verschiedenen Dateiformaten bereits hinlänglich bekannt (IMG, TIF...). Zur Speicherung von Bildern wird auch das JPEG-Verfahren benutzt, das zu den „lossy“-Komprimierungen gehört. Mit Hilfe dieses - übrigens international von der „Joint Photografics Expert Group“ festgelegten - Verfahrens können Kompressionsraten bis 60:1 erreicht werden. Dabei wird das Bild mit Hilfe mathematischer Verfahren auf Überflüssiges untersucht und die entsprechenden Bildteile werden weggelassen. Es geht also ein Teil der Information verloren. Der Unterschied zum Originalbild fällt dem menschlichen Auge häufig kaum auf.

Da das JPEG-Verfahren sehr rechenintensiv ist, gibt es spezielle Chips, auf denen die notwendigen Berechnungen fest verdrahtet sind und daher sehr schnell ablaufen. Zur Komprimierung von laufenden Videobildern mit Hilfe von JPEG bleibt ja auch, wie oben bereits beschrieben, nur wenig Zeit. Nimmt man die beste Kompression an, so sind für eine Sekunde Film immerhin noch 550 KB Daten auf die Festplatte zu schreiben. Ein Wert, der heutigen Rechnern und Festplatten kein Problem bereitet - allerdings ist eine 100 MByte-Platte nach drei Minuten voll!

Zusammenrücken

Die Komprimierung der Bilddaten auf ein für Festplatten, CD-ROMs etc. vertretbares Maß ist damit das zentrale Problem der Videospeicherung und -bearbeitung auf Computern. Hauptanforderung an ein Verfahren ist neben möglichst hoher Qualität die Möglichkeit, die Filme ohne zusätzliche Hardware abspielen zu können. Denn die multimedialen Machwerke sollen ja nicht nur finanzkräftigen Besitzern von Komprimierungs-Boards zur Verfügung stehen.

Ebenfalls international festgelegt ist das MPEG-Verfahren (Motion Picture Expert Group) zur Komprimierung zeitabhängiger Bilddaten. Die Grundüberlegung besteht darin, daß es beim Film ja gar nicht notwendig ist, jedes einzelne Bild zu speichern, sondern eine Ablage der Veränderungen gegenüber dem Vorgängerbild ausreicht. Ein solches Verfahren heißt Key-Frame/Delta-Frame-Verfahren.

In den Key-Frames wird z.B. nach einem Szenenwechsel das vollkommen neue Bild gespeichert. (In der Abbildung grau dargestellte Rahmen). Eine regelmäßige Speicherung der Key-Frames ist aber auch notwendig, um das Editieren des Filmes zu ermöglichen. Denn das Verfahren hat den Nachteil, daß der Film nicht bei einem der Delta-Frames loslaufen kann. Dort ist ja keine vollständige Bildinformation enthalten. Diese kann sich nur ergeben, wenn vom letzten Key-Frame an alle Delta-Frames abgespielt werden.

Mit dem in MPEG standardisierten, wesentlich umfangreicheren Verfahren (es werden zusätzlich „klassische“ Komprimierungen durchgeführt) lassen sich Videos auf Datenraten unter 150 kB/s zusammendrücken. Zur Zeit existieren sowohl für Amigas als auch für PCs bereits MPEG-Boards, die bei dieser Datenrate Bildgrößen von rund 380 x 280 Pixeln erreichen. Allerdings findet die Komprimierung nicht in Echtzeit per Hardware statt. Der Film muß zunächst unkomprimiert auf die Platte geschrieben werden und wird danach von einer Software auf den geringen Speicherbedarf komprimiert.

Die Hardware ist vielmehr nötig, um das (ohnehin recht kleine) Bild in akzeptabler Qualität auf den Bildschirm zu bringen. Obwohl das MPEG-Verfahren asymmetrisch ist, also bei der Dekomprimierung wesentlich weniger Rechenaufwand erfordert als beim Einpacken der Daten, bringen reine Software-Lösungen zum Abspielen der Videos nur Ergebnisse in sehr kleinen Format.

Momentan kann, wenn entsprechende Hardware vorhanden ist, mit MPEG bereits nahezu S-VHS-Qualität erreicht werden (siehe dazu auch [1]). In MPEG ist auch eine Behandlung und Kompression von Tondaten enthalten, so daß die gesamte audiovisuelle Information in MPEG-Dateien übermittelt werden kann. Eine Erweiterung des bisherigen MPEG-1 -Standards auf MPEG-2 ist aber bereits in Arbeit. Es soll u.a. HDTV als Untermenge enthalten und der Standard digitaler Fernsehübertragung werden. Zumindest lassen sich mit Hilfe der Komprimierung wesentlich mehr Kanäle via Satellit übertragen, als das heute der Fall ist.

Es muß nicht immer MPEG sein

Da der MPEG-Standard einen hohen Anspruch an die abspielende Hardware stellt, ist seine Eignung für multimediale Computer-Konsumprodukte eingeschränkt. Hier sind Verfahren gefragt, die jeder auf dem heimischen Rechner ohne Hilfe kostspieliger Zusatz-Hardware einsetzen kann. Apple hat mit QuickTime einen Aufsatz zu seinem Betriebssystem geschaffen, der es ermöglicht, Filmdaten aufzuzeichnen und wieder abzuspielen. Die Entsprechung für Windows heißt Video for Windows. Diese Zusatzprogramme ermöglichen in erster Linie die reibungslose Übernahme verschiedener Bildformate in eigene Video-Dateiformate. Wichtigste Eigenschaften ist die Skalierbarkeit - die auf reinen Software-Verfahren beruhenden Video-Schnittstellen können per Hardware bis hin zu normaler VHS-Qualität ausgebaut werden. Wer die Videos nur mit dem Rechner aufzeichnet, kann das in eingeschränkter Qualität ebenfalls tun. Fazit: Ohne Hardware geht’s, dann aber schlechter, kleiner und langsamer.

Ein weiterer Grund, der gegen die Verwendung des MPEG-Verfahrens spricht, ist die bereits erwähnte schlechte Editierbarkeit der Filme. Ein im MPEG-Format vorliegendes Video läßt sich aufgrund der Delta-Frames nicht an jeder beliebigen Stelle schneiden. Und gerade die verlustfreie Schneidemöglichkeit dürfte das Hauptmotiv für viele Anwender sein, sich mit digitalem Video auseinanderzusetzen.

Aus diesem Grund hat das JPEG-Verfahren, das ja eigentlich für stehende Bilder konzipiert wurde, eine Erweiterung auf Motion-JPEG erfahren. Es wird von Systemen verwendet, die digitale Video-Schnittsystem realisieren.

Und die Zukunft?

Die technischen Möglichkeiten für die allgegenwärtig beschworenen multimedialen Anwendungen sind also vorhanden. Nicht immer wird gewohnte Qualität erreicht- im akustischen Bereich eher als im Videosektor. Doch wenn man an die mangelnde Auflösung von Computerspielen denkt, scheint auch das verschmerzbar - wenn der Inhalt die qualitativen Einbußen rechtfertigt.

Doch gerade die Suche nach Inhalten verläuft ergebnisloser als vermutet. Der Große Brockhaus auf CD, in dem per Mausklick gesucht werden kann oder die Photo-CD mit ihren gespeicherten Bildern, wo ist da die Vielfalt der eingesetzten Medien? Wo ist die Grenze zwischen Ballerspiel und Multimedia? Zählt ATARIs Jaguar nicht auch schon zu Multimedia oder gilt der Begriff nur für „ernste“ Anwendungen?

Aufgrund von Erfahrungen mit vielen der neuen Medien, sei es BTX (neuerdings: DATEX-J) oder Mailboxen, ist vielmehr zu befürchten, daß erneut eine Menge Spreu in Form von platter Werbung, Porno bis hin zu politischem Radikalismus von einem geringen Anteil Weizen zu trennen ist.

In diesen Tagen ist „Multimedia“ leider (fast) nur eine Schlagwort, in dessen Fahrwasser eine riesige Menge Geld umgesetzt wird. Die verkauften Produkte jedoch harren häufig sinnbringenden Inhalten.

IB

[1] Signale aus der Kiste -Kastentext zum Digitizer Test / ST-Computer 12/92 S. 60ff.



Aus: ST-Computer 03 / 1994, Seite 16

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