MilanMulti OS 1.2 und die Zukunft

Die Veröffentlichung des Milan steht kurz bevor. Wenn man allen Terminangaben der Produzenten vertrauen darf, dann wird der Milan auf der ATARI-Messe in Neuss in größeren Stückzahlen vorgestellt und die Auslieferung der ersten Endkundengeräte wird nur 2-3 Wochen nach der Messe in Angriff genommen.

Wir haben die Gelegenheit genutzt, uns das aktuelle Betriebssystem anzuschauen und mit den Verantwortlichen über Termine, Hardware uvm. zu sprechen. Dazu habe ich ein Interview mit meinen Gesprächspartnern vom vergangenen Jahr geführt.

HB: Es ist nun knapp ein Jahr her, dass wir uns zusammengesetzt und über den Milan gesprochen haben (siehe Heft 5/97). Seinerzeit hieß er noch "ST-Milan", der endgültige Preis stand nicht fest, über das Betriebssystem konnten noch keine genauen Angaben gemacht werden usw. Inzwischen hat sich aber eine Menge getan - oder?

AG: Das kann man wohl sagen, denn das System ist nun fertiggestellt. Wir werden es in seiner vertriebsreifen Version auf der ATARI-Messe im April vorführen und nur kurze Zeit darauf in den Handel bringen können.

HB: "In den Handel...", das hört sich ja vielversprechend an.

AG: Ja, im vergangenen Jahr hofften wir noch, das alte ATARI-Fachhändlernetz wieder aufleben lassen zu können, heute ist es soweit: Eine Vielzahl von Händlern wird den Milan in einem bundesweiten Vertriebsnetz führen, wenngleich fast sicher ist, dass er wohl nicht in die Kaufhäuser kommen wird.

HB: Um so erfreulicher, dass Ihr seinerzeit nicht zuviel versprochen habt. Ist das so eine Taktik von Euch? Ich denke nur daran, wie eine 2fache ATARI-TT-Geschwindigkeit in Aussicht gestellt wurde und nun wohl definitiv eine Steigerung um das 4-5fache den Tatsachen entspricht.

US: Ja, uns selbst hat das ständig im Stau stehende Schiff aus Taiwan immer wieder genervt. Damit meine ich die Terminversprechen von ATARI. Jeder Entwickler weiß, dass man die Geburt einer Hardware nicht erzwingen oder beschleunigen kann, aber es ist wichtig, dass man ehrlich ist, wenn es darum geht, den aktuellen Entwicklungsstand preiszugeben. Auch wir hatten gehofft, den Milan vielleicht noch Ende 1997 ausliefern zu können, aber dann hat es sich ja doch verzögert. Sicherheitshalber haben wir aber zuvor keine definitiven Versprechen abgegeben, was sich heute auszahlt. Denn nur mit dem Vertrauen der Kunden können wir auf eine sichere Zukunft bauen.

HB: Woran haben die Verzögerungen hinsichtlich der Milan-Veröffentlichung gelegen?

US: Wie nicht selten bei vergleichbaren Entwicklungen der Fall, haben wir das Konzept in einigen Teilbereichen mehrmals überarbeitet. So kann es schon mal passieren, dass man einige Wochen in eine Richtung arbeitet, das Ergebnis aber doch nicht benötigt wird. So etwas lässt sich auch nicht verhindern, da einige Entwicklungsbereiche sich erst im Laufe der Arbeiten an einem neuen System herauskristallisieren.

HB: Nennt doch mal einige Beispiele.

AG: Zum Beispiel das Betriebssystem. Zunächst planten wir, ein Original-TOS zu patchen. Als sich aber die Möglichkeit auftat, es zu verändern, optimieren und überarbeitet einsetzen zu dürfen, haben wir sofort eine neue Richtung eingeschlagen und alles, was bis dahin erarbeitet wurde, liegenlassen. Was hat es für einen Sinn, heute noch einen Rechner herauszubringen, der auf einem Betriebssystem von 1989 basiert? Darüber hinaus ging es uns auch um die korrekte Anbindung des PCI-Busses, für die wir uns mittelfristig dann doch zu einer Intel-PCI-Bridge entschlossen haben. Andere Lösungen hätten es vielleicht auch getan, doch diese ist die einzig zukunftsträchtige, so meinen wir.

HB: Ihr habt das Stichwort schon genannt: das Betriebssystem. Wie sieht es denn nun tatsächlich aus? Vor einigen Monaten berichteten wir ja großmundig von dem TOS 6 usw. Wie wird der Milan im April auf den Markt kommen und was wird er dann können?

US: Fangen wir mit dem Betriebssystem an: Wir werden ein modifiziertes, fehlerbereinigtes und verbessertes TOS 4.x einsetzen. Unsere Änderungen haben sich größtenteils unterhalb der Oberfläche abgespielt und sind nach außen hin kaum ersichtlich. Es ist insgesamt ein wenig kleiner und schneller geworden, auf den Einsatz von Grafikkarten (so dass man auch ohne Einladen von VGA-Treibern ein Bild erhält) und IDE-Festplatten vorbereitet worden. Dieses Single-TOS ist in einem Flash-Eprom der Größe 512 KB im Milan integriert und kommt pfeilschnell hochgefahren, wenn man den Rechner anschaltet.

Allerdings sind noch keine optischen Änderungen gegenüber dem Falcon-TOS zu sehen. Der Grund liegt darin, dass die Anpassung des Betriebssystems sehr viel Zeit in Anspruch genommen hat und wir natürlich nicht binnen weniger Wochen den Vorsprung großer Systeme haben aufholen können.

Ferner wird es ein vorinstalliertes und nachladbares Milan Multi-OS geben, das auf Basis eines modifizierten N.AES & N.Thing erstellt wurde. Mit Hilfe des Milan Multi-OS wird der Anwender in der Lage sein, komfortabel mehrere Programme gleichzeitig zu betreiben und zwischen den einzelnen Applikationen z.B. auch über eine Task-Leiste, wie sie von Win95 her bekannt ist, hin- und herzuschalten.

Der Desktop wiederum bietet etliche neue Funktionen gegenüber dem ATARI- Standard-TOS. Beim Booten kann der Anwender wieder entscheiden, ob er nicht doch im Single-OS starten möchte. Selbstverständlich werden jinnee-Fans auch jinnee nachladen können usw.

Dies ist soweit der augenblickliche Entwicklungsstand. Selbstverständlich werden wir diese Basis nun nutzen, um mittelfristig auch ein erstklassiges Single-TOS fertigstellen zu können, das die Milan-Anwender per Software auf dem Eprom updaten können.

HB: Soweit so gut, aber wie sieht es nun mit der Anpassung der so wichtigen Hardware aus? Dazu zählen für mich die Falcon-Karte, ein MIDI-Interface und ROM-Port usw.

AG: Auch hier sind Lösungen in Sicht. Im Prinzip wird derjenige Musiker, der es ganz besonders eilig hat, die MW-Electronic-ROM-Port-Karte anschließen und MIDI-Ports über eine herkömmliche Soundkarte betreiben können. Für die Zukunft ist auch eine Lösung angestrebt, die preiswert beide Anschlüsse in sich vereint.

Die Falcon-Karte hat gute Chancen, schon bald zu erscheinen. Sowohl SoundPool als auch ein französisches Unternehmen arbeiten an einer entsprechenden Lösung mit modernem DSR. Dass das ganze dann mittels Anpassung des XBIOS auch kompatibel zum Falcon werden kann, hat die STarTrack-Karte für den VME-Bus des Hades bewiesen. Mit Hilfe derer können schon heute nahezu alle, auf jeden Fall aber alle sauber programmierten DSP-Anwendungen gestartet werden. Sind das nicht gute Aussichten?

Zur SCSI-Karte lässt sicher derzeit noch nicht viel sagen. Dass es kurzfristig eine geben muss und wird, ist klar. Sicherlich wird die Entwicklung bzw. Anpassung auch nicht bis zum Herbst andauern, doch wollen wir die Entwickler jetzt auf gar keinen Fall unter Druck setzen.

Auch einige weitere Hardwareprojekte werden in Kürze in Angriff genommen. Dazu gehören u.a. die Anpassung einer Netzwerkkarte, eines Video-Digitizers usw., aber auch das ist noch streng geheim.

HB: Es tut sich also etwas?

US: Das kann man wohl sagen! Wir sind alle hoch motiviert, denn die allgemeine Resonanz auf den Milan ist umwerfend - selbst weltweit betrachtet. Allein schon die Tatsache, dass ein breites Interesse an dem Aufbau eines bundesweiten Vertriebsnetzes besteht, dass wir auch im Ausland seriöse Distributoren haben und das Gerät bis Mitte des Jahres fast europaweit werden anbieten können, eröffnet uns ganz neue Perspektiven.

HB: Wechseln wir das Thema - Stichwort CPU. Welche Aussagen kann man hier treffen? Es ist ein wenig schwer nachvollziehbar, dass der Milan mit seinem 68040-Prozessor so schnell ist. Wird es aber dennoch eine 68060-Variante geben?

AG: Zunächst einmal eine Aussage zur aktuellen Geschwindigkeit, denn diese ist wirklich atemberaubend hoch. Das hohe Arbeitstempo haben wir einzig dem schnellen RAM-Speicherdurchsatz zu verdanken. Dieser liegt bei rund 40 MB/s und kann sich daher mit Werten im derzeitigen PC-Standard messen lassen. Es gibt keinen Flaschenhals-Effekt, so dass die Datenströme mit vollem Durchsatz fließen können.

Eine 68060-Anpassung wird es bis zum Ende des Jahres selbstverständlich auch geben, denn diese ist für professionelle Anwendungen wichtig.

Sie wird unter Umständen mit einem Second-Level-Cache ausgestattet sein, so dass ich davon ausgehe, dass wir dank eines schlanken Betriebssystems durchaus mit PPC und Konsorten mithalten können.

Darüber hinaus haben wir munkeln gehört, dass im europäischen Ausland an diversen Lösungen gearbeitet wird, die z.B. das Integrieren der PPC-Karten aus dem Amiga-Markt oder vielleicht sogar das Starten eines Mac-OS ermöglichen wird. Das ist aber alles noch in der Schwebe und längst nicht ausgegoren. Auf jeden Fall ist das Motherboard so ausbaufähig und modifizierbar wie kaum ein anderes, das mir bekannt ist. Es steckt eben voller Zukunft.

HB: Fast hätte ich es vergessen. Wie sieht es denn mit der Pentium-Karte aus. Wird diese erscheinen?

AG: Eine vielgestellte Frage. Theoretisch ist eine solche Karte realisierbar, entsprechende Konzepte und Pläne werden natürlich auch schon geschmiedet. Wenn ich aber ehrlich sein soll, dann wird das Erscheinen der Karte davon abhängen, wie viele definitive Kaufinteressenten es geben wird. Derzeit läuft eine allgemeine Diskussion darüber, ob es nicht fast sinnvoller wäre, ein einfaches PC-System im Netzwerkverbund parallel zum Milan zu betreiben. Sobald sich ein großes Interesse herauskristallisieren sollte, werden wir uns umgehend an die Arbeit machen. D.h., falls das nicht schon jemand vor uns tut...

HB: Was hat es mit dem PCI-BIOS für die neuen Systeme auf, sich? Auch wir haben in den vergangenen Ausgaben so einiges darüber geschrieben, aber viele Leser haben nach wie vor noch nicht so ganz den Durchblick.

US: Das PCI-BIOS ist eigentlich schnell und einfach erklärt und dennoch eine geniale Idee, die in Zusammenarbeit mit einigen Hades-Entwicklern entstanden ist. Und zwar geht es darum, dass PCI-Karten vom System erkannt, initialisiert und korrekt angesprochen werden müssen. Es ist davon auszugehen, dass die Treiber für solche PCI-Karten - wie z.B. Grafikkarten hauptsächlich aus einem Teil für das Ansprechen der Fähigkeiten der Karte und aus einem weiteren Teil bestehen werden, der speziell auf die zugrundeliegende Hardware zugeschnitten ist. Damit die Treiber für Hades und Milan auf jeweils beiden Systemen laufen können, wurde ein PCI-BIOS entwickelt, das eine Schnittstelle von der Hardware zur Erweiterung darstellt. Diese Softwareschnittstelle wird es ermöglichen, hardwareunabhängig Treiber zu programmieren, da das jeweilige BIOS die Ansteuerung der Hardware übernimmt.

Das war es auch schon, denn nun brauchen die Kartentreiber nur noch aus dem hardwareunabhängigen Teil zu bestehen.

Alle interessierten Entwickler können die Unterlagen zum PCI-BIOS direkt bei uns anfordern oder von unserer Webseite herunterladen. Inzwischen haben sich sowohl die Phenix-Entwickler als auch die Produzenten eines PCI-Interfaces für den Falcon (Titan-Designs in England) dem Konzept angeschlossen, so dass es schon bald vier Systeme geben könnte, auf denen ein einziger PCI-Kartentreiber seinen Dienst verrichtet.

HB: Das heißt auch, dass die potentielle Anzahl der Abnehmer eines solchen Treibers in die Höhe schnellt und das Produzieren von Zusatzhardware rentabler wird ... korrekt?

AG: Korrekt! Das alles kommt mir ein wenig so vor, wie zu Zeiten, als der ATARI ST vorgestellt wurde. Es gibt so viele neue und begeisternde Innovationen, die noch gar nicht einmal alle von uns oder den Hades-Entwicklern stammen. Ich denke, dass die kommenden Monate sehr, sehr spannend werden.

HB: Ich würde mich freuen, wenn wir uns spätestens in einem Jahr mal wieder zusammensetzen und über einen riesigen Milan-Markt reden können.

AG: Abgemacht!

Lesen Sie im nächsten Heft alles über erste Softwaretests auf dem Milan.



Aus: ST-Computer 04 / 1998, Seite 46

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