Score Perfect Professional und MusicEdit

Jeder Musiker, der Noten lesen kann, wird irgendwann einmal das Bedürfnis verspüren, auch selbst welche zu produzieren. Unser aller Freund, der Computer, kann dies einfach und komfortabel gestalten, wenn er denn mit der richtigen Software gefüttert wird. Die Möglichkeiten der Verwendung der Noten sind vielfältig: eigene Kompositionen können publik gemacht werden, MIDI-Dateien aus dem Internet oder von CD-ROMs können als Übungsvorlage benutzt werden, Mitmusikern in Bands oder Ensembles können musikalische Vorhaben näher gebracht werden, etc.. Für den ATARI gibt es zwei Notensatzprogramme, die noch gepflegt werden. Diese sollen hier vorgestellt und verglichen werden.

Score Perfect Professional

Score Perfect Professional (im folgenden SPP) ist ein Referenzprodukt und der „Dino“ unter den Notensatzprogrammen. Bereits 1989 wurde es in der KEYS vorgestellt. Seitdem wurde es kontinuierlich weiterentwickelt und stellt mittlerweile eine Fülle von Funktionen (siehe Tabelle 1) zur Verfügung. Dabei ist der Verbrauch an Arbeits- und Massenspeicher stets gering geblieben - ein über 20 Seiten langer Song ist etwa gerade mal 50k groß.

Systemvoraussetzung

Somit läuft SPP auf allen Ataris ab 2 Mb RAM und unter allen TOS-Versionen. Es ist ein reines schwarzweiß Programm, auch auf dem Falcon. Ein Betrieb auf Emulatoren macht wenig Sinn, da diese ja alle die MIDI-Schnittstelle nicht ordentlich unterstützen, und SPP außerdem auch in Versionen für PC und Mac vorliegt (auf denen es von der Oberfläche her allerdings immer noch sehr Atari-like aussehen soll). Der erste Wermutstropfen folgt leider auch sofort: SPP ist nicht multitaskingfähig, weder unter MAGIC, noch Geneva, noch Multitos. Des Weiteren wird NVDI in keiner Weise unterstützt; es soll sich sogar in bestimmten Situationen kontraproduktiv auswirken. Erfreulich allerdings: während eines ganzen Jahres, in dem ich SPP nun intensiv unter Single-TOS (2.06 und 4.04) benutzt habe, ist mir das Programm noch nicht ein einziges Mal abgestürzt.

Bedienung

Hier liegt eindeutig das große Plus von SPP. Die Bedienung kann vom ersten Start an rein intuitiv erfolgen. Am unteren Bildrand der „Haupteingabeseite“ (siehe Bild 4) sind schon sehr viele Funktionen direkt per Mausklick oder Shortcut erreichbar. Alles übrige findet sich in Dialogen, die sehr übersichtlich strukturiert sind. Zentral für den Bedienkomfort ist natürlich die Noteneingabe, und die ist in SPP wirklich perfekt gelöst. Der Autor nennt die Art der Eingabe von Noten treffend „Akkordeon-Technik“. Darunter ist zu verstehen, dass mit der Maus die Noten einfach in die Notenzeilen geklickt werden, während der Anwender mit der anderen Hand auf der Tastatur den jeweiligen Notenwert (Länge) bestimmt. Sinnigerweise befinden sich die entsprechenden Tasten rund um das Wort WERT auf der Tastatur. Diese Technik ist wirklich genial und auch schnell zu erlernen. Wer es noch nicht gleich drauf hat kann allerdings auch erst den Notenwert mit der Maus bestimmen und dann die Note an die richtige Stelle setzen. Eine gelungene Lösung ist auch das Löschen von Fehlern: einfach die Note mit der rechten Maustaste anklicken. Hat man sich nur in der Tonhöhe geirrt, kann man die Note durch festhalten mit der linken Maustaste ohne weiteres an die richtige Stelle ziehen.

Eine weitere Möglichkeit, an seine Noten zu kommen, ist das direkte Einspielen über ein MIDI-Keyboard. Hierbei hat man noch die Wahl, ob man dies in Echtzeit tun möchte, oder ob man die Noten nach und nach eingibt, wobei man die Werte wiederum mit Maus oder Tastatur jeweils vorher bestimmen kann. Zu guter letzt importiert SPP auch MIDI-Dateien aller Art völlig problemlos - natürlich abgesehen von der korrekten Wahl der Vorzeichen, aber das kann kein Programm. Zumindest sind die Vorschläge, die SPP hier macht, meist sinnvoll.

Blockfunktionen

Ein weiteres großes Plus von SPP sind die umfangreichen Block- und Bereichsfunktionen. Hierbei lassen sich einzelne Noten, ganze Systeme oder auch beliebige Ausschnitte von letzteren zusammenfassen und können dann kopiert, verschoben, gelöscht oder auch in der Notenhöhe bzw. -länge verändert werden. Braucht man eine bestimmte Notenfolge öfter, so kann man seinen Block auch einfach speichern und später beliebig oft einfügen.

Eingebauter Sequenzer

Obwohl SPP sich ja ausdrücklich als Notensatzprogramm und nicht als Sequenzer versteht, ist die Wiedergabe sehr ordentlich - von gelegentlichen „Hängern“ abgesehen. Man kann aus einem General-MIDI Set die Instrumente den Systemen direkt zuordnen. Des Weiteren gibt es die Möglichkeit, beim Abspielen ein Mischpult einzublenden, in dem sogar drei Effekte zugeordnet und dann geregelt werden können. Außerdem werden auf Wunsch die eingefügten Dynamik und Artikulationszeichen sowie die Triller mitgespielt - Komponisten können sich also sehr schnell und einfach einen Überblick über den Klang ihrer gerade gefertigten Komposition verschaffen. Schwierigkeiten hat der Sequenzer nur (noch?) mit Polyrhythmik. So können Quintolen, Septolen und ähnliche Ungetüme zwar im Notenbild korrekt dargestellt werden (auch wenn dafür teilweise etwas in die Trickkiste gegriffen werden muss), sie werden vom Sequenzer aber nicht korrekt wiedergegeben. Hier hilft bislang nur der Export als MIDI-File, der allerdings sehr problemlos vonstatten geht - und das nachträgliche Editieren der entsprechenden Stellen in einem externen Sequenzer.

Ganz wichtig: der Ausdruck

Das Druckbild von SPP ist schlicht gesagt professionell. Bereits auf einem Tintenstrahldrucker mit 300 dpi bleiben keine Wünsche bezüglich der Optik offen. Einen Eindruck vermittelt Bild 1, welches als IMG-Datei direkt aus SPP exportiert wurde - übrigens eine weitere schöne Möglichkeit, seine Noten aufs Papier zu bringen, gerade wenn man ein Stück oft braucht - denn ein weiterer Nachteil von SPP soll hier nicht verschwiegen werden: der Seitenaufbau vorm Drucken dauert doch recht lange (an dieser Stelle wäre die Möglichkeit der Nutzung von NVDI Druckertreibern natürlich Gold wert). Des Weiteren unterstützen Tintenstrahldrucker den auf Laserdrucker ausgelegten mehrfachen Druck einer Seite nicht. Im Klartext: Ich mit meinem HP-Deskjet muss immer eine einzelne Seite ausdrucken und dann wieder auf den Seitenaufbau warten. Da lohnt sich ab 5 Exemplaren schon der Export und das Ausdrucken etwa mit Papyrus. Besitzer von nicht HP-Druckern sollten sich ohnehin vorm Kauf beim Hersteller erkundigen, ob ihr Drucker unterstützt wird, da die Auswahl, die das Programm selbst gibt, doch relativ gering ist. Schade ist auch, dass es nur wenige verschiedene (sinnvolle) Notengrößen (Zoomstufen) gibt, in denen ausgedruckt werden kann. Für den Normalgebrauch sind diese allerdings ausreichend.

MusicEdit

MusicEdit ist im Vergleich zu SPP noch relativ „frisch“. Erste Vorabversionen waren 1994 erhältlich, zu einem Zeitpunkt also, da der Atarimarkt schon auf dem absteigenden Ast war. Die Konsequenz, mit der MusicEdit trotzdem immer an die jeweils neuesten Atari-Standards (MagiC, NVDI, Hades, demnächst auch Milan, etc.) angepaßt wurde und wird, ist durchaus bewunderns- und lobenswert.

Systemvoraussetzung

Somit ist MusicEdit „as flexible as can be“ - es läuft auf allem, was irgendwie Ähnlichkeit mit einem Atari hat (angeblich auch unter MagiCMac - wobei ich mir das wegen der Schwierigkeiten mit der MIDI-Schnittstelle nur schwer vorstellen kann), ist voll multitaskingfähig (MagiC, Geneva, NAES, etc.) und unterstützt NVDI. Allerdings sind viele Funktionen ohne letzteres auch kaum sinnvoll einsetzbar, so dass man schon in Besitz von NVDI sein sollte, wenn man mit MusicEdit arbeiten will. Damit, und auch wegen der relativ großen Songdateien von MusicEdit (gut 10 (!) mal so groß wie die von SPP) steigt der RAM Bedarf schnell auf 4MB (2 mindestens laut Autor) - aber wer hat die schon heutzutage nicht.

Bedienung

Ist man, wie ich, die Arbeit mit SPP gewohnt, so erscheint die Noteneingabe von MusicEdit doch zunächst sehr umständlich. Es muss jeweils [n] [e] per Tastatur eingegeben werden, dann mit der Maus auf eine Notenzeile geklickt werden (wobei das Programm bei der Beurteilung, wohin der Klick genau erfolgen darf auch noch recht „zickig“ ist...) und dann... ja, dann erscheint nicht etwa die Note auf dem Bildschirm, sondern es öffnet sich ein Dialog, in der alle die Note betreffenden Parameter (Länge, Höhe, Vorzeichen, Dynamik, Halslänge, MIDI-Kanal, Text, etc.) per Tatstatur eingegeben werden können. Dies dauert für eine Note natürlich relativ lange. Weiß man allerdings von vorn herein schon, wie das zu produzierende Stück aussehen soll, oder kann man selbst gar nicht so gut Noten lesen, hat diese Methode sicherlich auch Vorteile.

Weitere Funktionen

Blockfunktionen und Noteneingabe über Keyboard sucht man in MusicEdit vergeblich. So bleibt außer der Note-für-Note-Eingabe (zum Löschen, Ändern oder Einfügen müssen übrigens auch jeweils immer zwei Tasten gedrückt und dann die Maus benutzt werden) nur noch der Import von MIDI-Dateien. MusicEdit unterstützt allerdings nur solche vom Typ 0 (alle Daten auf einer Spur), wobei gesagt werden muss, dass diese im Internet oder auf einschlägigen CD-ROMs kaum vorhanden bzw. gegenüber denen vom Typ 1 deutlich in der Minderheit sind. Somit braucht man einen Extra-Sequenzer, der solche MIDI-Dateien produzieren bzw. konvertieren kann. Allerdings ist es mit dem bloßen Laden der MIDI-Dateien bei MusicEdit auch noch nicht getan: das Programm fragt erst in einen Dialog nach „Ergänzungsdaten“, wie der MIDI-Kanalzuordnung, der Stimmen pro Zeile und dem kleinsten Notenwert. So wird das Umwandeln unbekannter Files quasi zu einem Ding der Unmöglichkeit. Leider passierte es mir beim Testen auch desöfteren, dass die MIDI-Abspielfunktion sowie der Import und der Export von MIDI-Dateien nicht funktionierte. Dabei traten auch einige Abstürze auf.

Eingebauter Sequenzer

Auch MusicEdit kann die eingegebenen Noten über ein MIDI- Instrument abspielen, wobei auch hier die Zuordnung der Stimmen zu GM-Instrumenten einfach und übersichtlich gelöst ist. Hat man allerdings ein Stück mit mehreren Stimmen bzw. Systemen, so wartet vor dem Anhören noch einiges an Arbeit auf den User: alle Noten, die außerhalb der Zeiteinheiten der ersten Stimme liegen, müssen zunächst noch mit einer „Zeitmarke“ versehen werden, damit sie an der richtigen Stelle abgespielt werden. Ist dies korrekt geschehen, klappt die Wiedergabe allerdings gut, auch wenn man (im Multitaskingbetrieb) währenddessen nicht in ein anderes Programm wechseln kann.

Der Ausdruck

In MusicEdit werden die Noten als GEM-Metafile (Vektorgrafik) erstellt. Dies macht sie in der Größe flexibel, was ein sehr sinnvolles Konzept ist, auch und gerade für den Import in andere Programme. Bild 2 zeigt ein Beispiel für eine solche Export-Datei. Wer möchte, kann sich von MusicEdit auch beliebig große IMG-Dateien erstellen lassen, oder die Noten in beliebiger Auflösung ausdrucken lassen, wofür allerdings wiederum NVDI benötigt wird (damit gibt es allerdings auch garantiert keine Treiberprobleme...).
Für meinen Geschmack ist das Druckbild allerdings nicht ganz so professionell wie das von SPP (wer sich eine eigene Meinung bilden will, braucht ja nur die Bilder zu vergleichen). Meiner Ansicht nach aber wirklich kontraproduktiv, da für viele Instrumentalisten sicherlich sehr verwirrend, ist die Darstellung der Viertelpausen in MusicEdit. Diese sehen nämlich so aus, dass Sie kaum zu erkennen sind.
Ein Gewinn für das Druckbild sind natürlich in jedem Fall die zahllosen Vektorfonts, die hier durch NVDI zum Einsatz kommen können. Allerdings ist es schade, dass pro Stück nur jeweils einer verwendet werden kann.

Resümee

Es fällt schwer, ein ausgefeiltes, über Jahre gewachsenes, momentan aber ein wenig den Anschluß verlierendes Programm wie SPP und ein relativ neues, in vielen Punkten sicher noch nicht ausgereiftes, aber dafür sehr modernes Programm wie MusicEdit zu vergleichen. Wesentlich für die Kaufentscheidung mag auch der Preis sein. SPP kostet seit Neuestem nur noch 298 DM, und bietet damit, auch verglichen mit der PC-Konkurrenz (etwa Personal Composer oder Rhapsody) ein hervorragendes Preis-Leistungsverhältnis. Wer notenorientiert am Computer komponieren will und dabei dem Atari treu bleiben will, sollte sich auf jeden Fall für SPP entscheiden, da die hierfür angebotene Funktionalität und leichte Bedienbarkeit für sich spricht und es für ernsthaftes Arbeiten einfach wichtig ist, dass (fast) alles darstellbar ist, die Eingabe schnell geht, und man sich das Ergebnis sofort anhören kann. Leuten, die mit einem Computer wirklich NUR Noten produzieren wollen, würde ich immer zu einem alten ST mit SPP raten - soviel Komfort kann man billiger nun wirklich nicht haben.

MusicEdit gibt es in drei Ausführungen: Die Homeversion, mit der nur eine Seite gedruckt werden kann, kostet 49 DM, die Standardversion für vier Seiten 99 DM und die Profiversion (99 Seiten) 198,- DM.

Meiner Ansicht nach rechnen sich aber die beim Erwerb der Profi-Version gegenüber SPP gesparten 100 Mark nicht, da hierfür Abstand im Bedienkomfort zu groß ist. Ich kann mir kaum vorstellen, eine 99-Seitige Partitur mit MusicEdit zu erstellen.

In Bezug auf die beiden anderen Versionen ist allerdings zu sagen, dass diese für Leute, die NVDI sowieso ihr eigen nennen, und nicht so viel mit Notation arbeiten, für den Einstieg eine preisgünstige Alternative darstellen. Dafür muss der Benutzer dann in Kauf nehmen, dass MusicEdit eben noch nicht ganz ausgereift ist, was sich übrigens auch anhand so kleiner Dinge wie der fehlenden Clipboardunterstützung, des fehlenden Iconify und der teilweise umständlichen Maßeinheiten für Seitengröße zeigt. Woran der Autor schnellstens arbeiten sollte, ist meiner Ansicht auch die freie Wählbarkeit der Ordner für die Songdateien sowie sonstiger Defaulteinstellungen. Auch die Anleitung ist noch Überarbeitungsbedürftig, denn wenn man schon das moderne HTML-Format benutzt, sollte es doch wenigstens möglich sein von, Seite zu Seite zu blättern (!). Aber, wie gesagt, für fünfzig bzw. hundert Mark sind derartige Abstriche bei einem solchen Programm noch in Ordnung, zumal MusicEdit ja wirklich sehr kontinuierlich weiterentwickelt wird und somit sicherlich Abhilfe in Sicht ist.

Für den Atari-Markt bedeutet oben gesagtes, dass Notationssoftware im unteren Preisbereich auf dem Atari und vielleicht auch bald Milan immer noch konkurrenzfähig ist - der große Vorsprung seinerzeit und die Sicherheit der MIDI-Schnittstellen machen es möglich. Zu hoffen bleibt, dass sich SPP nicht immer mehr zum Windows-Programm entwickelt und die modernen Atari-Standards weiterhin aus wirtschaftlichen Gründen außen vor bleiben müssen. Dann wäre MusicEdit verstärkt gefragt, an Bedienkomfort aufzuholen und die Lücke zu stopfen - Hoffnung bleibt also allemal.

P.S.:
Von SPP erscheint dieser Tage die Version 3.2., von der im wesentlichen die Windows-Gemeinde profitieren wird (Systemschriften einbinden etc.), die dem Atari-User aber immerhin die eine oder andere funktionelle Verbesserung bietet (etwa leichteres Setzen von Legatobögen), und die im Update von der Version 3.1a nur 20 DM kosten wird. Mit Glück können wir zu Weihnachten mit der nächsten großen Version 4.0 rechnen..Tabelle 1: Übersicht der wichtigsten Features und Funktionen

Funktionsübersicht Score Perfect / MusicEdit

MusicEdit und Score Perfect

Nur Music Edit

Nur Score Perfect


Henrik Klüver
Aus: ST-Computer 09 / 1998, Seite 22

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