Centurbo II - Mit dem Falcon auf die Überholspur

Für die passionierten Atari-Anwender gibt es derzeit zwei wesentliche Hoffnungsträger, die den Eindruck vermitteln, den Atari-Markt in der Form, wie wir alle ihn kennen, gewissermaßen retten zu könnten.

Zum einen ist es die Milan-Computersystems, die seit einigen Wochen erfolgreich das inoffizielle Atari-Nachfolgesystem am Markt plaziert hat, zum anderen ist es die Firma Centek aus Frankreich, die sowohl die Produktion eines Nachfolgesystems als auch die Entwicklung einer Beschleunigerkarte für den Falcon in Angriff genommen hat. Über letztere möchten wir Sie in dieser Ausgabe informieren.

Schon kurz nach dem Erscheinen des Falcon sprießen die Falcon-Beschleuniger nur so aus der Erde. Der Falcon war ein typischer Atari-Rechner, der den Bastlern unter den Atari-Usem ausreichend freien Raum für kreative Bastelarbeiten bot. Doch prinzipiell glichen sich die Beschleuniger darin, wie sie dem Falcon zu höheren Leistungen verhelfen sollten:

Die im Falcon integrierte Hardware wurde mit Hilfe einer Handvoll kleiner Bauelemente höher getaktet. Die wesentlichen Unterschiede der einzelnen Lösungen bestand und besteht im großen und ganzen in der Treibersoftware, die unterschiedlich komfortabel ausfällt. Einige Hardwarehersteller haben sich dadurch abzusetzen vermocht, daß in die neue Hardware auch eine Grafikerweiterung integriert wurde.

Doch wer das Falcon-System kennt, weiß, daß aus dem aktuellen System allenfalls eine Steigerung um 40% möglich ist, wobei diese auch eine gewisse Systeminstabilität bewirkt.

Schon die Firma GE-Soft setzte 1994 korrekt an, als sie ein Daughterboard entwickelte, das eine eigene 68030-CPU sowie ein eigenes Ram-Interface beinhaltete. Das Produkt konnte sich jedoch nie so richtig durchsetzen.

Centview ist ein Grafikbetrachter inkl. einer integrierten Slide-Show, der zum Centurbo-Paket gehört.

1996 erschien nach einer schier unendlich erscheinenden Wartezeit endlich der Afterburner 040, der ein ähnliches Prinzip verfolgt, jedoch mit einem 68040-Prozessor ausgestattet ist und aus diesem Grunde eine erhebliche Geschwindigkeitssteigerung gegenüber der Mighty-Mic-Karte der Firma GE-Soft erreichen konnte. Leider war das Produkt mit weit über 1000 DM für viele Falcon-Anwender zu teuer, zumal der Einsatz einer neuen CPU-Familie wiederum bewirkte, daß die Kompatibilität des Falcon im 040-Modus deutlich litt.

Eine brandneue Lösung aus Frankreich ist nun angetreten, um das Beste aus beiden Welten in sich zu vereinen und den Beschleuniger der Superlative herzustellen.

Die Geschichte der Centurbo II-Karte

Die Firma Centek, die von Rudolphe Czuba ins Leben gerufen wurde, setzt sich aus einem jungen Team von Hard- und Softwareentwicklern zusammen, das sich vor gut zweieinhalb Jahren das Ziel gesteckt hatte, einen neuen TOS-kompatiblen Rechner à la Hades zu entwickeln, wobei großen Wert darauf gelegt werden sollte, daß das neue System als Falcon-Nachfolger zu verstehen ist.

Um dieses Ziel zu erreichen, wurden über Monate hinweg verschiedene Konzepte entwickelt. Dazu zählte u.a. auch ein einfacher Speeder, die Centurbo I-Karte, wie sie bereits seit Jahren von anderen Herstellern angeboten wurde.

Schnell war zu erkennen, daß Centek sich auch im Softwarebereich enorm bemühen würde. Verschiedene eigene Programme zur Entwicklung der neuen Hardware wurden entwickelt. So z.B. Centinel, ein eigener Multiprozessor-tauglicher Debugger für moderne TOS-Systeme.

Centvidel ist die Steuerungssoftware für die integrierte Grafikerweiterung.

Kernstück der Neuentwicklungen ist seit Beginn Dolmen. Um Dolmen hat es bislang viele Gerüchte, nicht zuletzt auch von Centek selbst gestreut, gegeben. Sowohl der Fachpresse als auch dem interessierten Anwender war nicht immer klar ersichtlich, ob es sich bei den bekanntgegebenen Features von Dolmen um Wunschträume der Entwickler oder um die reine Realität handelte. Wenn es nach den ersten Ankündigungen von Centek gegangen wäre, dann hätten wir alle schon seit gut 18 Monaten die Centurbo II und seit einem knappen Jahr den Phenix in unseren Händen. Doch dies ist dem Team nicht übelzunehmen, denn auch der Milan hätte z.B. schon im Januar auf den Markt kommen sollen und hat es tatsächlich erst zum Sommer geschafft. Nachdem auf der TOS4YOU in Schaafheim erstmals ein serienreifer Prototyp der Centrubo II-Karte dem interessierten

Fachpublikum vorgestellt werden konnte, ist die Centurbo II-Karte nun seit Ende August 1998 lieferbar. Wir haben uns ein Test-Exemplar in unseren Redaktions-Falcon einbauen lassen, um das Produkt ausführlich unter die Lupe nehmen zu können.

Blockdiagramm zur Funktionsweise und Einbindung der Centurbo II-Karte in das Falcon-System.

Der Lösungsweg

Ähnlich wie bei der Mighty-Mic-Karte von GE-Soft hat Centek bei der Centurbo II-Erweiterung entschieden, zur Beschleunigung des Falcon nicht nur einfach die vorhandene Hardware höher zu takten, sondern erhebliche Systemkomponenten gänzlich auszutauschen. Hierzu gehören im wesentlichen das Herzstück eines jeden Computers, die CPU, aber auch das Ram-Interface und einiges mehr.

Der Kunde erhält also ein Daughter-Board, auf dem sich eine MC68030 CPU von Motorola befindet, die permanent mit 50 MHz getaktet wird. Allein das entspricht der 3.5fachen Taktung gegenüber dem Standard-Falcon. Eine fast ebenso wichtige Komponente ist der Simm-Sockel für EDO-Rams (16 oder 32 MB), der einen bis zu 7mal schnelleren Ram-Zugriff erlaubt als der ursprüngliche Falcon-Ram-Speicher. Und genau in diesem Zusammenspiel zwischen Ram-Speicher und CPU liegt das ganz große Geheimnis dieser Beschleunigerkarte. Denn der größte Teil dessen, was sich in einem Computer-System abspielt, findet zwischen dem Hauptprozessor und dem Speicher statt. Ist der Zugriff auf den Speicher zu langsam, kann das Herzstück noch so schnell arbeiten, die Daten werden wie in einem Flaschenhals steckenbleiben und nur in dem Maße durchdringen, wie es dieser enge Datenweg ermöglicht. Der 6.2.22 Burst-Modus der Motorola 68030-CPU ermöglicht einen Datenfluß von bis zu 32/MB in der Sekunde, ein Vielfaches dessen, was der Falcon üblicherweise erreicht.

Und was befindet sich außerdem auf der Zusatzplatine, die im übrigen in den internen Expansions-Slot des Falcon gesteckt wird? Da wären z.B. der Coprozessor-Sockel für den 68882/33-Prozessor, der auf der Centurbo II-Karte ebenfalls mit 50 MHz getaktet wird, wenn er denn eingesteckt ist. Ein On-Board 64KB-EPROM beinhaltet das Setup des NVRAM und die Bootdaten für das mitgelieferte Dolmen. Dank eines kleinen Hardware-Switches ist der User jederzeit in der Lage, den Falcon auf die ursprüngliche Art und Weise anzusprechen, so daß eine volle Kompatibilität auf jeden Fall gewährleistet ist. Ferner steuert die Hardware den internen Falcon-DSP mit ebenfalls 50 MHz an.

Das Hauptmenü der Centurbo-Setup-Software: Hier kann man einstellen, welchen Teilbereich der Hardwareeinstellungen man bearbeiten möchte.
Über dieses Menü kann der Anwender eingeben, mit welchem System die Centurbo Il-Karte hochfahren soll.

Der Einsatz der Karte

Unumgänglich ist, daß man ein wenig Lötarbeit leisten muß, um die Karte im Falcon zum Laufen zu bekommen. Wie bereits angedeutet, wird die Karte zunächst einfach in den internen Erweiterungs-Bus des Falcon eingesteckt. An der Karte befindet sich ein farbiges Flachbandkabel mit 14 Adern, die der Anleitung gemäß an verschiedenen Punkten innerhalb des Falcon angelötet werden müssen. Diesen Vorgang haben wir vom Hersteller selbst durchführen lassen, doch allem Anschein nach dürfte jeder, der ein wenig Löterfahrungen hat, vergleichsweise problemlos mit der Installation der Hardware klarkommen. Direkt nach dem Einbau der Karte fällt auf, daß das Design insoweit sehr gelungen ist, als der Falcon nach wie vor in sein kleines und knapp bemessenes Gehäuse paßt.

Im Lieferumfang der Centurbo II-Karte sind CENTscreen 3, eine Bildschirmerweiterungssoftware, CENTvidel 3 und CENTview 2.64. CENTscreen ist z.B. ein Energystart-kompatibler Bildschirmtreiber zum Erzielen höherer Auflösungen (z.B. 896 x 672, max. 256 Farben bei 66 Hz, 1024 x 768, max 256 Farben bei 99 Hz interlace und 640 x 480, TrueColor bei 66 Hz).

Die Karte ist direkt beim nächsten Start des Falcon einsatzbereit und kann in verschiedenen Modi gebootet werden:

  1. Standard-Modus
  2. Turbo-Modus unter TOS 4.0x
  3. Turbo-Modus unter TOS 7.0x
  4. Turbo-Modus unter Dolmen

Stellen Sie sich die verschiedenen Modi bitte folgendermaßen vor:

Standard-Modus

In diesem Modus ist die Centurbo II-Karte komplett deaktiviert, der Falcon läuft in der standardmäßigen Ausführung und ist aus diesem Grund auch 100% kompatibel.

Turbo-Modus unter TOS 4.0x

In diesem Modus ist der Falcon zwar durch die Karte beschleunigt, doch kann er z.B. nicht auf das zusätzliche Fast-Ram zugreifen, da das Falcon-TOS 4 ursprünglich nicht dafür ausgelegt war, mehr als 14 MB zu verwalten.

Turbo-Modus unter TOS 7.0x

Die Angabe, daß hier ein TOS 7.0x vorläge ist sehr gewagt und irreführend für den Kunden, der tatsächlich davon ausgeht, ein modernes und komplett überarbeitetes TOS zu besitzen. Dem ist nicht so.

Bei dem als TOX 7.0x bezeichneten TOS handelt es sich um die Standard-Falcon-Variante, die mehrfach gepatched wurde, um mit den neuen Erweiterungen - wie z.B. dem zusätzlichen Ram-Speicher -klarzukommen.

Turbo-Modus unter Dolmen

Der nebenstehenden Spalte können Sie entnehmen, welche Features sowie Vor-und Nachteile das neue Dolmen-Betriebsssystem für alle Falcons und deren Nachfolgesysteme hat. Auf jeden Fall ist deutlich zu sehen, daß in diesem Modus das Betriebssystem und die neue Hardware perfekt aufeinander abgestimmt sind. Weitere Informationen zu Dolmen entnehmen Sie bitte der Infobox 2.

Die Praxis

Geschwindigkeitsmessung der Datenschreibgeschwindigkeit des RAM.
Geschwindigkeitsmessung der Datenlesegeschwindigkeit des RAM.
Mathematische Geschwindigkeitsmessung mit Hilfe der Mandel-Berechnungsalgorythmen.

Man kann es guten Gewissens vorwegnehmen: Die Centurbo II-Karte ist ein absolut gut gelungenes Projekt, denn der Betrieb der Karte ist mehr als rentabel. In der Regel haben wir die Karte im Turbo-Modus unter dem sogenannten TOS 7.0x laufenlassen, um auf diesem Wege einerseits über den erhöhten Ram-Speicher zu verfügen und andererseits aber auch den vollen Nutzen aus der Beschleunigung ziehen zu können. Der Geschwindigkeitszuwachs ist Klasse! Im Durchschnitt erreicht man bei den alltäglichen Operationen einen Zuwachs um 200% - 300%, was sich sowohl mit dem Arbeiten unter mit Calamus als auch beim Berechnen von Aufnahmen mit Cubase Audio durchaus sehr positiv bemerkbar macht. Und damit ist das Stichwort auch schon gefallen: Die Kompatibilität der Karte ist in Anbetracht dessen, daß wesentliche Teile des Falcon ersetzt bzw. übertaktet werden, sehr zufriedenstellend. Nahezu alles uns Bekannte, ganz gleich, ob Musiksoftware oder Grafikprogramm, verrichtet seinen Dienst problemlos.

Und wenn es doch zu Schwierigkeiten kommen sollte, kann Centek häufig mit einem Softwarepatch aufwarten (z.B. bei Cubase Audio), um die Funktionstüchtigkeit zu gewährleisten.

Wie sich der Geschwindigkeitszuwachs im Einzelnen auswirkt, können sie unseren Diagrammen entnehmen, die uns freundlicherweise von Centek zur Verfügung gestellt und unsererseits nochmals nachvollzogen wurden.

Fazit

Auf jeden Fall ist die Centurbo II-Karte für all diejenigen Anwender empfehlenswert, die auf ihren Falcon nicht verzichten, diesem aber Beine machen wollen. Die Kompatibilität ist mehr als zufriedenstellend. und wenn etwas doch mal nicht läuft, dann fährt man den Falcon auf seine ursprüngliche Konfiguration zurück.

Trotz der enormen Beschleunigung ist aber nicht zu leugnen, daß die Grafikausgabe nach wie vor zu wünschen übrig läßt. Das liegt primär daran, daß sie beim Falcon nicht über eine separat arbeitende Grafikkarte, sondern über die CPU gesteuert wird. Der erhöhte Datendurchsatz zwischen CPU und Ram-Speicher macht sich sehr positiv bemerkbar, es erscheint aber unzeitgemäß, daß ein Rechner deutlich langsamer auf dem Bildschirm darstellen kann, wenn die Farbtiefe oder die Auflösung erhöht werden. Ein Manko, an dem Centek aber beim besten Willen nichts verändern kann.

Ein wenig unglücklich erscheint auch die Dolmen-Politik, denn das neue, sagenumwobene Betriebssystem ist alles andere als fertiggestellt. Derzeit wird mit der Centurbo-II-Karte ein modifiziertes, als Dolmen bezeichnetes TOS ausgeliefert, das über ein eigenes VDI (Grafikausgabe) verfügt, das komplett in Assembler geschrieben wurde. Es funktioniert ähnlich wie NVDI von "Behne und Behne" und erzielt durchaus vergleichbare Werte. Allerdings ist es alles andere als ein neues Multitasking-Betriebssystem, und bis dieses tatsächlich fertiggestellt ist, kann noch eine ganze Weile verstreichen. Bedenkt man, daß Dolmen weder True-Type-Fonts noch Druckertreiber zur Verfügung stellt, dann ist NVDI nach wie vor die bessere Wahl.

Wer sich also für eine Centurbo-II-Karte entscheidet, sollte es nicht mit Hinblick auf das vermeintlich neue Betriebssystem, sondern der Geschwindigkeitssteigerung wegen tun.

Ein spezieller deutscher Vertrieb für das Produkt ist noch nicht erkoren worden, allerdings hat die Firma Seidel als erster Vertreter den Kontakt aufgenommen, so daß das Produkt seit Mitte Oktober direkt in Deutschland bezogen werden kann.

Preis:
Karte zum Selbsteinbau: 749,- DM
Einbaukosten: a.A.

**Bezugsquelle:
Centek France (http://www.centek.fr)

Dolmen-Features

Als Dolmen bezeichnet die Firma Centek ein neues Betriebssystem, das für den Phenix entwickelt wurde, nun aber auch auf den Falcon portiert werden soll, um das originale Atari-TOS komplett zu ersetzen. Dabei soll es vollkommen softwarekompatibel sein. Der Vorteil von Dolmen wird darin liegen, daß es speziell auf die neue Hardware zugeschnitten und größtenteils in Assembler programmiert wird, um so eine atemberaubende Geschwindigkeit zu ermöglichen.

Folgende Features werden seitens Centek angegeben:

Nachdem schon vor rund eineinhalb Jahren viele Dolmen-Features bekanntgegeben wurden, bis dato aber nur ein neues, TOS-ersetzen-des VDI für eine beschleunigte Bildschirmausgabe vorgestellt werden konnte, ist die Maßnahmenliste, wie wir sie hier abgedruckt haben, durchaus mit Vorsicht zu genießen, da momentan nicht abzusehen ist, wann Dolmen wirklich verfügbar ist.



Aus: ST-Computer 11 / 1998, Seite 10

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