Thomas Raukamp unterhielt sich mit Thomas Steiding, Geschäftsführer der deutschen Niederlassung von Epic Marketing.
st-computer: Thomas, Epic Marketing ist in Amiga-Kreisen natürlich vielen Anwendern ein Begriff, aber in der Atari-Welt ist dieser Name weitestgehend unbekannt. Stell Dich und Deine Firma unseren Lesern erst einmal vor.
Thomas Steiding: Meinen Namen kennt Ihr ja jetzt. Ich bin 33 jahre alt, habe in Tübingen Geschichte und Englisch studiert, mich dann aber für einen Job in der Computerbranche entschieden, da ich bei zu vielen Freunden miterleben durfte, wie sie das Lehrerdasein aufgebraucht hat. Aus diesem Grund habe ich 1996 die deutsche Niederlassung von Epic Marketing aufgemacht.
stc: Wie lange gibt es Epic Marketing schon?
Steiding: Epic Marketing ist in England bereits seit 1992 aktiv und bedient dort den Amiga- aber auch den Windows-Markt mit Software. Der Durchbruch für Epic kam mit der Epic interactive Encyclopedia, die 1996 in Englisch, erschien und im selben Jahr von mir und einigen Freunden in die deutsche Sprache übersetzt wurde.
stc: Epic ist auch in Großbritannien beheimatet. Wie ist die Aufgabenteilung zwischen der deutschen und der britischen Niederlassung?
Steiding: Eine klare Aufgabenverteilung kann man in einem so kleinem Markt nicht abstecken. Aber es hat sich herauskristallisiert, daß ich mich vor allem um die Spieleentwicklung, den Support für die Programmierer und die Koordination kümmere, während man sich in England vor allem auf die Produktion von Compilation-CDs stürzt. Hochwertige Beispiele sind hier z.B. Best of Gremlin oder die Amiga ClassiX.
stc: Für welche Plattformen außer den Amiga entwickelt Ihr noch?
Steiding: Hier in Deutschland waren wir bis Ende 1999 ein reines Amiga-Unter-nehmen, da ich mit dem Windows-Softwaremarkt nichts zu tun haben möchte. Da der Amiga-Markt durch das ständige Umwerfen von Plänen und dem Sterben von Produktankündigungen aber immer mehr zu zerfallen drohte, haben wir uns in Absprache mit unseren Programmierern entschlossen, auch andere Plattformen zu unterstützen. Das bedeutet, das neben Amiga- auch Mac-, BeOS , Linux- und natürlich auch Atari-Besitzer mit Spielen von uns rechnen dürfen.
stc: Was sind die bekanntesten Spiele, die Ihr bisher für den Amiga veröffentlicht habt?
Steiding: Es ist schwierig, da eines herauszustellen. Den meisten Spaß hatten wir wohl mit CineTech, die für uns Sixth Sense Investigations entwickelt haben, ein Adventure im Lucas-Arts-Stil. Die erfolgreichsten Spiele des letzten jahres waren die Formel-Eins-Simulation Virtual GP und das Echtzeit-Strategical Foundation: The Director's Cut.
stc: Agiert Epic dabei als reiner Distributor oder lasst Ihr auch selbst entwickeln?
Steiding: Wir sind der Publisher, wir kümmern uns also vor allem um Marketing, Produktion und - soweit es geht - um den Support der Produkte. Aber wir haben zu unseren Programmierteams zumeist einen sehr freundschaftlichen Kontakt, so dass wir viele Projekte auch gemeinsam durchsprechen und unsere Ideen und Markterfahrung mit einfließen lassen.
stc: Mitte der 80er und 90er Jahre schienen der Atari- und der Amiga-Markt ungefähr gleich groß zu sein. Wie erscheinen Dir die Märkte heutzutage? Würdest Du überhaupt noch von Märkten sprechen, oder wäre der Begriff „Szene" treffender?
Steiding: In beiden Fällen würden ich von sehr, sehr kleinen Märkten sprechen. Auf beiden gibt es noch einige kommerzielle Händler, Soft- und Hardware-Entwickler sowie kommerzielle Magazine. Mit dem Begriff „Szene" würde ich eher die C64-Anwenderschaft bezeichnen, wo all das nicht mehr gegeben ist. Die Atari- und Amiga-Märkte haben zudem das Potential, wieder zu wachsen. Wie groß der Atari-Markt im Vergleich zum Amiga-Markt ist können wir derzeit noch nicht abschätzen. Frag mal in einem Jahr nach.
stc: Obwohl Atari eine ähnlich weite Verbreitung seiner Produkte erreichen konnte, wurde der Amiga immer etwas besser mit Spielen versorgt. Was ist Deiner Ansicht nach der Grund dafür?
Steiding: Ich denke, das liegt vor allem am Image der beiden ehemaligen Technologie-Eigner. Commodore war durch den C64 vorbelastet und so wurde der Amiga sofort ins Lager „Spielecomputer“ eingeordnet - was sicher nicht nur sein Schaden war, schließlich entstand dadurch Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre ein sehr großer Markt. Atari versuchte hingegen seinen ST immer als billige Alternative zum Mac zu etablieren, was vor allem hier in Germany wohl auch geklappt hat. Auf diesen Systemen sah man das Spielen auf dem Computer schon als ehrenrührig oder als krankhaft an. Nun ja, auch der Mac-Markt ist erst durch die Einführung des iMac als Spieleplattform für große Firmen interessant geworden.
stc: Beide Systeme könnten in diesem Jahr ihre Wiedergeburt feiern: Der neue Milan soll den Atari wieder in deutsche Kaufhäuser bringen und Amiga will eine komplett neue Maschine veröffentlichen, die auf dem Betriebssystem Elate basiert. Was für Chancen haben alternative Systeme in einem von Windows beherrschten Markt heute?
Steiding: Ich glaube, dass die Chancen, sich auf dem Markt zu etablieren, für alternative Computersysteme nie größer waren als im Jahr 2000. Führende Meinungsforschungsinstitute wollen herausgefunden haben, daß 56% der Windows-Nutzer in diesem Jahr das Betriebssystem ihres Rechners wechseln wollen. Für viele wird dies erstmal Linux bedeuten. Aber ich denke, wenn die Alternativen sichtbar werden (Amiga, Atari, Mac), dann werden sich viele auch von ihrer alten Hardware verabschieden. Wichtig wird ein auffallendes Design (das hat Apple vorgemacht) und ein leicht zu bedienendes Gesamtsystem sein - hier liegen die traditionellen Stärken von Amiga und Atari. Als alter Amiga-User räume ich persönlich Bill McEwens Amiga die größten Chancen ein, dem Windows-Markt Marktanteile abzugraben. Insgesamt denke ich, dass der Computermarkt in 2 bis 3 Jahren weit weniger monopolistisch sein wird, als er es die vergangenen 7 Jahre leider war.
stc: Was ist Deiner Ansicht nach überhaupt der Grund dafür, dass noch relativ viele Anwender diesen Systemen treu geblieben sind, obwohl das Angebot an modernerer und auch günstigerer Hardware groß ist?
Steiding: Nun, ich denke, dass bei diesen Nischenmärkten ein gewisses „religiöses Element" mitspielt. Auf dem Amiga wurden die User über 7 lange Jahre durch immer neue Produktankündigungen der wechselnden Besitzer bei der Stange gehalten. Dadurch entstand die Hoffnung, dass alles besser werden würde. Rational gesehen muß man aber auch sagen, dass viele Amiga- und Atari-User auch auf PC-Systemen Erfahrungen sammeln konnten - sei es privat, an der Uni oder im Beruf. Vielfach haben sie diese Erfahrungen aber nicht überzeugt, sondern ihnen vielmehr aufgezeigt, was sie an ihrem „alten" System haben.
stc: Spielehäuser scheinen mir doch sehr an großen Märkten interessiert zu sein -zum Einen will man die heute immensen Entwicklungskosten wieder einspielen, zum anderen besteht nur in Riesenmärkten die Chance, die durch Raubkopien entstehenden Verluste zu kompensieren. Bestehen Deiner Ansicht nach trotzdem Chancen, dass sich noch mehr Spielehäuser für den Atari und den Amiga interessieren?
Steiding: Ich glaube, dass es sich kurz nach Produkteinführung für viele größere Firmen noch nicht lohnt, für ein neues System zu entwickeln. Aber ich denke, dass die Chancen groß sind, von größeren Firmen Lizenzen zu erhalten, um deren Produkte auf diese Systeme zu konvertieren. Erst wenn der Markt groß genug ist, werden Häuser wie Microprose oder Electronic Arts sich für diesen Markt zu interessieren beginnen.
stc: Wie groß ist überhaupt das Problem der Raubkopien in unseren kleinen Märkten? Besteht es überhaupt, oder sind die Anwender so systemverbunden, dass sie ihrer Plattform nicht damit schaden möchten?
Steiding: Leider ist das Raubkopierer-Problem zumindest auf dem Amiga eher größer als kleiner geworden. Als man Anfang der 90er Jahre Titel in Stückzahlen von 20.000 Einheiten absetzen konnte, haben einer Firma die Raubkopien nichts ausgemacht. Heute - in einem Markt, in dem man über 1000 verkaufte Einheiten froh sein muss - ist jede Raubkopie eine zuviel. Meines Erachtens sind sie der Grund, dass mehr und mehr talentierte Programmierer diesen Märkten den Rücken zukehren - denn wenn man 2 bis 3 Jahre intensiv an einem Projekt gearbeitet hat und dann gerade mal 800 Einheiten verkauft werden, man gleichzeitig aber sieht, dass von Raubkopierer-Webseiten das Spiel einige tausend Mal runtergeladen wurde, ist der Frust riesengroß. Das ist sehr schade, denn so verlieren diese Märkte nach und nach ihre talentiertesten Programmiertruppen und das Aussterben der Plattform wird weiter beschleunigt.
»Insgesamt denke ich, dass der Computermarkt in 2 bis 3 Jahren weit weniger monopolistisch sein wird, als er es die vergangenen 7 Jahre leider war.«
stc: Der Atari-Markt ist von den Spieleherstellern in den letzten Jahren mehr als stiefmütterlich behandelt worden. In dieser entscheidenden Zeit wendet sich Epic diesem Markt zu. Was sind Deine Motivationen dafür?
Steiding: Ich denke, dass ein neuer und wachsender Markt für ein kleines Unternehmen immer eine gute Chance bietet. Außerdem ist unsere Heimat der Enthusiastenmarkt, und ich denke, aus diesem Grund werden wir uns auch auf dem Atari-/Milan-Markt heimisch fühlen. Durch die relative Verwandtschaft zwischen Atari und Amiga sollte es auch nicht allzu schwer sein, Spiele für das jeweilig andere System umzusetzen.
stc: Wie kam es zum Kontakt mit Milan Computersysteme?
Steiding: Daran ist vor allem der neue Chefredakteur einer Atari-Zeitschrift verantwortlich, der mich zur Atari-Messe nach Hannover einlud. Wie war noch gleich dessen Name...?
stc: Da kann ich Dir auch nicht helfen... Wie ist Dein Eindruck von den Zielen von Milan und Axro? Was hälst Du von der neuen Maschine?
Steiding: Wie angedeutet, hatten wir unseren Erstkontakt im November auf der Hannover-Messe. Wir waren vom professionellem Auftritt beider Firmen überrascht. Wir glauben, dass sich durch die Verbindung des Marketing- und Distributionspotentials der Firma Axro mit der Innovationsfreudigkeit der Firma Milan ein ideales Gespann gefunden hat. Als wichtig erachte ich es allerdings, dass beim Marketing der Fokus auf andere Elemente als MHz und Speicherausbau gelegt wird. Ferner wäre ein attraktiveres Äußeres nicht unwichtig, um im Kampf um Marktanteile ein Wörtchen mitzureden.
stc: Welche Titel wiH Epic konkret umsetzen?
Steiding: Bislang haben wir drei Titel fest im Auge: Zum einen die Fortsetzung unseres Echtzeitstrategicals Foundation. Desweiteren den Adventuresoft-Klassiker Simon The Sorcerer II und außerdem noch das 3D-Jump-and-Run Tales From Heaven, das gerade für den Amiga erschienen ist.
stc: Wieviele Exemplare müsste Epic im Atari-Markt absetzen, damit sich weitere Umsetzungen lohnen?
Steiding: Da wir den Atari-Markt noch gar nicht kennen, gehen wir ohne größere Erwartungen da ran. Allerdings würden uns Verkaufszahlen in der Region des gegenwärtigen Amiga-Marktes sicher überzeugen, auch weitere Spiele für diesen Markt zu entwickeln.
stc: Gibt es schon einen Zeitrahmen für die Projekte?
Steiding: Das erste Produkt wird sicherlich Simon II sein, da hier der Code in einfachem C vorliegt und wir hoffentlich einen Atari-Programmierer gefunden haben, der uns das Spiel umsetzt. Wir rechnen mit einer Veröffentlichung im Mai dieses Jahres. Bei den anderen Projekten hängt es davon ab, wie schnell sich unsere Programmierer mit der neuen Hardware auskennen.
stc: Foundation ist ein Siedler-Clone, von dem es scheinbar mehrere Teile oder Versionen gibt. Beschreibe uns das Spiel bitte kurz.
Steiding: Der erste Teil erschien bereits 1998, der Director's Cut erschien letztes Jahr. Das Spielprinzip ist an Blue Byte's Siedler angelehnt, der Spieler muss also eine wachsende und funktionierende Infrastruktur eines Dorfes aufbauen. Dazu stehen ihm verschiedene Gebäudetypen (Bauernhof, Försterhütte, Wachturm, Hospital etc.) und viele Männchen mit unterschiedlichen Berufen (Wissenschaftler, Fischer, Bauern usw.) zur Verfügung. Er kann das Spiel im Missionsmodus oder im freien Modus spielen. Im freien Modus muss er sich gegen bis zu 3 computergesteuerte Gegner durchsetzen. Die Fortsetzung Foundation's Edge soll in diesem Jahr für Amiga, Atari, Mac und BeOS erscheinen und wird viele Verbesserungen enthalten.
stc: Was für Voraussetzungen werden an die Hardware gestellt?
Steiding: Foundation sollte auf jedem 040-Rechner mit 8 Mbyte Speicher und Grafikkarte laufen.
stc: Der zweite Titel ist Simon II. Würdest Du uns auch dieses Spiel bitte in ein paar Worten beschreiben?
Steiding: Nun, Simon the Sorcerer war das erste Adventure, dass die Klassiker aus dem Hause Lucas Arts an Witz und Grafik übertraf. Der Nachfolger erschien dann leider nur noch für Windoze-Rechner, bis wir die Lizenz für Amiga und Atari erwarben. Es geht um einen kleinen Jungen, der sich für einen Zauberer hält. Durch mysteriöse Umstände wird er in ein Fabelland entführt und muss sich dem bösen Zauberer Sordid stellen. Dabei begegnet er absolut ausgeflippten Gestalten, die für einige Zwergfellerschütterungen sorgen werden.
Epic Marketing sucht einen C-Programmierer, der sich sowohl auf dem Falcon als auch auf dem Milan auskennt, um die erwähnten Portierungen so schnell wie möglich zu realisieren. Bitte senden Sie Ihre Bewerbung an die eMail info@epic-marketing.de.
stc: Da es sich bei Simon in erster Linie um konventionelle Pixelgrafiken handelt, sollten die Hardwarevoraussetzungen nicht allzu hoch sein. Denkst Du darüber nach, Simon II auch an Ataris damalige Wundermaschine Falcon030 anzupassen? Der Markt scheint immer noch größer zu sein als der Milan-Markt...
Steiding: Das ist im Moment unser Plan. Die Voraussetzung ist, einen C-Programmierer zu finden, der sich auf dem Falcon ebenso gut auskennt wie auf dem Milan.
stc: Ist auch eine Umsetzung von Simon III angedacht?
Steiding: Darüber werden wir zu gegebener Zeit nachdenken.
stc: Bei Simon handelt es sich um eine Umsetzung vom PC. Wie schwer sind die in diesem Markt etablierten Firmen zu überzeugen, ihre Lizenzen für Portierungen auf alternative Computersysteme herzugeben?
Steiding: Das ist sehr sehr unterschiedlich. Mit Mike Wodroffe von Adventuresoft kam ich sofort ins Gespräch, und der Vertragsabschluß war dann nur eine Frage von Tagen. Bei anderen Firmen, vor allem deutschen Softwarehäusern, beißt man sich leider manchmal die Zähne aus oder wird komplett ignoriert - nicht ganz verständlich, denn eigentlich müsste man von einem wirtschaftlich denkenden Unternehmen ein anderes Verhalten erwarten.
stc: Wie kam es zum Kontakt mit den Entwicklern von Simon?
Steiding: Vor zwei Jahren hat Epic UK die Restbestände von Simon The Sorcerer I aufgekauft, wodurch ein erster Kontakt hergestellt wurde.
stc: Plant Epic für die Zukunft weitere Umsetzungen aus dem PC-Markt, oder liegt Euer Fokus weiterhin in erster Linie auf Eigenentwicklungen?
Steiding: Wir werden auf beiden Schienen weiterfahren: Zum einen die Eigenentwicklungen, zum anderen werden wir noch weitere Spiele vom PC portieren. Wieviele das werden, hängt natürlich maßgeblich vom Erfolg ab.
stc: Zum Schluss eine private Frage: Was machst Du, wenn Du mal gerade nicht an Amiga und Atari denkst?
Thomas Steiding: Ich treibe viel Sport, habe eine Freundin und bin in meiner Gemeinde stark aktiv. Es gibt also ein Leben jenseits des Monitors.
st-computer: Thomas, vielen Dank für das Gespräch.
Epic Marketing, Hirschauer Straße 9, D-72070 Tübingen, www.epicmarketing.de