ASH: Im Gespräch mit Oliver Buchmann

Was ist zu erwarten aus Heidelberg?

Kaum ein anderes Softwarehaus hat in den letzten Jahren der Atari-Plattform so zuverlässig die Treue gehalten wie Application Systems Heidelberg. Neben zahlreichen modernen Softwareprodukten gilt besonders das Multitasking-Betriebssystem MagiC als Aushängeschild für heutiges Atari-Computing.

Thomas Raukamp unterhielt sich mit Oliver Buchmann von ASH über Pläne und Ziele der Softwareschmiede.

st-computer: Herr Buchmann, Application Systems Heidelberg ist mit Sicherheit eines der traditionsreichsten Unternehmen auf dem Atari-Markt. Wie lange entwickelt ASH nun schon für den Atari?

Buchmann: Seit 1985.

stc: Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Produkte von ASH für den Atari-Markt?

Buchmann: Im Grunde genommen waren für uns alle Produkte wichtig. Zu den herausragenden gehören Megamax C/ Laser C, weil es unser erstes Produkt war, sowie Signum und STAD, weil sie die erfolgreichsten Produkte waren. MagiC hat später erst eine Rolle gespielt und hat sich inzwischen deswegen zum wichtigsten Produkt gemausert, weil die Atari-Plattform nur durch MagiC und seine Portierung auf den Mac und den PC überhaupt so lange überlebt hat.

stc: Lassen Sie die letzten 15 Jahre im Atari-Markt Revue passieren: In welche Phasen würden Sie den Atari-Markt einteilen?

Buchmann: Zuerst einmal waren da die wilden Anfangsjahre von 1985 bis 1987, in denen alles möglich war. Der echte Höhepunkt war zwischen 1988 und 1991, darauf folgte die Ära der Fehlentscheidungen, die dann bis 1995 zum Untergang von Atari geführt haben.

stc: Wie wichtig war MagiC für den Atari?

Buchmann: Echtes Multitasking in einer vernünftigen Geschwindigkeit und Stabilität, die deutlich besser war als die von Ataris MultiTOS, haben sicher deutlich dazu beigetragen den Atari attraktiver zu machen.

stc: Als MagiC für den Macintosh bzw. für den PC bereitstand, äußerten viele Anwender die Befürchtung, dass damit mittelfristig der Atari-Userschaft der Umstieg auf die großen Plattformen nahegelegt wird. Wie beurteilen Sie dieses Argument im Rückblick? Haben diese Zweifler Recht behalten?

Buchmann: Verkehrte Welt würde ich sagen, denn das Erscheinen von MagiCMac oder MagiC PC hat niemanden dazu gezwungen, auf einen dieser Rechner umzusteigen. Dafür war eher das Unvermögen von Atari, mit den richtigen Produkten und der richtigen Strategie zu überleben, verantwortlich. Ohne MagiC auf anderen Plattformen hätten die Atari-Anwendungen keine Zukunft mehr gehabt.

stc: Welche Version für MagiC hat sich bisher am besten verkauft?

Buchmann: MagiC Atari, weil es diese Version natürlich am längsten gibt.

ASH hat die Atari-Plattform über die Jahre mit einer Reihe hochleistungsfähiger Applikationen versorgt.

Buchmann: Es kommt immer darauf an, was man will: Wenn man einfach nur eine Maschine haben will, die so funktioniert, wie die, die man bisher hat, aber eben schneller ist, dann ist der Milan die richtige Wahl. Wenn man weitere Funktionen wünscht und Leistungen voraussetzt, die der Milan nicht bietet, dann sind der Mac oder der PC mit MagiC die richtige Wahl.

stc: Je leistungsfähiger heutige Hardware wird, umso weniger wichtig sind meiner Ansicht nach Fragen der Taktgeschwindigkeit usw. Der Fokus scheint sich wieder mehr in Richtung Betriebssicherheit und Komfort zu verschieben. Was werden Ihrer Ansicht nach die Punkte sein, die einen zukünftigen Kunden zum Kauf eines Computers animieren werden?

Buchmann: Die meisten Leute schauen nur auf die Taktgeschwindigkeit. Das erklärt auch, warum Apple mal wieder Schwierigkeiten hat den Leuten zu erklären, dass ein High-End-Mac schneller ist als ein High-End-PC. Für die Leute ist es einfacher aus dem MHz-Wert abzuleiten, welcher Computer schneller ist. Die Analogie, dass 300 PS in einem Kleinwagen etwas anderes bewirken als in einem Lkw, leuchtet den Leuten auf Computer bezogen nicht ein, da Computer zu abstrakt sind.

stc: Will sich ASH auf den Vertrieb bzw. die Entwicklung von MagiC für die bestehenden Plattformen beschränken oder soll das Angebot ausgebaut werden? Denken Sie zum Beispiel über ein MagiC Linux nach?

Buchmann: Wir prüfen derzeit die Möglichkeit MagiC unter Linux zum Laufen zu bringen. Es gibt hier diverse technische Probleme, die hauptsächlich mit der Kompatibilität der verwendeten Entwicklungswerkzeuge untereinander zu tun haben - und natürlich mit dem Teil, der bei MagiC PC die Kommunikation mit dem Betriebssystem übernimmt.

stc: Wann dürfen MagiC-Anwender mit einer neuen Version ihres Betriebssystems rechnen?

Buchmann: Momentan gibt es keine konkreten Pläne für den MagiC-Kern, wohl aber für MagiC auf den verschiedenen Plattformen. Außer dem erwähnten Linux-Port von MagiC PC müssen wir nach Wegen suchen, MagiCMac an Mac OS X anzupassen. Unter Mac OS X wird der im Betriebssystem eingebaute 68k-Emulator nicht mehr zu unserer Verfügung stehen, so dass wir einen eigenen Emulator einbinden müssen. Hier kommen drei Emulatoren in Frage: SpeedDoubler von Connectix, MacMAME und natürlich die Apple-eigenen Quellen für den internen 68k-Emulator. Wir haben hier großes Interesse an einer Lösung, und zu allen drei Urheberrechtsinhabern haben wir auch schon Kontakt aufgenommen.

stc: Können Sie uns schon etwas über die geplanten Features eventuell neuer MagiC-Versionen verraten?

Buchmann: Bei den genannten Projekten steht Funktionsfähigkeit im Vordergrund.

stc: Das Hauptmanko an MagiC scheint zur Zeit die fehlende Netzwerk-Unterstützung zu sein. Ist hier Abhilfe geplant?

Buchmann: Unter MagiCMac und MagiC PC ist zumindest, was den Dateizugriff betrifft, eine eingeschränkte Netzwerkfähigkeit vorhanden. Wir arbeiten derzeit nicht direkt an der Umstellung des Dateisystems, da Andreas Kromke - der dafür zuständig wäre - mit der Anpassung von MagiCMac an Mac OS X beschäftigt ist.

stc: Hersteller großer Betriebssysteme scheinen in den letzten Jahren eigentlich immer mehr dazu zu neigen, ihren Systemen Teile hinzuzufügen, die streng genommen eigentlich eher eigene Programme als Bestandteile eines Betriebssystems darstellen. MagiC geht da einen anderen Weg und bietet z.B. im Lieferumfang keinen Internet-Stack und kein aufwendiges Suchprogramm à la Sherlock. Wird diese Philosophie weitergeführt oder denken Sie, dass auch MagiC mittelfristig um solche Teile nicht herumkommen wird?

Buchmann: Die Zusatzprogramme, die es zu diesen Zwecken für MagiC gibt, integrieren sich ziemlich unauffällig in das System. Insofern sehen wir keinen Grund, dies zu ändern.

stc: Wie sehen Sie die gegenwärtige Situation der Entwickler für die Atari-Plattform? Viele wichtige Leute wie z.B. Alexander Clauss scheinen gänzlich zum Mac gewechselt zu haben - sind weitere Abgänge zu befürchten?

Buchmann: Naja, die meisten müssen etwas machen, von dem sie leben können. Das ist allein durch Atari-Projekte schon lange nicht mehr möglich, da die Plattform tendenziell nicht wächst. Wir sind für jede Weiterentwicklung dankbar, können aber in letzter Konsequenz die Entwickler nur zu wirtschaftlich sinnvollen Projekten bringen.

stc: Was könnte Ihrer Ansicht nach den Markt für zukünftige Entwicklungen wieder interessanter machen? Könnte der Milan II hier die Wende bringen?

Buchmann: Wenn der Milan II sich in exorbitanten Stückzahlen verkaufen sollte, werden die Entwickler sicher auch wieder mehr Interesse zeigen. Wie gesagt: Es ist eine wirtschaftliche Entscheidung. Die meisten Entwickler, die etwas für den Atari gemacht haben - und das beschränkt sich jetzt nicht nur auf die, die für uns etwas entwickelt haben - sind wirklich fähige Programmierer. Das wiederum bedeutet, dass sie genügend alternative Angebote haben.

stc: Wie sieht es mit den Programmen aus, die Sie im Vertrieb haben? Vor ca. zwei bis drei Jahren schien ASH nochmals durchstarten zu wollen und versorgte den Atari mit zum Teil erstklassiger Internet-Software. Sind mittelfristig noch Neuerscheinungen für MagiC von ASH zu erwarten?

Buchmann: Auch hier sind die wirtschaftlichen Überlegungen entscheidend.

stc: Gerüchte machen die Runde, dass ASH einen Web-Browser plant, der dem heutigen Stand entspricht. Ist an diesen Gerüchten etwas dran?

Buchmann: Uns ist davon nichts bekannt - außer, dass wir einen Browser haben.

stc: Wie wichtig nehmen Sie in diesem Zusammenhang Ihre Rolle als Software-und Betriebssystem-Lieferant für den Milan II? Auf der einen Seite will natürlich jeder erst einmal abwarten, ob der Milan denn wirklich so ein Erfolg wird, wie man es sich erhofft - auf der anderen Seite ist sein Erfolg zum großen Teil auch von der derzeitigen Softwaresituation abhängig. Und hier ist heutzutage ein moderner Web-Browser ganz wichtig...

Buchmann: Wir werden selbst keine Entwicklungsprojekte in größerem Stil vorfinanzieren. In welcher Art und Weise wir bestehende Lösungen beisteuern können, haben wir schon letztes Jahr mit der Distribution geklärt.

stc: Wie sieht die Situation bei Papillon aus? Vor einiger Zeit übernahm ein neuer Entwickler dessen Weiterentwicklung, leider gab es seitdem nicht allzu viel Neues von diesem Grafik-Klassiker. Ist hier eine neue Version zu erwarten?

Buchmann: Momentan nicht.

stc: Hersteller anderer alternativer Betriebssysteme schauen sich zur Zeit auf Märkten um, die im Wandel sind oder den Wandel vorantreiben: Be entwickelt ein System für Digital Devices, QNX macht sich breit im Settop-Boxen-Markt, Amiga will neue Standards bei den sogenannten Information Appliances setzen. Auch ASH steht mit MagiC ein System bereit, das alle Anforderungen erfüllt, die an ein OS für zukünftige Medien gestellt werden: Es ist schnell, schlank und sicher. Hinzu kommt, dass sehr viele Applikationen bereits bestehen. Hat ASH schon einmal darüber nachgedacht, mit MagiC mehr zu machen, als es "nur" als ein modernes TOS zu vermarkten? Bietet die Zukunft hier nicht andere, viel größere Möglichkeiten und Märkte?

Buchmann: Die Überlegung ist nicht ganz falsch. Wir haben solche Möglichkeiten bereits vor drei Jahren geprüft und mit mehreren Herstellern Verhandlungen aufgenommen. Wir haben jedoch keinen Partner gefunden, der ähnliche Vorstellungen hatte wie wir.

stc: Wie sehen Sie die Zukunft des Atari-Marktes?

Buchmann: Es bleibt abzuwarten wie sich die Markteinführung des Milan II gestaltet. Der Mac und der PC werden der Atari-Plattform kein Wachstum bescheren.

stc: Zum Schluss noch ein paar persönliche Fragen: Wie ist Ihre persönliche Atari-Story, wie sind Sie zum Atari gekommen?

Buchmann: Angefangen hat es bei mir mit einem 800 XL, danach kam ein 1040 ST und so weiter. Momentan arbeite ich auf einem Powerbook G3 und einem iMac DV - einen Atari schalte ich nur noch zu Testzwecken ein.

stc: Was machen Sie, wenn Sie gerade einmal nicht an Computer denken?

Buchmann: Sport treiben und zwischenmenschliche Kontakte pflegen.

Application Systems Heidelberg, Pleikartsförsterhof 4/1, D-69124 Heidelberg, http://www.application-systems.de


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 06 / 2000, Seite 24

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