Stacks & Clients: Die große Verwirrung?

Wie gut ist der Atari wirklich als Internet-Terminal einsatzbar. Unser Status-Report zeigt Stärken und Schwächen und will Entscheidungshilfe leisten.

Atari-Anwender mussten bekanntlich etwas länger als Benutzer z.B. der Mac- und Windows-Plattformen warten, doch seit einigen Jahren steht auch ihnen die Pforte zum Internet weit offen. Mittlerweile ist das Angebot sogar so dicht, dass es manchmal etwas schwierig ist, den Überblick zu behalten angesichts von mehreren Stacks und einer Vielzahl von dazugehörigen Clients. Wir möchten Ihnen daher gern einen Statusreport über die Möglichkeiten, den Atari als Internet-Terminal zu nutzen, geben.

Systeme

Grundsätzlich bringt jeder Atari seit der Einführung der ST-Serie die technische Grundvoraussetzung für den Zugang zum Internet schon mit: die serielle Schnittstelle. Natürlich ist so eine pauschale Aussage immer zu oberflächlich, doch grundsätzlich kann gesagt werden, dass praktisch mit jedem Atari ab dem ST bestimmte Angebote des Internets genutzt werden können. Natürlich muss nun eingeschränkt werden, denn schließlich hat wohl heutzutage kaum jemand Lust, umfangreiche Webseiten mit viel grafischen Finessen auf einem 1040 ST darstellen zu lassen - sofern der Speicherausbau hier überhaupt mitmacht. Trotzdem ist es zumindest denkbar, einen ST oder STE zumindest als reine eMail- oder Chat-Maschine, die z.B. 24 Stunden am Tag eMails abholt, zu nutzen, während „größere" Maschinen zum Websurfen bereitstehen.

Bleiben wir ruhig noch etwas bei der ST-Serie. Natürlich ist auch diese mit einer seriellen Schnittstelle zum Anschluss eines Modems ausgerüstet, jedoch verträgt diese ohne Modifikationen nur Geschwindigkeiten von bis zu 19200 Kbps, was zumindest bei Datenübertragungen z.B. im Web eher einem Kriechen gleicht. Auch die grafischen Möglichkeiten und die geringe Erweiterbarkeit des Hauptspeichers auf normalerweise maximal 4 MB lassen doch sehr daran zweifeln, ob diese STs der ersten Generation nicht lieber für andere Aufgaben herangezogen werden sollten als nun außerdem zur Nutzung des Internets. Das gleiche trifft natürlich auch auf den 1040 STE zu.

Der Atari Mega STE ist interessant, weil er durch seine schneller getaktete CPU, Nachrüstmöglichkeiten für Grafikkarten und seine schnellen seriellen Schnittstellen schon eher für einen Einsatz als Internet-Maschine bereit gemacht werden kann. Allerdings ist auch dieser Rechner ohne weiteres nur auf bis zu 4 MB aufrüstbar, und auch bei Verwendung von im Gegensatz zur Orginal-Grafik schnelleren Grafikkarten ist das Surfen im Web doch eher eine Qual. Interessant ist aber der Einsatz als zuverlässiger und ausreichend schneller Rechner zum Bearbeiten von eMails, Teilnahme an Chats usw.

Der Atari TT hat sich auch im Hinblick auf das Internet als echter Dauerbrenner erwiesen, zumal er mit einer Grafikkarte auf modernen Monitoren für hohe Auflösungen bei vielen Farben sorgt und mit seinen zusätzlichen seriellen Schnittstellen auch genügend Dampf auch für den Betrieb von ISDN-Adaptern mitbringt. Auch der Speicher des TT ist recht flexibel erweiterbar, sodass dem Rechner auch bei aufwändigen Webseiten nicht die Luft auszugehen braucht. Allerdings ist auch die einstmals so schnelle 68030-CPU mittlerweile doch arg in die Jahre gekommen, und das Auspacken z.B. großer JPEG-Dateien kann schon zur Geduldsprobe werden, während die Online-Gebühren klackern.

Auch der Falcon ist gemessen an heftigen Maßstäben zwar kein Geschwindigkeitswunder mehr, reicht aber ebenso wie der TT zum gelegentlichen privaten Surfen im Web und dem regelmäßigen komfortablen Bearbeiten der eMail im Heimbüro durchaus noch aus. Anders als beim TT erweist sich die Architektur des Falcon doch gerade im Hinblick auf die geforderten grafischen Fähigkeiten beim Surfen im Netz doch als etwas eingeschränkt. Eine Darstellung unter 256 Farben ist heute auf keinen Fall mehr zu empfehlen, und in hohen mit 256 Farben geht das Klangwunder von Atari doch grafisch in die Knie. Und da der 68030-Prozessor nur die Hälfte der Leistung wie beim TT bringt, kann der Anwender noch etwas länger auf seine Bilder warten. Interessanter wird der Falcon aber auf jedem Fall, wenn z.B. die geplante Centurbo 060 mit ihrer 68060-CPU erscheint und Cortex Design den angekündigten PCI-Adapter mit Grafikkarte ausliefert. Zwar gab es auch schon vorher Erweiterungen für mehr Rechen- und Grafikleistung, da diese jedoch nur sporadisch auf dem Gebrauchtmarkt erhältlich sind, scheint sich auch ein Warten auf die Neuerungen zu lohnen.

Interessanter für die Nutzung des Internets sind die Atari-Clones Hades und Milan. Beide arbeiten entweder mit einer 68040- oder einer 68060-CPU, die genügend Leistung auch für anspruchsvollere Arbeiten im Netz bietet. Zudem kommen beide Rechner mit einer Crafikkarte aus dem PC-Bereich daher, die hohe Auflösungen in Echtfarben garantieren. Auch Schnittstellengeschwindigkeit und Speicherausbaumöglichkeiten lassen fast keine Wünsche offen.

Aber auch wenn Ihr Atari-Computing auf einem Macintosh oder PC stattfindet, können Sie Atari-Internet-Software nutzen. Alle kommerziellen Emulatoren bieten die Möglichkeit, die seriellen Schnittstellen ihrer Wirtsysteme zu nutzen und sich so Zugang zum Netz zu verschaffen. Im Falle des alternativen Macintosh-Betriebssystem MagiCMac ist diese Möglichkeit sogar optimiert: I-Connect-Anwender können installierte Stacks, Treiber und Services des MacOS und so z.B. auf ISDN-Karten im Macintosh zurückgreifen.

Stacks

Das Angebot an Zugangsprogrammen zum Internet ist schon oft kritisiert worden - nicht etwa, weil es hier zu wenig Lösungen gibt. Ganz im Gegenteil, das Überangebot wird bemängelt, da die verschiedenen Standards grundsätzlich nicht zueinander kompatibel sind. Und so gibt es derzeit mehrere Entwicklungen auf dem Atari: STinG/ STiK/STiK2, I-Connect, Draconis, WenSuite und MiNT-Net. Da es sicher nur wenige reine MiNT-Nutzer unter den Internet-Einsteigern gibt und Wensuite scheinbar nur noch rudimentär weiterentwickelt wird und nach wie vor starke Probleme bei der HTML-Darstellung hat, wollen wir uns auf die ersten drei Standards konzentrieren.

STinG/STiK

STiK war nach MiNT-Net der erste Internet-Stacks für den Atari. Schon bald danach erschienen auch die ersten Anwendungen für diese Freeware-Zugangssoftware, die die Nutzung verschiedener Servicearten ermöglichten. Trotzdem war die Lösung durch STiK nicht perfekt: Das Programmpaket war nur schwer zu konfigurieren und bot auch keine Unterstützung für das sich ab Mitte der 90er Jahre immer weiter verbreitende PPP-Protokoll. Aus dieser misslichen Lage heraus entwickelte Dr. Peter Rottengatter einige Zeit später den STiK-Ersatz STinG, der komfortabler und leistungsfähiger war und außerdem eine PPP-Unterstützung gleich mitlieferte. STinG wird heute von einer europäischen Programmierergruppe weiterentwickelt und ist mittlerweile auch für Laien einigermaßen leicht nachvollziehbar zu installieren und konfigurieren. Es läuft auch auf Single-TOS-maschinen Die meisten Free- und Shareware-Clients für den Atari nutzen STinG als Stack und daher verwundert es nicht, dass sich STinG zum Quasi-Freeware-Standard-Stack gemausert hat.

Nichts ist für einen Stack so wichtig wie das Angebot an Clients. Und hier ist STinG reichlich gesegnet. Der WebBrowser CAB läuft problemlos unter STinG und auch für die verschiedenen Service-Bereiche gibt es die unterschiedlichsten Lösungen. Als eMail-Programm für STinG/STiK hat sich MyMail durchgesetzt, aber auch aMail ist ein leistungsfähiges Programm und einen Blick wert. Online-Plaudertaschen kommen z.B. mit dem regelmäßig gepflegten IRC-Client AtarlRC auf ihre Kosten, sogar das ICQ-Protokoll wird mittels des Programms AtarICQ unterstützt. aFTP ist dagegen ein einfach zu bedienender Client für FTP-Übertragungen - für Webmaster unerlässlich.

Übrigens wird auch STiK seit einiger Zeit wieder weiterentwickelt. In diesem Heft finden Sie eine Installations- und Konfigurationshilfe von STiK2.

Internet in Atari-Umgebungen schließt auch die Nutzung modernster Hardware z. B. unter MagiC auf dem Macintosh ein.
Light Of Adamas, der Web Browser aus der Draconis-Internet-Suite, weiß durch hohe Geschwindigkeit und eine Unterstützung von JavaScript zu glänzen.

I-Connect

I-Connect ist die kommerzielle Lösung aus dem Hause Application System Heidelberg und hat bei seinem Erscheinen ebenso viel Jubel wie Ablehnung ausgelöst. Auf der einen Seite bietet es einen komfortablen, leistungsfähigen und einfach zu konfigurierenden Zugang zum Internet, auf der anderen Seite ignorierte es lange Zeit die weit verbreiteten STinG/STiK-Clients und zwang so zum Kauf von eigens von ASH entwickelter Software. Außerdem werden nur Multitasking-Systeme wie das haus-eigene MagiC unterstützt. Man mag zu diesen oft kritisierten Geschäftspraktiken stehen wie man will, trotzdem muss zugegeben werden, dass ASH bis heute mit seiner Internet-Software einen Standard in Sachen Leistung und Eleganz auf dem Atari gesetzt hat.

So ist besonders das Konfigurations-Tool I-Conf vorbildlich und weiß nahezu alle Lösungen auch auf anderen Plattformen zu übertreffen. Innerhalb weniger Dialoge sind die benötigten Daten für einen Zugang einzutragen -sogar einen speziellen T-Online-Modus und eine Möglichkeit zur Nutzung von MacOS-Routinen unter MagiCMac gibt es. Das ganze ist in eine attraktive Oberfläche verpackt - so soll es sein.

Auch das Angebot der verfügbaren Clients, die direkt I-Connect für ihre Routinen nutzen, ist mittlerweile komplett. Als Browser wird CAB genutzt, der elegant und sicher arbeitet, jedoch leider als reiner HTML-Browser etwas in die Jahre gekommen ist. Sein Entwickler Alexander Clauss arbeitet mittlerweile an der professionellen Variante iCAB für den Macintosh, und eine Portierung zurück auf den Atari ist aus wirtschaftlichen und terminlichen leider eher unwahrscheinlich. Vorbildhaft auch für andere Systeme ist dagegen der eMail-Client EMailer, der übersichtlich, attraktiv und ausgereift überzeugen kann und auch Newsgruppen verwaltet. Als FTP-Tool steht Fiffi bereit und leistet sehr gute Dienste.

Und in IRC-Chat-Runden kann man sich mit dem ASH Chatter blicken lassen - ein Programm, dessen aktuelle Version wir z.B. in der vergangenen Ausgabe ausführlich besprochen haben.

Die Zeiten der unumgänglichen Inkompatibilität sind übrigens vorbei. Bei ASH ist der Zusatz iFusion erhältlich, der viele STinG-Clients (z.B. AtarIRC und MyMail) auch unter I-Connect nutzbar macht.

Etwas schade ist, dass ASH seine Programme nicht als komplette Internet-Suite anbietet, wie dies z.B. bei Draconis der Fall ist. Insofern muss sich der Anwender die von ihm benötigten Anwendungen selbst zusammensuchen.

I-Connect könnte besonders nach Vorstellung von iFusion und der Aufgabe des damit verbundenen „Absolutheitsanspruchs“ von ASH als allererste und unangefochtene Nummer Eins bei der Wahl der Internet-Zugangssoftware empfohlen werden, wenn da nicht der leider veraltete Web-Browser CAB wäre, der den Gesamteindruck mit jedem vergehenden Monat weiter herunterreißt. Wir würden uns einen aktuelleren Browser als Krönung der sonst erstklassigen Client-Auswahl und des phänomenalen Betriebssystems MagiC von Herzen wünschen. Wenn Sie das Web nur grundsätzlich nutzen möchten und auf JavaScript-Anwendungen (-Spielereien sind es leider nicht mehr, da auch viele Online-Kataloge JavaScript voraussetzen) verzichten können, dann ist I-Connect von ASH immer noch die schnellste und eleganteste Möglichkeit, mit dem Atari-Environment das Internet zu bereisen.

Draconis

Draconis ist eine weitere kommerzielle Lösung für den Zugang zum Internet mit dem Atari und hat sich nach anfänglichen Kinderkrankheiten zum ernsthaften Konkurrenten für den ASH-Internet-Reigen gemausert. Unter Draconis sind die meisten I-Connect-Lösungen nicht zu verwenden, ähnlich wie bei der Software aus Heidelberg sind jedoch einige STinG/STiK-Clients mittels iFusion nutzbar.

In der Konfiguration des Internet-Zugangs geht Draconis andere Wege als I-Connect. Ein „Wizard" ermöglicht es dem Anwender, nach der Installation des Softwarepakets Stück für Stück den Internet-Zugang einzustellen - solche Lösungen sind sonst nur z.B. vom MacOS her bekannt und äußerst anwenderfreundlich. Besonders beeindruckend sind dabei die bereitgestellten Optimierungen für die verschiedensten Modem-Typen (auch ISDN) und die Vielzahl der vorkonfigurierten Zugangsskripte für die unterschiedlichsten Provider. In diesem Punkt macht natürlich Draconis auch dem komfortablen I-Connect etwas vor. Selbst absolute Internet-Neueinsteiger sollten hier zurechtkommen.

Der Vertrieb von Draconis ist übrigens von M.u.C.S. an den Atari-Fachmarkt Peter Denk übergegangen. Eine weitere Entwicklung ist also garantiert.

Draconis ist im Gegensatz zu den ASH-Programmen als Komplettpaket erhältlich. Besonders empfehlenswert ist dabei sicherlich die „Draconis pro Suite 2000" auf CD-ROM, die neben dem Web-Browser Light Of Adamas auch den eMail-Client Marathon und Tools zur Nutzung von FTP und Telnet bietet. Außerdem sind auf der CD der oben bereits erwähnte IRC-Client Chatter, die Emulation iFusion und Möglichkeiten zur Nutzung von Draconis-Clients unter MiNT-Net enthalten. Hinzu kommt die Version 3.x des Homepage-Designers HomePage Penguin.

Besondere Erwähnung verdient sicherlich der aktuell gepflegte Web-Browser Adamas. Dieser bietet als einziger Browser auf dem Atari eine Unterstützung von JavaScript, auch wenn dies Modul noch nicht zufriedenstellend implementiert ist. Die Qualität der HTML-Anzeige kann dagegen mittlerweile vorbehaltlos überzeugen, andererseits stört immer noch die teilweise etwas altbacken wirkende Programmoberfläche. Allerdings muss erwähnt werden, dass das Aussehen durch „Themes" individualisierbar ist.

Die anderen mitgelieferten Internet-Clients bieten zwar alle Grundfunktionen, können aber noch nicht mit der teilweise exzellenten Software aus Heidelberg mithalten.

Das Draconis-Paket ist allen denen ans Herz zu legen, die von Anfang an eine möglichst komplette Auswahl an Internet-Clients zur Hand haben möchten und sich eine sehr leichte Konfiguration des Zugangs wertlegen. Unumgänglich ist der Web-Browser Adamas, wenn Sie auf Webseiten mit JavaScript nicht verzichten möchten.

Fazit

Auch der Atari hat sich mittlerweile zur eleganten Internet-Maschine entwickelt. Wie bei Atari-Applikationen üblich, weiß die leichte Handhabung und die Kompaktheit der leistungsfähigen Applikationen anderen Systemen noch etwas vorzumachen. Die Teilnahme an den meisten alltäglichen Servicearten des Internet ist also gesichert, zumal wichtige Programme aktuell weiterentwickelt werden.

Immer schwerer wiegen aber mittlerweile die Nachteile -hier brauchen wir uns nichts vorzumachen. Besonders im Bereich der Web-Browser hinken Atari-Applikationen trotz des endlich unterstützten JavaScript deutlich hinterher. Flash- und Streaming-Video-Unterstützung wird nicht geboten, was zum Teil an den hohen Lizenzgebühren der Hersteller dieser Technologien liegt. Wer nun sagt, dass ihn das Fehlen solcher Spielereien nicht stört, der sollte zweimal nachdenken. Denn seit immer mehr Banken z.B. für ihr Online-Banking-Angebot immer mehr auf Java-Applets zurückgreifen und in dieser Hinsicht ohne Verschlüsselungstechniken wie SSL schon heute gar nichts mehr geht (BTX ist tot), fällt dieser attraktive Nutzungszweig für reine Atari-Anwender flach. Betreiber von MagiCMac oder MagiC PC können in diesem Notfall immer noch auf Netscape oder den Explorer zurückgreifen, Besitzer von „Classic" Ataris stehen im Regen - hoffentlich nur bis auf weiteres, immerhin ist mit Highwire ja ein Projekt aus England angekündigt, das diese Probleme ausräumen möchte.

Trotzdem ist das Atari-Environment für viele wichtige Aufgaben im Netz zumindest im Heimbüro durchaus gerüstet. Auf aktuellen Clones und moderner Mac- und PC-Hardware arbeiten die kompakten Lösungen sogar um einiges schneller als die Code-Monster auf anderen Plattformen. Der Atari zielt also traditionell auf den Heimanwender und das Homeoffice - aber langsam muss auch hier endlich wieder aufgeholt werden.

Internet made In Heidelberg: I-Connect weiß durch Eleganz und seine komfortable Handhabung zu begeistern. Leider ist der beliebte Web-Browser CAB nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Entwicklung.


Aus: ST-Computer 12 / 2000, Seite 22

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