Stateside-Report

In unregelmäßigen Abständen berichtet Bengy April, Betreiber des beliebten Online-Angebots MagiC Online von Entwicklungen, Meinungen und Gedanken rund um den amerikanischen Atari-Markt.

Die Geschichte wiederholt sich

Man sagt, dass sich die Geschichte immer wiederholt. Wenn jemand einen Beweis für diese These brauchte, würde die Atari-Plattform eine Vielzahl davon liefern. Medusa Computersystems hat vor kurzem verlautbaren lassen, dass man eine strategische Hochzeit mit Frontier Systems eingegangen ist, um jeden verkauften xTOS-Rechner mit einer leistungsstarken DSP-Audiokarte auszurüsten. Diese neue Allianz birgt das Potenzial für ein Wiederaufleben eines wichtigen Bestandteils unserer Plattform. Entgegen den üblichen enthusiastischen Plänen könnte dieses Revival nicht stattfinden, wenn die angedachte Konfiguration allein verkauft worden wäre.

Um in dieser Aussage sicher zu sein, muss nur die unglückliche Vergangenheit unserer geliebte Firma Atari betrachtet werden. Ohne Zweifel ist wohl die klassische ST-Produktlinie Ataris größter Erfolg im 16-/32-Bit-Markt. Die Mehrheit der professionellen Programme, der Spiele und der Hardware-Erweiterungen sind dafür entwickelt worden, auf einem ST „von der Stange“ zu laufen - und dies aus gutem Grund: der ST repräsentierte den kleinsten gemeinsamen Nenner, und Entwickler, die für diese Maschine programmierten, können sich sicher sein, dass ihre Arbeit für den Großteil der Anwender nutzbar ist. Diese Regel hat aber offensichtlich eine Schwachstelle: Moderne Applikationen unterstützen oftmals nicht direkt moderne Atari-Systeme und -Clones. Der einzige Vorteil, den der Anwender bei ihrem Betreiben auf einer neueren Maschine hat, ist die Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit und der Auflösung.

Es war wieder einmal das Unternehmen Atari selbst, das diese Praxis einführte, und sie trägt heute noch genauso zum Sterben der Plattform bei wie vor 10 Jahren. Das Problem begann eigentlich schon, als ambitionierte ST-Anwender ein stärkeres System verlangten. Und nach Jahren des Wartens wurden sie mit dem STE belohnt. Natürlich bot diese neue Linie einige Vorteile, jedoch nicht genug, um die Abwanderung damaliger Anwender aufzuhalten. Deshalb kauften nur neue Atari-Anwender und Power-User den STE, während die Entwickler sich weiterhin auf den kleinsten Nenner konzentrierten.

Natürlich stellten andere und spätere Atari-Computer in dieser Hinsicht nur eine Erweiterung des Problems dar. Der Mega ST und der TT boten eine Hardware, die zum ST kompatibel ist sowie eine verbesserte Erweiterbarkeit. Dummerweise wurden die zusätzlichen Erweiterungs-Bussysteme niemals wirklich erforscht und ausgenutzt, weshalb auch nur sehr wenige Softwarelösungen Gebrauch von leistungsstarken Grafikkarten, Emulatoren usw. machen. Die Gründe liegen auf der Hand: der Markt war bereits zu segregiert, als dass Softwareentwickler das finanzielle Wagnis eingingen, Programme zu erschaffen, die auf eine bestimmte Audio- oder Grafikkarte zugeschnitten waren. Warum sollte man auch vielen Anwendern die Möglichkeit nehmen, mit der Software zu arbeiten, nur um einige wenige glückliche zu machen.

Schauen wir uns den Falcon 030 an, wird uns die Crux dieser Argumentation jedoch bewusst. Der Falcon 030 wurde mit dem leistungsstarken DSP56001 verkauft, einer Ergänzung, die das Gerät Berge in Angriff nehmen ließ, vor denen andere Systeme zurückweichen mussten. Und weil eben dieser DSP zum Standard gehörte und kein teurer Zusatz war, machten sich Entwickler daran, spezifische Lösungen für den neuen Wunder-Chip zu schreiben. Im gewissen Sinne erschuf Atari mit dem Falcon einen neuen kleinsten gemeinsamen Nenner. Und bis heute werden Applikationen entweder für den ST oder den Falcon entwickelt. Wie wir alle wissen, nahm Atari den Falcon jedoch viel zu früh vom Markt, sodass der neue Standard nicht genügend Zeit hatte, den alten abzulösen. Nun hat xTOS die Chance, diese Aufgabe, die der Falcon unvollständig zurückgelassen hat, zu übernehmen.

Damit eine neue oder wiederbelebte Plattform Aussicht auf Erfolg hat, muss sie etwas bieten, was sie über ihre Mitbewerber hinaushebt. Beim klassischen ST waren dies die integrierten MIDI-Schnittstellen. Der Falcon 030 behielt diese Ports und fügte einen DSP hinzu. Der Hades fügte Geschwindigkeit, aber nichts wirklich revolutionäres oder leistungsstarkes, hinzu. Der Milan kopierte den Hades zu einem günstigeren Preis. Als Resultat haben weder der Milan noch der Hades den Markt nachhaltig beeinflusst. Der xTOS-Rechner könnte dagegen Entwickler mit einer leistungsstarken Standard-Ausrüstung versorgen - ein weiterer Schritt zur Markt-Konsolidierung. Spieleentwickler könnten sicher sein, dass ihre hochqualitative Musik auf allen Systemen abspielbar ist - und vergessen wir nicht die berühmten Atari-Musikprogramme.

Natürlich wird auch weiterhin die Herausforderung bestehen, Entwickler dafür zu gewinnen, Produkte speziell für die xTOS-Maschine zu erschaffen. Und obwohl Clone-Hersteller in der Vergangenheit wenig erfolgreich darin waren, neue Talente anzuziehen, sollte nicht vergessen werden, dass bisherige Clones nicht viele Vorteile gegenüber den älteren Systemen und heutigen Emulatoren boten. Sie waren im Grunde aufgeblasene STs und STEs. Der xTOS-Rechner hat nun das Potenzial, der neue Falcon, der neue Standard, zu werden. Wenn die Geschichte sich nun endlich wiederholt, ist dieser kleinste gemeinsame Nenner längst überfällig.


Bengy Collins
Aus: ST-Computer 01 / 2002, Seite 40

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