Wer ist eigentlich… Johanna Bindgen?

Frau Bindgen, es ist recht ungewöhnlich, dass eine musische Person sich mit so etwas "Trockenem" wie der Programmierung von Computern beschäftigt. Wie kamen Sie dazu?

Während des Musikstudiums habe ich mich intensiv mit Komposition beschäftigt. Eine gute Komposition ist immer eine gelungene Mischung aus Regel und Zufall - oder sagen wir besser: Regel und Kreativität. Damals noch unwissend darüber, was Programmieren ist kam mir die Idee, so etwas mit Computern zu realisieren.

Ich kaufte mir ein kleines Büchlein über BASIC und las über if,..then ... else. Als Belohnung für mein Examen kaufte ich mir einen Atari 800XL. Sage und schreibe 64 KBytes Arbeitsspeicher, 1 Mhz Prozessortakt. Damit versuchte ich in endlosen Beschreibungen Kompositionsprozesse nachzubilden. Ich gelangte allerdings rechts schnell an die Grenzen der Speicherkapazität.

Arbeiten Sie heute noch mit dem Atari?

Ja, Neben meinem PC steht immer noch ein Atari Mega ST, Darauf läuft der Notator. Es ist halt der VW Käfer unter den Musikprogrammen - schnell, einfach und effizient. Gerade richtig für meine beruflichen Zwecke. Alle anderen Atari ST-Programme laufen bei mir auf dem PC unter dem Emulator STEEM.

Besonders Simon ST scheint ein interessantes Programm zu sein. Was ist die Idee dahinter? Wie kam es zur Entwicklung?

SimonST ist die Weiterentwicklung meiner ursprünglichen Idee, Musik durch den Computer programmieren bzw. erstellen zu lassen. Herzstück dieses Programms ist ein Editor/Interpreter/Compiler. Durch die Entwicklung einer musikorientierten Programmiersprache ist es möglich, Anweisungen für die Komposition von Musik zu schreiben.

Welche Programme haben Sie noch für den ST entwickelt?

Neben SimonST schrieb ich:

  1. GuitarST: Sequenzer, Editor, Patternmaker, TAB-Printing-System für Gitarre, Bassgitarre, Mandoline etc.,
  2. Weiterentwicklung von GuitarST für italienische Lautentabulaturen,
  3. EasySequenzerST. ein ganz simpler Sequenzer
  4. MidiplayerST. ein Midifileplayer, den ich für Klavierbegleitungen im Rahmen meines Unterrichtes gebrauche.

Entwickeln Musiker Programme auf eine andere Art als reine Informatiker? Liegen die Prioritäten anders? Ist vielleicht sogar ein ganz anderes Gefühl für das Ergebnis da?

Was ist der Unterschied zwischen einem Informatiker und einem Musiker?

Inwiefern kann der Computer Ihrer Ansicht nach bei einem kreativen Prozess wie dem Komponieren behilflich sein, wann steht er eher im Weg?

Nun, komponiert habe ich ohne Computer viele Stücke, die der Computer niemals zustande gebracht hätte. Aber das Programm Simon ST hat auch viele Stücke komponiert, die ich mir selbst zu Beginn des Programmierens nicht hätte träumen lassen.

Stimmen Sie der These zu, dass die Technologie die Kreativität in der heutigen Musik zum Teil zerstört hat?

Ja und nein. Man kann mit jedem Medium bzw. jeder Technologie kreativ umgehen oder nicht. Die unmittelbare Erfahrung von Musik liegt nach wie vor im Erlernen und Spielen eines Instrumentes.

Sie leiten eine Musikschule. Kommen Sie heute noch zum Programmieren?

In den Ferien. Programme nebenberuflich zu schreiben kostet viel Zeit. Es lässt sich meiner Erfahrung nach schlecht mit Beziehung, Kindererziehung und Hauptberuf vereinbaren.,

Vielen Dank für das kurze Gespräch.

Gern geschehen.


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 02 / 2002, Seite 58

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