Interview: Rafal Kawecki (Tales of Tamar, MyPDF)

Spiel, Spaß und Anwendung

Deutschland ist immer noch einer der Hauptstützpunkte für gute Atari-Software. Kein Wunder, beinhaltet unser Land doch die meisten aktiven Atari-Anwender. Immer produktiver werden jedoch die Software-„Brutstätten“ Frankreich und Polen.

Einer der bekanntesten und aktivsten Atari-Entwickler Osteuropas dürfte Rafal Kawecki sein. Er betreut den Atari-Port des Rollen-Adventures „Tales Of Tamar“ und entwickelt zusammen mit Eric Reboux gerade den freien PDF-Reader „MyPDF“.

Thomas Raukamp traf ihn, um sich mit ihm über seine Projekte zu unterhalten.


Stolzer Papa: Rafal Kawecki mit seiner drei Monate alten Tochter Pola.

Rafal, Du bist einer der größten Atari-Fans, die ich kenne. Wie lange arbeitest Du schon mit dem Atari?

Ich sehe das als Kompliment, Thomas. Mein erster Computer war ein 800 XL, den ich mir vor etwa 17 Jahren von meinem ersten Geld kaufte. Das war meine erste größere Geldausgabe, und ich denke, es war eine gute.

Ein früher Weg zum Atari...

Das ganze spielte sich noch vor der Wende ab. Als ich meine Tante in Deutschland besuchte, verdiente ich dort auch mein erstes Geld, das ich für einen Computer ausgeben wollte. Eigentlich war es ein reiner Zufall, dass ich gerade einen Atari kaufte. Ich hatte damals von Computern keine Ahnung und dachte, dass alle gleich sind und vielleicht nur anders aussehen. Ich hatte leider wenig Geld, und so konnte ich mir nur den Computer ohne Speichermedium leisten. In der ersten drei Monaten hab ich nur Programmlistings eingetippt. In diesen Zeiten hab ich aber sehr viel gelernt. Mein ersten eigenen Programme habe ich dann in Atari BASIC geschrieben.

Nach etwa drei Jahren habe ich mir dann einen neuen Computer gekauft. Das war ein Atari 520 ST, den ich schon in Polen bekam. Die Programmierung fiel mir aber nicht ganz so leicht, und ich hatte auch wenig Zeit. Ich habe dann aber meine Diplomarbeit auf dem ST geschrieben. Schon als Student kaufte ich mir dann einen Atari Falcon. Das war aber auch das letzte Jahr, als es in Polen mehr als drei Atari-händler gab...

In den letzten fahren hat sich der "harte Kern " der Atari-Fans ja immer mehr nach Osteuropa verlagert. Was sind Deiner Ansicht nach die Gründe dafür?

Meiner Ansicht nach bleiben wir unserer Plattform seit Jahren sehr treu. Die Leute in Westeuropa wechseln ihre Lieblingsplattform häufiger, deshalb ist es so gekommen, wie es heute ist...

Wie stark ist zurzeit die Atari-Anwenderschaft in Polen?

Das ist ziemlich schwer zu sagen. Besonders stark ist die 8 BitGemeinde. Diese Leute haben ihre eigenen Partys, Webseiten, Bücher usw. Die ST-Gemeinde ist nicht ganz so stark. Für beide Gruppen gibt es übrigens eine Newsgruppe (pl. comp.sys.atari), die noch vor einigen Jahren so aktiv wie englischsprachige war. Auch jetzt gibt es noch bis zu 30 Nachrichten täc,lich.

Mit welchen Maschinen wird hauptsächlich gearbeitet?

ST und Falcon, wenn es um die "großen" Ataris geht. Meistens sind es Standard-Maschinen ohne Hardware-Beschleuniger. Zubehör ist in Polen teuer oder nicht zu haben. Viele Leute haben auch noch einen 8 Bit-Atari zuhause. Einige machen auch noch etwas damit, andere spielen nur.

Auch die Demoscene scheint in Osteuropa ziemlich stark zu sein…

Stimmt. In Polen haben wir noch einaktive Gruppe: Mystic Bytes. Sie sind wirklich gut hast Du z.B. die Demos von Sqward gesehen? Sie arbeiten auch außerhalb der Demoscene für den Atari. Sqward entwickelt z-B. alle Treiber für die Deesse-Karte.

Hin und wieder kommen ja sogar noch Programme für XL und XE aus Polen. Warum ist hier die Begeisterung für die alte Hardware so groß?

Nostalgie. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.

Welche interessanten Projekte für den Atari entstehen gerade in Polen?

MiNT wird unter anderem in Polen weiterentwickelt. Dafür ist "Draco" Konrad Kokoszkiewicz zuständig. Wer seinen Atari im Internet nutzt, kennt bestimmt auch Marijuana Mail. Dieser Mailer wird ständig weiterentwickelt und aktualisiert. Ich kenne den Autor und weiß, dass er nicht zu stoppen ist. Andere Projekte sind klein, aber hilfreich. Da gibt es Stroik und GSM SMS. Ich muss auch meine Projekte erwähnen: Tales of Tamar und MYPDF.

Ich habe gehört, es soll bald auch eine Atari-Zeitschrift in polnischer Sprache geben?

Das ist noch nicht ganz sicher, aber es wird versucht, da etwas ins Leben zu rufen. Die Zeitschrift soll vier- bis fünfmal im Moment erscheinen und alle Atari-Modelle umfassen. Mehr weiß ich leider selbst noch nicht.

Es gibt noch ein zweites Projekt namens "AtariFan", das für ein Jahr auf Eis lag. Nun soll aber die zweite Ausgabe gedruckt werden. Ich schreibe für beide Magazine Artikel.

Deine Hauptarbeit scheint zurzeit die Entwicklung eines Atari-Clients für das Rollen-Adventure"Tales Of Tamar" zu sein. Wie geht hier die Arbeit voran? Können Atari-Fans bereits voll am Spiel teilnehmen?

Die Arbeit ist gar nicht so einfach, wie ich anfangs gedacht habe. Schon seit mehr als einem Jahr arbeite ich daran und sehe noch kein Ende. Die Atari-Fans können noch nicht voll spielen. Es fehlt aber nur noch ein Screen, dann sind wir soweit wie die Amiga-Anwender. Ich weiß aber, dass es noch mehr Screens geben wird, und diese müssen auch noch portiert werden. Einige Screens portiere ich binnen eines Tages, andere brauchen mehr Aufwand. Die Arbeit ist aber sehr hart und verlangt sehr viel Aufwand. Besonders die ersten Versionen waren wirklich zeitaufwändig. Atari-Anwender können aber bereits seit zwei Monaten grundsätzlich mitspielen.

Wie bist Du dazu gekommen, die Portierung vorzunehmen?

Ganz einfach: ich habe auf eine Anzeige im Online-Dienst Place2Be geantwortet. Wir haben dann kurz über alles und nichts gesprochen. Nach einigen Tagen bekam ich die erste Aufgabe zum Umsetzen.

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Tales Of Tamar ist die wohl grafisch aufwändigste und ambitionierteste Spielidee, die jemals auf den Atari umgesetzt wurde. Kaum zu glauben, dass sich die Atari-Fans noch nicht darum reißen...

Was ist das Besondere an Tales Of Tamar?

Wir alle kennen Spiele, bei denen man gegen den Computer antreten muss. Das ist eigentlich sehr langweilig, weil eine künstliche Intelligenz nie so gut wie ein Mensch wird. Dann gibt es auch Spiele, bei denen man nur gegen einen einzigen Gegner spielen kann. Auch die sind meistens nicht so interessant. In Tales Of Tamar spielt man hingegen eine Vielzahl von menschlichen Gegnern und gegen einen Computer, den Server des Entwicklungsunternehmens Eternity. Zurzeit nehmen bereits etwa 100 Leute auf Amiga, Atari, Mac und Linux teil. Wenn das Spiel komplett fertig wird, können Tausende von Leuten Koalitionen bilden, Kriege führen usw.

Wieviele Atari-Besitzer nehmen schon am Spiel teil?

Wenige. Bisher nur 3. In Kürze 5 bis 6.

Suchst Du dann noch Beta-Tester?

Ja, natürlich. Am Anfang hatte ich etwa 30 Tester. Die meisten davon haben leider aufgegeben oder hatten nie angefangen. Das ist sehr traurig, weil oft gesagt wird, dass es keine neuen Spiele für den Atari gibt. Aber wenn man Tester sucht, will keiner helfen...

Auf welchen Systemen läuft ToT derzeit?

Zurzeit läuft es auf Falcon, TT und Milan unter Single-TOS, MagiC und MINT. Vielleicht in Zukunft auch auf Emulatoren.

Ein weiteres Projekt ist ein frei erhältlicher PDF-Reader für den Atari namens"MyPDF". Mit Porthos gibt es ja in dieser Hinsicht schon ein recht gutes Produkt. Warum entwickelst Du einen weiteren Reader?

Gute Frage. Meine Arbeit hatte ich schon begonnen, als Porthos noch nicht veröffentlicht war. Als das Programm dann bei invers herauskam, war unser Projekt zu weit, um es auf Eis zu legen. Außerdem verfolgen wir einen anderen Ansatz als die Porthos-Leute.

Wie weit ist das Projekt?

In einige Tagen soll die erste PDF-Seite dargestellt werden. Zurzeit werden alle internen Informationen korrekt ausgelesen und ausgewertet.

Arbeitest Du allein an dem Programm?

Nein, ich arbeite mit Eric Reboux zusammen, der z.B. Find It oder auch XGem entwickelt hat.

Programmiert Ihr alle Routinen neu oder greift Ihr auf GhostScript zurück?

Alles wird neu geschrieben. Wenn man z.B. die Routinen von GhostScript übernehmen will, muss alles sowieso genau durchgelesen und - wenn notwendig - auch umgeschrieben werden. Ich verstehe auch nicht immer, was der Programmierer in seinem Programm gemacht hat. Also war es für uns besser, gleich alles neu zu schreiben. Auf den Seiten von Adobe gibt es sehr gute Dokumentation, etwa 700 Seiten als PDF-Dokument.

Wann ist mit der Fertigstellung zu rechnen?

Bestimmt noch in diesem Jahr. Ich hoffe, eine erste Version schon im ersten Quartal zu veröffentlichen.

Gibt es schon eine Webseite für das Projekt?

Eine Webseite gibt es erst seit einigen Tagen. Dort kann man schon einige Screenshots bewundern, dort ist auch die History Datei zu finden. Die Adresse ist mypdf.atari-users.net.

Arbeitest Du neben ToT und MYPDF noch an anderen Projekten?

Ja, ich versuche meine Kenntnisse im Highwire-Projekt einzubringen. Wegen meinen Aufgaben an der Uni habe ich leider noch nicht viel gemacht. Natürlich gibt es auch noch meine Webpräsenz, die Polish Atari News Page. Diese Seite kennen nicht nur Polen, auch Deutsche, Franzosen und Schweden schauen regelmäßig vorbei.

Derzeit gibt es ja ein paar Ansätze, die Atari-Philosophie weiterzuführen. Was hältst Du in in diesem Zusammenhang vom XTOS-Projekt?

Das ist jetzt ein Top-Thema. Wir brauchen bestimmt neue Hardware, die mit PCI, ISA, USB, FireWire usw. ausgestattet ist. XTOS ist meiner Ansicht nach die einzige Möglichkeit, noch 2002 die neuen Lösungen im Hardwaremarkt auszuprobieren. Milan scheint tot zu sein, Czuba Tech wird keine Computer bauen, der PowerPC ist auch wieder außer Sichtweite. Ich glaube aber auch, dass der xTOS-Rechner nur von wirklichen Fans gekauft werden wird. Andere sind mit ihren Emulationen zufrieden.

Sind Emulationen für Dich eine Alternative zu nativer Atari-Hardware?

Nein. Für mich ist ein Emulator wie eine Ersatz-Frau. Man kann Atari mit einer Frau vergleichen: es lässt sich nicht damit leben, aber erst recht nicht ohne...

Ich persönlich habe den Eindruck, dass der Free- und Sharewaremarkt zurzeit wieder etwas wächst. Fast wöchentlich erscheinen neue, interessante Programme und Projekte, andere Entwickler geben den Quellcode ihrer Programme frei. Trotz aller gegenteiligen Meinungen scheint die Atari-Basis immer noch stark und begeistert genug zu sein, um ihre Plattform weiterhin mit hochwertiger Software zu versorgen. Wird der Atari zu einer Plattform für die Open Source-Bewegung?

Ja, obwohl es immer auch kommerzielle Projekte geben wird. Es freut mich, dass in letzter Zeit wieder soviele neue Projekte entstehen. Andere werden freigegeben, sogar die Sourcen liegen offen. Das finde ich wirklich eine interessante Entwicklung. Es gibt aber noch viel mehr Software, die freigegeben werden sollte und es verdient, weiterentwickelt zu werden. Viele Entwickler haben ihre Sourcen verloren oder wissen gar nicht, dass ihre Programme noch für andere Atari-Anwender interessant sind. Es sollte aber niemand seine Software einfach nur blockieren. Andere Programmierer warten darauf, die Programme zu übernehmen und zu verbessern.

Wenn ich mir so anschaue, wieviele Projekte Du betreust, dann könnte man meinen, Du arbeitest 24 Stunden für den Atari. Was machst Du sonst noch so?

Ich habe meine Zeit sehr gut organisiert. Wie Du weißt, beende ich in diesem Jahr meine Doktorarbeit. Ich arbeite daran sehr fleißig meine 8 Stunden am Tag. Am Wochenende gehe ich gern mit meiner Frau ins Kino oder so. Außerdem spiele ich gern mit meiner Tochter, die vor 3 Monaten auf die Welt gekommen ist.

Dann sage ich herzlichen Glückwunsch und alles Gute.

http://pwr.wroc.pl/~kawecki/


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 02 / 2002, Seite 24

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