ATSF-Talk

Thomas Raukamp spricht mit Ulrich Gössel

Die Atari/TOS Software Foundation soll als Stiftungs-ähnliches Unternehmen den Software-Nachschub auf dem Atari wieder herstellen. Das Konstrukt dürfte in der heutigen Computerwelt einzigartig sein: Anwender erhalten ganz direkt die Möglichkeit, ihre Plattform zu unterstützen. Thomas Raukamp unterhielt sich mit ATSF-Leiter Ulrich Gössel über die Ziele der Organisation.

Der Weg zu neuer Software?

Ulrich, schon lange wird über den fehlenden Software-Nachschub auf dem Atari-Markt lamentiert, jedoch passierte nie viel. Nun hast Du mit der Atari/TOS Software Foundation ein tragfähiges Konzept für die Pflege und Neuentwicklung von Programmen vorgestellt. Erzähle uns doch bitte noch einmal in eigenen Worten ganz genau, was die ATSf ist…

Die ATSF ist eine Software-Initiative, die sich auf das gemeinsame Engagement von Atari-Fans begründet und zum Ziel hat, dem Software-Markt wieder einen deutlichen Schwung nach oben zu geben. Sie finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen und sammelt Gelder an, um diese dann für neue Software-Projekte zu verwenden. Man könnte es auch ganz einfach so formulieren: Man wirft gemeinsam Geld in einen großen Pott, und heraus kommt dann neue Software.

Da die ATSF kommerziell orientiert ist, geht das Ganze aber noch einen Schritt weiter: Die neue ATSF-Software kommt selbstverständlich nicht nur den Mitgliedern zugute, sondern kann von jedem Anwender erworben oder in Einzelfällen auch als Freeware bezogen werden. Sofern sie verkauft wird, kommen die erzielten Gewinne ebenfalls wieder in den "großen Pott" und werden dann in weitere ATSF-Software investiert.

Was hat Dich bewogen, die ATSF zu gründen?

Im Grunde genommen gab es drei Gründe: Der wesentliche Grund lag im offensichtlichen Mangel an moderner und leistungsfähiger Software in wichtigen Bereichen. So fehlt es ja z. B. an einem Webbrowser, der alle aktuellen Anforderungen erfüllt, ebenso wie an einem neuzeitlichen MIDI-Sequencer, an einem modernen, leistungsfähigen Allround-Grafikprogramm und an technischer Software, kaufmännischer Software und so weiter. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Der zweite Grund für die ATSF-Gründung lag in der Fülle an zwar vorhandener, aber seit langem nicht mehr gepflegter Software - Software, die es sicherlich wert wäre, wiederbelebt zu weiden, die aber in den Schubladen ehemaliger TOS-Entwickler vor sich hin dümpelt. Dies ist in unseren Augen ein absolut unhaltbarer Zustand, den es zu ändern gilt. In vielen Fällen würde es wenig Sinn machen, das Rad neu zu erfinden und eine Software von Grund auf neu zu schreiben, wenn es ein entsprechendes Produkt seit langem gibt. Es existiert eine sehr große Menge an alter Software, die nach einer Modernisierung wunderbare Dienste leisten würde.

Der dritte Grund lag an der Tatsache, dass es im derzeitigen TOS-Markt kaum möglich ist, eine gezielte und bedarfsgerechte Software-Entwicklung zu erwirken. Wir halten es für nicht sonderlich sinnvoll für den Erhalt des Marktes, wenn z.B. mehrere einzelne Entwickler gleichzeitig an drei verschiedenen News-Readern arbeiten, es aber zugleich an sonstiger, wichtiger Internet-Software fehlt oder die vorhandene nur ungenügend funktioniert.

Die ATSF möchte den Missstand ändern, wo zum einen Software am Bedarf vorbei produziert wird und zum anderen Anwender davon abhängig sind, ob sich einzelne Entwickler einem bestimmten Software-Thema widmen. Es geht der ATSF also auch um eine gezielte Steuerung bei der Software-Entwicklung, die sich am tatsächlichen Bedarf einerseits und an den Wünschen der Anwender andererseits orientiert.

Wie sieht die Rechtsform aus? Handelt es sich um eine tatsächliche Stiftung?

Nein. Eine tatsächliche Stiftung ist aus rechtlichen Gründen sehr schwer zu realisieren und setzt auch ein bereits vorhandenes Vermögen voraus, welches zweckgebunden zur Verfügung gestellt wird. Die ATSF hingegen sammelt zunächst Gelder an und stellt sie danach zweckgebunden - nämlich für den TOS-Markt - zur Verfügung. Es handelt es sich also um eine "QuasiStiftung", oder besser gesagt um eine kommerzielle Software-Initiative mit Stiftungscharakter. Rechtlich ist die ATSF in einer Unternehmensform eingebunden, die relativ wenig Kosten und Aufwand erfordert, gleichzeitig aber sehr viel Flexibilität und Handlungsspielraum bietet.

Wer kann Mitglied der ATSF werden?

Jeder. Jede geschäftsfähige Person. Es gibt keine Einschränkungen. Aber um mal konkrete Beispiele zu nennen: Jeder, der den Atari-/TOS-Markt unterstützen will. Jeder, der dafür sorgen will, dass unser Markt wieder verstärkt neue und leistungsfähige Software bekommt. Jeder, der ganz persönlich etwas dafür tun will, dass bestimmte Applikationen wiederbelebt und andere neu geschaffen werden. Kurz gesagt können und sollten alle diejenigen der ATSF beitreten, die ihren individuellen Beitrag zum langfristigen Weiterleben des TOS-Systems leisten wollen.

Sind einmalige Zahlungen willkommen oder sollte eine Regelmäs-sigkeit festgelegt werden?

Ja und ja. Wenn man Mitglied bei der ATSF wird, geht man eine Jahres-Mitgliedschaft ein. Die entsprechenden Beiträge können monatlich, vierteljährlich oder ganzjährlich erfolgen, je nach Wunsch des Betreffenden. Wer also möchte, kann seinen Mitgliedsbeitrag für 12 Monate im Voraus leisten; der nächste Beitrag wird dann erst nach Ablauf des Jahres fällig. Da die bisherigen Mitglieder unterschiedliche Zahlungsmodalitäten bevorzugen, ist eine Regelmäßigkeit bereits gewährleistet.

Selbstverständlich würden wir auch einmalige Zahlungen begrüßen, sofern sie sich im Rahmen einer Mitgliedsstufe bewegen oder darüber hinausgehen. Man könnte z. B. auch eine einmalige Zahlung für 3 Jahre leisten. Wir haben die Möglichkeit, in Einzelfällen auch auf individuelle Wünsche einzugehen.

Was hat der Anwender nun konkret von seinem investierten Geld? Welche Vorteile geniefit er?

Konkret kann er davon ausgehen, dass er innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Software zur Verfügung hat, die derzeit auf dem Atari-/TOS-Markt nicht mehr, noch gar nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung steht. Darüber hinaus hat er gegenüber einem Nicht-Mitglied den eindeutigen Vorteil, dass er bei Verkauf von neuer Software einen durch die Mitgliedsstufe festgelegten Rabatt auf den Verkaufspreis erhält. Und dieser Rabatt gilt für die Dauer einer Mitgliedschaft - egal, ob man 3 Applikationen erwirbt oder 10. Da wir außerdem vorhaben, kleinere Tools und Applikationen als Freeware zur Verfügung zu stellen, dürfte der Nutzen des investierten Geldes klar ersichtlich sein.

Wie ist die Annahme seitens der Anwenderschaft bisher?

Angesichts des kaum noch kommerziellen Status unseres Systems ist die Akzeptanz gut. Die ATSF ist aufgrund der bisherigen Mitgliederzahl bereits handlungsfähig, sodass in Kürze erste konkrete Schritte unternommen werden. Die Geschwindigkeit, mit der unterschiedliche Projekte parallel initiiert und zum Erfolg gebracht werden können, wird dabei mit der Anzahl weiterer Mitglieder steigen.

Wie entscheidet sich konkret, welche Projekte unterstützt bzw. neu aufgenommen werden? Gibt es da eine Form von Demokratie unter den Mitgliedern oder wird dies "von oben herab" festgelegt?

Von oben herab soll eigentlich gar nichts diktiert werden. Selbst die AGB der ATSF wurden anhand der Vorschläge mehrerer Anwender formuliert. Als wir vor einigen Monaten die Grundidee zur ATSF auf xTOS.de präsentierten, trafen einige wirklich gute Ideen ein, die wir dann auch direkt umgesetzt haben.

Was die konkreten Entscheidungen angeht, so darf man natürlich nicht vergessen, dass es sich um ein weltweit einzigartiges Projekt handelt und somit weder Vergleichsmöglichkeiten noch Erfahrungswerte vorliegen. Insofern können auch wir noch nicht sämtliche möglichen Szenarien vorwegnehmen. Aber wenn z.B. zwei gleichwertige und gleichartige Grafikprogramme zum Erwerb durch die ATSF anstehen, entscheidet die Mehrheit innerhalb der ATSF-Mitglieder. Was z. B. einen Browser betrifft, so brauchte man hier wohl kaum abzustimmen, da die Notwendigkeit absolut eindeutig ist. Wenn jetzt drei Entwickler mit ähnlichen Projekten an uns herantreten und gefördert werden wollen, wird ebenfalls die demokratische Mehrheit entscheiden. Und zu jedem größeren Software-Bereich, den wir neu in Angriff nehmen, werden wir auf xTOS.de kleine Umfragen starten, um den Bedarf und die Wünsche der Anwenderschaft auszuloten. Insofern werden demokratische Strukturen bei der ATSF also eine Hauptrolle spielen.

Wo liegt nun der Fokus? Auf der Weiterentwicklung bestehender Software oder auf neuen Programmen?

Sowohl als auch, wir wollen in beide Richtungen arbeiten. Das hängt zum einen davon ab, ob eine bestehende Software überhaupt erworben werden kann und somit für eine Weiterentwicklung verfügbar ist. Im Falle von z. B. Cubase wäre es nahezu unmöglich den Sourcecode zu erwerben, weil Steinberg unseres Wissens kein Interesse hat, diesen zu verkaufen und der Preis wohl auch viel zu hoch wäre. Dann gibt es auch Fälle, wo ein Programm so individuell bzw. ungewöhnlich gestrickt ist, dass eine Anpassung technisch zu aufwendig und eine Neuentwicklung sinnvoller wäre. Andererseits gibt es z. B. im Bereich Grafik bestehende Programme, die bereits sehr weitreichende Funktionen bieten, sodass sie nur noch wenig angepasst werden müssten. Das sind dann sehr aussichtsreiche Kandidaten für eine Weiterentwicklung.

Welche Voraussetzungen müsste ein bestehendes Programm erfüllen, um von der ATSF gefördert zu werden? Es macht ja z.B. keinen Sinn ein Programm wie Signum! zu fördern, auch wenn dies sehr beliebt war. Es erfüllt aber einfach keinerlei GEM-Richtlinien und kommt mit einer gänzlich eigenen Oberflache daher. Ähnlich sieht dies ja bei Sequencer-Software aus…

...wobei die bestehenden GEM-Richtlinien auch nicht in Stein gemeißelt sind oder nicht noch zu optimieren wären - aber lassen wir das mal beiseite.

Ein bereits bestehendes Programm würde dann gefördert, wenn es einen offenkundigen Bedarf abdeckt und allgemein beliebt ist. Diese Regelung hat Priorität. Die Frage nach GEM-Richtlinien würde erst in zweiter Instanz gestellt. Wenn wir z. B. die Möglichkeit hätten, die Cubase-Sour-cen zu erwerben, würden sicherlich viele Anwender in Jubelschreie ausbrechen. Es würde aber kaum jemand kommen und sich darüber sorgen, ob GEM-Richtlinien auch ordnungsgemäß erfüllt werden. Solange dies keine technischen Problem macht, kann ein Programm ja auch mit einer völlig untypischen Oberfläche und außerhalb von festgelegten Schemen arbeiten.

Ein ganz neues Software-Projekt würde dann unterstützt, wenn es einen eindeutigen Bedarf abdeckt. Ein kleines Beispiel: Wenn ein Entwickler eine Software schreiben wollte, die den Abrieb eines Jogging-Schuhs pro Halbjahr berechnet, könnten wir dieses Projekt leider nicht fördern. Wenn jemand einen neuen Sequencer programmieren wollte, der alle amtlichen Standards erfüllt, könnte er sich unserer Unterstützung sicher sein. Dies ist vielleicht ein etwas extremes Beispiel, macht aber deutlich, worum es bei der ATSF geht.

Ich nehme an, es sollen sowieso private Entwickler und -gruppen gefördert werden? Es macht ja nicht viel Sinn z.B. ASH Geld zu bieten, damit diese dann CAB weiterentwickeln…

Nein, das wäre erstens unsinnig und würde zweitens viel mehr Geld kosten, als es effektiven Nutzen bringt. Du hast schon Recht, es sollen in erster Linie private Entwickler gefördert werden. Dies jedoch nicht ausschließlich. Je nach Bedarf ist es für zukünftige Projekte auch denkbar, dass in Einzelfällen professionelle Entwickler oder Firmen engagiert werden. Das ist momentan aber noch Zukunftsmusik.

Tretet Ihr selbst an die entsprechenden Entwickler heran, oder sollte die Kontaktaufnahme von Seiten der Entwickler ausgehen?

Es gibt hier keine festgelegten Regeln. Zurzeit treten wir an Entwickler heran, freuen uns aber auch sehr, wenn jemand auf uns zukommt und sein Interesse signalisiert, eine Software für die ATSF zu schreiben.

Nochmals im Detail: Habt Ihr auch vor, Sourcecodes quasi frei zu kaufen, damit sich andere Entwickler darum kümmern können?

Ja, durchaus. Diese Möglichkeit wird ja bereits in den AGB angedeutet und ist auch Teil des ATSF-Konzeptes. Viele Sourcecodes liegen ja nur deswegen noch immer in Schubladen herum, weil die Inhaber der Rechte eine vielleicht mehrjährige Arbeit nicht einfach verschenken wollen. Da sie aber aus nahe liegenden Gründen nicht mehr für den Atari-Markt programmieren, liegen zahlreiche gute Projekte einfach brach. Welch' eine Verschwendung! Insofern begrüßen wir es natürlich, wenn ein noch aktiver Entwickler Interesse an einer Modernisierung eines alten Programmes zeigt. Wenn wir also zukünftig den Erwerb eines Sourcecodes bekanntgeben, kann sich ein engagierter Entwickler gerne melden, wenn er sich dieser Software widmen möchte.

Sicher ist dabei auch eine gute Dokumentation des Programms notwendig, damit sich der neue Entwickler in den Aufbau reindenken kann…

Klar, das spielt eine große Rolle. Es gibt sicher eine Menge alter Sourcecodes, in die man sich kaum noch reinfinden kann, weil sie sehr unzureichend dokumentiert bzw. strukturiert sind. Aber hier können wir vor einem tatsächlichen Kauf immer noch Teile des Codes begutachten, um dann über den Sinn bzw. die Machbarkeit einer Weiterentwicklung zu entscheiden. Außerdem haben wir die Möglichkeit zu sagen: «Wir kaufen den Sourcecode nur dann, wenn er ordentlich dokumentiert ist». Dies würde jedoch spätestens dann hinfällig, wenn wir froh sein könnten, die Sourcen eines beliebten Programmes überhaupt bzw. sehr günstig erwerben zu können. Warten wir's also mal ab...

Kannst Du uns schon ein paar Kandidaten oder persönliche Vorschläge für bestehende Programme nennen, die für eine Förderung in Frage kämen?

Ich möchte hier jetzt ungern vorgreifen, zumal wir sehr bald auf xTOS.de erste Umfragen zu den einzelnen Bereichen starten werden. Was aber beispielsweise den Grafik-Bereich angeht, so reizt mich persönlich der Gedanke, aus mehreren bestehenden Klassikern ein großes "Meisterprogramm" mit umfangreicher Funktionalität "zusammenzubauen" . Ein modularer Programmaufbau würde dies ermöglichen und könnte einem solchen Programm zu vielen raffinierten Extras verhelfen. Konkrete Namen können und sollen aber noch nicht genannt werden.

Bestehen überhaupt schon Kontakte zu jetzigen oder ehemaligen Atari-Entwicklern?

Ja, sicher. Seit es xTOS.de gibt, haben wir weltweit zu zahlreichen Entwicklern Kontakte aufgebaut. Und seit die Idee zur ATSF existiert, haben wir verstärkt ehemalige TOS-Programmierer kontaktiert, um Inhaber von Rechten ausfindig zu machen oder um auszuloten, ob grundsätzlich Interesse am Verkauf der jeweiligen Software besteht. Mangelnde Kontakte stellen also überhaupt kein Problem dar.

Kommen wir zu den Neuentwicklungen. Nehmen wir spaßeshalber an, ich bin ein Programmierer, der eine interessante Idee hat. Wie kann ich eine Förderung von der ATSF erlangen?

Ganz einfach, indem du uns eine Mail oder einen Brief schickst und dein Projekt möglichst ausführlich vorstellst. Wenn es interessant genug ist und zugleich einen bestehenden Bedarf abdeckt, hast du bereits sehr gute Karten. Im Zweifelsfall entscheiden das dann die Mitglieder bzw. interne Umfragen.

Welche Programmsparten werden mit erhöhter Priorität behandelt?

Ich möchte ausdrücklich betonen, dass grundsätzlich kein Bereich ausgeklammert werden soll. Nur macht es wenig Sinn und erfordert zuviel Kapazitäten, alles auf einmal in Angriff zu nehmen. Deshalb wollen wir nach und nach die einzelnen Bereiche abarbeiten und für neue Software sorgen. Zunächst werden das die Bereiche Grafik und Internet sein. Geplant ist, dass wir uns im Anschluss daran den Bereichen Musik, Video, Office, Betriebssystem, Spiele, Treiber, Business und Technik widmen. Die diesbezügliche Reihenfolge ist aber flexibel bzw. wird von verschiedenen Faktoren abhängen.

Auch hier stellt sich wieder die Frage nach Richtlinien. Es muss immerhin ein bestimmter Standard gehalten werden, so z.B. völlige GEM-Konformität, BubbleGEM etc. Plant Ihr so etwas wie Style-Guides etc., an die sich Entwickler halten können?

Prinzipiell werden wir bei der Konzeption bzw. der Modernisierung von Software natürlich von den derzeitigen GEM-Standards ausgehen. Wobei es durchaus auch Ausnahmen geben könnte, wie ich ja schon angedeutet habe. So etwas wie Style-Guides einzuführen ist prinzipiell ein guter Gedanke, auch wenn die ATSF nicht ins Leben gerufen wurde, um neue Richtlinien zu postulieren. Aber es gäbe z. B. die Möglichkeit, von uns geförderte Software mit einem bestimmten "ATSF-Qualitätssiegel" zu versehen, der dann sowohl für die Stabilität der Applikation wie auch für eine Einhaltung von bestimmten Richtlinien steht. Das wäre sicherlich ein zusätzlicher Bonus für alle Käufer von ATSF-Software.

Gibt es in dieser Hinsicht eine Zusammenarbeit mit der TOSgroup?

Dazu ist es momentan noch zu früh, wir habe ja erst vor einigen Wochen mit unserer Tätigkeit begonnen. Zunächst steht der Erwerb von Sourcen und das Ankurbeln neuer Projekte an. Wenn es dann ans konkrete Programmieren bzw. an die Anpassung geht, werden wir sicher auch danach gehen, was die TOSgroup bis dato an neuen oder optimierten Standards hervorgebracht hat.

Ulrich, warum ist der Atari-Markt Deiner Ansicht nach überhaupt noch interessant für Entwickler? Geld kann man hier sicher nicht mehr verdienen…

Ich denke, es gehören eine große Portion Idealismus, Überzeugung und Individualismus dazu, wenn man sich für den Atari-Markt noch engagiert. Überzeugung, etwas für ein Computersystem zu tun, das einfach zu erhal-tenswert ist, um vollends zu verschwinden. Der Idealismus vieler Entwickler wie auch der der Anwender kommt wohl auch daher, dass sie eine Alternative zum übermächtigen Microsoft-Weltmonopol am Leben erhalten wollen. Ich habe in letzter Zeit einige Gespräche mit ehemaligen Atari-Entwicklern geführt, die dem System aus programmiertechnischen Gründen immer noch nachtrauern. Sie programmieren jetzt für den PC, sind aber keinesfalls glücklich damit. Und wenn man so etwas mehrfach von den verschiedensten Entwicklern hört, macht man sich schon so seine Gedanken.

Wie soll eigentlich bei möglichen fertigen Produkten der Vertrieb organisiert sein? Werden die verbliebenen Atari-Händler dies übernehmen oder plant die ATSF hier einen eigenen Vertrieb? Immerhin wird es schwer sein, dem ATSF-Mitglied seinen Bonus zu versprechen, wenn man nicht selbst vertreibt. Auf der anderen Seite könnte ein Produkt für den Handel uninteressant werden, wenn sowieso schon ein Großteil der Anwender durch direkte Versendung seitens der ATSF abgedeckt sind…

Ein wichtiger Hintergedanke bei der ATSF-Gründung war die Unabhängigkeit von bestehenden Vertrieben und Firmen - dies vor dem Hintergrund, dass man von Seiten dieser Firmen kaum noch mit einem ernsthaften oder gar kommerziellen Engagement für den TOS-Markt rechnen kann. Aus diesem Grunde wird es einen eigenen ATSF-Vertrieb geben, der sich ausschließlich und konsequent unserer Plattform widmet. «Den Handel» gibt es im Grunde genommen ja gar nicht mehr, die Händler mussten ja zwangsläufig auf andere Produkte ausweichen und vertreiben jetzt Zubehör oder Software für andere Betriebssysteme. Insofern haben wir ihn auch außen vor gelassen. Der Bonus für Mitglieder wird also in jedem Fall greifen. Selbst wenn eine Software gefördert und vom Entwickler direkt vertrieben wird, gelten die Rabatte, da dies bei einer Förderung zur Auflage gemacht wird. Das ist auch in den AGB entsprechend formuliert.

Wann werden ATSF-Mitglieder konkrete erste Pläne vorgestellt bekommen?

In Kürze werden wir auf xTOS.de erste Umfragen starten, die die eigentlichen Pläne konkretisieren. Diese Umfragen wenden sich jedoch an alle Anwender, nicht nur an ATSF-Mitglieder. Sobald sie ausgewertet sind und feststeht, welche Software erworben werden kann bzw. gefördert wird, geht es an die Arbeit. Bis zum Sommer sollten die ersten Projekte eigentlich ins Rollen gekommen sein, zumal ja schon einige Vorab-Kontakte hergestellt wurden.

Ulrich, wie kamst Du eigentlich zum Atari? Was ist Deine persönliche "Atari-Story"?

Ich kam das erste Mal Mitte der 80er mit einem Atari in Berührung, als Bekannte von mir stundenlang vor ihren 1040ern saßen und jedes Spiel spielten, das sie zwischen die Finger bekamen. Damals ging das geflügelte Wort vom "Atari-Junkie" um. Etwa 1990 unternahm ich dann meine ersten Sequencing-Versuche mit einem 1040 ST1. Daraus wurde später ein Mega ST, mit dem ich jahrelang Musik machte - und zwar fast ausschließlich. Erst als dann meine persönliche Falcon-Ära anbrach, fing ich an, den Computer auch für andere Bereiche einzusetzen. Später kamen dann die ersten Atari-Clones, von denen ich einen auch heute noch für alles Wesentliche einsetze.

Wie siehst Du das Fortkommen des xTOS-Projekts derzeit?

Gut Ding will Weile haben, könnte man sagen. Nach außen hin ist zugegeben ein recht langer Zeitraum seit der ersten Ankündigung des Projektes vergangen. Aber wer die Hintergründe kennt, kann das nachvollziehen. Entscheidend ist jedenfalls, dass seit geraumer Zeit ein kompetentes Team an dem Projekt arbeitet und das Erscheinen des Rechners in greifbare Nähe rückt Wenn mit dem Bau des Rechners dann noch Optimierungen im Betriebssystem, ein neuer Schwung an Software und eine allgemeine Stabilisierung des Marktes einhergehen, können wir eigentlich alle zufrieden sein.

Was ist Dein Wunsch, den Du durch Projekte wie ATSF und xTOS verwirklicht sehen möchtest?

Allgemein wünsche ich mir, dass unsere Plattform wieder einen größeren Stellenwert als in den letzten Jahren einnimmt und aus ihrem Schattendasein heraustritt. Persönlich möchte ich dahin kommen, dass ich auf einem modernen TOS-Rechner ohne Einschränkungen gegenüber anderen Plattformen arbeiten kann - und zwar in allen Bereichen. Wenn ich ohne große Probleme per DSL einen Film aus dem Internet herunterladen, gleichzeitig eine Audio-Datei aufnehmen und nebenbei noch einen Text bearbeiten kann, ist dieses Ziel erreicht. Das klingt jetzt vielleicht noch etwas utopisch, ist aber durchaus realisierbar.

Ulrich, danke für das Gespräch.

Gern geschehen!

xtos.de


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 06 / 2002, Seite 26

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