Perspektiven & Chancen 2003

Was ist aus dem Atari-Markt geworden? Wie stehen die Chancen für eine Wiedergeburt? Welche Produkte sind konkret geplant? Wir versuchen. Ihnen einen ehrlichen Bericht zu liefern.

Wie steht es um den Atari?

Wieder einmal steuert der Atari-Markt auf den Winter zu. Wieder einmal steht zum Weihnachts-Fest keine neue Hardware unter dem Baum. Selbst die „aktuellste" Hardware, der Falcon, feierte in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Ein Markt im Sinne eines Geschäftsbereich mit ernstzunehmenden Gewinnchancen existiert derzeit schlichtweg nicht. Was geht überhaupt noch im Atari-Sektor?

Markt oder Freak-Meile? Kaum ein Rechnersystem hat auch knapp zehn Jahre nach dem Abdanken seiner Mutterfirma weltweit noch soviele Anhänger wie die TOS-Linie von Atari - vom Amiga vielleicht einmal abgesehen. Nach wie vor gibt es allein Deutschland noch einige Tausend Atari-Anwender, die scheinbar regelmäßig ihren Rechner einschalten, Webseiten mit Atari-Inhalten betreiben oder regelmäßig besuchen und eine Fachzeitschrift wie die st-computer monatlich beziehen. Ein guter Beleg dafür ist zum Beispiel die Webseite unseres Online-Dienstes st-computer.net. Monatlich besuchen zwischen 13.000 und 15.000 Interessierte unseren Dienst -kein schlechtes Ergebnis für einen Online-Dienst, der zudem bisher noch ausschließlich in deutscher Sprache erhältlich ist. In Online-Foren wie der Usenet-Gruppe „comp.sys.atari.st" wird weiterhin rege diskutiert, Erfahrungen werden ausgetauscht und Chancen bewertet.

Demgegenüber stehen weltweit eine Handvoll verbliebener kommerzieller Anbieter. In Deutschland, wohl immer noch stärkster Bereich für die Atari-Computerlinie, lässt sich die Liste der Anbieter an einer Hand abzählen: woller Systeme entwickelt nach wie vor sein Betriebssystem N.AES weiter, Application Systems Heidelberg bietet noch immer seine recht breite Palette zugegebenermaßen guter Atari-Software an, ag-computer steht noch für einige Sachen im MiNT-Bereich zur Verfügung und falkemedia produziert die st-computer und bietet ebenfalls Software an. International kommt in erster Linie das aus Frankreich stammende Franchise-Unternehmen Europe Shareware dazu, von dem allerdings gibt es noch keinen deutschen Service. Da der Dienst allerdings ausschließlich Shareware-Software vertreibt, die auch direkt bei den Entwicklern zu beziehen ist, stellt sich die Frage nach dem Sinn von Europe Shareware. Ladengeschäfte, die mit Atari-Produkten handeln, gibt es praktisch nicht mehr. Der Anwender ist also auf den Versand von den verbliebenen kommerziellen Anbietern bzw. direkt von den Entwicklern der Software angewiesen.

Ein nicht von der Hand zu weisender Vorteil der derzeitigen Situation ist jedoch der direkte Kontakt zu den Programmierern. Bleibt zum Beispiel im PC-Markt bei großen Anbietern nur der Weg über (zum Teil kostenpflichtige) Unternehmens-Hotlines, so steht zumindest dem Internet-Nutzer der direkte Weg zu den Atari-Entwicklern für Fragen und Verbesserungsvorschläge nicht versperrt. Hinzu kommt, dass sich viele Programmierer oft in Foren und Chatrunden aufhalten, sodass auch hier Fragen oftmals direkt von der Quelle beantwortet werden. Insofern verwundert es nicht, dass das Internet mittlerweile Dreh- und Angelpunkt der Atari-Gemeinde geworden ist - egal, ob Seiten mit dem Atari angesteuert werden oder nicht.

Internet

Fast wöchentlich erscheinen neue Webseiten, die sich mit dem Thema Atari beschäftigen. Besonders beliebt sind hier natürlich regelmäßige Nachrichtendienste. Leider hatte die deutsche Atari-Internet-Gemeinde hier im Sommer einen schmerzlichen Abgang zu verkraften: Die atos, lange Jahre ein Vorzeigeobjekt freiwilligen Atari-Enthusiasmus strich im Juli offiziell die Segel. Was das ehemaligen Disk-Magazin einst stark machte, fehlte nun nämlich: die Motivation.

Motivierter scheint man derzeit in englischsprachigen Ländern zu sein. Die MyAtari hat sich mittlerweile zu einem hervorragenden Online-Magazin entwickelt, dessen Themenbereich weit ist und sowohl Insider als auch Neueinsteiger anspricht. Hinzu kommt eine angenehme grafische Gestaltung. Schon oft fanden sich Artikel der MyAtari auch ins Deutsche übersetzt in der st-computer.

Kehren wir nochmals zurück zu den Newsdiensten. Hier konnte sich weiter das Atari Users Network behaupten, dass viele Neuigkeiten aus dem internationalen Raum zuerst berichtet. Ergänzt wird das Angebot durch Atari.Org, leider ist dieser Online-Dienst nicht mehr ganz so aktuell wie einstmals. Hinzu kommen mehrere themenbezogene Dienste, die sich zum Beispiel mit Chip-Musik oder der Demo-Szene beschäftigen. Einige Dienste sind Ihnen bereits aus unserer regelmäßigen Online-Rubrik bekannt, das tatsächliche Angebot ist aber noch ungleich größer.

Eine interessante Entwicklung im Atari-Bereich ist auch die der Open-Source-Software. Online-Dienste wie besonders „The Orphaned Projects Page" sprechen gezielt ehemalige Entwickler an, um sie dazu zu bewegen, ihre „verwaisten" Programme als Freeware freizugeben oder sogar mitsamt dem Quellcode zu veröffentlichen. Dass hieraus durch Weiterentwicklungen entstehen können, beweist der Terminplaner spareTIME, der nun in einer neuen Version als Shareware erschien.

Software-Versorgung

Überhaupt sieht es mit der Entwicklung neuer, aktueller Software gar nicht einmal so schlecht aus, wie oft angenommen. Entspannung ist zum Beispiel im Bereich der Webbrowser zu erwarten. Besonders das HighWire-Projekt verspricht hier einiges. Wie schon in den vergangenen Ausgaben oft erwähnt, entwickelt sich hier mittelfristig eine interessante Alternative zu dem Dauerbrenner CAB und dem nicht allzu beliebten Light Of Adamas. Die aktuellen Screenshots versprechen schon jetzt viel Gutes, allerdings ist das Projekt leider noch etwas davon entfernt, zum Beispiel mit dem Oldtimer CAB gleichzuziehen. CAB selbst, immer noch beliebtester Browser unter Atari-Anwendern, wird definitiv nicht weiterentwickelt. Der Entwickler Alexander Clauss hat jegliches Interesse am Atari-Markt verloren, will den Quellcode für eine Weiterentwicklung auch nicht freigeben. Offensichtlich wurde zuviel Code auch im Nachfolger iCab verbraten, einem Browser, der unter Mac OS und Mac OS X läuft.

Aber nicht nur Open Source-Projekte werden weiterentwickelt. Auch existierende Shareware-Programme erhalten noch regelmäßige Updates oder werden gar in kommerzielle Programme gewandelt. Ein Beispiel dafür ist Arthur, das in seiner XP-Version zum schnellen und modernen Universalübersetzer für mehrere Sprachen mutierte. Mittlerweile ist das Programm kommerziell bei falke-media im Vertrieb.

Es gibt aber auch komplette Neuentwicklungen. Im lange vernachlässigten Audio- und MIDI-Bereich überraschte das schwedische Unternehmen New Beat mit dem Software-Synthesizer ACE für den Atari Falcon, der sicher nicht nur die stc-Tester nachhaltig überzeugen konnte. Für die Zukunft lassen sich hier noch einige Weiterentwicklungen erwarten. Besonders die Klangbibliothek, die bereits jetzt online ist, wird weiter wachsen. Nicht verschwiegen werden sollte auch das Notationsprogramm MusicEdit von Professor Herbert Walz, eines der am regelmäßigsten gepflegten Programme auf dem Atari. Was nach wie vor fehlt, ist jedoch ein aktuelles Sequenzer-Programm, das auch auf Clones und unter Emulationen läuft. Es steht zu hoffen, dass auch in diesem Bereich der Cold-Fire-Rechner, der ja mit einer DSP-Audio-karte serienmäßig ausgestattet sein soll, wieder etwas mehr Farbe in die Landschaft bringt.

Etwas stiefmütterlich behandelt wurde in den letzten Wochen Monaten der sehr wichtige Bereich der Office-Software. Tempus Word 4 geht nun endgültig in die Liste der unveröffentlichten Werke ein, papyrus 9 ließ allzu lang auf sich warten. Im Sommer war es dann endlich doch soweit, und die aktuelle Version 9 konnte ebenso überzeugen wie ihre Vorgänger. Einziger Wehrmutstropfen: Eine Version 10 wird es für den Atari vielleicht nie geben, da sich die Sourcen in C++ angeblich nicht mehr kompilieren lassen. Hoffen wir also das beste...

Rosig sieht es hingegen im DTP-Sektor aus. invers Software hat die Rechte am professionellen Publishing-Programm Calamus endlich wieder nach Deutschland geholt und kann nun in Richtung Weiterentwicklung schalten und walten. Erstes neues Etappenziel ist die Umsetzung des Programms auf das neue Apple-Betriebssystem Mac OS X. invers Software redet hier von einer „schleichenden" Portierung, denn eigentlich läuft „unter der Haube" eine Atari-Emulation in Form von MagiCMac für Mac OS X. Doch dazu später im Text mehr. Wer sich über Details zu den Plänen von Calamus SL informieren möchte, sollte unser Interview in der vergangenen Ausgabe der st-computer lesen.

In einem anderen Bereich der Software-Versorgung sieht es nicht ganz so gut aus. Der Markt der Zeichen- und EBV-Programme wird etwas vernachlässigt. Es gibt allerdings durchaus aktuell gepflegte Software wie das französische Vision. Etwas Hoffnung flackerte auch auf, als es so schien, als wenn PixArt, einstiges Vorzeigeprogramm auf dem Atari, nun doch in der Version 5 erscheinen sollte. Bisher ist die Entwicklung bzw. die Sourcen-Übergabe an einen neuen Entwickler aber noch nicht recht in Schwung gekommen. Hoffen wir hier also auf die Zukunft. In der Version 4.5 steht PixArt zum freien Herunterladen bereit. Keine Entwicklung gibt es auch bei Papilion. Das Programm von ASH wird aktuell leider nicht mehr gepflegt.

ATSF

Ein Silberstreif am Horizont ist neben der Open-Source-Welle auch die „Atari/TOS Software Foundation", eine Stiftung, in die interessierte Atari-Anwender einzahlen können, um die Pflege und Neuentwicklung guter Software zu finanzieren. Bisher konnte noch kein konkretes Projekt bekannt gegeben werden, allerdings ist man in Verhandlung um die Rechte einer Grafik-Software. Gerade hier würde ein gutes, aktuell gepflegtes Programm auch benötigt werden. Wir hüllen uns also in Spannung...

Auf jeden Fall öffnet sich hier ein neuer Weg für Software auf dem Ni-schen-Markt. Wer bisher noch nicht die ATSF unterstützt, sollte zumindest darüber nachdenken, sofern er neue Software für den Atari haben möchte.

Betriebssysteme und Emulationen

Lange Zeit festgefahren wirkte die Situation der Betriebssysteme für den Atari. MagiC erhielt lediglich ein Update auf Version 6.2, das zwar unter der Oberfläche einiges bot, nach Neuerungen lästernde Enthusiasten aber nicht befriedigen konnte. Im Gegenteil: Viele Anwender stiegen sogar freiwillig zu MagiC 6.1 ab, da die aktuellere Version für einige Probleme auf ihrem System sorgte. Gerüchteweise sollen aber zumindest die Fehler von MagiC 6.2 in den nächsten Monaten ausgemerzt werden, sodass es wohl zu MagiC 6.3 kommen wird. Dies macht auch Sinn, denn schließlich soll MagiC ja zumindest für Emulationen des Atari-Systems weiterleben. Und hier liegt auch der Grund für die schleppende Entwicklung von MagiC: Andreas Kromke arbeitet derzeit an MagiC für Mac OS X. Diese Aufgabe ist alles andere als leicht, denn immerhin bietet das neue Apple-Standardsystem keine 68020-Emulation mehr, sodass diese „nachgestrickt" werden musste. Die ersten Demoversionen gab es schon zu bewundern und auch das erste öffentliche Release dürfte wohl nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Bisher jedoch erreicht MagiCMac X nicht die Geschwindigkeit von MagiCMac unter dem klassischen Mac OS. Die Emulation ist einfach noch nicht weit genug ausgereift. Hier dürfte die Hauptarbeit der nächsten Wochen liegen, immerhin soll ja MagiCMac X als Unterbau für Calamus SL auf den neuen Macs dienen.

Ruhiger geworden ist es in den letzten Wochen um die Kombination aus N.AES und MiNT. Eingestellt wurde die Entwicklung jedoch nicht. Derzeit arbeiten die Entwickler im Team von woller an einer neuen Version - ob es sich bereits um die Version 3.0 oder um eine Zwischenetappe handelt, ist noch nicht klar. Wer noch aktiv an der Weiterentwicklung teilnehmen will, ist herrlich eingeladen: derzeit werden noch Wünsche und Anregungen für die kommende Version gesucht. Einzelheiten sind noch nicht klar, jedoch soll N.AES in der neuen Version noch in diesem Herbst erscheinen.

Von N.AES ist der Schritt zur beliebten Atari-Emulation STEmulator aus dem Hause falkemedia leicht getan. Bereits seit Monaten angekündigt wurde die Version 2.0 des STEmulator, der eine echte 68040-Emulation bieten soll und auf dem TOS 4 aufbaut. Außerdem ist er modular erweiterbar, sodass extern zum Beispiel ein DSP-Emulator eingebaut werden könnte. Somit wäre der Weg frei zu einem echten Falcon-Emulator. Der Stillstand in der Entwicklung rührt übrigens ebenfalls daher, dass der Entwickler Thomas Göttsch an einer neuen Version für das Publishing-Programm Calamus arbeitet.

Ein weiteres interessantes Projekt ist ARAnyM. Wie schon mehrfach berichtet ist das Ziel, eine Atari-Umgebung in Form einer virtuellen Maschine zum Beispiel auf einem Linux-Kernel zu starten. Der Vorteil wäre, dass der Anwender nicht direkt mit dem Wirtsystem zu tun hätte. Auf diese Art und Weise ließe sich in Zukunft vielleicht ein günstiger Atari-Clone schaffen, der auf Intel- oder AMD-Basis läuft. Hier wäre also die Nutzung moderner Hardware möglich. In der aktuellen Distribution ist auch EmuTOS enthalten, ein TOS-Clone, der die immer noch unter Copyright stehenden ROM-Inhalte von Atari ersetzen soll. Sicher entsteht hier Stück für Stück eines der interessantesten Projekte des Markts.

Hardware

Kniffligstes Thema der heutigen Atari-Landschaft ist mit Sicherheit das der Hardware. Die alten klassischen Maschinen sind in die Jahre gekommen. Von der reinen Technik her ist es wohl nicht übertrieben, zu sagen, dass selbst der Falcon mittlerweile völlig veraltet da steht. Einzig einige Sahnestücke wie der DSP machen ihn für Anwendungen wie Musikproduktion noch interessant. Wie erwähnt ist mit ACE MIDI sogar ein Software-Synthesizer erschienen, der auch in der Klangerzeugung endlich alles aus dem Raubvogel herausholt. Trotzdem ist der Falcon in Sachen Grafikbearbeitung fast kaum noch zu gebrauchen, bewegt seine 68030-CPU doch größere Bilddaten nur noch im Schneckentempo über den viel zu langsamen Bus. Atari-Clones gibt es neu derzeit nicht zu kaufen.

Trotzdem ist der Falcon nach wie vor das Objekt der Begierde vieler Fans. Der Zauber des Besonderen ist nach wie vor nicht verflogen, und in diesem Punkt können sich Atari-Enthusiasten und Amiga-Freaks wohl die Hand reichen. Es verwundert also nicht, dass nach wie vor Entwickler daran arbeiten, den Falcon wieder für die tägliche Arbeit in möglichst vielen Bereichen aufzumotzen.

Browser-Hoffnungen für den Atari: oben HighWire, unten Gulliver.

Das engagierteste Projekt kommt dabei mal wieder aus Frankreich: Rodolphe Czuba hat seine Beschleunigerkarte Centurbo 060 praktisch fertig, so-dass die bisherigen 100 Bestellungen abgearbeitet werden könnten. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses musste allerdings noch ein Problem in der Zusammenarbeit mit dem Blitter ausgearbeitet werden.

Die Centurbo 060 basiert auf der 68060-CPU von Motorola, dem Kronju-wel der 68k-Linie also. Getaktet wird der Hauptprozessor mit 66 MHz, auch der Bus kommt auf 66 MHz. Der SDRAM-Steckplatz kann mit bis zu 256 MBytes RAM bestückt werden, womit auch der Flaschenhals zum ST-RAM des Falcon umgangen wird. Die Centurbo 060 findet nach Angaben von Czuba-Tech im Gehäuse des Standard-Falcon Platz, so-dass ein Towerumbau nicht zwingend notwendig ist.

Zwei weitere Merkmale machen die Centurbo interessant: Das Flash-ROM (1 MByte) ist programmierbar, sodass das TOS gepatched werden kann. Außerdem ist ein Erweiterungsbus vorhanden. Findige Entwickler aus Schweden kündigten daher vor Kurzem eine Grafikkarte für die Centurbo 060 an, die ein FPGA enthält. Dies ist ebenfalls frei programmierbar, sodass Auflösungen von bis zu 1600 x 1200 Bildpunkten bei stabilen 90 Hz in 30 Bit Farbtiefe möglich sein sollen. Rosige Zeiten also? In dieser Ausgabe findet sich übrigens ein Interview mit den schwedischen Entwicklern...

Erhältlich für den Falcon ist außerdem der Eclipse PCI-Adapter, der in Kombination mit der Grafikkarte ATI Rage Pro ausgeliefert wird. Auch hier sind moderne Auflösungen möglich, allerdings scheint die Lösung nach wie vor nicht ausgereift zu sein.

Einen gänzlich neuen Ansatz verfolgt das ColdFire-Projekt, über das in der st-computer schon öfters berichtet wurde. Zwischenzeitlich war der Chefentwickler Fredi Aschwanden aus persönlichen Gründen ausgestiegen, sodass das Projekt wochenlang ohne wirkliche Hoffnung trudelte. Zwischenzeitlich bot sich Czuba Tech für eine alternative ColdFire-Lösung an - witzigerweise waren vorher von dem französischen Entwickler wenig gute Töne über den Cold-Fire zu hören. Mittlerweile ist aber wieder Fahrt in das verwaiste Projekt gekommen: Das deutsche Unternehmen Wilhelm Mikroelektronik hat ein eigenes Board für den ColdFire-„Atari" angeboten. Derzeit prüft das Unternehmen die Realisierbarkeit des Projekts. Vorab erhielten wir von Wilhelm Elektronik jedoch erste Fakten, die Mut machen: Bereits jetzt stehe eine Hardware-Plattform mit einer Rechenleistung von 316 MIPS zur Verfügung. Für einen Einsatz als TOS-Rechner seien nur geringfügige Anpassungen notwendig. Eine endgültige Entscheidung über die Realisierbarkeit des Projekts wird in der ersten Oktoberhälfte nach einem Gespräch mit dem Atari ColdFire-Team fallen. Vorbestellungen könnten im positiven Falle ab Mitte Oktober 2002 angenommen werden. Der Systempreis ohne Festplatte für Vorbesteller wird voraussichtlich bei EUR 696.- (EUR 600.- zzgl. Mehrwertsteuer) liegen. Details zum Ausliefertermin würden ebenfalls im Oktober bekanntgegeben. Der Termin für Endkundensysteme wird im 1. Quartal 2003 liegen. Entwicklersysteme sollen zum Jahreswechsel bereitstehen.

Die angepeilten Lieferzeiten hören sich fast zu optimistisch an. Der Atari-Anwender ist hier einfach vorsichtig geworden. Mut macht auf jeden Fall die Tatsache, dass sich ein größeres Unternehmen mit viel Erfahrung in der Produktion wieder für den Atari-Markt interessiert. Wilhelm Elektronik wittert in der Verbreitung des ColdFire-Boards mit dem Atari-Betriebssystem in erster Linie eine Möglichkeit, die Hardware zu bewerben. Den Atari-Anwendern soll dies nur Recht sein - niemand braucht immerhin umsonst zu arbeiten. Und der angepeilte Endkundenpreis verspricht um einiges günstiger zu sein als der von Medusa Systems erwägte Preis.

Internationaler Markt

Während der Markt sich in Deutschland immer noch hauptsächlich um die ST-Computerlinie und die entsprechenden Nachfolger dreht, sieht der internationale Markt mittlerweile völlig anderes aus. Hier dreht sich alles um den traditionellen Markt des ehemaligen Multis, nämlich um Computerspiele. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel läuft eine Retro-Welle, die mittlerweile teilweise auch Europa erreicht hat. Besonders alte VCS-Konsolen und -Spiele stehen wieder hoch im Kurs, fast monatlich erscheinen auch wieder Neuentwicklungen für den Klassiker VCS 2600. Natürlich handelt es sich hier in erster Linie um einen Hobbymarkt, trotzdem ist der Name Atari mittlerweile wieder in aller Munde.

Atari selbst ist nach wie vor im Besitz des französischen Spiele-Multis Infogrames. Dieser hat die Marke besonders in Frankreich und Großbritannien wieder gut platziert: der französische Fußballmeister Olympique Lyonnais spielt mit Trikotwerbung von Atari, in London erhellen Atari-Logos den Abend. Auch in Deutschland sind Fernseh-Spots für Atari gesichtet worden. Immerhin nimmt hier ein Inhaber den Namen im Spielemarkt wieder ernst - Computeranwender haben davon natürlich gar nichts.

Fazit 2002

Die Fragezeichen sind an der Schwelle zum Winter nicht gerade weniger geworden. Der einstmals mächtige Markt besteht aus nicht wenigen Enthusiasten, die aber den Atari noch als reinen Hobbyrechner betreiben, in den nicht viel und schon gar nicht regelmässig Geld investiert werden soll. Schleppende Verkäufe bei Software-Erscheinungen beweisen dies nur zu deutlich. Einen deutlichen Schuss kann hier wohl nur einen neue Hardware setzen. Wieder einmal muss in diesem Punkt das Prinzip Hoffnung bemüht werden. Wenn mit einem ColdFire-Rechner und Atari-Software wieder ähnlich schnell gearbeitet werden kann wie mit einem heutigen PC oder Mac, dann könnten Anwender auch wieder investitionsfreudiger werden.

Hoffnung besteht also einmal wieder. Nach dem Auftreten von Wilhelm Elektronik auch wieder etwas Optimismus. Atari-Anwender werden weiterhin soviel wie möglich mit ihrem Rechner arbeiten. Und hoffen...

Mehr Power für den Falcon: die Centurbo 060 von Czuba-Tech.

Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 10 / 2002, Seite 13

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