MIDI-Corner

Der Atari ist immer noch ein hervorragender MIDI-Computer. War entsprechende Software vor ein paar Jahren für viele Privatanwender noch fast unbezahlbar, ist sie heute bei eBay oftmals zu einem Schnäppchenpreis zu haben. Thomas Raukamp hat sich angesehen, welche Sequenzer-Programme dabei nach wie vor interessant sind.

der Atari im Herzen eines großen MIDI-Setups. Auf dem Bild ist ein Atari Mega STE begraben unter einer SCSI-Festplatte, einem CD-Brenner und einem NEC-Monitor zu sehen. Hervorgehoben ist das MIDI-Interface "MIDEX +", das mit dem Sequenzer "Live" arbeitet.

KEEP THAT ATARI!

Mittlerweile ist es über zehn Jahre her, dass der Atari als erste Wahl galt, wenn es um den optimalen Computer für MIDI- und Musikanwendungen ging. Atari hatte mit dem Falcon 030 zwar eine aufregende Maschine für Musiker veröffentlicht, neue Software wurde aber nur nach und nach entwickelt, renommierte Hersteller wie Steinberg und C-Lab sprangen auf den sich entwickelnden Windows- und Macintosh-Markt ab und Atari geriet immer weiter ins Hintertreffen. Zurückgelassen wurde ein wohl bis heute unvergleichliches Arsenal an professioneller MIDISoftware für fast alle nur erdenklichen Anwendungen. Und der Zahn der Zeit hat für Atari-Besitzer nicht nur negativen Folgen: Waren Studio-Anwendungen wie der Notator oder Cubase jahrelang für viele private Anwender und notorisch abgebrannte Musiker unerschwinglich, so öffnen Kleinanzeigenmärkte und das Online-Auktionshaus ebay heutzutage Türen und Toren zu einem MIDI-Setup, von dem so mancher vor ein paar Jahren nur träumen konnte.

Software-Quelle Internet

Der Hauptgrund für die problemlose Verbreitung von MIDI-Software für den Atari ist wieder einmal das Internet. Es gibt mittlerweile viele Webseiten, die einige Schätze für Atari-Musiker bergen. Wichtigster Anlaufpunkt ist dabei seit Jahren "Tim's Atari MIDI World" [1], die von dem Amerikaner Tim Conrardy betrieben wird. Tim machte sich die Mühe, Programmierer sowie Entwickler- und Vertriebsunternehmen in aller Welt anzuschreiben, um die Freigabe für deren zum Teil schon lange verwaisten MIDI-Programme für den Atari zu erlangen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Webseite strotzt nur so von längst verschollen geglaubten Applikationen. Professionelle Sequenzer sind ebenso zu finden wie Sound-Editoren für die verschiedensten Synthesizer und skurile algorithmische Kompositionshilfen.

Sequenzer

Die wichtigste Applikation im reinen MIDI-Recording ist sicherlich der Sequenzer. Ein Sequenzer stellt eine Art Bandmaschine auf dem Computer dar. Im Gegensatz zu HarddiscRecordingSoftware wie "Cubase Audio" zeichnet ein reiner MIDI-Sequenzer jedoch nicht Audio-Daten auf, vielmehr speichert er ankommende MIDI-Daten und gibt sie wieder aus. Der Anwender kann die Daten mithilfe verschiedener Editoren zumeist umfangreich bearbeiten und verändern.

Zu den Hochzeiten des Atari spaltete sich das Lager der MIDI-Musiker in zwei Parteien: Einige Anwender bevorzugten den Notator, andere favorisierten Cubase. Die Unterschiede liegen in der Arbeitsweise der Programme. Während Notator die Bearbeitung des aufgezeichneten Materials ähnlich eines Drumcomputers innerhalb von Patterns ermöglicht, bietet Cubase die heute verbreitete Methode, Sequenzen auf "Timelines" darzustellen. Beide Arbeitsweisen haben ihre Vor- und Nachteile: Während die Arbeit mit Patterns ein genaueres "Fummeln" an den einzelnen Song-Teilen (Intro, Strophen, Refrain usw.) zulässt, sind Timelines besonders auf großen Monitoren übersichtlicher, Ergänzungen und intuitive Einspielungen sind einfach schneller erledigt.

Notator/Creator

Schon zu Atari-Zeiten schickte C-Lab seinen Notator quasi aufs Altenteil, da man mit Logic einen Nachfolger geschaffen hatte. Logic konnte sich auf dem Atari jedoch nicht mehr durchsetzen, da viele Anwender bereits auf PC oder Mac gewechselt waren, die für das aufwändige Konzept der Software eine höhere Geschwindigkeit und bessere Grafikauflösungen boten. Eine angekündigte AudioVersion erschien nie, weshalb Atari-Anwender, die den Schritt auf den Falcon vollzogen hatten, in Scharen auf Cubase Audio umstiegen. Außerdem wurde der Logic-Version für den Atari nachgesagt, dass sie nie völlig ausgereift war. Die weitere Geschichte ist bekannt: Aus CLab wurde Emagic, das heute zu Apple gehört. Logic wird ausschließlich für den Macintosh weiterentwickelt und liefert sich hier den schon traditionellen "Krieg" mit Steinbergs Cubase. Auf dem Atari genießt das Sequencing- und Notationsprogramm Notator (bzw. der reine Sequenzer "Creator") immer noch einen hohen Status, da kein heutiges Programm auf Mac oder PC die Pattern-Arbeitsweise in dieser Form anbietet. Wichtigster Anlaufpunkt für Fans und Anwender der professionellen Software ist die Web-Community "notator.org" [2]. Diese bietet eine weltweite Mailingliste rund um die Programme Notator Alpha, Notator SL und Creator SL. Die Liste ist sehr gut frequentiert, Fragen und Probleme werden von größtenteils langjährigen Anwendern und somit "alten Füchsen" in freundlicher Atmosphäre diskutiert. Auf der Software-Seite finden sich die jeweils letzten Versionen oben genannter Programme zum Herunterladen. Dass es sich dabei nicht um Raubkopien handelt, dürfte klar sein: Zum Gebrauch wird zwingend der originale Dongle am ROM-Port benötigt, da Emagic sich bis heute nicht entschließen konnte, seine Atari-Software freizugeben - obwohl diese längst nicht mehr verkauft wird und sich verwendeter Code wohl kaum in heutigen Versionen von Logic wieder finden wird.

Auch bei ebay ist der Notator recht häufig anzutreffen, Der Preis richtet sich stark nach der Ausstattung: Für das Programm allein müssen Sie 30 bis 50 Euro einplanen, sind Hardwareerweiterungen wie der Unitor und Export dabei, die weitere MIDI-Ports zur Verfügung stellen, kann der Preis noch etwas hochschnellen, 70 bis 90 Euro sind hier keine Seltenheit. Bedenkt man, dass dies eine Bruchteil des damaligen Preises ist, handelt es sich aber um ein echtes Schnäppchen. Fragen Sie beim Verkäufer aber immer genau nach, ob im Sottware-Paket der Dongle enthalten ist. Wird gleichzeitig der "Unitor N" erworben, so beinhaltet dieser bereits den ROM-Dongle. Außerdem sollte sich die Software in einer Mappe befinden, die auch das Handbuch enthält.

Apropos Handbuch: Wenn Sie wirklich tief in die Materie einsteigen möchten, dann ist ein Zusatzbuch zum Notator empfehlenswert. "Das große Creator-/ Notator"-Handbuch von Johannes Waehneldt ist wirklich jedem Anwender der Programme ans Herz zu legen, denn es geht auf seinen großtormatigen Seiten auf jede einzelne Funktion und Anwendung ein. Man findet es erstaunlich häufig bei ebay, der Preis für das 352-Seitige Buch beträgt selten mehr als 5 Euro (ursprünglich 65 DEM).

Sweet 16

Ein Programm, das dem Creator zum Verwechseln ähnlich sieht, ist der MIDI-Sequenzer "Sweet 16" 131. Ebenso wie das große Vorbild wird ein Song innerhalb von Patterns bearbeitet, auch die Tastenbelegung dürfte vielen Anwendenn bekannt vorkommen. Obwohl nicht alle Funktionen des Creator integriert wurden, so hat Sweet 16 doch einen entscheidenden Vorteil: Das Programm läuft innerhalb eines GEM-Fensters und macht so auch auf Grafikkarten, einigen Emulatoren sowie auf Milan und Hades keine Probleme. Mit einem Speicherbedarf von nur 512 KBytes ist es außerdem sehr genügsam.

Sweet 16 wurde bis ins Jahr 1997 stetig weiterentwickelt und wird vor allem noch verkauft. Der Preis beträgt äußerst verträgliche 30 Dollar. Bei Problemen reagiert das Entwicklungsunternehmen "Roni Music" meist sehr schnell.

Sweet 16 unterstützt bis zu 48 MIDIKanäle. Darüber hinaus werden Features geboten, die in dieser Form nicht einmal im Notator gefunden werden können. So beträgt die mögliche Auflösung 192 PPQN, auf viele Funktionen kann während der Aufnahme bzw. des Abspielens im Multitasking zugegriffen werden, der Key- bzw. Pianorollen-Editor ist äußerst übersichtlich und ein integriertes Mischpult mit Snapshot-Funktion ist speziell auf die Zusammenarbeit mit General-MIDI-Klangerzeugern ausgerichtet. Auf Notationsmöglichkeiten oder eine Unterstützung externer Hardware (Unitor, Export etc.) müssen Anwender leider verzichten. Außerdem ist die Beschränkung auf nur 17 Patterns recht ärgerlich. Für unkomplizierte Aufnahmen und als zuverlässiger Live-Sequenzer ist Sweet 16 jedoch sehr empfehlenswert.

Cubase

Natürlich gibt es auch heute noch zahlreiche Cubase-Anwender, die auf den Atari schwören. Trotzdem scheint es hier nicht mehr ganz so viele Enthusiasten zu geben wie im NotatorLager. Da Cubase in seiner eigentlichen Form bis heute konsequent weiterentwickelt wurde, haben wohl mehr Anwender den Schritt zum PC bzw. Macintosh gemacht als bei den in ihrer Art konkurrenzlosen C-Lab-Programmen. Cubase wird tatsächlich in der Version Audio 2.06 nach wie vor vor von Steinberg verkauft. Dies interessiert besonders Falcon-Besitzer, steht hier doch ein nach wie vor exzellenter Harddisc-Recorder bereit. Auch auf normalen Ataris ist das Programm für MIDI-Sequencing einsetzbar. Allerdings lohnt sich der teure Neukauf wirklich nicht, denn mittlerweile ist "Cubase Audio Falcon" auf ebay sogar schon um die loo Euro zu ergattern. Versionen ohne Audio liegen ungefähr im Preissegment wie ein gebrauchter Notator, oftmals noch etwas darunter.

Ähnlich wie Emagic sträubt sich auch Steinberg gegen die Freigabe"alter" Atari-Software. Die einzige Cubase-Version, die derzeit frei erhältlich ist, ist "Cubase Lite" [4]. Für einfache Projekte reicht diese durchaus aus, sogar eine simple Notation wird geboten. Das (schwarze) Benutzerinterface ist allerdings recht gewöhnungsbedürftig.

Teuer in der Anschaffung ist immer noch Zusatzhardware für Cubase. Besonders empfehlenswert ist dabei der "MIDEX +", der den Atari um zusätzliche MIDI-Ports erweitert und Platz für weitere Dongles bietet. Auf ebay werden für diese feine Hardware immer noch bis zu 6o Euro erzielt, Werjedoch mit mehreren MIDI-Geräten arbeitet, dem sei der MIDEX + wärmstens ans Herz gelegt.

Und auch hier ein Buchtipp: Analog zum oben genannten Werk für den Notator gibt es zu Cubase "Das große Cubase-Handbuch". Allerdings ist es nicht so häufig wie sein "quivalent zu finden.

Live

Ein persönlicher Favorit der stc-Redaktion ist das Programm "Live" [5] aus der Berliner Softwareschmiede "Soft Arts". Leider wird auch dieses nicht mehr kommerziell vertrieben, Rückfragen beim Entwickler und dem ehemaligen Vertrieb ergaben aber keine positive Antwort bezüglich einer Freigabe. Live stellt eine wirkliche Perle unter den Sequenzern dar nicht nur auf dem Atari! Vom Funktionsumfang wird ungefähr die Leistung des reinen MIDI-Teils von Cubase erreicht, Möglichkeiten der Notation gibt es nicht, man wollte wohl "Scrore Perfect Professional" aus demselben Hause keine Konkurrenz machen.

Überlegen ist Live jedoch in Sachen oberflächengestaltung. Der Anwender muss sich nicht durch verschiedene Werkzeugboxen klicken, um Funktionen zu erreichen. Alle Features sind in übersichtlichen Seiten untergebracht, die sich nach einem Mausklick präsentieren. Diese sind zudem auch grafisch äußerst gelungen. Zu der Timeline kommen zum Beispiel eine Drummap, ein Kex-Editor, eine Titelverwaltung, eine Seite für Tempoänderungen usw. Die Version "Live Plus" zeichnet sich zudem dadurch aus, dass alle Editoren in eigenen GEM-Fenstern untergebracht sind - uns gefällt die Standardversion allerdings fast besser. Hinzu kommt, dass Live auch die hohe Auflösung des Atari TT und ab der Version 1.62 und NVDI auch Grafikkarten unterstützt, In der Redaktion läuft Live zum Beispiel auf einem Mega STE 4 auf einer Crazy-Dots-II-Grafikkarte mit Soo x 6oo Bildpunkten, sodass sich auch umfangreiche Sequenzen übersichtlich darstellen lassen. Zudem wird von Anwendern die Lauffähigkeit unter dem Atari-Emulator "Steem" gemeldet.

Damit aber nicht genug: Live setzt auf den Multitasking-Unterbau "MROS" aus dem Hause Steinberg auf. Dies hat zur Folge, dass externe Hardware für Cubase, wie das erwähnte MIDI-Interface MIDEX, auch zusammen mit Live funktionieren. Damit eignet sich das Programm auch für umfangreiche MIDI-Setups.

Steem findet sich selten auf ebay, denn die Verbreitung des Programms war leider nie so hoch wie beim Notator oder gar Cubase. Einzelne Versionen gehen meist für unter lo Euro weg - ein Schnäppchen wie aus dem MIDI-Bilderbuch! Alternativ hat der "Atari-Fachmarkt Peter Denk" [6] aus Hamburg oftmals Versionen da, die für 6o Euro inklusive Handbuch verkauft werden. Dies ist zwar etwas teurer, das Programm ist es aber allemal wert.

Im Internet findet sich die Demo der letzten Version von Live Plus. Diese bietet zwar kleine Speicherfunktion, mit Steem betrieben lassen sich Sequenzen jedoch über das "Einfrieren" des Speicherinhalts festhalten.

Master Tracks Pro

Ein weiterer Geheimtipp unter den MIDI-Sequenzern ist das Programm "Master Tracks Pro" [7]. Tim Conrardy konnte von "GVOX Interactive Music" die Erlaubnis erhalten, Master Tracks als Freeware auf seiner Seite zu veröffentlichen. Und der Sequenzer hat es wirklich in sich, ähnelt er im Funktionsumfang und in der Handhabung doch sehr Cubase. Das Programm kann bis zu 64 Spuren verwalten, hinzu kommen die verschiedensten Editoren, die ähnliche Lösungen hier und da sogar noch übertreffen.

Der größte Vorteil von Master Tracks Pro ist aber sicherlich, dass das Programm sauber unter Nutzung von GEM programmiert wurde. Damit werden auch Grafikkarten und Kompatiblen unterstützt. Außerdem macht der Betrieb unter Multitasking-Systemen nach Angaben von Anwendern keine Probleme. Ein Test in der kommenden Ausgabe der st-computer soll unter anderem die Lauffähigkeit unter MagiC testen.

Auf der Webseite von Tim Conrardy findet sich eine erste Einführung, das komplette Handbuch liegt als HTML-Datei bereit. Alles in allem scheint Master Tracks ein sehr unterschätztes Programm zu sein.

Fazit

In der weiten Welt des Internets finden sich einige hervorragende Applikation für das MIDI-Sequencing auf dem Atari. An dieser Stelle konnte nur auf die Situation und die Unterstützung seitens der Anwenderschaft für die bekannten Lösungen eingegangen sowie Tipps vermittelt werden. Noch mehr zum Teil freie Sequenzer zum Ausprobieren finden sich auf der Webseite von Tim Conrardy - jeder musikbegeisterte Atari-Anwender sollten diese Adresse in seine Bookmarks aufnehmen.

In der kommenden Ausgabe schauen wir, welche HD-Recording-Lösungen für den Atari Falcon noch existieren - es sind mehr, als Sie denken ...

[1] http://tamw.atari-users.net
[2] www.notator.org
[3] www.ronimusic.com/s16-ata.htm
[4] http://tamw.atari-users.net/cubase.htm
[5] www.plontke.de/HaraldPlontke/
[6] www.atarifachmarkt.de
[7] http://tamw.atari-users.net/mtpro.htm


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 12 / 2003, Seite

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