FreeGEM - Was kann EmuTOS lernen?

OpenGEM mit einigen Accessories. Fenster sind grundsätzlich „flach“, mit Ausnahme der Fenster-Widgets im 3D-Look.

Die Freigabe von GEM ermöglichte erst EmuTOS, aber brachte auch auf dem PC ein neues Projekt hervor: FreeGEM. Wieder einmal entwickelten sich Atari- und PC-GEM in unterschiedliche Richtungen.

Freigegeben wurde GEM 1990, nachdem mehrere Versuche gescheitert waren, eine Nische für GEM zu finden, ob als Dateiverwaltung (ViewMAX für DR DOS) oder als Oberfläche für andere Betriebssysteme (FlexOS). Diejenigen, die sich überhaupt an das PC-GEM erinnern konnten, werden aber eher an GEM 2.0 denken, die Version mit den zwei starren Dateifenstern. Es war diese Version, die den PC-Clones von Atari und Amstrad/Schneider beilag. Später wechselten beide Firmen auf Windows.

Dieses GEM wurde als GEM 2.2 von einer niederländischen Firma auf den ST portiert. EmuTOS ist also nicht die zweite, sondern die dritte Portierung des PC-GEM auf den Atari. GEM 2.2 hat eben diese starren Fenster, aber auch einige Systemaufrufe, die das Atari-GEM nicht besaß. Da es den Niederländern nicht gelang, einen der wenigen zugkräftigen Namen aus dem PC-GEM-Lager für GEM 2.2 zu begeistern, war diese GEM-Konvertierung kein Erfolg.

FreeGEM

FreeGEM [1] ist die freigegebene Version von GEM, OpenGEM eine Distribution davon mit Dokumentation und ein paar einfachen Programmen. Die Weiterentwicklung stoppte 2008. Wie jede andere Version, ist GEM kein Betriebssystem und während die EmuTOS-Entwickler ihre GEM-Portierung zu einem Teil eines Betriebssystems machten, benötigt FreeGEM einen Partner. Hier bietet sich natürlich FreeDOS an, aber auch DR DOS, DOSBox oder MS-DOS haben keine Probleme mit GEM.

Der Desktop als zentrale Anwendung von GEM bietet sich natürlich für einen direkten Vergleich an. Der EmuDesk in EmuTOS 0.5 entsprach noch dem PC-GEM, doch nach 17 Jahren ist die Verwandtschaft nicht mehr so offensichtlich. Einige der erweiterten Optionen (Datumsformat, Menü ausklappen per Klick, Soundeffekte) wurden vom PC-GEM übernommen, aber ansonsten hat man sich beim EmuTOS-Team deutlich an Ataris GEM orientiert – und das hat Vor- und Nachteile.

Die erweiterten Voreinstellungen wurden weitgehend von EmuDesk übernommen.

Rudimentär

Für einen Desktop, in dem doch einige Jahre an Arbeit stecken, präsentiert sich FreeGEM erstaunlich rudimentär – und das, obwohl GEM nicht in ein 192 KB ROM passen muss. Es gibt weder Farbicons, noch eine Suchen-Funktion für Dateien. PC-GEM wirkt so, als hätte Atari den Desktop nie aktualisiert. Stattdessen hatte Atari den Desktop Ende 1990 mit TOS 3.01 gründlich renoviert und zwei Jahre später auch die Basis für alle GEM-Programme aufgefrischt: Die AES (Application Environment Service) unterstützten mit dem Falcon- und MultiTOS Sub- und Popup-Menüs, Farbicons und 3D-Objekte. Ein Vergleich mit der letzten FreeGEM-Version zeigt, dass der Desktop an sich nie eine Priorität war. In Form von GEM XM und X/GEM gab es Versuche in Richtung Multitasking. In erster Linie wurde aber die Optik verbessert. FreeGEM (und frühere kommerzielle PC-GEM-Versionen) bieten einen 3D-Look für Fenster-Widgets und Buttons. Der 3D-Look ist etwas platzsparender als der des Falcon-TOS. Die durchgehende Tastaturbedienung weist FreeGEM als typisches PC-Programm aus. Jeder Button und selbst die Menütitel lassen sich per Tastatur erreichen, der Buchstabe ist rot unterstrichen. Check- und Radiobuttons gibt es in der eckigen Variante mit Häkchen (Check) und runden Variante (Radio). Bei Atari sehen beide Buttons identisch aus, erst TOS-Alternativen wie MagiC hatten ihre eigenen erweiterten Objekte.

Auch in EmuTOS?

Die EmuTOS-Entwickler könnten sich also beim PC-Quelltext bedienen und damit den Komfort verbessern. Von 3D-Fensterelementen abgesehen, würde davon aber nur der EmuDesk profitieren, denn die meisten Atari-Entwickler entschieden sich damals, eine GEM-Library zu nutzen, die Objekte wie runde Radiobuttons unabhängig von der TOS-Version zur Verfügung stellt.
Aber der PC-GEM-Markt hatte sich nie in diese Richtung entwickelt. Stattdessen unterstützte Digital Research einige Firmen mit speziell angepassten GEM-Versionen – und damit die gegenüber der Mac- und Windows-Konkurrenz etwas zeitgemäßer aussahen, ergab es Sinn, sich auf die Oberfläche zu konzentrieren und 3D-Buttons und runde Radiobuttons einzubauen. Die meisten GEM-Anwender verbrachten kaum Zeit im Desktop, sie nutzten die drei, vier Programme, die GEM nutzten und verwendeten ansonsten weiter ihre DOS-Anwendungen.
Auf dem Atari nutzten indes Alternativsysteme wie MagiC und Geneva erweiterte Objekttypen für eine modernere Optik. Die vielleicht fortschrittlichste TOS-Version in dieser Beziehung ist das Milan-TOS [2]: Ab der Version vom 17.11.1998 wurden die erweiterten AES-Objekttypen von MagiC unterstützt.

Der Desktop ist nicht wesentlich leistungsfähiger als der vom ersten Atari-GEM.

Fazit

Es wäre zu schön gewesen: OpenGEM wird weitergepflegt und EmuTOS und OpenGEM profitieren voneinander. Offenbar waren aber die OpenGEM-Entwickler der Überzeugung, GEM sei gut genug als eine grafische Shell für alte DOS-PCs. Dagegen hat EmuTOS seit Jahren Ziele, die sowohl in die Vergangenheit (Angleichung an TOS 2/3/4) als auch die Zukunft (Anpassung an neue Hardware) gerichtet sind. Davon abgesehen wären die erweiterten Objekttypen sicherlich „nice to have“.

[1] https://sourceforge.net/projects/opengem/files/opengem/
[2] http://www.schwingen.org/atari/


Mia Jaap
Aus: ST-Computer 06 / 2019, Seite 22

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