Der Setzer aus Amerika

Die Unterschiede zwischen dem Satzsystem TeX und Textverarbeitungen

Die Bezeichnung »TeX« (ausgesprochen »tech«) hat wohl jeder Atari-ST-Besitzer schon einmal gehört, und die meisten wissen auch, daß es sich dabei um eine Art Textverarbeitungsprogramm handelt. Der Kreis der Anwender von TeX auf dem ST ist bis jetzt aber noch klein, was wohl daran liegt, daß TeX sich grundlegend von den »üblichen« Textverarbeitungsprogrammen unterscheidet.

TeX ist ein von Donald E. Knuth an der Universität Stan-ford/USA entwickeltes Textsatzsystem zum Gestalten von

Dokumenten. Obwohl TeX seine Vorteile besonders bei Texten mit vielen mathematischen Symbolen zur Geltung bringt, ist das Programm auch für Texte geeignet, die wenig oder überhaupt keine mathematischen Konstrukte enthalten. TeX hat — für Informatikbegriffe — schon eine ziemlich lange Geschichte hinter sich: Eine »nullte« Version erschien im September 1982. Die vollständig ausgetestete Version 1 wurde über ein Jahr später, im November 1983 freigegeben, danach wurden noch Korrekturen kleinerer Fehler vorgenommen. Die heutige Version 2.0 ist auf dem Stand von April 1986 und gilt als weitgehend fehlerfrei (Knuth hat eine Belohnung von 10 Dollar und 24 Cents für den ersten, der darin noch einen Fehler findet, ausgesetzt).

Er hat TeX mit dem Programmerstellungs- und Programmdokumentationssystem »WEB« geschrieben, die Source ist eine Mischung aus Dokumentation und Pascal-ähnlichen Programmstücken. Zur Übersetzung der Source erzeugt WEB aus dieser zunächst ein Pascal-Programm, das ein Pascal-Compiler dann verarbeitet. Die TeX-Source selbst ist Freeware — jeder darf sie kopieren, wenn er keine Änderungen daran vornimmt. Zum Anpassen an ein bestimmtes System gibt es eine spezielle »Changes«-Datei,

in die man die Änderungen einträgt. Das Problem ist natürlich nun, TeX auf den verschiedenen Computertypen zum Laufen zu bringen: Dazu muß man ein separates Programm schreiben, das die Betriebssystem-spezifischen Funktionen bereitstellt — und das ist auch der Grund, warum TeX für den Atari ST nicht kostenlos erhältlich ist. Außerdem benötigt man zum vernünftigen Arbeiten mit TeX noch verschiedene Ausgabe-Treiberprogramme, die ebenfalls Eigenentwicklungen der jeweiligen Vertriebsfirma sind.

Nach diesem Blick »hinter die Kulissen« zurück zu den für die Anwender interessanten Fragen: Aus gutem Grund wird TeX als Textsatzsystem und nicht als Textverarbeitung bezeichnet, da man heute mit einem Textverarbeitungssystem folgende Anforderungen verbindet, die auf TeX alle nicht zutreffen:

Alle diese Anforderungen lassen sich unter dem Stichwort »Benutzeroberfläche« zusammenfassen, und die bekannten Textverarbeitungsprogramme für den Atari ST wie »1st Word Plus« oder »Signum« erfüllen diese Anforderungen auch.

Mit solchen Eigenschaften wartet TeX nicht auf: Das TeX-Programm selbst bringt »lediglich« einen Text, den der Benutzer vorher in eine Datei geschrieben hat, auf eine ausgabefähige, aber geräteunabhängige Form im sogenannten DVI-(device independent)Format, die wiederum in eine Datei geschrieben

wird. Mit Hilfe von speziellen Treiberprogrammen, die auf ein bestimmtes Ausgabegerät zugeschnitten sind, ist man in der Lage, die DVI-Datei dann auszudrucken.

Der Weg vom Dokument bis zum fertigen Ausdruck unter Verwendung von TeX sieht also in etwa folgendermaßen aus:

  1. Schreiben des gewünschten Textes in eine Datei. Dazu kann jeder beliebige Editor dienen, so lange dieser eine gewöhnliche ASCII-Datei erzeugt.
  2. Übersetzung der Datei mit TeX in DVI-Form. Treten hier Fehler auf, zurück zu 1.
  3. Ansehen (»Preview«) des Ergebnisses auf dem Bildschirm. Dazu benötigt man ein eigenes Treiberprogramm.
  4. Ist das Ergebnis zufriedenstellend, läßt man sich die DVI-Datei mit einem anderen Treiberprogramm ausdrucken.

Das ist zugegebenermaßen ein relativ umständliches Verfahren (gemessen an WYSIWYG-Programmen). Allerdings ist noch eine Frage offen, die im Punkt 1 elegant übergangen wurde: Wenn man seinen Text in eine gewöhnliche Datei schreiben muß, wie legt man dann das spätere Aussehen des Textes fest? Hier bleibt eigentlich nur ein Weg: Durch das Einstreuen von Kommandos in den Text kontrolliert man genau, wie die Ausgabe später aussieht.

Ist also die Anwendung von TeX im Zeitalter der WYSIWYG-Programme überhaupt noch empfehlenswert und sinnvoll? Diese Frage ist ohne weiteres mit ja zu beantworten, denn TeX besitzt gegenüber anderen Textsystemen gewaltige Vorteile, die jetzt zur Sprache kommen — bis zu dieser Stelle wurden ja nur Nachteile aufgezeigt, dafür aber vollständig, denn weitere Nachteile hat TeX nicht.

Die besonderen Vorteile von TeX gegenüber anderen Textsystemen sind

Weitere Pluspunkte von TeX sind Portierbarkeit, Fehlerfreiheit und Dokumentation, worauf wir im folgenden noch genauer eingehen.

Im Gegensatz zu anderen Textsystemen, die meist nur auf einem bestimmten Rechner laufen (beispielsweise Signum auf Atari ST), ist TeX in der ganzen Welt auf vielen verschiedenen Computersystemen verbreitet. Das bedeutet: Mit TeX auf dem ST geschriebene Texte lassen sich ohne Probleme auch auf einem anderen Computer verwenden. So ist man in der Lage, zu Hause sein Manuskript auf dem Atari ST zu tippen, zu übersetzen und Korrektur zu lesen. Hat man dann eine endgültige Version fertiggestellt, überspielt man das Dokument auf eine große Rechenanlage, auf der es beispielsweise auf einem Laserdrucker oder einem Fotosatzgerät ausgegeben wird. Das ist besonders wichtig für Autoren, die ihre Werke selbst so gestalten wollen, wie sie später zum Druck kommen.

Die Ausgabe auf verschiedenen Ausgabegeräten (beispielsweise Matrixdrucker und Fotosatzgerät) funktioniert, da TeX eine von diesen Geräten unabhängige DVI-Ausgabe erzeugt. Auf bestimmte Geräte zugeschnittene Treiber produzieren dann einen Ausdruck in höchster Qualität. Trotz verschiedener Ausgabegeräte sehen die Ausgaben immer gleich aus (insbesondere ändern sich die Maße nicht), sie unterscheiden sich höchstens in der. Auflösung (Matrixdrucker: etwa 200 dpi, Laserdrucker: etwa 300 dpi, Fotosatzgerät: mehr als 1000 dpi).

Das Erlernen der Kommandos ist kein Kinderspiel...

Einen völlig anderen Punkt, der bei käuflicher Software viel zu oft übersehen wird, sollte man ebenfalls nicht außer acht lassen, nämlich die Fehlerfreiheit und die Dokumentation. Denn was nützt einem das schönste Textsystem, wenn man sich dauernd mit Fehlern oder unzureichend dokumentierten Eigenschaften herumschlagen muß. In dieser Hinsicht ist TeX geradezu vorbildlich. Abgesehen davon, daß TeX von einem sehr fähigen Mann entwickelt wurde, ist die heutige Version 2.0 seit sechs Jahren im Einsatz, und man darf davon ausgehen, daß wirklich störende Fehler wohl nicht mehr auftreten. Nicht zuletzt deshalb wird TeX auch im kommerziellen Bereich zum Setzen von Büchern verwendet. Die Dokumentationen zu TeX lassen ebenfalls keinerlei Wünsche offen: Das Standardwerk »The TeX book«, von Knuth selbst geschrieben, ist eine erschöpfende Beschreibung der Fähigkeiten von TeX. Der Neuling hat allerdings sichtlich Mühe, mit der Flut der in diesem Buch gebotenen Information fertigzuwerden. Aber es sind ja auch noch andere Bücher auf dem Markt, die für den Anfänger eine etwas leichter verdauliche Grundlage bilden.

...aber das Ergebnis, hier mit einem NEC P6, überzeugt

Anders als bei WYSIWYG-Programmen, für deren Benutzung man oft nicht einmal eine Anleitung lesen muß, kostet das gründliche Einarbeiten in TeX einige Zeit. »Gründlich« heißt hier, daß man den Inhalt des TeX books verstanden hat und ihn auch anwenden kann. Dafür sollte man in etwa eine Einarbeitungszeit von zwei bis drei Wochen — einschließlich praktischer Übungen am Computer — veranschlagen.

Diesen doch ziemlich großen Aufwand sollte man allerdings nur betreiben, wenn man auch einen entsprechenden Nutzen daraus zieht — wer seinen Atari ST zu 95 Prozent für andere Zwecke als die Textverarbeitung verwendet und nur ab und zu mal ein Briefchen oder eine Gliederung tippt, sollte sicherlich keinerlei Zeit mit der Einarbeitung in ein System vergeuden, das er dann nicht ausnutzt.

Wer aber häufiger längere Texte verfaßt, die zudem noch auf dem Papier gut aussehen sollen, sollte sich schon überlegen, ob sich die Anschaffung und die Einarbeitung in TeX nicht auf längere Sicht lohnt. Besonders dann, wenn man mit dem Textverarbeitungssystem, mit dem man solche Arbeiten bis jetzt erledigt hat, ohnehin nicht völlig zufrieden ist.

Bis jetzt war nur allgemein von TeX die Rede. Doch wie sieht es speziell auf dem ST damit aus? TeX-Versionen für den Atari ST bieten mehrere Firmen (lesen Sie den Vergleichstest auf Seite 60 in dieser Ausgabe) an. Unabhängig davon, für welche Version man sich entscheidet, muß man sich darüber im klaren sein, daß TeX den Atari ST voll ausnutzt und man an zwei Grenzen stößt: Geschwindigkeit und Speicherplatz.

Hat man mit TeX schon auf einem größeren Computer, beispielsweise auf einer Sun 3 gearbeitet, so erscheint die Übersetzungszeit von vier Seiten in der Minute auf dem ST (Sun: 30 Seiten/Minute) etwas langsam. Dies summiert sich bei längeren Dokumenten, so daß man während der Übersetzung auch mal eine Tasse Kaffee trinken kann. Aber der Zeitbedarf ist noch vertretbar, und bei längeren Texten behilft man sich damit, sie auf mehrere Dateien aufzuteilen, damit bei einer kleinen Änderung nicht jedes Mal alles neu übersetzt werden muß.

So viel zum Geschwindigkeitsproblem. Das Speicherplatzproblem ist da schon etwas gewichtiger. Besitzer eines Mega ST mit 2 oder sogar 4 MByte RAM sind fein heraus. Wer allerdings nur über 1 MByte RAM verfügt (das ist der Mindestbedarf; auf Computern mit nur 512 KByte RAM läuft TeX nicht), kann in einem Dokument nicht beliebig viele Zeichensätze verwenden. Aber man sollte ohnehin nicht zu viele verschiedene Schriftarten in einem Text verwenden, da er sonst unübersichtlich wird. Wer außerdem keine Festplatte besitzt, ist zusätzlich eingeschränkt, da er seine Texte entweder dauernd hin- und herkopieren oder auf einer kleinen RAM-Disk halten muß. Am besten sollte man sich gleichzeitig mit TeX auch eine Festplatte anschaffen, falls man noch keine besitzt.

Abschließend läßt sich über TeX sagen, daß es für alle, die häufig Texte mit mathematischen Formeln verfassen und die geräteunabhängig bleiben wollen, eine empfehlenswerte Alternative zu Textverarbeitungsprogrammen ist.

(uh)


Christian Rank
Aus: ST-Magazin 07 / 1988, Seite 57

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