Textverarbeitung Protext: Mauslos glücklich?

Eine schnelle Textverarbeitung, die ohne Maus auskommt: »Protext« ein neuer Trendsetter?

Bei Bedarf lassen sich Leerzeichen, Tabulatoren und Absatzenden durch Steuerzeichen darstellen
Eine WYSIWYG-Darstellung von kursiver, unterstrichener und fetter Schrift ist ebenfaiis vorgesehen. Fettschrift erscheint invers.

Auf der englischen Atari-User-Show war vor kurzem die Textverarbeitung »Protext« zu begutachten. Das GEM-lose Textprogramm ist allerdings nicht mit dem gleichnamigen Produkt des Markt&Technik Verlages zu verwechseln, das bisher in Deutschland erhältlich ist. Wir haben untersucht, welchen Platz Protext, das bei uns »Prowort« heißen wird, unter den zahlreichen Atari-Textverarbeitungen behauptet.

Für den Test stand uns die englische ST-Version zur Verfügung. Es handelt sich bei Protext um eine kommandoorientierte Textverarbeitung, die keinen Gebrauch von Maus, Fenstern, Pull-Down Menüs und den sonstigen Segnungen des GEM macht. Dies liegt in der Entstehungsgeschichte von Protext begründet: Das englische Softwarehaus Arnor schrieb Protext ursprünglich unter CP/M für die CPC-Computer der Firma Schneider. Durch den Erfolg des Programmes angeregt, entschloß sich Arnor, Umsetzungen für MS-DOS-Computer und den Atari zu entwickeln. Die Bedienung und der Leistungsumfang des Programmes ist auf allen angesprochenen Computern weitgehend gleich.

Protext wird auf drei einseitigen, nicht kopiergeschützten Disketten mit einem 250seitigen englischen Handbuch geliefert. Die Disketten enthalten das Protext-Hauptprogramm, verschiedene Hilfsprogramme, Druckertreiber, ein Tutorial und zwei (englische) Wörterbücher. Das Handbuch ist übersichtlich aufgebaut. Im Anhang sind die Befehle mit knappen Beschreibungen tabellarisch aufgelistet. Ein Glossar mit speziellen Fachtermini und der Index runden das Handbuch ab. Zahlreiche Beispiele, die sich direkt nachvollziehen lassen, machen schnell mit Protext vertraut. Leider wird die Druckeranpassung etwas zu knapp behandelt. Es wäre sinnvoller, grundlegende Sachverhalte (wie den Aufbau einer Seite) vorher zu erläutern oder grafisch aufzubereiten. Alles in allem ist die Qualität des Handbuchs zufriedenstellend. Protext stellt keine besonderen Anforderungen an den Computer. Zum Betrieb reichen ein Laufwerk und 512 KByte RAM aus. Bei umfangreichen Texten kann es in dieser Konfiguration allerdings Speicherplatzprobleme geben, da das Programm selbst rund 250 KByte groß ist.

Protext bietet neun verschiedene Tastaturbelegungen an. Durch die Veränderung eines Wertes in der Protext-Konfigurationsdatei empfiehlt es sich vor der ersten Benutzung, die deutsche Tastaturbelegung anzuwählen.

Es ist recht selten, daß sich ein Hersteller vergleichbar viel Mühe mit der Tastaturbelegung macht. Ganz ohne Probleme ist der Betrieb dennoch nicht, obwohl die reine Texteingabe einwandfrei funktioniert. Problematisch wird es erst, wenn Sie Steuerzeichen mit Hilfe der Control-Taste eingeben möchten. Die Steuerzeichen liegen unabhängig von der gewählten Tastaturbelegung immer wie auf der englischen Tastatur. Der Klammeraffe (@) liegt plötzlich auf der »ä«-Täste, das Fragezeichen auf der Minus-Taste, auch sind die Control-Codes von »Y« und »Z« vertauscht. Hilfreich wäre der Abdruck einer vollständigen englischen Tastaturbelegung im Handbuch.

Protext kennt zwei Arbeitsmodi: den Editier- und den Kommandomodus. Mittels der ESC-Taste schalten Sie zwischen den beiden Modi um. Im Editiermodus erfolgt die Eingabe des Textes. Der Kommandomodus bietet Befehle zum Laden, Speichern und Hinzuladen von Texten, Textformatierfunktionen und eine Auswahl an MS-DOS-Befehlen. Ordner lassen sich anlegen und löschen, Dateien kopieren, umbenennen, löschen und gegen Überschreiben schützen. Selbst vereinfachte Batch-Dateien wurden implementiert. Sehr nützlich ist die Speicherung der letzten zwanzig Eingabezeilen.

Die Editier- und Löschfunktionen von Protext sind sehr umfangreich. Der Cursor läßt sich Zeichen-, wort-, absatz-, seiten- und blockweise bewegen. Bei Bedarf können Sie den Cursor auch mit der Maus über den Bildschirm bewegen. Meist lohnt sich der Wechsel von Tastatur zur Maus und zurück jedoch nicht. Die durchgehende Bedienung über die Tastatur ist in der Regel schneller.

Drei Arten von Marken erlauben Sprünge zu beliebigen Textstellen. Darüber hinaus gibt es zehn weitere Marken, die sich direkt anspringen lassen. Eine dritte Markenart unterstützt den Aufbau von Tabellen, die sich nicht direkt anspringen lassen. Für jeden Text stehen beliebig viele Tabellenmarken bereit.

Die besonderen Stärken von Protext liegen auf dem Gebiet der Serienbriefschreibung (mail merging). Das Mailmerging von Protext ist wesentlich leistungsfähiger als beispielsweise bei Wordplus. Für den Aufbau eines Serienbriefes stehen IF-ELSE-ENDIF-Konstrukte, REPEAT-UNTIL-Schleifen und Verzweigungsanweisungen zur Verfügung. Die IF-Bedingung kann ein logischer Ausdruck, eine Abfrage der Existenz einer Variablen oder des Dateiendes sein. Analog zu Wordplus gibt es Befehle, um Texte auf dem Bildschirm auszugeben und Eingaben vom Benutzer zu verlangen. Zwei verschiedene Befehle zum Lesen der Datensätze halten das Programm bei unterschiedlichen Datenformaten flexibel. Falls ihre Daten dennoch eine »exotische« Struktur aufweisen, bleibt immer noch der Ausweg, das benötigte Format mittels des CONVERT-Programmes herzustellen. Auch Berechnungen lassen sich innerhalb des Mailmerging durchführen.

Bei den Variablen haben sich die Programmierer noch etwas Besonderes einfallen lassen. Variablen sind grundsätzlich Zeichenketten, auch wenn sie durch Zuweisung eines Rechenausdrucks entstanden sind. Aus Zeichenketten lassen sich Teilstücke entnehmen. Mit der Angabe »Name[4:10]« ist das vierte bis zehnte Zeichen der Variablen »Name« gemeint, der Ausdruck »Name[W2:3]« bezeichnet dagegen das zweite und dritte Wort in der Variablen »Name«. Dadurch läßt sich zum Beispiel der Nachkommateil einer Zahl abspalten, was wohl eine einmalige Funktion ist.

Das Handbuch beschreibt die Funktionen des Mailmerge anhand vieler Beispiele. Als besonderen Gag findet man ein Primzahlprogramm, das die Flexibilität von Protext belegt. Zu unserem Bedauern gelang es nicht, dieses interessante Beispiel zum Laufen zu bringen.

Protext kennt keine Begrenzung der Zeilenlänge. Ungewöhnlich und wenig sinnvoll ist das Verhalten des Cursors bei zeichenweisen Bewegungen. Am Textende einer Zeile springt er nicht in die nächste Zeile, sondern läuft fröhlich weiter. Der Sinn dieser Eigenschaft darf bezweifelt werden.

Blockoperationen sind für Protext kein Problem. Je nach Bedarf lassen sich rechteckige Blöcke (praktisch für Tabellen) oder der Text zwischen zwei Marken bearbeiten. Das Kopieren von Textblöcken zwischen zwei im Speicher stehenden Texten klappt einwandfrei und geht auch bei umfangreichen Blöcken rasch vonstatten.

Löschen Sie Textteile, übernimmt Protext die Blöcke in einen UNDO-Puffer. Seine Größe läßt sich ebenso wie die Größe des Textpuffers frei einstellen. Das Löschen von Blöcken, die größer als der UNDO-Puffer sind, ruft eine Sicherheitsabfrage hervor.

Ein wichtiger Aspekt bei der Beurteilung einer Textverarbeitung ist die Qualität und Geschwindigkeit der Suche & Ersetze-Funktionen. Protext bietet in diesem Punkt alle Standardoptionen. Neben der wählbaren Suchrichtung beachtet der ST auf Wunsch die Groß- oder Kleinschreibung, verändert nur nach Rückfrage oder sucht das n-te Vorkommen eines Wortes.

Die Suche nach Steuerzeichen und Verwendung der üblichen Wildcards(»?« für ein einzelnes Zeichen und »*« für eine Zeichengruppe) ist ebenfalls erlaubt. Die Ausführungsgeschwindigkeit ist dabei außergewöhnlich hoch.

Protext glänzt durch Geschwindigkeit. In der Tabelle haben wir einige Vergleichswerte der Programme Wordplus, Protext und Tempus zusammengestellt. Tempus 1.0 wurde wegen seiner überragenden Geschwindigkeit hinzugezogen, obwohl es nur ein ASCII-Texteditor ist. Zunächst haben wir die Dauer des Ladens eines 130 KByte langen ASCII-Textes gemessen. Anschließend scrollten wir jeweils einmal zeilen- und seitenweise durch den Text. Da das seitenweise Scrollen bei Wordplus nur durch heftiges Mausklicken zu erreichen ist, haben wir in Anbetracht der Länge des Textes auf diesen Wert verzichtet.

Überrascht hat uns die Geschwindigkeit der Suchen & Ersetzen-Funktion, die sogar Tempus hinter sich läßt. Wir sind gespannt, wie Protext im Vergleich zum neuen Tempus 2.0 aussieht, das ja auch »echte« Text Verarbeitungsfunktionen bietet. Wordplus hinkt den beiden anderen Programmen gemächlich hinterher. Das gleiche Bild ergab sich bei der Formatierung und der Rechtschreibprüfung des gleichen Textes.

Heutzutage bieten die Drucker zahlreiche Textattribute. Protext verarbeitet verschieden konstante Zeichenbreiten und proportionale Zeichen. Alle Zeichen lassen sich fett, kursiv, doppelt breit und komprimiert drucken und auf Wunsch hoch- oder tiefstelien. Für die Einstellung der Schönschrift ist ebenfalls ein Controlcode vorhanden. Die Attribute werden am Bildschirm durch inverse Steuerzeichen symbolisiert. Fettschrift, Unterstreichungen und kursive Schrift werden wahlweise direkt dargestellt. Mit dieser Funktion hat Protext in der derzeitigen Version allerdings Probleme, wie die Hardcopies zeigen.

Freie Konfigurierbarkeit ist ein besonderes Merkmal von Protext. Mit dem Hilfsprogramm MAKECFG wird ein vom Benutzer definierter Konfigurationstext in eine komprimierte Konfigurationsdatei umgewandelt. Für verschiedene Anwendungen lassen sich individuelle Konfigurationsdateien anlegen, die zum Beispiel die Einstellungen für Papierformat, Tastaturbelegung, verwendete Druckerschnittstelle, Tastaturmakros und einige Flags (Wordwrap ein/aus) enthalten. Zur Gestaltung der Druckertreiber existiert das Hilfsprogramm SETPRINT, das ähnlich dem INSTALL-Programm von Wordplus arbeitet. Wordplus-Druckertreiber lassen sich mit relativ geringem Aufwand an Protext anpassen. Allerdings sind die Steuerzeichen nicht so zahlreich wie in Wordplus. Hinzugekommen ist die optionale Angabe der Zeichenbreiten für Proportionalschrift.

Die Preview-Funktion verstümmelt die Fettschrift. Es wird nur eine Zeichenbreite dargestellt.
  | Laden | zeilenweise scrollen | seitenweise scrollen | Ersetzen e durch z | Ersetzen z durch abc ----- | ----- | ----- | ----- | ----- | ----- Protext | 10 | 246 | 49 | 18 | 19 Wordplus | 32 | 781 | zu lang | 141 | 153 Tempus | 2 | 169 | 9 | 19 | 21

Testdatei: 130kB-Datei, 4200 Zeilen
Zeitangaben in Sekunden, Turbodos aktiv, 30MB-Harddisk

  formatieren Wörter zählen Spelling-Check Wörter im Dictionary
Protext 42 10 17 min 36142
Wordplus 243 12 53 min zirka 35000

Testdatei: 130kB-Datei, 4200 Zeilen
Zeitangaben in Sekunden, Turbodos aktiv, 30MB-Harddisk

Protext schlägt im direkten Geschwindigkeitsvergleich Wordplus um Längen. Beim Suchen und Ersetzen ist es sogar schneller als Tempus.

Die Konvertierung von Wordplus-Dateien in das Protext-Format übernimmt ein weiteres Programm. Bis auf die helle Schrift berücksichtigt Protext alle Textattribute, Lineale und Seitenformate von Wordplus. Enthält der Text Bilder, erzeugt das Programm an der betreffenden Stelle im Text eine Kommentarzeile, die den Namen und Suchpfad des Bildes angibt. In der vorliegenden Version von Protext ist eine Grafikeinbindung nicht vorgesehen, da dies Inkompatibilität zu den anderen Protextversionen nach sich zieht. Das Konvertierungsprogramm kommt mit Fußnoten in Word-plus-Dateien nicht zurecht. Eine Fußnotenverwaltung ist in Protext nicht implementiert. Anstelle der Fußnote erscheinen einige andere Zeichen. Der eigentliche Fußnotentext wird irgendwo im Text plaziert.

Protext verfügt über eine leistungsfähige und einfach zu bedienende Rechtschreibkorrektur (spelling check). Einzelne Wörter werden während der Texteingabe direkt auf ihre Rechtschreibung überprüft. Steht das betreffende Wort nicht im Wörterbuch, läßt es sich in eine Ergänzungsdatei aufnehmen oder korrigieren. Alternativ dazu bietet Protext eine Liste mit ähnlichen Wörtern an, in der sich eventuell das gesuchte Wort befindet. Bei einer Überprüfung des gesamten Textes können Sie nicht erkannte Wörter, wie Eigen- oder Ortsnamen, übergehen. Die Rechtschreibprüfung mit einem Diskettenlaufwerk ist sehr langsam und nicht ratsam. Eine RAM-Disk für die Wörterbücher (derzeit 152 KByte und 148 KByte) ist unbedingt zu empfehlen. Leider existieren zur Zeit nur englische Wörterbücher. An dem deutschen Wörterbuch und der Eindeutschung des Programmes wird gearbeitet.

Der Vergleich von Wordplus und Protext bei der Überprüfung eines 130 KByte großen Textes ergab klare Geschwindigkeitsvorteile für Protext. Dabei muß zusätzlich berücksichtigt werden, daß Wordplus nur ein einziges Wörterbuch zuläßt, das ganz in den Speicher geladen wird. Protext erlaubt die Verwendung von maximal sechs Wörterbüchern.

Das Programm baut im Speicher einen Suchindex auf, über den es dann auf die Wörterbücher auf Disk zugreift. Bemängelt Protext ein Wort und man wählt die Option »ignorieren«, überspringt Protext automatisch jedes weitere Auftreten desselben Wortes. Wordplus kennt diese Funktion nicht.

Die Wörterbuchfunktionen von Protext bieten im Kommandomodus einige zusätzliche Features. Wörterbücher lassen sich anlegen, anzeigen oder verschmelzen. Wörter werden auf Wunsch hinzugefügt, entfernt oder gezählt. Befehle zur Suche nach ähnlichen oder auf eine Maske passenden Wörtern sind vorhanden. Eine Besonderheit stellt die Anagramm-Suche dar. Dabei wird ebenfalls eine Maske vorgegeben, jedoch ist die Anordnung der Zeichen beliebig. Bei einer Anagramm-Suche mit der Maske »axy???« fand das Programm beispielsweise die drei Worte »galaxy«, »laxity« und »syntax«.

Man merkt Protext an, daß die Programmierer mit Liebe zum Detail gearbeitet haben: Beim Schreiben passiert es oft, daß man zwei Buchstaben vertauscht. Mit Protext läßt sich die Vertauschung auf Tastendruck rückgängig machen. Wollen Sie eine Textpassage völlig in Kleinoder Großschrift umwandeln, stellt Protext auch hier Controlcodes bereit.

Protext scheint uns ein sehr ausgereiftes Produkt zu sein. Abstürze kamen während unseres Tests nicht vor.

Das Programm ist eine Textverarbeitung für Anwender, die viel schreiben und ein schnelles, flexibles Textverarbeitungsprogramm benötigen. Die völlige Tastaturorientierung setzt zwar eine längere Einarbeitungszeit voraus, erlaubt aber letztlich ein zügigeres Arbeiten. Eine integrierte Fußnotenverwaltung, eine Indexgenerierung und eine (halb)automatische Silbentrennung würden das Programm stark aufwerten und ihm weitere Anwendungsgebiete erschließen. Es macht nach einer kurzen Eingewöhnungsphase Spaß mit Protext zu arbeiten und die vielen Funktionen des Programmes auszuprobieren. Mit dem noch ausstehenden letzten Schliff (besonders beim Ausdruck von Breit- und Proportionalschrift) hat der Trendsetter Protext eine reelle Chance, der Konkurrenz das Fürchten zu lehren.

(am)

Amor Deutschland, Hans-Henny-Jahn-Weg 21, 2000 Hamburg 76

Steckbrief

Produktname: PROTEXT (deutsche Version: Prowort)
Preis: 198 Mark
Hersteller: ARNOR Deutschland
Lieferumfang: drei einseitige Disketten, 250seitiges Handbuch

Stärken:

□ hohe Geschwindigkeit □ flexible Druckersteuerung □ guter Spellingchecker (englisch) □ exzellentes Mailmerge □ vielseitige Hilfsfunktionen □ einfach konfigurierbar □ Tastaturmakros □ zwei Texte gleichzeitig im Speicher

Schwächen:

□ keine Fußnoten □ Probleme beim Proportionaldruck □ Preview-Funktion kaum verwendbar □ Indexgenerator gesondert zu erwerben □ keine Silbentrennung □ fehlende Grafikeinbindung □ deutsche Tastaturbelegung verwirrend


Jürgen Frank
Aus: ST-Magazin 08 / 1988, Seite 65

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite