»Wir machen den ST professionell«

Neue Gewänder für neue Anwendungen

Bild 1. Läßt nicht nur das Herz des Studiomusikers höher schlagen: »Status SII« mit zwei Monitoren und der C-MIX Faderautomation von Jellinghaus

»Schwabbeltastatur«, »Spielzeuggehäuse«, »Kabelsalat«. Das m IW ist nur eine kleine Auswahl aus dem Repertoire derer, die dem ST unter den Proficomputern keinen Platz einräumen. Andere haben die Qualitäten dieses am weitesten verbreiteten 68000-Computers längst erkannt. So auch die kleine Hardware-Schmiede mit dem klangvollen Namen »Status Studiobau«. Hier fertigt man seit 1983 maßgeschneiderte High-Tech-Lösungen für Musikstudios, Tonstudios sowie kleine Sender. Die Wahl als den geeignetsten Computer für jeden Zweck und Einsatz fiel auf den Atari ST. Heute beschäftigt Status drei feste Mitarbeiter und mehrere freie Programmierer. Wir haben die innovative Firma im Münchener Vorort Germering für Sie besucht.

High-Tech aus der Vorstadtvilla

Wer die ausgefeilten Produkte von Status kennt, der vermutet die Kolbstraße vielleicht inmitten eines Industrie- und Gewerbegebietes. Wir sind jedenfalls erstaunt, als wir mit der Hausnummer 10a ein Mehrfamilienhaus vorfinden, inmitten einer gutbürgerlichen Kleinstadtsiedlung.

Eine Kellerfirma? Keineswegs. Uns erwarten freundliche, modern eingerichtete Räumlichkeiten, die ein angenehmes Arbeitsklima vermuten lassen.

Geschäftsführer Alexander Becker zeigt sich präsentierfreudig und gibt auch so manche Anekdote aus dem »Nähkästchen der Szene« zum besten.

Warum er denn den ST zum zentralen Computer seiner technischen Unternehmungen auserkoren habe, wollen wir zuerst wissen. Die Antwort ist nüchtern sachlich: »Weil der ST kaum mehr kostet als ein Billig-Terminal, aber über einen schnellen Prozessor verfügt, satt Speicher und zusätzlich GEM und MIDI hat. Das sind genau die Eigenschaften, die den von uns angebotenen Lösungen stark entgegenkommen.« Keine Nachteile? »Doch natürlich, Gehäuse und Tastatur lassen in ihrer Ausführung zu wünschen übrig. Da setzen wir an und machen den ST professionell.«

Woher stammt dann »Status Studiobau«?

»Der Atari ST ist nur unsere zweite Schiene. Angefangen hat alles mit der Ausstattung von Studios im Audiobe-reich. Status, das steht für ’STudio-, Audio-Technik Und Service’. Als die Computer Einzug in die Studios hielten, sind wir eben auch auf diesen Zug aufgesprungen. Doch kommen Sie mal in unseren Keller, da kann ich Ihnen etwas Interessantes zeigen.«

Alexander Becker lächelt verschmitzt. Dann führt er uns eine steinerne Treppe hinab in das tiefste Geschoß. In drei Räumen türmen sich zwischen Stahlregalen und auf Tischen die Computer, Platinen, Kabel, Lötkolben und Meßgeräte. » Derzeit unsere Abstellkammer sozusagen«, grinst Becker, »das soll mal ein großes Labor werden, aber das dauert noch eine Weile, wir sind ja gerade frisch eingezogen.«

Bild 2. Der seitliche Einblick ins 19-Zoll-Gehäuse zeigt zwei STs in trauter Zusammenarbeit. Für zwei weitere ist noch Platz.

Dann weist er auf einen geöffneten Schrank in einem versteckten Winkel. »Raten Sie doch einmal, was das ist« und deutet auf einen klobigen grauen Kasten mit eingelassenem Display und Zehnertastatur. im 19-Zoll-Gehäuse (Bild 4 auf Seite 166). Achselzucken bei uns.

»Das ist der ’Timeswitch’. Seine Innereien bestehen aus einem 68000-EinpIati-nencomputer mit Laufwerk und einem Langwellenempfänger, der das Zeitsignal der Braunschweiger Atomuhr empfängt.«

Natürlich interessiert uns, was es mit diesem 68000-Computer und der genauem Uhr auf sich hat.

Becker nimmt das Gerät aus dem Schrank und zeigt es von der hinteren Seite. Unser geübtes Auge erkennt sofort den 3,5-ZolI-Diskettenschacht an der Rückwand. Seltsamerweise ist er im Atari-üblichen 45-Grad-Look ausgeführt. Sollte besagter »68000-Einplatinencomputer« etwa ein Atari ST sein?

Alexander Becker klärt uns auf:»Der MBT ist ein Gerät zur Steuerung von Kabelverteileranlagen des privaten Kabelfernsehens. Es steuert vollautomatisch die Verteilung von Sendezeiten. Das ist ein ziemlich komplexer Vorgang. Schließlich soll immer der richtige Sender mit dem richtigen Anbieter verbunden sein, Feiertage und spezielle Sendeinteressen sind zu berücksichtigen. Ausfälle der Steuerung kommen ganz schön teuer. Deshalb muß das Gerät absolut zuverlässig arbeiten. Bei der Würzburger Kabelgesellschaft, wo wir das erste Gerät dieser Art installiert haben, ist der MBT das Herz der gesamten Anlage. Der Computer im Inneren ist ein kleiner ST — vom Typ 520. Damit alle Aufgaben auf die Sekunde genau klappen, erhält der Computer die genaue Zeit über den Langwellenempfänger. Wir haben das Gerät bisher mit der technischen Angabe ’68000-Einplatinencomputer’ verkauft, weil niemand erfahren sollte, daß hier ein Atari ST seinen Dienst tut.«

Alexander Becker: »Wir haben den ST zerlegt, bevor wir ihn das erste Mal eingeschaltet haben«

Die letzte Aussage macht uns neugierig. Warum diese Geheimniskrämerei?

Becker antwortet, wobei er sich sichtlich empört: »Natürlich gibt es immer wieder Probleme, wenn die Kunden erfahren, daß wir den ST zur Steuerung einsetzen. Viele sind auf Industriestandards eingefahren und verbinden mit Atari nur Gedanken an Spielecomputer.

Kaum einer weiß oder glaubt, daß der ST für Steuerungsaufgaben ein zuverlässiger Computer ist.«

Zuverlässig am Steuer

Erkennt nicht der Anwender auf dem Monitor des Timeswitch, daß sich hinter dem grauen Gehäuse ein ST versteckt?

Beckers Erklärung leuchtet ein: »Der ST im Inneren läuft ausschließlich in der mittleren Auflösung. Deshalb können wir ein einfaches Datendisplay ohne Rücksicht auf die Bildfrequenz anschließen. Die Betriebssoftware liegt auf der Diskette im Auto-Ordner, hinten im Gerät. So fährt sich das System auch nach einem Stromausfall ohne fremde Hilfe selbst wieder hoch. Der Laufwerksschacht ist normalerweise durch ein zusätzliches Blech abgedeckt. So kommen nur Berechtigte an Laufwerk und Software heran. Damit der Anwender vom GEM nichts merkt, läuft das Programm nur in der TOS-Ebene. Neue Sendezeiten programmiert der Anwender über die eingebaute Tastatur.«

Wieder in einem der oberen Stockwerke angekommen, zeigt uns Becker die beiden »Paradepferde« aus seiner Palette. Den »Status S II« und den »WS 0100«. Beide sind ungewöhnlich professionell aufgemachte STs für unterschiedliche Einsatzbereiche.

Der S II (Bild 1) ist ein ST im 19-Zoll-Gehäuse. Auch der schwarzweiße Monitor ist in diese Bauform verpackt. Der seitliche Blick ins Innere (Bild 2) zeigt, daß hier bis zu vier STs gleichzeitig arbeiten. Die Standardausführung kommt mit zwei STs aus. Außerdem bietet das zentrale Gehäuse Platz für vier Laufwerke, Festplatten von 20 bis 130 MByte, die Tastatur hat ein neues Gehäuse und ein Trackball ersetzt die Maus.

Warum denn im Studiobereich der 19-Zoll-ST eingesetzt werde, wollen wir wissen, und wer denn vier parallel arbeitende STs brauche?

»Für den Einsatz im Studio, am Mischpult, ist der ST völlig ungeeignet«, meint Becker, »stellen Sie einmal den Computer und seinen ganzen Kabelsalat auf oder neben ein typisches Mischpult mit seinen Hunderten von Reglern und dem ganzen eigenen Kabelkram. Die Tastatur ist über ein 10 Meter langes Kabel von der Zentraleinheit absetzbar, dasselbe gilt für den Monitor. Der Trackball ersetzt die Maus, weil er wenig Platz braucht. Ein- und Ausgabe stehen also immer dort, wo sie am wenigsten stören.«

Heißt das, daß man bei vier STs dieselbe Zahl an Tastaturen und Monitoren mit durchs Studio wuchtet?

»Nein, natürlich nicht. Ein Umschalter an der Tastatur holt das jeweils gewünschte Programm auf den Monitor. Die Programme auf den übrigen Computern arbeiten ungestört weiter.«

Bild 4. Wer würde hinter diesem kühlen Outfit schon einen kompletten ST vermuten: Der MBT-Timeswitch für die Würzburger Kabelgesellschaft

Und wer braucht mehr als einen Computer gleichzeitig?

»Tontechniker sind darauf angewiesen, daß verschiedene Programme gleichzeitig laufen. Zum Beispiel Sequenzer, Sampler und Mischpultautomation. Ein ständiges Wechseln würde die Arbeit des Profis unmöglich machen.«

In Beckers Arbeitszimmer steht, elegant unter dem Schreibtisch verborgen, ein hochbeiniges Gerät, das wir wieder erst auf den zweiten Blick als ST identifizieren. Der »WS 0100« ist, wie das Kürzel schon andeutet, eine Workstation und sieht auch so aus (Bild 5). Hier nun scheinen die Entwickler alles hineingepackt zu haben, was schnelles Arbeiten und Komfort verspricht. Ob es mehrere Laufwerke sind, nahezu beliebig Speicher, die Festplatte mit bis zu 130 MByte oder der 20-MByte-Streamer, der ein komplettes Backup in fünf Minuten erledigt. Der Monitor steht im eigenen Gehäuse und schwenkbar auf dem Schreibtisch; außer ihm ist es nur die eigens für den WS 0100 designte Tastatur, die der Schreibtischfläche Platz raubt.

Wir erinnern uns an Fragen, die wir eingangs gestellt haben. Wer wird in der PC-gewohnten Welt denn einen Atari in der Chefetage wollen, und wo sieht Becker die Anwender?

»Es wird Zeit, daß die Leute begreifen, daß nicht MS-DOS das Maß aller Dinge ist. MS-DOS hat mehr Fehler als TOS, nur sieht man sie hier nicht, weil die Bedieneroberfläche fehlt. Doch leider geht das Mißtrauen soweit, daß viele Anwender das Atari-Logo nicht wollen. Die verlangen dann geänderte Icons, eine andere Maus und sogar eine neue Copyrightmeldung. Die Aufträge in Sachen Icons, Zeichensätzen und ähnliche Scherze lassen sich machen, aber an der Copyrightmeldung dürfen und wollen wir natürlich nicht rühren. Uns sind schon Aufträge durch die Lappen gegangen, weil die Atari-Meldung im Desktop steht.

Bild 5. Krone der Schöpfung: Als Tischrechner mit edlem Workstation-Ambiente ist der ST in fast jeder Ausstattungsvariante zu haben

Mit dem WS 0100 berauben wir den ST seiner Schwachstellen. Die Hardware ist sowieso leistungsfähiger als die eines AT-Kompatiblen, beim WS 0100 kommt die professionelle Ausstattung hinzu. Wir sehen den Einsatz für unsere Computer überall dort, wo der ST aufgrund seiner unkommoden Bauweise nicht einsatzbereit ist. Der interessierte Kreis sind in erster Linie Musikstudios, Universitäten, Schulen, aber auch anspruchsvolle Geschäfts- und Kaufleute.«

Was sind seine Zukunftspläne? Die Antwort folgt ohne zögern: »C.A.R.— Das ist 'Computer aided Radio’. Wir arbeiten daran, den Ablauf im Rundfunkstudio weitgehend zu automatisieren. Das reicht vom Zusammenstellen der Sendepläne über die Steuerung des Musikablaufs bis hin zur Automatisierung der GEMA-Abrechnungen.«

Alles auf ST-Basis? »Natürlich.«

Hansdampf in allen Gassen

Der ST hat bei unserem Besuch einmal mehr seine Qualitäten als »Tausendsassa«, als »Hansdampf in allen Einsatzbereichen« unter Beweis gestellt. Wer ihm den Schritt über die Schwelle von Kinderzimmer und Studentenbude hinaus noch immer nicht zutraut, der sollte sich eines Besseren belehren lassen. Der sollte sich einmal bei den vielen kleinen Firmen umsehen, die mit Einfallsreichtum rund um diesen Computer Anwendungen schaffen. High-Tech-Unternehmen, die mit Enthusiasmus seine Vorzüge ausreizen, ohne dabei auf den lukrativen Markt der etablierten Computer und Betriebssysteme zu schielen. Status Studiobau ist nur ein Beispiel von vielen. Eingefahrene Standards sind hier nicht gefragt. Diese verlieren sowieso fast jedes Rennen in Sachen Preis und Leistung. Folgerichtig setzt man auf die entsprechende Hardware. Und auf raffinierte Ideen. Klasse statt Masse heißt der Trend, der immer wieder frischen Wind in die ST-Szene bläst. (mr)

Info: Status Studiobau, Audiotechnik und Service, Kolbstr. 10a, 8034 Germering


Matthias Rosin
Aus: ST-Magazin 10 / 1988, Seite 162

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