Die Wunderlampe leuchtet wieder: Aladin 3.0 unterstützt Festplatte und Atari-Laser-Drucker

Das Desktop präsentiert sich sehr übersichtlich
Eine »original« Macintosh-Fileselect-Box
Aladin 3.0 unterstützt auch die Festplatte

»Der Apfel fällt doch weit vom Stamm!« sagte sich eine kleine Gruppe von Software-Kleingärtnern, nachdem sie endlich den richtigen Hardware-Humus für die zwei schwarzen Apple-Kerne zubereitet hatte. Unter den leuchtenden Augen der Apfel-Züchter wuchs das zarte Pflänzchen im Atari ST-Garten rasch zu einem prachtvollen Baum heran, und er trug wohlschmeckende Früchte.

Die gute Ernte der Nachzüchtung ließ die reichen Besitzer der ehrwürdigen Apple-Plantagen bald nicht mehr ruhig schlafen. Obwohl inzwischen weit saftigere Neuzüchtungen die alte Apple-Sorte mit großem Erfolg auf dem Markt ersetzt hatten, zerrten die streitbaren Ritter vom angebissenen Apfel den kleinen Apfel-Produzenten vor den Kadi.

Es kam, wie es kommen mußte: Der Große behielt die Überhand und unsere innovativen Kleingärtner mußten den Eigenvertrieb ihres ST-Apfels einstellen. In tiefer Trauer verkauften sie das computer-biologisch so erfolgreiche Humus-Rezept an einen Tulpenzüchter im benachbarten Land der Dämme und Deiche.

Ähnlichkeiten zwischen unserer kleinen Geschichte und gewissen Ereignissen auf dem ST-Software-Markt sind nicht von der Hand zu weisen, aber dennoch rein zufällig. Wahr ist jedenfalls, daß die deutsche Vertretung der Firma Apple per einstweiliger Verfügung im Jahre 1987 den Verkauf des sogenannten »Macintosh-Enhancers Aladin« unterbinden könnte. Dieses hervorragende Produkt der Firma »Proficomp« in Karlsruhe »verpflanzte« das Betriebssystem der Macintosh-Computer in den Atari ST und machte den ST-Benutzern die vielgerühmte Macintosh-Software zugänglich.

Im September 1988 auf der Atari-Messe in Düsseldorf erlebte »Aladin« als erweiterte Version 2.1 eine unerwartete Wiedergeburt. Während der vermeintlichen Grabesruhe von Aladin hat sich einiges getan, sowohl in geschäftspolitischer als auch in Software-technologischer Hinsicht. Die Rechte an Aladin sind von Proficomp an den niederländischen Software-Produzenten Softpaquet übergegangen. Nach Auskunft des Softpaquet-Geschäftsführers Peter Vanackere hat sich eine holländische Entwickler-Gruppe inzwischen in Aladin eingearbeitet und das Produkt weiterentwickelt.

Die Düsseldorfer Version 2.1 stellt allerdings nur ein Zwischenprodukt der fliegenden Holländer dar. Ab November 1988 steht der neue »Aladin 3.0« ins Haus, der bei Erscheinen dieser Ausgabe bereits im Handel zu kaufen sein soll. Wir nahmen »Aladin 3.0, das alternative Betriebssystem für den Atari ST« vorab gründlich unter die Lupe.

Die Funktionsweise von Aladin hat sich nicht geändert. Eine Platine für den Modulport des ST nimmt die zwei Mac-ntosh-Betriebssystem-ROMs auf. ST und Macintosh verwenden bekanntlich den gleichen Mikroprozessor, nämlich den 68000-Prozessor von Motorola. Daher kann der ST-Prozessor grundsätzlich den Betriebssystem-Code des Mac verarbeiten. Allerdings belegen die I/O-Bausteine des ST andere Adressen als ihre Mac-Gegenstücke und erwarten teilweise abweichende Ansteuerungen. Deshalb verschiebt die Aladin-Software den Inhalt der Mac-ROMs in das ST-RAM und paßt dort das MAC-Betriebssystem den Erfordernissen der ST-Hardware an.

Nach wie vor sind Mac-Systemdateien und Mac-Programme vor Benutzung unter Aladin auf ST-Disketten zu übertragen. Die dazu notwendigen Transferprogramme für Mac und ST befinden sich auf den mitgelieferten Disketten. Die neugestaltete, grafisch ansprechende Verpackung enthält außer der ROM-Platine im strahlend blauen Kunststoff-Gehäuse und einem ausgezeichneten deutschsprachigen Handbuch die Aladin-Startdiskette mit einem Konfigurationsprogramm, einem Datei-Transfer-Utility und der Aladin-System-Software sowie eine zweite Diskette im Standard-Mac-Format mit Hilfsprogrammen und spezifischen Systemdateien (zum Beispiel Tastaturanpassung, Festplatteneinstellung etc.). Diese Dateien erscheinen ein zweites Mal auf der Rückseite der Aladin-Startdiskette im Aladin-Format. Ab Version 2.1 kann Aladin mit doppelseitigen Diskettenlaufwerken die Rückseiten von einseitig formatierten Disketten als Aladin-Disketten benutzen.

Aladin benötigt zur Funktionsfähigkeit die Betriebssystem-ROMs des Mac (Versionen 342-0220/0221A und B). Auf Wunsch liefert Softpaquet die Original-ROMs gleich mit. Aladin 3.0 kostet einschließlich ROMs 598 Mark, ohne ROMs 399 Mark. Registrierte Besitzer der Versionen 2.1 und 1.x erhalten bei Softpaquet gegen Einsendung von Original-Startdiskette und Modulplatine ein Aladin 3.0-Update zu einem erheblich reduzierten Preis. Softpaquet übernimmt die Update- und Service-Verpflichtungen für Aladin 1.x in vollem Umfang, Besitzer, die noch nicht registriert sind, können sich nachregistrieren lassen.

Das Innenleben von Aladin hat sich einer gründlichen Fitness-Kur unterzogen. Dabei machen die eher kosmetischen Anpassungen wie »Aladins Wunderlampe« statt angebissenem Äpfelchen im Systemzeichensatz oder ein »zwinkerndes Auge« in der Begrüßungsbox bei Systemstart nur einen winzigen Teil aus. Die Programmierer haben die Mac-Anpassung inzwischen in solch hohem Maße perfektioniert, daß fast die komplette Palette der aktuellen Mac-Software ohne Patch unter Aladin benutzbar ist. So läuft zum Beispiel das System 3.2 ohne jede Anpassung, gleiches gilt für Ready-SetGo 4, Cricket Graf 1.1 und weitere Programme.

Neue Anpassungsdateien für Light Speed Pascal, PageMaker 2.0 und 2.0a, MS Word 3.01 und Switcher 5.1 gehören zum Lieferumfang. Die Aladin-Dateiverwaltung unterstützt in vollem Umfange das hierarchische Dateisystem mit echten Ordnern und Unterordnern (System-Datei »Hard-Disk 20« muß im System-Ordner vorhanden sein).

Aladin 3.0 ist nicht mehr stumm. Ein Software-Emulator imitiert den Hardware-D-A-Wandler des Original-Macintosh. Der Mac-Sound ertönt wahlweise aus dem Lautsprecher des SM124-Monochrom-Monitors (Grenzfrequenz 7,5 kHz) oder in höherer Klangqualität (Grenzfrequenz 11 kHz) über einen externen 8-Bit-Wandler am Parallelport.

Bei allen ST-Computern Bis hinauf zum Mega ST4 nutzt Aladin den vollen Speicherplatz. Die integrierte resetfeste RAM-Disk »SuperDisk« übersteht ab Aladin 2.1 sogar das Überwechseln vom Mac- zum ST-Betrieb (durch gleichzeitiges Drücken der drei Tasten CONTROL, ALTERNATE und F5). Allerdings müssen anschließend gestartete GEM- oder TOS-Programme die System-Zeiger zur Speicherverwaltung unbedingt berücksichtigen. Bei Neustart aus dem GEM-Desktop kann Aladin direkt auf den Superdisk-Inhalt zugreifen. Sind dort die Systemdateien gespeichert, fährt Aladin sogar das Mac-System aus der Superdisk hoch.

Allerdings dürfte für zahlreiche ST-Besitzer die Aladin-Superdisk an Bedeutung verloren haben. Denn Aladin 3.0 arbeitet mit Atari-Festplatten zusammen. Damit hat der »aladinisierte« Atari ST wohl endgültig den Durchbruch zum vollgültigen Mac-Appeal-Computer geschafft.

Die Realisierung der Festplattenunterstützung macht deutlich, daß die holländischen Aladin-Epigonen den Ideenreichtum der Aladin-Väter geerbt haben. Die Low-Level-Routinen aus den Mac-ROMs sind nämlich um eine virtuelle DMA-Maschine ergänzt worden, die Aladin mit einem speziellen Festplatten-Treiber ansteuert. Der Aladin-Treiber erwartet einen Atari-kompatiblen Bootsektor. Die Hersteller garantieren eine einwandfreie Funktion mit den Atari-Festplatten SH204/205. Der Testbetrieb mit der Vortex HD 20 und mit der 60-MByte-Festplattenstation EX60 der Firma Eickmann verlief nach Aussage von Softpaquet ohne jede Beanstandung.

Formatierung und Partitionierung der Festplatte müssen unter TOS erfolgen. Daher begnügt sich Aladin derzeit mit einer maximalen Partitionsgröße von 16 MByte und mit vier (Atari-Original) beziehungsweise acht Partitions (Vortex und Eickmann) pro physikalischer Station. Auf einer Festplatte dürfen TOS-und MAC-Partitions koexistieren. Ein spezielles Aladin-Hilfsprogramm sorgt für die Umwandlung von TOS- in Mac-Partitions und umgekehrt. Das Aladin-Betriebssystem formatiert anschließend die frischen Mac-Partitions automatisch (selbstverständlich mit Sicherheitsabfrage).

Prinzipiell verwaltet Aladin mit Hilfe seiner virtuellen DMA-Maschine den kompletten SCSI-Ausbau, also acht SCSI-Controller mit bis zu acht Einheiten an jedem Controller bei einer maximalen Partitionsgröße von 512 MByte. Die Eickmann-Platte EX 60 betreibt übrigens an einem Controller zwei Laufwerke. Aladin interpretiert diese Konfiguration als zwei unabhängige Einheiten (»Controller #x, Drive #0 und Drive #1«).

Leider vermag auch Aladin die Hardware- und Timing-Probleme des ST-DMA-Ports nicht zu überwinden. Bricht der DMA-Bus wegen zu vieler angeschlossener DMA-Geräte unter TOS zusammen, so kommt auch Aladin nicht mehr weiter.

Der Festplatten-Treiber stellt lediglich eine Anwendung von Aladins virtueller DMA-Maschine dar. Grundsätzlich lassen sich über geeignete Mac-Treiber alle am DMA-Bus anschließbaren Geräte betreiben. Wem kommt bei diesem Gedanken nicht sofort der Atari-Laser-Drucker SLM804 in den Sinn?

Pünktlich mit Auslieferung von Aladin 3.0 wird ein entsprechender Treiber als Systemdatei verfügbar sein. Der eigentliche Treiber war bei Redaktionsschluß bereits fertiggestellt (die Hardcopies zu diesem Artikel stammen von einem SLM804-Drucker am Aladin ST), nicht jedoch die entsprechend angepaßten Font-Dateien. Der Preis lag bei Redaktionsschluß noch nicht endgültig fest, soll aber nach Angabe des Herstellers einschließlich Fonts im Bereich von 200 Mark liegen.

Der Laser-Treiber baut vor dem Ausdruck im Speicher ein Bit-Image der Druckseite auf. Zu diesem Zweck reserviert er sich bei Systemstart etwa 1 MByte Speicher. Grafische Elemente erscheinen durch die eingebaute Umrechnung im Maßstab 1:1, bei der Textdarstellung muß man sich systembedingt mit einer linearen Verkleinerung um 4 Prozent ab-finden, da unter Aladin wie im Original-Mac, ein Punkt genau xh2 Zoll entspricht. Vollkommen exakt in Grafikdruck und Textwiedergabe arbeitet der nach gleichem Muster aufgebaute neue Druckertreiber für 24-Nadel-Drucker vom NEC-P6-Typus, der jetzt auch die 360-dpi-Auflösung beherrscht. Auch zu diesem Treiber gehören passende Fonts. Der Verkaufspreis wird dem des Laserdrucker-Treibers entsprechen.

Wir konnten in diesem ersten Test von Aladin 3.0 nur die wichtigsten Neuerungen ansprechen. Viele Verbesserungen verschaffen dem Aladin ST noch mehr »Mac-Feeling«. Offensichtlich gedeihen Äpfel im Land der Tulpen und Tomaten besonders gut. Was wird wohl herauskommen, wenn die niederländischen Zuchtexperten die Äpfel mit ihren Tulpen kreuzen? (hb)

Mit dem Druckertreiber wird ihr NEC »Mac-tauglich«
Auch der Atari-Laserdrucker kommt nicht zu kurz
Ein Beispiel für Textausdruck unter Aladin 3.0
Festplattenoperation Zeit
Kopieren und Löschen von Dateien:
Ordner mit 2,4 MByte kopieren (Lesen, Schreiben, Überprüfen) 33,0 s
183 Dateien aus dem Papierkorb löschen 2,1 s
Starten und Beenden von Programmen
Operation Diskette Festplatte SuperDisk
Finder - MS Word 3.0 9,0 2,1 1,8s
Betriebsbereitschaft von MS-Word 3.0 21,1 9,0 8,0 s
MS-Word 3.0 - Finder 16,0 4,3 3,8 s
Betriebsbereitschaft des Finder 29,0 7,0 6,0 s

System- und Programm-Dateien befanden sich jeweils auf dem getesteten Datenträger-Typ. Die Festplatten-Werte sind mit der Eickmann EX 60-Festplatte ermittelt.


Wolfgang Fastenrath
Aus: ST-Magazin 12 / 1988, Seite 72

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