Der Pixel-Millionär: Bei dem Zeichenprogramm Megapaint ST bestimmt Ihr Drucker die Auflösung

Die meisten ST-Anwender finden heute im großen Angebot der Programme zum farbigen und monochromen Malen und Zeichnen ein Werkzeug, das ihren Vorstellungen entspricht.

Dennoch gelingt es den Programmierern immer wieder, die ST-Gemeinde mit einfallsreichen Verbesserungen zu überraschen. So auch die Firma Tommy Software, die zu einem Preis von 298 Mark ihren monochromen Pixelzeichner »Megapaint« in das Rennen um die Gunst der Computer-Zeichner schickt.

Wer heutzutage ein Pixel-Zeichenprogramm dieser Preiskategorie erfolgreich am Markt durchsetzen will, muß entweder mit neuartigen Funktionen oder anderen Besonderheiten aufwarten. Megapaint erreicht dies, indem es im Bereich der Grafikauflösung ein neues Konzept vorstellt. Während sich die meisten Zeichenprogramme an der Auflösung des ST-Bildschirms orientieren, richtet sich Megapaint nach der meist um ein Vielfaches höheren Auflösung des Druckers. Der Bildschirm zeigt dabei immer nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtbildes, dessen Pixel nach der Ausgabe genau mit einem gedruckten Pixel korrespondieren.

Tommy Software liefert zu seinem Malprogramm ein umfangreiches, übersichtliches Handbuch, das alle Programmfunktionen ausführlich erläutert. Die sinnvolle inhaltliche Strukturierung macht das Handbuch als Leitfaden zur Einführung und als Nachschlagewerk gleichermaßen gut geeignet.

Auf der Original-Programmdiskette befindet sich neben dem Megapaint-Programm und einigen Zusatzdateien wie Zeichensatz und Druckertreiber ein kopiergeschütztes Programm. Es besteht aus der noch nicht lauffähigen Programmdatei, da Sie Megapaint vor der ersten Nutzung installieren müssen. Zur Installation geben Sie Ihre Adresse und Seriennummer ein. Anschließend schreibt Megapaint eine arbeitsfähige Version ohne Kopierschutz zurück, in der Ihre Angaben gespeichert sind.

Der verwöhnte Computerzeichner erwartet von einem ST-Malprogramm ein umfangreiches Repertoire an grafischen Objekten und Zeichenwerkzeugen, die über eine komfortable Bedienerführung schnell und präzise zu beherrschen sind. Bei der Erfüllung dieser Ansprüche geht Megapaint in vielen Aspekten eigene, manchmal auch eigenwillige Wege. Die Programmierer haben die Mühe auf sich genommen, als Benutzeroberfläche ein eigenes Desktop zu entwickeln, das sich vieler Elemente der GEM-Philosophie bedient, ohne jedoch die GEM-Funktionen des ST-Betriebssystems zu verwenden. GEM-Desktop-Accessories sind daher unter Megapaint nicht zugänglich.

Das Megapaint-Desktop ist in drei Bereiche aufgeteilt. Eine GEM-ähnliche Menüleiste mit sechs Pull-Down-Menüs am oberen Bildschirmrand faßt die Steuerbefehle, die Grafikelemente und die Malwerkzeuge zu funktionsgerechten Gruppen zusammen. Beim Anklicken einiger Menüpunkte klappen zusätzliche Untermenüs mit weiteren Funktionen heraus.

Wesentlich weniger funktionsgerecht stellt sich dagegen die übermäßig hohe Zahl an Menüpunkten in einigen Pull-Down-Menüs dar. In der GEM-Praxis hat sich herausgestellt, daß überfüllte Pull-Down-Menüs wegen der weiten Mauswege das Bedienungstempo erheblich beeinträchtigen. Die Megapaint-Menüs »Block« und »Objekte« enthalten einschließlich der Trennlinien jeweils 24 Menüzeilen (das entspricht fast der gesamten Bildschirmhöhe), die diversen Untermenüs bei einigen Blockfunktionen nicht mitgerechnet.

Gänzlich gegen den (GEM-)Strich gebürstet erscheint die Anordnung der einzelnen Menüs. So findet sich der Menüpunkt zum Verlassen des Programms nicht wie gewohnt auf der linken Seite der Menüleiste, sondern rechts außen im Menü »System«.

Mit dem Zeichensatzeditor entwerfen Sie eigene Zeichensätze oder ändern mit-gelieferte Fonts. Natüriich können Sie ihre Kreationen dann speichern.
Die Lupenfunktion unterstützt die pixelweise Bearbeitung von Zeichnungsdetails. Hier haben wir aus der Null den Diagonalstrich entfernt.

Die untere Begrenzung des Arbeitsbildschirms bildet eine Icon-Leiste zum Einschalten verschiedener Füll- und Zeichenmodi sowie zur Auswahl von Füllmustern. In einem kleinen Anzeigefenster zeigt Megapaint die Position des Zeichenzeigers als Koordinatenpaare in Pixel und — je nach Systemeinstellung — in Millimeter oder Zoll an. Der sogenannte »Spot«, eine kleine Lupe von 7 x 5 Pixeln auf der linken Seite der Icon-Leiste, gibt den Bildausschnitt unter dem Zeichenzeiger vergrößert wieder. Der Spot erweist sich als nützliche Hilfe zur punktgenauen Positionierung beim Zeichnen.

Ein in der Größe nicht veränderbares Fenster (mit 608 x 288 Pixel knapp 70 Prozent der Bildschirmfläche) nimmt den Bereich zwischen Menüleiste und Iconleiste ein. Es ähnelt auf den ersten Blick sehr stark einem herkömmlichen GEM-Fenster mit vertikalen und horizontalen Rollpfeilen, Rollboxen und Rollbalken. Schließfeld, Maximalgrößenfeld und Größenveränderungsfeld des GEM-Fensters dagegen sind durch kleine Symbole in den vier Ecken des Megapaint-Fensterrahmens ersetzt. Auf die Funktion dieser Symbole werden wir später eingehen.

Wie Sie schon richtig vermuten, handelt es sich auch beim Megapaint-Arbeitsfenster um eine Eigenschöpfung der Entwickler. Eine Eigenschöpfung jedoch, die keineswegs als Marotte abzuwerten ist, sondern die in der besonderen Verwaltung der Zeichenfläche von Megapaint begründet liegt.

Die Lösung für hohe Auflösung

Die meisten ST-Malprogramme arbeiten bildschirmorientiert und beschränken die Zeichnungsgröße auf die Ausmaße des ST-Bildschirms in der benutzten Auflösung. Eine monochrome Pixelzeichnung mit 640 x 400 Punkten (Auflösung etwa 78 dpi) ergibt bei der Druckerwiedergabe meistens ein Bild im DIN-A5-Format. Dabei vervielfachen die verwendeten Druckertreiber je nach Druckerauflösung die einzelnen Pixel der Zeichnung und nutzen das wesentlich höhere Auflösungsvermögen der Drucker (bis zu 360 dpi) nicht aus. Einige pixelorientierte Malprogramme erreichen bessere Druckauflösungen durch Bereitstellung von Zeichenflächen in doppelter oder gar vierfacher Bildschirmgröße.

Megapaint geht noch weiter. Seine Arbeitsfläche auf dem Bildschirm orientiert sich nämlich an der Auflösung der Drucker und der verwendeten Druckertreiber. Zum Lieferumfang gehören drei Treiber für verschiedene Druckertypen. Der 24-Nadel-Treiber (Auflösung 180 dpi) stellt eine Zeichenfläche von 1440 x 1908 Punkten zur Verfügung. Bei 9-Nadel-Druckern mit 240 x 216 dpi wächst das Zeichenblatt auf eine Größe von 1920 x 2290 Punkten an und erreicht beim Atari-Laserdrucker SLM804 (Laserbrain-Emulator) mit 300-dpi-Auflösung sogar 2400 x 3180 Punkte. Ein Bildschirmpixel entspricht genau einem Druckerpixel. Alle drei Bildgrößen ergeben auf dem passenden Drucker ein Bild von 8 x 10,6 Zoll beziehungsweise 203 x 269 mm, also ungefähr einer DIN-A4-Seite.

Nichts für Speicherschwache

Derartig große Auflösungen stellen gewaltige Anforderungen an den ST und seine Massenspeicher. Die Verwaltung so vieler Punkte erfordert sehr viel Speicherplatz. Das bekommen besonders die Besitzer der »speicherschwachen« STs mit 1 MByte RAM (erinnern Sie sich noch an den sagenhaften 64-KByte-Speicher Ihres C 64?) zu spüren. Der 1040 ST bewältigt beispielsweise DIN-A4-Zeichnungen nur in einer Auflösung von 180 dpi, bei den höheren Auflösungen begrenzt Megapaint die bereitgestellte Zeichenfläche.

Eine DIN-A4-Zeichnung in 300-dpi-Auflösung benötigt fast 1 MByte RAM und beansprucht bei der Bildschirmdarstellung rein rechnerisch eine Gesamtfläche von knapp 30 ST-Bildschirmen. Das Megapaint-Arbeitsfenster bildet also lediglich ein winziges Guckloch auf das Zeichenblatt. Formatfüllende Zeichnungselemente lassen sich daher schwer beherrschen. Leider sind in der verkleinerten Übersicht einer kompletten Zeichnung die Zeichen- und Blockfunktionen nicht zugänglich.

Zum Ausgleich haben die Megapaint-Programmierer ihr Spezialfenster geschickt den Gegebenheiten des großen Zeichenblattes angepaßt. Die Verbesserungen gegenüber einem normalen GEM-Fenster betreffen Erweiterungen der bekannten Funktionen sowie neue Bedienungselemente zur Fensterpositionierung. Nach Klicken auf eines der Symbole in den vier Ecken des Fensterrahmens springt das Arbeitsfenster in die jeweilige Eckposition des Gesamtbildes.

Die Menüstruktur ist nicht ganz ideal: Die Anordnung der einzelnen Punkte erscheint GEM-ungewohnt. Auch schaden Pull-Down-Menüs mit zu vielen Unterpunkten der Bedienungsfreundlichkeit.
Die bereitgestellten Maiwerkzeuge eignen sich optimal für technische Zeichnungen, begrenzen jedoch den Gestaltungsspielraum bei künstlerischen Malereien

Besonders komfortabel läßt sich der sichtbare Bildausschnitt mit Hilfe der Rollboxen bestimmen. Beim Verschieben der Rollboxen bleibt der Bildausschnitt im Fenster sichtbar. Auf diese Weise hat der Anwender zu jeder Zeit eine genaue Kontrolle über die Position des Fensters im Gesamtbild.

Da Megapaint schon auf dem Monitor praktisch in Druckerauflösung arbeitet, kann der Zeichner bereits in der Entwurfphase die Qualität des späteren Ausdrucks beurteilen. Die beiliegenden Druckertreiber nutzen das Auflösungsvermögen von 9-Nadel-Druckern und des Atari-Lasers unter der »Laserbrain«-Emulation aus und sorgen für ein hervorragendes Druckbild. Die Druckgeschwindigkeit schlägt zwar keine Rekorde, erreicht jedoch angesichts der enormen Datenmengen vertretbare Werte.

Lediglich die Besitzer von 24-Nadel-Druckern werden mit der 180-dpi-Auflösung des beiliegenden Treibers nicht vollständig zufrieden sein. Viele Drucker beherrschen eine Auflösung von 360 x 180 Punkte, andere Drucker wie zum Beispiel der weitverbreitete NEC P6 sogar 360 dpi. Megapaint unterstützt die 360 x 180 Punkte-Auflösung nicht. Eine 360-dpi-Auflösung ist zwar vorgesehen, das Programm rechnet dabei jedoch die Bilder aus der 180-dpi-Auflösung um.

Sehr umfangreich stellt sich das Angebot an Zeichnungselementen dar. Im Pull-Down-Menü »Objekte« findet der Benutzer nicht nur die Standardelemente wie Kreise, Rechtecke, Linien und Linienzüge, sondern darüber hinaus Rauten, Dreiecke, Parallelogramme oder verzerrte Kreise beziehungsweise Ellipsen.

Offensichtlich haben die Entwickler ihr Megapaint weniger den künstlerischen »Computer-Malern« als vielmehr den Zeichnern von technisch-geometrischen Darstellungen auf den Leib schneidern wollen.

Unbestreitbar geht von der Benutzeroberfläche und vom Angebot der Zeichnungselemente ein gewisses »CAD-Appeal« aus.

Diesen Eindruck bestätigen auch die Funktionen in den Menüs »Werkzeug«, »Block« und »Schrift«. Die bereitgestellten Pinselformen und die fest eingestellte Sprühdose reichen für technisch ausgerichtete Zeichnungen aus, begrenzen jedoch den Gestaltungsspielraum für künstlerische Malereien.

Die einstufige Lupenfunktion nutzt das gesamte Arbeitsfenster zur pixelweisen Bearbeitung von Zeichnungs-Details. Zwei kleine Rechteck-Fenster in der Icon-Leiste zeigen gleichzeitig den alten und den veränderten Bildausschnitt in Normalgröße an. Es bleibt dem Anwender überlassen, ob er die Änderungen übernimmt oder verwirft.

Auch die Bildmanipulationen mit Hilfe der Blockoperationen machen die technische Ausrichtung von Megapaint deutlich. Die Programmierer lassen lediglich lineare Operationen zu, das Verbiegen und Verzerren der definierten Bildblöcke gehört nicht zum Funktionsangebot des Programms. Bildausschnitte lassen sich nur in festgesetzten Schritten (Faktor 2) vergrößern und verkleinern und entsprechen nicht immer den Absichten des Zeichners. Befremdend ist die Verwaltung des zusätzlichen Bildpuffers. Obwohl dieser bei ausreichendem Speicherplatz die Größe eines DIN-A4-Blattes annehmen darf, verrichtet er seine Arbeit zumeist im Dunkel der RAM-Tiefen und läßt sich nicht zusammen mit der Hauptzeichnung auf dem Bildschirm darstellen.

Außerordentlich umfangreich und ausgefeilt behandelt Megapaint die Textdarstellung. Ein Megapaint-Zeichensatz besteht aus 96 Zeichen nach dem ASCII-Standard in insgesamt fünf Schriftattributen (Normal, Fett, Kursiv, Potenz und Index) sowie zusätzlichen 288 Sonderzeichen. Alle Zeichen lassen sich in drei festen Schriftgrößen darstellen.

Mit Hilfe eines Zeichensatzeditors entwerfen Sie eigene Zeichensätze oder ändern die mitgelieferten Zeichen nach Bedarf.

Neue oder umgewandelte Zeichensätze lassen sich natürlich auch speichern. In der Zeichensatz-Datei belegt jedes Zeichen 112 Byte. Ein kompletter Zeichensatz besitzt eine Größe von 86 KByte.

Megapaint verwaltet die in eine Zeichnung geschriebenen Texte als Pixelmuster ohne Bezug zur Zeichensatzdatei. Durch Nachladen anderer Zeichensätze lassen sich theoretisch unendlich viele Zeichensätze in einem Bild verwenden. Zusätzlich erlaubt ein fest im Programm integrierter Vektorzeichensatz den Einsatz DIN-gerechter Normschrift (DIN 6776, Schrifttyp B) in sechs verschiedenen Größen von 3,5 Millimeter bis 20 Millimeter.

Zur Speicherung der Zeichnungen benutzt Megapaint eigene Datei-Formate mit und ohne Datenkompression. Komplexe Bilder erreichen bei unkomprimierter Speicherung leicht Dateigrößen von 700 KByte oder mehr. Beim Laden erkennt Megapaint automatisch die unterschiedlichen Formate. Bildausschnitte in einer Größe von 640 x 400 Pixel lassen sich als Degas- oder Doodle-Datei speichern und lesen.

Megapaint erfüllt mit seiner großen Zeichenfläche und durch die »What-You-See-Is-What-You-Get«-Arbeit in Druckerauflösung viele Anforderungen an technisch ausgerichtetes Zeichnen. Für die künstlerische Computermalerei läßt sich das Programm allerdings nur begrenzt einsetzen. Das umfangreiche Angebot an Grafikelementen macht Megapaint zum Grenzgänger zwischen kleinformatigen Pixelmalern und objektorientierten Zeichenprogrammen.

(W. Fastenrath/T. Ahmia/hb)

Wertung

Name: Megapaint ST
Preis: 298 Mark
Vertrieb: Tommy Software

Stärken:
□ genaues Zeichnen durch große Zeichenfläche □ Zeichnen in Druckerauflösung □ schnelle Fensterfunktionen □ hohe Ausdruckqualität □ umfangreiche Zeichenfunktionen □ DIN-Schrift als Vektorfont

Schwächen:
□ unsichtbarer Bildpuffer statt zweitem Fenster □ großer Speicherbedarf □ Blockfunktionen verbesserungswürdig □ kein Zeichenmodus für 360 x 180 und 360 x 360 Pixel □ hoher Preis

Fazit: Erstes Zeichenprogramm, das die volle Druckerauflösung ausnutzt. Aufgrund des Funktionsumfangs, Speicherbedarfs und des Preises besonders für technische Zeichnungen geeignet.

Tommy Software, Selchowerstr. 32, 1000 Berlin 44


Andreas Käufer
Aus: ST-Magazin 01 / 1989, Seite 64

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