Elektronikbaukasten digital: Aspice simuliert analoge Schaltungen

Das Zauberwort »Simulation« erweckt bei vielen Anwendern neidvolle Gedanken an Großrechner und Workstations der Marken DEC, IBM und wie sie alle heißen mögen. Doch auch der Atari ST mit seinem schnellen 68000-Prozessor ist fähig, komplexe Rechenaufgaben in annehmbarer Zeit zu lösen. Trotz der Vorteile, die der ST bietet, ließen professionelle, beziehungsweise semiprofessionelle Simulationsprogramme lange auf sich warten. Dies ändert sich mit »Aspice«.

Da die erforderlichen Berechnungsverfahren für analoge Schaltungen sehr komplex und umständlich sind, werden sie in der Praxis meist nicht komplett »von Hand« durchgerechnet. Es lassen sich nicht alle erforderlichen Parameter — zum Beispiel die Temperatur — in die Gleichungen einbinden. Dem Praktiker bleibt also nichts anderes übrig, als die Werte für die gewählten Bauelemente empirisch zu bestimmen. Die Folgen sind in den meisten Fällen zeitaufwendige Probeaufbauten. Kontrollmessungen und Korrekturen an den Prototypen sind notwendig, bis die Schaltung die gewünschte Funktion aufweist und die geforderten Toleranzen einhält. Hier spart ein komfortabler Simulator erheblichen Arbeitsaufwand. Zwingend notwendig ist es, daß ein solches Programm dem Bediener bereits nach kurzer Einarbeitungszeit ein schnelles Hilfs- oder Kontrollmittel für seine Schaltung zur Verfügung stellt. Der Benutzer muß darüber entscheiden können, inwieweit Umgebungseinflüsse oder Begleiterscheinungen in Form von Variablen die Simulation beeinflussen sollen.

Mit dem analogen Schaltungssimulationsprogramm Aspice wurde ein weitverbreitetes und ausgereiftes Programm an den Atari ST angepaßt. »Spice« (Simulation Program with Integrated Circuit Emphasis) entstand Anfang der siebziger Jahre an der Universität von Berkeley in Kalifornien. Es wurde laufend verbessert und mit steigender Rechnerleistung auch auf Personal Computern implementiert. Die von Dipl.-Ing. Hartmut Ruff adaptierte Version Spice-2G6, genannt Aspice, läuft auf einem Atari ST mit mindestens 1 MByte RAM, doppelseitigem Laufwerk und ROMTOS. Sie unterstützt die mittlere und hohe Monitorauflösung gleichermaßen. Der laut Programmautor leider notwendige Kopierschutz in Form eines »Dongels« gehört in den noch freien Joystickport. Um eine analoge Schaltung von Spiee analysieren zu lassen, ist die Kenntnis der Knotenanalyse unumgänglich. Über einen ASCII-Editor setzt der Elektroniker die betreffende Schaltung in eine formale Programmiersprache um, die Spiee dann verarbeiten kann. Für den Elektroniker ist es ein Leichtes, eine beliebige Schaltung mit Hilfe dieser Sprache zu erfassen und als Spice-Eingabeprogramm umzusetzen. Die Vorschrift der Knotenanalyse kann er zum Beispiel nach folgender Schematik behandeln:

Diese Schaltung simulierten wir mit Aspice
Die Ausgabe auf dem Bildschirm

So wird die Schaltung beschrieben

.WIDTH OUT=80 
C1 1 2 10UF 
R1 2 3 82K 
R2 2 0 10K 
RC 4 3 5.6K 
RE 5 0 560 
C2 4 6 10UF 
C3 5 0 10UF 
RA 6 0 75 
Q1 2 4 5 BC108B
.MODEL BC108B NPN BF=330 IS=2E-13
VE 1 0 AC 0.05V
V1 3 0 DC 12V
.AC DEC 30 200HZ 100KHZ
.PRINT AC VM(5) VM(6)
.ALTER 
RC 4 3 10K
.ALTER
RC 4 3 15K
.ALTER RC 4 3 50K 
.END

Nach der Eingabe der Schaltung wählen Sie die gewünschte Analyseart und die Ausgabeform des Ergebnisses. Nach Starten des 400 KByte großen Simulators untersucht er die eingegebene Schaltung zuerst auf formale und syntaktische Fehler. Das Ausgabefile enthält dann entsprechende Kommentare zu den gefundenen Fehlern. Nach erfolgreicher Simulation ist diese Datei ohne weiteres mit allen errechneten Werten als Protokoll zur Schaltung zu verwenden. Die mitgelieferte GEM-Shell erleichtert die Arbeit mit dem Programm, da Sie direkt aus der Shell heraus alle nötigen Einstellungen (Pfad für Editor, Ein-/Ausgabedatei, Drucker und so weiter) vornehmen können. Die Benutzeroberfläche bietet sehr viel Komfort: Zoom-Funktion, wahlweise lineare oder logarithmische Darstellung der Ausgabekurven, Ortskurven, Smith-Diagramm, einen Formelinterpreter sowie das Differenzieren und Integrieren der Kurven. Die Druckfunktion ist ebenfalls vom Feinsten. Die Anpassung an verschiedene Drucker (FX-80, Atari-Laser und andere) ist ohne größeren Aufwand zu bewerkstelligen.

An passiven Bauelementen stellt Aspice die standardmäßig notwendigen Modelle Widerstand, Kapazität, Induktivität, gekoppelte Induktivität und verlustlose Leitung zur Verfügung. Alle passiven Schaltelemente lassen sich sowohl linear als auch nichtlinear sowie temperaturabhängig erfassen. Als Halbleiterelemente bietet das Programm Diode, Bipolar-, Sperrschicht-Feldeffekt- und MOS-Feldeffekttransistor an. Diese Halbleitermodelle werden intern in ihrem statischen und dynamischen Verhalten beschrieben. Die Bauelemente lassen sich entsprechend ihrer Temperaturabhängigkeit, ihrem Kleinsignal- und Rauschmodell bearbeiten. Alle diese Parameter sind nach Ihren Wünschen veränderbar und zu neuen Baustein-Modellen umzudefinieren. Lineare und nichtlineare Quellen verschiedenster Art (Puls-, Exponential-, Sinus-, Polynomquellen), egal ob Strom oder Spannungsquelle, lassen sich leicht beschreiben.

An Analysefunktionen bietet Aspice fast alles, was das Herz begehrt. Bei Gleichstrom stehen Arbeitspunktbestimmung, Kennlinien, Kleinsignalparameter und Empfindlichkeit zur Auswahl. Weiterhin untersuchbar sind Einschwingvorgänge, das Wechselstrom-Kleinsignalverhalten, Fouriertransformation, Rauschen und die Bestimmung der Temperaturabhängigkeit von Schaltungen. Artverwandte Vorgänge aus den Themengebieten der Physik und Chemie sind — sofern sie in eine Schaltung umsetzbar sind — ebenso zu simulieren.

In unserer Schaltung haben das AC-Eingangssignal »VE = 0.05Vpp« (Knoten 1-0) und das Ausgangssignal »VM(6)« (Knoten 6-0) den Emitter gemeinsam. Der Spannungsteiler RI, R2 hält die Basis auf einem konstanten Gleichspannungspotential. Der Kollektorwiderstand RC ist unser Arbeitswiderstand, an ihm fällt also die durch die Änderung des Kollektorstromes entstehende Ausgangsspannung »VM(6)-0« ab. Hier haben wir zur besseren Kenntlichkeit mit der »ALTER«-Anweisung verschiedene Arbeitswiderstände durchrechnen lassen. Der Graph »VM(6)« zeigt das Verhalten der Ausgangsspannung sehr deutlich. Der Widerstand RE (Knoten 5 bis 0) verursacht eine Gegenkopplung. Mit der Kombination von C3 (Knoten 5 bis 0) wird die Gegenkopplung für Wechselströme vermindert. Die Darstellung »VM(5)« verdeutlicht die Abhängigkeit der Gegenkopplung von der Frequenz und den variablen Arbeitswiderständen deutlich. Die Rechenzeit betrug bei dieser Schaltung nur wenige Sekunden.

Die beigefügte Dokumentation ist recht spärlich ausgefallen. Deshalb sollten Sie die vom Autor vorgeschlagene Literatur »Spice« erwerben, die im Springer-Verlag erschienen ist.

Wenn Sie für wenig Geld (inklusive Shell 248 Mark in der Normalversion) ein gutes Simulationsprogramm erstehen wollen und dieses nur ab und zu, sei es zum Zwecke des Studiums oder zur Analyse von einfachen Schaltungen verwenden, so sind Sie mit der Minimalkonfiguration ST mit 1 MByte und einem Laufwerk gut bedient. Hier liegt wahrscheinlich auch der Hauptanwenderkreis dieses Programmes, da gerade einfache analoge Schaltungen in ihrer Funktion und Wirkungsweise recht komfortabel und hinreichend genau errechenbar sind. Beschäftigen Sie sich allerdings mit dem Gedanken, große Schaltungen durchrechnen zu lassen, werden Sie an einer Hard-Disk, einem Coprozessor und der entsprechend teureren Spice-Version für den 68881 nicht vorbeikommen. (uw)

Wertung

Name: Aspice
Vertrieb: Dipl.-Ing. Hartmut Ruff
Lieferumfang: Programm und kurze Dokumentation
Preis: 248 Mark

Stärken: □ einfache Bedienung □ leistungsfähig □ gute Druckeranpassungen □ hinreichend genau □ preiswert

Schwächen: □ lange Rechenzeit bei komplexen Schaltungen □ spärliche Dokumentation

Fazit: □ gut für kleine Simulationen geeignet

H. Ruff, Postfach 1942, 7910 Neu-Ulm


Hans Hoffmann
Aus: ST-Magazin 02 / 1989, Seite 60

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