Logistix: Zeichenkünstler und Zeitplaner

Logistix sorgt mit komfortabler Zeitplanung für übersichtliche Terminüberwachung und wirtschaftliche Arbeitsabläufe

In zwei wesentlichen Punkten ist Logistix den anderen Tabellenrechnern voraus: Es präsentiert die besten Grafiken und optimiert Zeitabläufe.

Gerade ein Jahrzehnt ist es her, daß Steve Wozniak und Steve Jobs in einer Garage die ersten Apple-Computer zusammenbastelten. Fünf Jahre später gab es für den legendären Erstling der Computerbranche ein Programm, das seither neben Textverarbeitung und Datenverwaltung zum Triumvirat der Standardsoftware gehört. Die Rede ist von der elektronischen Tabellenkalkulation, die unter dem Namen »VisiCalc« das Licht der Welt erblickte. Ein Clone dieses Urvaters kam kurze Zeit später für IBM-PCs auf den amerikanischen Markt. Dort setzte er sich innerhalb von vier Monaten an die Spitze der meistverkauften Programme und hielt diese Position über zwei Jahre lang. Gemeint ist natürlich »Lotus 1-2-3«, das auch heute noch die unbestrittene Referenz darstellt. Alle vergleichbaren Programme orientieren sich mehr oder weniger am Funktionsumfang und an der Bedienerführung dieses großen Vorbilds.

Die geniale Idee hinter allen Tabellenrechnern besteht darin, daß der Benutzer seine Daten so erfaßt, wie er es vom Umgang mit Papier und Bleistift gewohnt ist: Er trägt Zahlen auf einem großen Arbeitsblatt unter- und nebeneinander in kleine Kästchen ein. Diese Kästchen ergeben sich aus der Anordnung des Rechenblattes in Spalten und Reihen. In anderen »Zellen« (so der Fachausdruck) steht eine Formel, deren Resultat im Rechenblatt sofort nach der Eingabe erscheint. Der Anwender sieht also ständig seine Zahlen wie auf einem Blatt Papier. Mit dem kleinen Unterschied, daß auch die Ergebnisse umfangreicher Berechnungen schneller zur Verfügung stehen, als er sie errechnen könnte. Die Analyse mathematischer, statistischer und finanzwirtschaftlicher Daten deckt das Einsatzspektrum von Lotus 1-2-3 und seinen Nachfahren allerdings noch längst nicht ab. Eine grafische Präsentation der trockenen Zahlenreihen und die Auswertung von Datenbeständen durch eine eigene Datenbanksprache kommen hinzu. Mit einem Makrorecorder und einer Programmiersprache schreiben Sie schließlich ganz spezielle Anwenderprogramme innerhalb der Tabellenkalkulation. Der Endanwender kann davon Gebrauch machen, ohne Lotus 1-2-3 vollständig zu beherrschen.

Mit »LDW Power Calc« haben wir Ihnen vor zwei Monaten (Ausgabe 1/89) eine Tabellenkalkulation vorgestellt, die nicht nur Lotus-kompatibel ist, sondern zusätzlich auch mit der grafischen Benutzeroberfläche GEM arbeitet. Dieses englische Produkt entspricht in Bedienerführung und Funktionsumfang ganz genau dem Lotus-Standard — es ist sogar daten- und makrokompatibel. Nun muß die Nachahmung eines einmal eingeführten Standards nicht immer von Vorteil sein. Häufig sind im Nachfolger nicht nur die Stärken, sondern auch die Schwächen des Vorbildes übernommen..

Einen ganz anderen Weg hat die englische Firma Grafox eingeschlagen, die seit einigen Jahren die Tabellenkalkulation »Logistix« für MS-DOS, den Amiga und den Atari ST entwickelt. Wesentliche Grundgedanken von Lotus 1-2-3 sind beibehalten, die Bedienerführung und der Funktionsumfang jedoch modifiziert. Wir haben die neue ST-Version 1.25 in unserem Testlabor auf Herz und Nieren geprüft.

Der erste Eindruck: Logistix stellt sich mit einem mehr als 300 Seiten umfassenden Handbuch vor, das die Bezeichnung nobel verdient. Es besticht durch sinnvolle Gliederung, viele Beispiele und ein hervorragendes Layout. Die kurze Einleitung erläutert mit einem konkreten Anwendungsbeispiel alle Grundzüge des Programms, jeder folgende Abschnitt erklärt ein spezielles Einsatzfeld. Didaktisch gut gemachte Übungen helfen über die ersten Hürden hinweg. Referenzabschnitte sind optisch besonders gekennzeichnet und beschreiben genau, was ein Befehl bewirkt, wie er eingegeben wird, und welche Parameter zur Verfügung stehen. Der Anhang ist mustergültig: Er besteht aus einem Verzeichnis der Fehlermeldungen, der Funktionen und dem Glossar. Das Stichwortverzeichnis ist ausführlich und vollständig. Begriffe und Tastaturbezeichnungen aus der IBM-Welt, die an einigen Stellen im Text auftauchen, deuten an, daß dieses Handbuch für alle Logistix-Versionen gilt.

Auf den mitgelieferten Disketten befindet sich neben dem eigentlichen Programm eine Beispielsammlung für die ersten Schritte. Wenn Sie das mit 400 KByte lang geratene Logistix-ST starten, so erscheint nach einiger Zeit das in eine TOS-Umgebung eingebettete Arbeitsblatt. Die ersten zwanzig Zeilen zeigen die Daten, darunter befindet sich die Menüsteuerung. Logistix macht keinen Gebrauch von GEM und seinen nützlichen Eigenschaften: das Bewegen im Text, das Verschieben des Tabellenausschnitts und das Markieren von Spalten und Reihen geschieht ausschließlich mit Hilfe der Tastatur. Die Eingabe von Befehlen erfolgt, wie bei Lotus auch, durch Drücken der Slash-Taste </ >. Danach öffnet sich eine neue Menüzeile, die 26 Haupteinträge enthält. Sie erreichen jede Funktion entweder durch den Anfangsbuchstaben oder durch die Cursorsteuerung. Der Unterschied zu Lotus und seinen Clones liegt nun darin, daß die Befehlsbezeichnungen und die Menüstaffelung vollkommen anders eingerichtet sind. Der Befehlsumfang entspricht allerdings trotz der geänderten Syntax im wesentlichen dem gängigen Standard.

Leistungsvermögen

Ein Arbeitsblatt unter Logistix besteht aus maximal 1024 Spalten in 2048 Reihen. Bei 1 MByte RAM bleiben 450 KByte für den Datenbestand übrig. Unsere Benchmarks zeigten allerdings, daß der Testkandidat in dieser Konfiguration maximal 23 500 Zahlen erfaßt. Die Dateneingabe geht flott vonstatten, ganz im Gegensatz zu Bewegungen im Text und dem Neuberechnen größerer Projekte. Leider unterstützt die Atari-Version nicht die von MS-DOS-Systemen bekannte »End«-Taste, die ein schnelles Springen an das Ende der Tabelle gestattet.

Das Editieren, Verschieben und Kopieren von Zellen und Zellbereichen läuft problemlos. Logistix beherrscht die absolute und die relative Adressierung der einzelnen Felder und bietet viele Darstellungsformen für das gesamte Arbeitsblatt oder einzelne Spalten und Reihen. Als positive Beispiele fallen unter anderem die Währungsanzeige in »DM« und bis zu acht frei definierbare numerische Formate ins Auge. Bestimmte Bereiche des Rechenblattes lassen sich vor versehentlichem Überschreiben schützen, andere (etwa für Überschriften) fixieren.

Logistix unterstützt das Arbeiten mit mehreren Fenstern gleichzeitig. Sie können sogar unterschiedliche Arbeitsblätter miteinander verknüpfen oder Daten von und zu anderen Tabellenrechnern importieren und exportieren. Logistix verarbeitet die Aufzeichnungsformate von dBase, Lotus 1-2-3, Supercalc und anderen Standardprogrammen.

Hinter den 26 Hauptmenüs verbergen sich viele nützliche Hilfen, die bereits nach kurzer Zeit unentbehrlich sind. So etwa die Disketten- und Festplatten-Utilities, mit denen Sie Dateien kopieren, löschen und umbenennen. Daneben ermitteln Sie jederzeit auf Knopfdruck den freien Speicherplatz in RAM und Hintergrundspeicher. Zu kritisieren bleibt lediglich, daß Logistix den Schreibschutz auf Diskette nicht mit einer korrekten Fehlermeldung beanstandet.

Der englische Tabellenrechner verfügt über einen außerordentlich großen Funktionsumfang, der Befehle für mathematische, logische, statistische und finanzwirtschaftliche Berechnungen einschließt. Daneben beherrscht das Programm Datums- und Zeitberechnungen. Vermißt haben wir jedoch Befehle zur Zeichenkettenmanipulation.

Selbstverständlich besitzt Logistix eine ausgereifte Datenbanksprache, die neben einfachen und komplexen Sortier-und Abfragebefehlen auch statistische Analysen mit einer Gruppe von Datensätzen vorsieht. Ein besonderes Schmankerl dabei: dBase-Dateien lassen sich einiesen und weiterverarbeiten. Im Zusammenspiel mit dem Grafikmodul setzt der Anwender seine Ergebnisse aus Datenbankabfragen auch grafisch auf einfache Weise um.

In zwei Bereichen überschreitet Logistix den üblichen Leistungsrahmen. Dies betrifft zum einen die Grafik und zum anderen die Zeit- und Netzplantechnik. Diese Funktionen betrachten wir im Detail.

Grafikstar

Grafiken stellen das A und O der Tabellenkalkulation dar. Mit ihnen bereiten Sie nüchterne Zahlenreihen optisch ansprechend auf. Bestimmte Zustände lassen sich schneller erfassen, wie beispielsweise ein kontinuierliches Ansteigen von Werten. Man erspart sich den Unterschied zum Nachbarwert auszurechnen. Geschäftsgrafiken zur Darstellung von Umsatz, Reinerlös und Verkaufsziffern sind auch in Deutschland immer häufiger gefragt. Logistix bietet Ihnen insgesamt neun Grafiktypen. Neben Torten-, Balken- und Liniengrafiken beherrscht das Programm auch Flächen-, Streuungs- und Bereichsgrafiken. Daneben ist es ein leichtes, das Diagramm mit Überschriften, Fußnoten, Legenden und frei wählbaren Anmerkungen zu versehen. Dazu stehen mehrere Schrifttypen und -großen, Linienarten und -stärken zur Verfügung. Dies ist weitaus mehr, als vergleichbare Programme bieten, und macht Logistix zum Grafikspezialisten der elektronischen Tabellenrechner.

Im Unterschied zu anderen Programmen definieren Sie eine Grafik nicht durch die obligate Menüsteuerung, sondern mit bestimmten Befehlen, die Sie direkt in das Arbeitsblatt eintragen. Als Beispiel sei der Befehl »BAL« genannt, der für einen Balken in der Balkengrafik steht. Der Befehl kennt bis zu fünf Parameter, die etwa die Schraffur des Balkens, die Stärke der Schraffurlinien und die Farbe des Balkens bestimmen. Analog funktioniert dies auch mit den anderen Grafikbefehlen. Insgesamt gesehen gibt es damit trotz etwas größerem Arbeitsaufwand mehr Gestaltungsvielfalt, als bei den (weniger leistungsfähigen) Konkurrenzprogrammen.

Für die Mehrarbeit entschädigt das fertige Resultat allemal. Die auf dem Matrixdrucker oder Plotter ausgegebenen Grafiken und Diagramme genügen auch höchsten Ansprüchen. Das Programm enthält Druckertreiber für die gängigen 9-, 18- und 24-Nadel-Drucker, für den Atari-Laserdrucker, die HP-Laserjet-Reihe und viele andere Drucker. Die Auflösung beträgt je nach Druckertyp bis zu 360 Punkte pro Zoll. Logistix eignet sich somit für diejenigen Aufgaben, bei denen es darauf ankommt, Präsentationsgrafiken in allerhöchster Qualität anzufertigen.

Ansprechende Diagramme verdeutlichen theoretische Inhalte
Vielfältige Grafiken entwerfen Sie mit Logistix auf einfache Weise

Die vierte Dimension

Die Zeitplantechnik dient dazu, bestimmte, voneinander abhängige Vorgänge miteinander zu verknüpfen und dabei einen mehr oder weniger optimalen Weg des Arbeitsablaufs zu finden. Als einfaches Beispiel dient uns hier eine Hausrenovierung, bei der verschiedene Handwerker (Tischler, Installateur, Maler) unterschiedliche Aufträge (Treppe aufrichten, Leitungen legen, Treppe streichen) erledigen. Mit Logistix erfassen Sie zu jedem Vorgang die veranschlagte Zeitdauer in einer beliebig wählbaren Zeiteinheit, eventuell die Kosten und außerdem, in welcher Reihenfolge bestimmte Vorgänge erfolgen müssen. Schließlich kann der Maler die Treppe erst streichen, wenn sie der Tischler gebaut hat. Logistix berechnet mit diesen Angaben einen exakten Zeitplan, aus dem hervorgeht, wann welcher Job beginnt und endet. Aus dem Zeitplan ist sofort ersichtlich, welche Vorgänge länger dauern dürfen, ohne die Gesamtdauer des Projekts zu beeinflussen. Auch die Angabe der Vorgänge, die terminkritisch für das Gesamtprojekt sind (»kritischer Weg«), entnehmen Sie diesem Zeitplan.

Der einmal fertige Plan ändert sich natürlich in der Praxis häufig. Auf Knopfdruck sehen Sie die Auswirkung von Verzögerungen (der Maler ist krank) auf das Gesamtvorhaben. Logistix hilft auch bei der Projektplanung nach Art der »was wäre wenn... «-Fragen weiter. Was passiert, wenn drei statt zwei Maler am Hausbau beteiligt sind? Wirkt sich dies auf den »kritischen Weg« aus? Verringert sich die Zeit des Gesamtprojekts?

Logistix arbeitet bei der Zeit- und Netzplantechnik mit bis zu 1000 einzelnen Vorgängen. Dies ist für kleine und mittlere Anwendungen ausreichend. Wie bereits erwähnt, bietet bisher keine andere Tabellenkalkulation diese Funktion, es waren (teuere) Spezialprogramme nötig. Eigentlich lag es schon lange nahe, gerade die Tabellenkalkulation um die vierte Dimension »Zeit« zu erweitern.

Insgesamt erweist sich Logistix als ein durchaus zuverlässiger, absturzsicherer und konzeptionell ausgereifter Tabellenrechner. Die fehlende Einbindung in die grafische Benutzeroberfläche GEM haben wir vermißt. Sie würde das Programm deutlich aufwerten und ein einfacheres und schnelleres Arbeiten gestatten. Negativ fielen die Ausführungsgeschwindigkeit und die geringe Verarbeitungskapazität auf. Die positiven Seiten von Logistix wiegen diese Nachteile jedoch auf: Umfangreiche Fähigkeiten des Grafikmoduls und die anderswo noch nicht realisierte Netz- und Zeitplantechnik stellen vorbildliche Erweiterungen des Lotus-Standards nach oben dar. (wk)

Computer Technik Kieckbusch, Baumstammhaus, 5419 Vielbach

Wertung

Name: Logistix
Preis: 400 Mark
Hersteller: Grafox

Stärken:
□ reichhaltiger Funktionsumfang □ sehr gutes Handbuch □ leistungsfähiges Grafikmodul □ Zeit- und Netzplantechnik □ Telefonhotline der Firma Kieckbusch

Schwächen:
□ keine GEM-Einbindung, keine Mausunterstützung □ nicht sehr schnell □ keine Unterstützung der »End«-Taste

Fazit:
Eine Tabellenkalkulation, die in puncto Grafik, Zeit- und Netzplantechnik mehr kann, als andere. Dafür muß man auf GEM und eine hohe Arbeitsgeschwindigkeit verzichten.


Michael Spehr
Aus: ST-Magazin 04 / 1989, Seite 25

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