Zwischen Fantasy und Flachland - Wer hinter »Spherical« steckt

»Spherical«, das neue Top-Spiel von RainbowArts. Tarik Ahmia sprach mit den Programmierern.

Kleine Städte geben offenbar einen besonders guten Nährboden für Spitzen-Programmierer ab. Ebenso wie Pete Johnsons' »Arkanoid« und die berühmten ST-Demos des Programmierer-Teams »The Excep-tions« entstand auch »Spherical« in dörflicher Umgebung. Während Pete Johnson im nordenglischen Gosforth an neuen Projekten tüftelt und die Excep-tions in süddeutschen Dörfern ihre Wunder vollbringen, kommen die drei Programmierer von Spherical aus der Tausend-Seelen-Gemeinde Fahredoft, 20 Kilometer von der dänischen Grenze und 40 Kilometer von Flensburg entfernt. Stephan Preuß (20), Nils Heidorn (20) und Stefan Jeborowsky (20) sind schon seit Jahren ein eingespieltes Team. Bei Spherical übernahmen Stephan Preuß und Nils Heidorn die Programmierung, während sich Stefan Jeborowsky um die Musik kümmerte. Sphericals' brillante Grafik entstand in dem Stuttgarter Vorort Köngen auf dem Monitor von Thorsten Mutschall (18), den die drei Norddeutschen 1986 zufällig in einem Stuttgarter Computershop kennenlernten.

Für sie alle ist die Spiele-Programmierung (noch) keine Hauptbeschäftigung: Stephan und Nils besuchen die 13. Klasse eines technischen Fachgymnasiums, an das sie ein Elektrotechnik-Studium anschließen. Thorsten steht ein Jahr vor seinem Abitur. Stefan Jeborowsky schließt zur Zeit seine Lehre als Großhandelskaufmann ab.

Zusammengeführt hat die vier ihre Begeisterung für Computer. Als 13jähriger stieg Stephan Preuß über den Tandy TRS80 in die Computerei ein und erreichte nach Zwischenstationen beim Sinclair ZX81 und ZX Spectrum 1986 mit seinen Freunden den Atari ST, die zuvor mit einem Atari 800 XL und VC20 gearbeitet hatten. Schon zu diesem Zeitpunkt waren sich die drei über ihre gemeinsame Motivation einig: Spiele programmieren. Doch ohne Fleiß kein ST-Spiel: Allerlei Tüftelei mußte bewältigt, MC68000-Assembler gelernt und die Tiefen des ST ausgelotet werden. Während sich Stephan Preuß zum Assembler-Spezialisten entwickelte, widmete sich Stefan Jeborowsky ausgiebig dem Sound-Chip und erweiterte dessen begrenzte Fähigkeiten durch selbst entwickelte Software. »Musik hat Stefan in der Schule nie gehabt, Notenlesen kann er auch nicht. Heute macht er mit seiner Synthesizer- und MIDI-Software auf dem ST und Amiga Musik, die uns ziemlich begeistert.« Tatsächlich gehören Stefans Kompositionen mit »Ohrwurm-Charakter« zu einem der Highlights von Spherical.

Inspiriert durch die technisch und spielerisch perfekt gemachten Automaten der örtlichen Spielhalle, kam den Schleswig-Holsteinern im Mai vergangenen Jahres die Idee zu Spherical: »Nach unserem ersten kommerziellen Spiel, der ST-Version eines Spiels namens 'Terra-Nova' für Kingsoft, fingen wir auf eigene Faust mit der Programmierung von Spherical an. Es sollte Strategie mit Action verbinden und auf dem Spiel-Prinzip des Automaten-Klassikers 'Solomon's Key' aufbauen, denn dieses Spiel spielten wir pausenlos in unserer Spielhalle«, erklärt Stephan Preuß die Anfänge. Für die kommenden Monate rief die drei Nordlichter und den Schwaben nach der Schule dann weniger die Pflicht als viel öfter »Spherical«.

Technische Perfektion war ein Ziel der Vier: »Spherical läuft mit 50 Hz, ohne daß die Grafik ruckelt. Schlechte Programmierung bringt ruckelnde Grafik mit sich und beeinträchtigt die Spielbarkeit. Unser Anspruch an die Qualität der Programmierung ist also kein Selbstzweck. Hunderte Details mußten wir mit Thorsten absprechen, bis heute verdient die Post nicht schlecht an uns. Jeden zweiten Tag telefonieren wir, jede Woche schickt Thorsten einen sieben Seiten langen Brief mit neuen Anweisungen, wie wir die Screens programmieren sollen.« Bis Stephan und Nils die Neochrome-Grafiken und Sprites mit ihren Seka-Assemblern an die endgültige Position bugsiert haben, legt jeder Level von Spherical vier bis fünf Mal den Briefweg zwischen Fahredoft und Köngen zurück.

Grafiker Thorsten Mutschall liebt klare Aussagen: »Neochrome ist das beste Programm im Universum« oder »Ich bin der totale Fantasy-Fan und habe Null-Ahnung vom Programmieren«, läßt uns der talentierte Grafiker wissen. Mit dem ST zeichnet er nun zwei Jahre und pendelt seitdem zwischen Lernen für die Schule, Lesen dicker Fantasy-Bücher und Zeichnen am ST hin und her. Den örtlichen Fantasy-Fan-Club half er mitbegründen. Obwohl er für sich das Zeichnen erst mit dem Computer entdeckt hat, gehören Thorstens Grafiken zum Feinsten, was derzeit auf dem ST zu sehen ist. Obwohl er auch einen Amiga besitzt, findet Thorsten, daß »4096 Farben nicht so reizen wie Neochrome«. Eine neue Grafik skizziert er zunächst von Hand und überträgt sie nach Bedarf auf Klarsichtfolie, die er dann auf den Monitor klebt und mit dem Computer nachzeichnet. »Neochrome hat alles, was ein guter Zeichner braucht. Es ist sehr schnell, hat die beste Lupe und eine Funktion, die pixelgenaues Ausschneiden erlaubt. Trotz Computer bleibt das Zeichnen Handarbeit. Bis ein Bild steht, wird jedes Pixel mindestens fünf Mal geändert.« Spherical entsteht auf dem ST, weil er »wesentlich komfortabler zu programmieren ist als der Amiga«. Alle vier bescheinigen dem ST die bessere Hardware: »Als Programmierer ist man auf dem Amiga ziemlich alleingelassen.«

Wenn Stephan Preuß nicht gerade am ST arbeitet, was er übrigens am liebsten »nachts und allein« tut, weil er dann die besten Ideen habe und niemand da sei, der stören könne, spielt er am liebsten Badminton oder Billard. Wirklich professionell zu arbeiten, kommt für ihn zur Zeit aber nicht in Frage: »Professionelles Arbeiten heißt acht Stunden täglich vor dem Computer sitzen. Da frage ich mich: Wie schnell wird das langweilig?«. Auch in Zukunft wollen sie die Spiele-Programmierung nebenher laufen lassen und sich nicht an ein bestimmtes Softwarehaus binden. So bleibt dann hoffentlich genügend Zeit, um einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen: »Unser nächstes Programm ist ein Demo, das zeigt, was der ST alles kann.« (tb)

Homepage von Stephan Preuß



Aus: ST-Magazin 05 / 1989, Seite 160

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