Redakteur - Dem Redakteur ist nichts zu schwer

Ein Textprogramm aus Frankreich setzt zum Sturm auf den englischen Konkurrenten 1st Word Plus an. Die Gewinnchancen stehen gut, denn es ist in einigen entscheidenden Punkten überlegen.

Eine der bekanntesten französischen Zeitungen, die linke »Liberation«, entsteht bei ihren Redakteuren auf dem Atari ST. Wer hätte es gedacht? Dabei kommt ein eigens für die Redaktion programmiertes Textsystem zum Zuge, das nun auch auf dem deutschen Markt erhältlich ist. Es heißt sinnigerweise »Redakteur«, und die Namensgebung bezieht sich auf die erste Bewährungsprobe der französischen Software in einer Redaktion. Redakteur ist laut Handbuch ein reines Schreibsystem, das weder Grafiken integriert, noch den Spaltensatz beherrscht. Also eindeutig keine Textverarbeitung »mit der Sie nebenbei Ihre Zeitung machen können«.

Ein erster Blick in das 200seitige Handbuch des Redakteurs zeigt, daß es sich bei dem Testkandidaten um ein Allround-Talent mit vielfältigen Eigenschaften handelt. Das Programm gehört in die Gruppe der Textsysteme für den mittleren und gehobenen Bedarf und ähnelt im Funktionsumfang dem Vorbild »1st Word Plus«. Es reicht jedoch in vielen Punkten über den weit verbreiteten Standard hinaus. Dabei ist es vor allem für diejenigen Anwender interessant, die sehr lange Textdateien ohne Geschwindigkeitseinbuße bearbeiten wollen, oder in Verbindung mit einem Laserdrucker hochwertige Ausdrucke unter GDOS benötigen. Diese Gruppe muß vorerst auf eine Fußnotenverwaltung verzichten, die ist aber für eine spätere Version des Redakteurs geplant.

Nach dem Start des Programms baut sich ein GEM-Fenster mit vertikalen und horizontalen Rollbalken auf. Im großen und ganzen ist die GEM-Einbindung gut gelungen. Auswahlmenüs und Alert-Boxen entsprechen dem gängigen Standard, die Maus reagiert präzise und verzögerungsfrei.

Ein erster Rundgang durch die insgesamt neun Pull-Down-Menüs zeigt ebenfalls viele Analogien zu 1st Word Plus. Alle Datei- und Blockoperationen verlaufen wie gewohnt. Das Disk-Menü bietet allerdings schon ein wenig mehr als das Übliche. Dort findet der Anwender Befehle zum Löschen, Umbenennen und Kopieren einer Datei. Auch normale Desktop-Operationen wie das Anlegen von Ordnern oder das Formatieren einer Diskette sind vorgesehen. Redakteur beherrscht als Textauszeichnungen die fette, unterstrichene, kursive, helle sowie die hoch- und tiefgestellte Schrift. Die Attribute lassen sich beliebig miteinander verknüpfen.

Nach dem Eintippen der ersten Sätze stellt man überrascht fest, daß Redakteur den Text sofort entsprechend den Randvorgaben umformatiert. Das lästige Neuformatieren mit einem eigenen Tastendruck entfällt also. Die Editorsteuerung bietet im übrigen viel Komfort für Vielschreiber, unter anderem auch den sinnvollen Befehl, mit einem Tastendruck bis zum Ende oder Anfang des aktuellen Satzes zu springen.

Alles, was mit der Texteingabe und dem Markieren oder Verschieben von Textblöcken zu tun hat, erledigt Redakteur in einem außergewöhnlich raschen Tempo. Während das neue 1st Word Plus 3.14 nur kleine Textausschnitte in der Blockmarkierung zuläßt (bei 4 MByte freiem RAM ist der Blockpuffer schon bei fünf bis zehn Seiten gefüllt), ist Redakteur in der Lage, auch große Textblöcke ausgesprochen schnell zu verschieben. Für das Markieren und Ausschneiden eines Blocks von 300 KByte Länge benötigte unser Testkandidat nur Sekundenbruchteile. Rekordverdächtig auch die Geschwindigkeit beim Disketten- oder Festplattenzugriff: 1st Word Plus quält sich mit »Fast-TOS« fast eine Minute, um 100 KByte Text von Diskette zu holen, Redakteur schafft es in gerade sieben Sekunden. Weder »Steve 3.0« noch »Tempus 2.0« sind schneller.

Einige Details im Editor sind noch verbesserungswürdig. Die Trennhilfe besteht darin, daß der Anwender manuell Trennzeichen in den Text einfügt. Zumal eine halbautomatische Vorgabe der zu trennenden Wörter fehlt, muß man die gesamte Datei durchblättern. Einmal eingefügte Trennstriche speichert das Programm leider nicht. Auch an Bindestrichen trennt Redakteur nicht automatisch. Die »Hans-Pinsel-Straße« in der rechten Randzone übernimmt das Programm beim Formatieren komplett in die nächste Zeile. Fügt man nun manuell einen Trennstrich vor oder nach einem der Bindestriche ein, so tauchen im Ausdruck sowohl der Trennstrich als auch der Bindestrich auf.

Unser zweiter Kritikpunkt: Der Zeilenabstand bezieht sich immer auf die gesamte Datei. Gleiches gilt für die Zeilenbreite. Hier wünscht man sich einen größeren Spielraum in der Textgestaltung. Unangenehm fiel schließlich auf, daß Redakteur lediglich ganze Absätze einrückt. Sie können Absätze nicht nach einem vorangehenden Zeichen einrücken lassen.

Doch zurück zu den angenehmen Seiten unseres Testkandidaten. Ein Menü namens »Zeichensätze« deutet es bereits an: Redakteur arbeitet bei Bedarf mit mehreren Fonts gleichzeitig. Auf den Originaldisketten stehen Ihnen 19 verschiedene Zeichensätze zur Verfügung.

Umfassendes Suchen und Ersetzen

Dabei dürfen Sie innerhalb einer Datei für jeden Absatz einen anderen Zeichensatz vergeben. Zunächst bewirkt ein neuer Zeichensatz nur eine geänderte Bildschirmdarstellung. Erst , wenn der Drucker das Umschalten zwischen verschiedenen Fonts beherrscht, profitieren Sie auch im Ausdruck davon. Von den 19 mitgelieferten Fonts dienen einige auch als GDOS-Zeichensätze. Diese Zeichensätze geben Sie im Grafikmodus unter GDOS unabhängig von den eingebauten Zeichensätzen Ihres Druckers aus.

Wie bereits erwähnt, bietet Redakteur eine ganze Reihe von Funktionen, die deutlich über 1st Word Plus hinausgehen. Dazu zählt beispielsweise die Datensicherung zwischendurch in frei wählbaren Zeitintervallen. Oder das Suchen und Ersetzen von Textattributen, das für Verlagsautoren sehr wichtig ist. Damit ordnen Sie alle fett geschriebenen Wörter einem neuen Attribut zu oder suchen nur nach fett geschriebenen Wörtern. Hinzu kommen weitere »Schmankerl« wie das Suchen nach Absatzenden, Zeilenenden, beliebigen numerischen Zeichen oder Tabulatoren. Das bietet kaum ein anderes Textprogramm für den Atari ST. Eine Floskelverwaltung via Alternate-Taste gehört ebenfalls zu den besonders hilfreichen Eigenschaften des Redakteurs.

Doch es kommt noch besser. Das Anlegen eines Inhalts- und eines Schlagwortverzeichnisses erledigt Redakteur so einfach wie nie zuvor. Fast alle Textprogramme filtern das Inhaltsverzeichnis durch die Kennzeichnung der einzelnen Überschriften mit einem Steuerzeichen oder ähnlichem aus dem Text heraus. Die Markierung muß der Anwender also per Hand vornehmen. Einen ganz anderen Weg beschreitet Redakteur. Das Menü »Speichern unter Kriterium« gestattet es, bestimmte Zeilen, die einem frei wählbaren Kriterium gehorchen, in eine gesonderte Datei zu schreiben. Dies können beim Inhaltsverzeichnis alle Zeilen sein, die mit einer Ziffer beginnen, oder auch alle Zeilen, die kursiv und fett gesetzt sind. Das Kriterium bestimmen Sie selbst. Die Inhaltsdatei enthält nun automatisch die betreffenden Zeilen mit der dazugehörigen Seitennummer. Einfacher geht es nicht.

Das Register bauen Sie etwas anders auf. Zunächst nimmt der Anwender während des Schreibens ein Wort durch Betätigung der Funktionstaste <Shift F1 > in das Schlagwortverzeichnis auf. Bei bereits fertiggestellten Texten ist diese Methode jedoch zu aufwendig. Deshalb gibt es einen zweiten Weg, bei der das Programm alle Wörter sortiert und mit der Häufigkeit ihres Vorkommens in einem Fenster ausgibt. Nun reicht ein Mausklick auf den gewünschten Begriff, um ihn als Indexeintrag zu markieren.

Die komplette Liste aller im Stichwortverzeichnis erscheinenden Begriffe läßt sich natürlich editieren. Auch das Speichern und Laden verschiedener Indexdateien ist vorgesehen. Um eine Nachbearbeitung des Registers kommen Sie allerdings nicht herum. Zum einen, weil Redakteur alle Einträge klein schreibt, zum anderen, weil man alle Flexionsformen zu einem Oberbegriff zusammenfassen muß. Zu bemängeln haben wir lediglich, daß Wörter mit mehr als 27 Buchstaben nicht korrekt im Register erscheinen.

Ein weiterer Menüpunkt betrifft die »Textanalyse«. Dabei erzeugt Redakteur in Sekundenschnelle für den geladenen Text eine Statistik, aus der die Zahl der Zeilen, Wörter, Sätze und Absätze hervorgeht. In grafischer Darstellung informiert Sie das Programm über die Verteilung der Wort- und Satzlängen. Je mehr lange Sätze vorhanden sind, um so schwieriger ist im allgemeinen der Text zu verstehen.

Druckerausgabe mit kleinen Macken

In puncto Druckerausgabe haben sich die Programmierer unseres Testkandidaten etwas besonders Gutes ausgedacht. Unter dem Motto »GDOS kontra Langeweile« sollte das neue Textprogramm Abwechslung im täglichen Einerlei der fest installierten Druckerschriften bieten. Die Idee ist ohne Zweifel gut: Für Korrekturen und Entwürfe reicht eine »normale« Druckerausgabe wie bei 1st Word Plus vollkommen aus. Texte mit hoher Anforderung an die Schriftqualität schickt ein Textprogramm hingegen im Grafikmodus an den Matrix- oder Laserdrucker, wie beispielsweise von »Signum« bekannt. Gesagt, getan. Der GDOS-Treiber bietet vielfältige und hochwertige Schriften und wurde auserwählt, des Redakteurs Texte zu verschönern. Aus dem laufenden Hauptprogramm sollte man zwischen beiden Ausdruckmodi jederzeit und ohne Neuformatierung des Textes umschalten können.

In der Praxis sieht jedoch bekanntlich alles etwas anders aus. Mit viel »Fummelei« und Tricks erzielten wir einige passa-ble GDOS-Ausdrucke. Einige Probleme resultieren aus dem schlichtweg mangelhaften Handbuch, das nicht nur zu wenig Hilfestellungen bietet, sondern auch in Stil und Wortwahl eine miserable Übersetzung aus dem Französischen darstellt. Fehler im Programm verursachten einige »bombige« Abstürze. Diese Fehler werden nach Auskunft des deutschen Vertriebs umgehend beseitigt. Dann bleiben noch konzeptionelle Schwächen im GDOS-Ausdruck, die den Anwender zur Verzweiflung bringen können: So ist das Verhältnis von Bildschirmfont und GDOS-Font nie eindeutig. Man weiß nicht genau, welchen Druckerzeichensatz das Programm welchem Bildschirmzeichensatz zuordnet. Das gleiche Problem wiederholt sich bei verschiedenen Punkthöhen. Auch hier weiß man nicht sicher, wie der Ausdruck endgültig aussieht. Schließlich wurden bei unseren Versuchen im Testlabor einige Wörter bis zur Unkenntlichkeit zusammengezogen, außerdem stimmte der linke Rand bei Fontwechseln nicht mehr. Wie gesagt, diese Macken und Fehler sind den Programmierern des Redakteurs bekannt und sie sollten hoffentlich in einer neuen Version beseitigt sein.

Glücklicherweise funktioniert in der derzeit aktuellen Version 2.2 die Ausgabe der Texte mit dem ganz normalen Druckerzeichensatz problemlos. Die Druckertreiber sind im Format und Aufbau weitgehend identisch mit denjenigen von 1st Word Plus. Leider lädt Redakteur die ausgewählte » *.cfg«-Tabelle erst unmittelbar vor dem Druckvorgang in den Arbeitsspeicher. Dies ist ein Handicap für alle Anwender ohne Festplatte. Auch hier wurden uns Verbesserungen angekündigt.

Ein letztes Ärgernis: Redakteur ist glücklicherweise nicht kopiergeschützt, statt dessen fragt er in unregelmäßigen Abständen bestimmte Wörter aus dem Handbuch ab. Das Ganze läuft unter der Überschrift »Rätsel«. Wie man allen Ernstes glauben kann, mit diesem störenden Ballast kommerzielle Kunden zu finden, bleibt für uns schlichtweg rätselhaft.

Fassen wir zusammen: Ungeachtet der hier aufgeführten Mängel stellt Redakteur eine höchst interessante Neuerscheinung auf dem Softwaremarkt dar. Das Programm besticht vor allem durch die hohe Geschwindigkeit, viele Funktionen und eine ausgereifte Konzeption. Es ist durchaus vorstellbar, daß dieses Programm in einer überarbeiteten Version einmal die Spitzenposition unter den Textsystemen für den mittleren und gehobenen Bedarf einnimmt. Alles hängt jetzt davon ab, wie schnell und wie sorgfältig die Programmierer ihren Redakteur noch nachbessern.
Michael Spehr/wk

Wertung

Name: Redakteur

Preis: 149 DM
Hersteller: Logisoft und Libration

Stärken:

sehr hohe Geschwindigkeit
durchdachte Konzeption, vor allem bei der Gestaltung des Inhalts- und Stichwortverzeichnisses
arbeitet mit mehreren Zeichensätzen und GDOS-Druckerausgabe

Schwächen:

sehr schlechtes Handbuch mit vielen Fehlern
GDOS-Ausgabe ist noch nicht perfekt
Einrückungen beziehen sich auf ganze Absätze

Fazit:

Ein schnelles und gut konzipiertes Textprogramm für den mittleren Bedarf. Leider noch mit einigen Fehlern und Ungereimtheiten, aber durchaus erfolgversprechend.



Aus: ST-Magazin 06 / 1989, Seite 109

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