SICOB ’89 - Ataris Leistungsshow in Paris

Über Besuchermangel konnte die SICOB ’89 nicht klagen

Wie von magischen Kräften herbeigerufen legen sich zauberhafte Bilder einer Weltstadt in das Gedächtnis: schimmernde Seine, strahlender Eifelturm, prunkvolle Straßen. Die Computerfachwelt hatte vom 17.4. bis zum 22.4.1989 jedoch keine Augen für diese Schönheiten. Vielmehr richtete sich der Blick zum Parc d’Exposition Nord, wo sich auf dem SICOB (Salon International d'Informatique, Telematique, Communications, Organisation du Bureau et Bureaumatique) Frankreichs EDV-Elite ein Stelldichein gab.

Obgleich PCs, ATs, und Workstations die Szene beherrschten, stießen wir erst in Halle 5 auf regen Publikumsverkehr, der selbst die großzügigen Gänge zeitweise zum Wartesaal avancieren ließ. Schnell war der Grund zu erkennen, denn in dieser Halle residierte Atari Frankreich neben Microsoft, Toshiba und NEC. Anders als in den letzten beiden Jahren präsentierte sich das Unternehmen mehr im Profi-Look. Zwei große Ausstellungen, durch einen Gang getrennt, zeigten, was Atari zu bieten hat.

Ebenso wie in Deutschland galten die ersten Fragen den neuen Produkten wie TT, PC4/5, Transputer ATW800 und dem Taschencomputer. Die Verantwortlichen äußerten sich sehr optimistisch über die Zukunft Ataris im MS-DOS-Geschäft: »Atari kann auch hier in bestimmten Bereichen führende Positionen einnehmen.« Interessant das Standgeflüster der Besucher, das von Gegensätzen geprägt war. Claude Fabri, ST-Anwender und Datenbank-Programmierer, meinte hierzu: »Na klar, Atari kann es auch im MS-DOS-Bereich schaffen. Bestes Beispiel ist der PC3 mit einem phantastisch guten Preis-/Leistungsverhältnis.« Anders dagegen Yve Routand aus Paris, der den ST »zwangsweise in der Firma« bedienen muß: »Sicher, die Computer sind nicht schlecht. Aber wehe, es fällt mal was aus. Dann kann dir keiner weiterhelfen«. Stimmt das tatsächlich? Eine Nachfrage bei Eric Cabdoze, verantwortlich für die Technik bei Atari Frankreich, gab Aufschluß: »Wir versuchen, dem Anwender in jedem Bereich zu helfen. Kommen wir nicht weiter, fragen wir woanders nach.« Darf man den Aussagen zahlreicher Anwender sowie den Händlern glauben, ist die Betreuung durch Atari in Frankreich tatsächlich gut.

Im Zuge der neuen Computergenerationen setzt Atari vor allem auf die Datenkompatibilität zwischen ST und PC. Die Hardware-Basis bildet ein Subsystem bestehend aus einem doppelseitigen Diskettenlaufwerk mit Schnittstellen für den PC und ST. Durch einfaches Wechseln der Disketten lassen sich so Daten von einem System auf das andere überspielen. Eine Anwendung ist zum Beispiel der Transfer von Textdateien. Ohne Schwierigkeiten sind Sie so in der Lage, einen mit »Microsoft Word« auf dem PC erfaßten Text direkt auf dem ST mit dem »Timeworks Publisher« zu lesen. Umständliche und zeitweise auch nervenaufreibende Konvertierungen bleiben dem Anwender erspart. Die Preise stehen noch nicht fest.

Wer mehrere Mega STs besitzt und diese untereinander vernetzen möchte, ist bei Multipoints gut aufgehoben. »ITOS_NET« ist eine Netzwerklösung für maximal 15 Computer. In PC-Manier erfolgt der Einbau einer Erweiterungsplatine auf die interne Steckerleiste des Mega ST. Zum Betrieb ist eine Netzwerksoftware notwendig, die auf jedem angeschlossenen Computer zu installieren ist. Damit erhält jeder ST eine Kennummer, mit deren Hilfe ihn andere im Netz ansprechen. In der Praxis gestaltet sich das Netzwerk problemlos und ist auf die Bedürfnisse der Anwender zugeschnitten. Anders als bei anderen Lösungen macht es hier nichts aus, wenn Sie einen Computer einfach abschalten. Die eingebauten Karten melden das Gerät ab und bei erneutem Hochfahren wieder an. Die alten Kennungen bleiben erhalten, so daß das ganze System bei diesem Vorgang nicht abstürzt. Über ein Acces-sory haben Sie jederzeit Zugriff zu den Übertragungsfunktionen, so daß von jeder GEM-Applikation aus jede Station voll auf das Netz zugreifen kann. Durch die Multifunktionsfähigkeit sowie Verwendung des IP-Standardprotokolls lassen sich ohne weitere Anpassungen Server einsetzen. Da die Netzwerkkarte in den Mega ST einzubauen ist, lassen sich momentan auch nur Mega STs untereinander vernetzen. Allerdings arbeiten die Techniker bei Multipoints an einer Lösung für den 260/520 und 1040 ST, die in Kürze fertig sein soll. Hierbei soll der Prozessor einen Sockel erhalten, und die Zusatzkarte über ein Kabel mit dem Computer kommunizieren.

Für Übersetzungsbüros oder Unternehmen, in denen verschiedensprachige Mitarbeiter arbeiten, ist »Inria« von Midigam gedacht. Diese Software erlaubt es, simultan auf mehreren Terminals in unterschiedlichen Sprache zu arbeiten. Dabei können die STs entweder einfach über die serielle Schnittstelle miteinander verbunden sein oder im Netzwerk arbeiten. Auf eine Tastenkombination hin schaltet der Anwender seinen Computer so um, daß sämtliche Zeichen in seiner Landessprache erscheinen. So schreiben Sie zum Beispiel auf einem Computer in deutscher Sprache, während zur gleichen Zeit an einem anderen ST ihr japanischer Kollege den gleichen Text in seiner Landessprache erhält. Auch Textdateien lassen sich auf diese Weise übertragen und in einer anderen Sprache darstellen. Momentan übersetzt Inria alle lateinischen Sprachen, Arabisch, Griechisch, Hebräisch, Russisch, Chinesisch und Japanisch.

Auf einem eigenen großen Stand zeigte Human Technologie neue Entwicklungen für den Atari ST. Für Furore sorgte dabei »ZZ-Volume«, ein dreidimensionales CAD-Programm mit erstaunlichen Fähigkeiten. Mit diesem Programm läßt sich jede Zeichnung aus beliebigen Perspektiven betrachten, drehen und über alle Achsen kippen. Die Berechnungszeiten sind schon jetzt relativ kurz, was den Entwicklern jedoch noch nicht reicht. Bis zum Erscheinungstermin im Sommer dieses Jahres soll diese Zeit nicht länger sein, als die für ein zweidimensionales Objekt benötigte. »Funface«, eine weitere Entwicklung von Human Technologie, ist ein Programm, mit dem sich Gesichter zusammensetzen und verändern lassen, wie dies für polizeiliche Recherchen nötig ist.

Für den ST-Bereich gab es auf dem SICOB einige interessante Entwicklungen zu sehen. Eindeutig zeichnete sich für den ST der Trend zum professionellen Markt hin ab. Kaum noch waren Spiele oder rein der Unterhaltung dienende Programme und Entwicklungen zu finden. Frankreich wird in Zukunft eine wichtige Rolle auf dem internationalen ST-Markt spielen und so manches Unternehmen sollte rechtzeitig einen Blick über die Grenze werfen. (uh)


Bernhard Reimann
Aus: ST-Magazin 07 / 1989, Seite 15

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