Kaufberatung: Der Zweck beeinflußt die Mittel

Jochen ist ratlos. Eben hat er seinen Freund Michael in den Plan eingeweiht, das in den Sommerferien verdiente Geld in einen Handy-Scanner für seinen Atari ST zu investieren. Das einzige, was er darauf zu hören bekommt: »Und, was soll das?«

In der Schule gilt Jochen als begabter Zeichner. Seine auf dem Bildschirm entstandenen »Werke« fanden bei Klassenkameraden und Freunden mehr als wohlwollenden Beifall, auch wenn ihm selbst die auf Papier erarbeiteten Grafiken und Bilder besser gefielen.

»Schau mal, mit dem Scanner lese ich dann meine Zeichnungen in den Computer ein«, sagt er zu Michael. »Gut gut, und dann?« antwortet dieser. »Die Proportionen stimmen nicht mehr, du siehst vor lauter Treppchen die Schrägen nicht und hältst dich am Ende wie bisher Pixel für Pixel mit Korrekturen auf.«

»Die Proportionen bleiben, wie sie sind. Und wenn ich kontrastreiche Vorlagen verwende, ist auch die Korrektur-Pixelei vergessen.«

Michael ist nicht überzeugt.- »Aber die Größe. Überleg' doch mal, du hast eine Vorlage, die 5 x 5 cm groß ist. Über die fährst du mit dem Scanner, und dann ist das so winzig auf dem Schirm . . .«

» Da hast du etwas nicht richtig verstanden. Der Scanner arbeitet mit einer maximalen Auflösung von 400 dpi, d.h. wenn ich ihn 2,54 cm bewege, dann liefert er 400 Pixel-Informationen an den Computer.«

»Ach, dann erscheint eine Briefmarke riesig groß? Also kriegst du doch Probleme mit der Größe. Denn mit 400 Pixeln ist dein Bildschirm ja schon voll!«

»Bei 400 dpi, ja. Diese Stufe brauche ich ja nur, wenn's wirklich um Kleinigkeiten geht. Sonst verwende ich eine geringere Auflösungsstufe.«

»Hmm«, murmelt Michael vor sich hin. »Und wie teuer ist so ein Scanner?«

»Das kommt ganz drauf an. Natürlich ist ein 400-dpi-Modell teurer als ein 200-dpi-Gerät. Und die Profi-Scanner sind fast unbezahlbar.«

Hier verlassen wir die beiden Freunde und werfen genauere Blicke auf die Handy-Scanner und ihren Nutzen. Zunächst sei verraten, was die in aller Munde geführte Bezeichnung überhaupt bedeutet: »Scanner« kommt vom englischen »to scan« und steht für »Abtaster, Überflieger«. Die Vorsilbe »Handy-« bedeutet schlicht, daß es sich um handliche Geräte handelt. Im Vergleich zu den großen, im wesentlichen für professionelle Zwecke konzipierten Ganz-Seiten-Modellen sind die Handy-Scanner eher für die Grafik-Amateure gedacht. In diese Kategorie paßt auch der für einen solchen kleinen Bild-Abtaster zu bezahlende Kaufpreis, der üblicherweise zwischen 500 und 1500 Mark rangiert. Greifen wir kurz die wesentlichen Punkte heraus, die zur Entscheidungsfindung beitragen.

Preiswerte Alternative

Die maximale Auflösung des Gerätes wird in dpi (Dots Per Inch/Punkte pro Zoll) angegeben. Wie Jochen schon richtig erklärte, ergeben sich beim Abtasten eines 2,54 x 2,54 cm großen Bildes in der Auflösung 400 dpi bereits 400 x 400 Pixel-Informationen. Dies liegt für den ST im Schwarzweiß-Modus an der Grenze der vertikalen Darstellungskapazität: Der Bildschirm ist in der Senkrechten voll. Da macht sich ein Umschalter für die Auflösung positiv bemerkbar. Als Eckdaten seien genannt: 200 dpi genügen für normale Grafikanwendungen ohne Ambitionen auf höchste Auflösung kleinster Details. Diese Scanner vertragen sich zudem mit vielen Grafikprogrammen, so daß man gegebenenfalls auf den Einsatz der Treibersoftware verzichten kann. Für OCRAnwendungen - wenn Sie also dem Computer das Lesen beibringen möchten - sind mindestens 300, besser 400 dpi anzusetzen.

Als nächstes ist die Zahl der Graustufen von Bedeutung - meist liegt sie zwischen 8 und 64. Da kann der Anwender nicht so genau differenzieren, ob die Hard- oder die Software verantwortlich zeichnet für die Umsetzung von Helligkeitsunterschieden in entsprechende Pixelmuster. Beachten sollten Sie allerdings, ob die Anzahl der Graumuster wählbar ist. Wer nur zwischen Schwarzweiß (keine Zwischentöne) und Foto (alle Graustufen) entscheiden kann, ohne daß die Steuersoftware eine nachträgliche Veränderung des Kontrastes gestattet, verliert recht bald den Spaß an der Scannerei wegen der oft problematischen »Übertragung« - es sei denn, er arbeitet ausschließlich mit kontraststarken Schriftvorlagen.

Außerdem ist die Art, wie die Grafikdaten in den Computer gelangen, von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Grundsätzlich gilt: Welcher Port auch immer benutzt wird, der falsche ist es sowieso! Dem Anwender, der Hardkey geschützte Programme , nutzt, wird der ROM-Port Anschluß wegen des ständigen Wechselns nicht zusagen. Die serielle Schnittstelle ist für die erhebliche Scanner-Datenflut in jedem Fall zu langsam. Und die parallele Schnittstelle belegt zumeist der Drucker. Glücklich allein der Besitzer eines am DMA Port angekoppelten Laserdruckers oder der Bastler, dessen ROM-Port umschaltbar ist.

Von Bedeutung ist zudem die Farbe der Vorlagenbeleuchtung. Verwendet der Scanner zum Ausleuchten der Vorlage beispielsweise rotes Licht, ist er für rote Bildteile »blind«. Abhilfe schafft hier eine Umkopieraktion mit einem Fotokopiergerät, das Weißlicht verwendet.

Schließlich ein Blick auf das Abtastformat. Während die größeren TischModelle mit Abtastflächen von DIN A4 und mehr aufwarten, sind die HandyScanner hier etwas bescheidener ausgelegt: Ihre Scan-Breite bewegt sich zwischen etwa 7 und 12,8 cm. Bauartbedingt unterliegen sie allerdings keinerlei »Längenbeschränkungen«.

Zum guten Schluß: Wer professionelle Bildverarbeitung vor allem großformatiger Vorlagen betreiben will und zum 200-dpi-Handy-Scanner greift, liegt falsch. Genauso wie der Amateur, der aus mißverstandener Universalität seinen Jahres-Etat für einen hochauflösenden Profi-DIN-A4-Scanner opfert. Was bei dem einen zu zeitraubender Flickbastelei führt, endet beim anderen als wertlose Fehlinvestition. In Abwandlung eines geflügelten Wortes gilt auch hier: Der Zweck beeinflußt die Mittel. (uh)


Ulrich Hilgefort
Aus: ST-Magazin 10 / 1989, Seite 42

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