Shell Master: Master für Meister aller Klassen

Programmierer oder Intensiv-Anwender werden sich des öfteren über die ziemlich langsame und unflexible Benutzeroberfläche des ST geärgert haben. Eine Alternative zum GEM bieten sog. Shells, die über Tastatureingaben oder die Maus bedient werden.

»Master« ist eine solche Shell. Sie wird komplett über die Tastatur des ST beherrscht. Dadurch eignet sie sich besonders für alle Anwender, die diese Variante der Steuerung schätzen. Aber auch Programmierern kann die alternative Oberfläche als Erleichterung dienen. Shells dieser Art lassen sich grob in zwei Bereiche einteilen: Solche, die sich an Unix-Systeme anlehnen und andere, die wie MS-DOS-Rechner arbeiten. Master paßt sich an beide Kategorien wunderbar an, denn der Programmierer hat sowohl MS-DOS- als auch Unix-Kommandos eingebaut. Master bietet seinem Benutzer über 70 Kommandos an, mit denen es sich komfortabel arbeiten läßt. Sie rufen entweder eine direkte Reaktion auf dem Monitor hervor, oder manipulieren den Speicher, Variablen oder Dateien. Zur ersten Kategorie Kommandos gehören z.B. »dir« oder »ls«, mit denen Sie sich das Directory einer Diskette bzw. Festplatte anzeigen lassen können. Wesentlich häufiger braucht man jedoch Befehle der zweiten Kategorie, Befehle wie »cp« oder »free«, die zum Kopieren von Dateien und zur Freigabe reservierten Speichers dienen. Alle Standard-Befehle aus dem Desktop können auch in Master eingegeben werden. So etwa Befehle zum Kopieren, Verschieben, Löschen und Anzeigen von Dateien ebenso wie die bereits erwähnten Befehle zum Anzeigen des Directory. Eine erweiterte Funktion, die man auf dem normalen Desktop nicht findet, ist z.B. das Ändern von Dateiattributen (System- oder versteckte Datei etc.).

Batch-Dateien à la MS-DOS

Bei einigen Programmen ist es sinnvoll, die Ein- und Ausgaben in Dateien oder an eine Schnittstelle umzuleiten. Wird hinter ein Kommando oder einen Programm-aufruf ein "> datei.dat" gehängt, wandern alle folgenden Ausgaben in die Datei »datei.dat« und nicht auf den Bildschirm. Wird jedoch statt " > " ein "»" benutzt, werden die Ausgaben an eine bereits bestehende Datei angehängt. Auch Eingaben können aus einer Datei an die aufgerufene Funktion bzw. das Programm weitergeleitet werden. Dazu muß lediglich das " > " in ein " < " umgeändert werden. So lassen sich Programme, die eine Eingabe von der Tastatur erwarten, überlisten. Die Umleitungen müssen nicht in Dateien aufgenommen werden, sondern lassen sich auch in Variablen festhalten. Dadurch entsteht eine überaus interessante Funktion: das »Pipelining«. Dabei werden die Ausgaben, die ein Programm macht, in einer Variablen fixiert und sofort an die nächste Applikation weitergegeben. Diese verwendet die Ausgabe des ersten Programms dann als Eingabe.

Eine History-Funktion macht die Arbeit mit Master zum Kinderspiel. Kommandos, die man bereits eingegeben und mit Return quittiert hat, können durch die Cursor-Tasten wieder in den Speicher geholt und nachbearbeitet werden.

Eine wesentliche Arbeitserleichterung stellen sogenannte Batch-Dateien dar. Durch sie läßt sich eine Kette durch einen einzigen »Befehl« ersetzen. Als dieser fungiert dann dabei der Name der Batch-Datei. Soll beispielsweise zuerst das Directory angezeigt, dann alle Dateien mit der Extension » *.TXT« gelöscht und gegen die » *TXT«-Dateien aus einem anderen Unter Verzeichnis ersetzt werden, nennt man die Datei z.B. »NEU-BATCH.BAT«. Der Inhalt sieht in diesem Fall folgendermaßen aus:

dir
del *.txt
copy c:\test\*.txt

Die erste Zeile gibt das Directory aus. In der zweiten werden alle »*.TXT«-Dateien gelöscht. Die dritte Zeile wiederum sorgt dafür, daß alle TXT-Dateien aus dem »test«-Verzeichnis in das aktuelle kopiert werden. In Batch-Dateien lassen sich auch Platzhalter installieren, die erst beim Aufruf eingesetzt werden. Setzt man statt »c:\test*.txt« etwa »$1« als Parameter ein, wird er durch das Argument beim Aufruf ausgetauscht. Im Klartext: Wird »NEUBATCH.BAT d:\neu*.c« eingegeben, ersetzt Master den Platzhalter »$1« durch »d:\neu*.c«.

Muß man Programme oder Batch-Dateien häufig benutzen, empfiehlt sich die Definition eines »Alias«. Alias bedeutet schlicht, einem Befehl bzw. einer Befehlszeile einen neuen Namen zuzuweisen. »alias loesch del .« weist dem Befehl »del .« den neuen Namen »loesch« zu.

In der Besprechung haben Sic bereits mehrmals ».« oder ».txt« gelesen. Master erweitert auch die Wildcards »« und »?«, die dem Programmierer normalerweise zur Verfügung stehen.

Hilfsprogramme en masse

».[abc]xt« steht z.B. für die Dateien ».axt«, ».bxt« und ».cxt«. Hier wird also nach jedem in den Klammern enthaltenen Buchstaben gesucht. »[abc]« steht für alle Buchstaben außer »a«, »b« und »c«. Als letzte Erweiterung kann »[b-g]« benutzt werden. Diese Kombination steht für alle Zeichen innerhalb des angegebenen Bereichs, hier also für alle Zeichen von »b« bis »g«.

Nützliche Hilfen, die normalerweise fehlen, sind in Master »Serienausstattung« und müssen nicht nachgeladen werden. So steht dem Benutzer beispielsweise ein Taschenrechner zur Verfügung, mit dem einfache Formeln schnell ausgerechnet werden können. Wer mehr Platz auf dem Bildschirm braucht, ist mit der Shell ebenfalls gut bedient. Die Anzahl der Zeilen läßt sich auf 25 oder 50 einstellen.

Mit Master präsentiert sich der Atari ST mit einer tastaturorientierten Oberfläche

Eingebauter Datei-Monitor

Läßt man sich im Desktop eine Programmdatei anzeigen, schlägt die Glocke an und der ST bringt unzusammenhängende Zeichen auf den Bildschirm. Wollte man bislang eine Datei begutachten, mußte man auf Programme wie »Diskus« oder »SED« zurückgreifen. Master hat eine entsprechende Funktion bereits eingebaut und gestattet dadurch auf einfache Art und Weise einen Blick in beliebige Dateien. Dabei werden auf der linken Bildschirmhälfte die HEX-Werte der einzelnen Bytes ausgegeben, auf der rechten Seite stehen die entsprechenden Zeichen im Klartext, sofern sie druckbar sind.

Auch Virenprophylaxe gibt’s bei Master quasi auf Krankenschein. Laufwerke können softwaremäßig schreibgeschützt und wieder entsperrt werden. Versucht ein Programm dann trotzdem noch, auf den Datenträger zu schreiben, erscheint grundsätzlich die Meldung »Disk in Laufwerk X: ist schreibgeschützt«. Damit dürfte das Virenproblem in den Griff zu bekommen sein. Doch Master hat noch mehr Utilities zu bieten: Mit dem Befehl »format« wird eine Diskette formatiert. Es kann sogar angegeben werden, wie viele Tracks und Sektoren auf die Diskette geschrieben werden sollen, »pack« und »unpack« stellen ebenfalls interessante Orders dar. Die Namen der Befehle deuten bereits an, daß man mit ihnen Dateien verkleinern bzw. wieder in der Normalzustand versetzen kann. Dabei ist der Pack-Algorithmus ungefähr so effektiv wie ARC und läßt Dateien auf 60 bis 70 Prozent zusammenschrumpfen.

Wer hat sich noch nicht darüber geärgert, daß das Datum von Dateien nicht verändert wird, wenn sie neu geöffnet werden? Der Befehl »touch« schafft Abhilfe. Er setzt das Datum einer bearbeiteten Datei auf das aktuelle Datum. Kleine Hilfen, wie eine Stoppuhr und eine RS232-Einstellung, komplettieren das Angebot.

Masters geistiger Vater hat auch an diejenigen gedacht, die eigene Erweiterungen programmieren wollen. Deshalb existiert speziell eine geeignete Schnittstelle. Innerhalb dieser Programme ist es möglich, auf die globalen Variablen und die Basepage von Master zurückzugreifen.

Master ist eine Benutzeroberfläche, die das Atari-Desktop würdig ersetzt. Der mächtige Befehlssatz läßt keine Wünsche offen. Sowohl Unix- als auch MS-DOS-Anwender werden sich mit dem System schnell zurechtfinden. Das Handbuch erklärt alle Befehle anhand von Beispielen. Bei vielen Befehlen ist ein Verweis auf einen oder mehrere andere zu finden. Lediglich das Indexregister könnte einige Einträge mehr enthalten; man findet nicht alle Einträge auf Anhieb. Alles in allem ist Master eine gelungene Shell und kann nur empfohlen werden, (uw)

Wertung

Name: Master

Vertrieb: M. Naumann und E. Röder GBR

Preis: 198 Mark

Stärken: □ umfangreiche Befehle □ Schnittstelle für Programmierer □ MS-DOS- und Unix-Befehle □ Batch-Dateien □ History-Speicher □ Alias-Befehle □ Schreibschutz □ Ausgabeumlenkungen □ erweiterte Wildcards □ eingebauter Packer □ Dateimonitor eingebaut

Schwächen: □ Indexregister des Handbuchs nicht vollständig

Fazit: Empfehlenswert für »Tastaturakrobaten«, Programmierer, Unix-und MS-DOS-Liebhaber.

Michael Naumann und Edgar Röder GBR, Entwicklung von Hard und Software, Am Sportplatz 22, 6620 Völklingen


Andrea König
Aus: ST-Magazin 07 / 1990, Seite 32

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