Video-Digitizing: Fröhliches Bilderkneten

Super-8 ist lange out. Video-Camcorder sind in. Und um die bewegten Bilder einzufrieren und weiterzuverarbeiten, benutzt man Video-Digitizer — zwei davon haben wir getestet.

Das Einfrieren von lebenden Originalen erledigt man nicht etwa mit Trockeneis, sondern mit Videokamera und einem Video-Digitizer. Im Gegenteil: Durch digitalisierte Einzelbilder läßt sich auch der toteste Knetklumpen (z. B. Knetmännchen in »Sesamstraße«) zu quicklebendigen Animationssequenzen und Trickfilmen verarbeiten. Wer allerdings schon einmal versucht hat, nur mit Malprogramm und Maus bewaffnet einen ansehnlichen Trickfilm auf die Beine zu stellen, der kann ein Lied davon singen, welche immense Arbeit es bedeutet, jede auch noch so kleine Bewegung in mindestens 24 Bilder pro Sekunde zu zerlegen...

Das Videosystem dagegen erspart dem Trickfilmproduzenten viele zeitraubende Turnübungen. Man setzt sein Bild in Szene, besorgt sich einen standbildfähigen Videorecorder, dazu einen Video-Digitizer und nimmt dann Stück für Stück Einzelbilder auf, die sich nur durch winzige Bewegungen der Szenerie voneinander unterscheiden.

Das Bindeglied zwischen Videotechnik und Computergrafik ist ein kleiner Hardware-Zusatz: Das Signal aus dem Recorder oder der Kamera erfährt im Innern der »Black Box« eine Umsetzung von Analog auf Digital. Helligkeitswerte, die das Videosystem stufenlos wiedergibt, rechnet die Hardware in mehrere Abstufungen um. Die maximale Auflösung hängt dabei von der Leistungsfähigkeit der Schaltung ab. Die englische Firma »Rombo« stellt mit »Vidi ST« einen »Frame Grabber« vor. Im Gegensatz zum »normalen« Digitizer arbeitet er — zumindest in der niedrigen Auflösung — extrem schnell, d.h. ein Farbsignal erscheint fast übergangslos auf dem Computermonitor. Vidi ST verfügt dazu über einen eigenen 32 KByte großen Bildspeicher, aus dem ein Flash-Konverter die Bildinformationen ausliest. In Form von Zahlenwerten kommt das Bild im Atari ST an. Die Leistungsdaten des Konverters erlauben eine Wandlergeschwindigkeit von 25 Bildern pro Sekunde bei 16 Graustufen. Allerdings spielt der ST-ROM-Port nach Angaben des deutschen Vertriebs nicht so recht mit: Die »Datenschleuse« schaffe maximal sechs bis acht Bilder pro Sekunde. Im Rechner selbst aber lassen sich — je nach RAM-Ausbau — bis zu 137 Bilder unterbringen. Für die hohe Auflösung steht eine besondere Version der Treiber-Software zur Verfügung. Allerdings benötigt die Umrechnung von Farbwerten in entsprechende Grauraster zusätzliche Zeit. Vom einen Bild zum nächsten vergehen dabei etwa zwei Sekunden. Die Konstrukteure des mausgroßen Geräts verpaßten ihm neben der Videoeingangsbuchse zwei praktische Einstellregler für Bildhelligkeit und Kontrast. Damit lassen sich auch stark vom Durchschnitt abweichende Videosignale den eigenen Ansprüchen anpassen. Extreme Reglereinstellungen können darüber hinaus für interessante Bildeffekte sorgen, die z.B. an eine Solarisation erinnern. Wenn’s mal richtig heiß hergegangen ist, läßt sich eine durch Temperaturschwankungen »weggerutschte« Taktfrequenz mit Hilfe eines kleinen Schraubenziehers von außen wieder justieren. Eine eigene Stromversorgung beansprucht das Modul nicht, es bezieht die notwendige Energie aus dem ROM-Port. Die Ergebnisse der Digitalisierung verarbeitet das Steuerprogramm »Vidi ST«. Es arbeitet in der niedrigen Auflösung. Das entsprechende Gegenstück für den Monochrombetrieb nennt sich »Vidimono«. Nach dem Start erscheint die Titelseite, die mit GEM-Menüs sowie einem zusätzlichen Befehlsfeld an der unteren Kante ausgestattet ist. Je nach Auflösung (hoch oder niedrig) wechselt das Funktionsangebot der Software.

Nachdem das Hardware-Modul korrekt im Port steckt und die Verbindung zum Videorecorder steht, startet ein Klick auf »Grab« die Einleseaktion. Ist der Speicher bereits belegt, überschreibt die Routine zunächst diejenigen Bilder, die sich am längsten im Arbeitsspeicher befinden.

So liegt immer eine zusammenhängende Sequenz im RAM — die jeweils ältesten Aufnahmen fallen weg. Alternativ liest der Rechner nur ein einziges Bild ein, was entweder bereits im Hardware-Modul vorhanden ist (»see«) oder neu digitalisiert wird (»one«). Im Farbmodus erfolgt die Wiedergabe der Helligkeitsabstufungen durch entsprechende Farbnuancen, echte Farbwiedergabe ist allerdings nicht möglich. Das Resultat der Digitalisierung läßt sich mit austauschbaren Farbpaletten, also mit Blau- oder Graustich, als Rot-Gelb-Gemisch oder auch invertiert betrachten. Mit der Sepia-Palette kann man auf diese Weise seine Bilder z. B. auf »antik« trimmen. Die Farbzusammenstellungen sind fest definiert und lassen sich leider nicht verändern.

»Vidi ST« (links) färbt über Palette nachträglich, während »Pro 8900« echte Farben digitalisiert (unten rechts). Oben rechts das Original.

Ein Fenster begrenzt den Arbeitsbereich der Digitalisierung. Entweder setzt das Programm den neuen Bildinhalt in dieses Fenster hinein und läßt den Rest unbeeinflußt, oder es ersetzt alles außerhalb des definierten Bereichs. Tricks wie »Bild im Bild« oder ein Firmenschild mit animiertem Ausschnitt bereiten damit kein Kopfzerbrechen mehr. Hat man seine Aufnahmen im Kasten, bietet Vidi ST weitergehende Bearbeitungsfunktionen: Bildschirmfenster beispielsweise lassen sich ausschneiden und verschieben. Mit dem »Karussell« kann der Trickfilmbastler alle aufgenommenen Bilder schon vorab durchlaufen lassen und sein Werk kontrollieren. Der »Replay« arbeitet ähnlich. Dabei lassen sich die Zeitspannen von Bild zu Bild wie bei einer Diashow frei wählen.

Farbe und monochrom

Sogar für fantasievolle Schaufensterwerbung ist Vidi ST geeignet: Wer ein Ladengeschäft besitzt, könnte seinen eigenen kleinen Werbetrickfilm produzieren und einen Bildschirm im Schaufenster plazieren. Mit Hilfe der Funktion »INT« ließen sich aus der Animation einzelne Bilder auswählen, die dann für längere Zeit stehenblieben — für Werbetexte etc.

Die »Quantisierung« verändert die Anzahl der Farbschattierungen stufenweise von 16 auf 8,4 oder 2. Bei geschickter Wahl der Bildmotive eröffnen sich damit interessante Möglichkeiten für Verfremdungseffekte, die mit herkömmlichen Mitteln aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht zu verwirklichen wären.

Zum »Vidi ST« gehören Handbuch, Software und Steckmodul

Das Ablegen der zahlreichen Bilder aus dem Arbeitsspeicher erfolgt erfreulicherweise weitgehend automatisch. Das Dateiformat entspricht dabei entweder dem Neochrome- oder Degas-Format (für den monochrom-Modus natürlich nur noch Degas). Leider haben die Autoren keine Komprimierung von abgelegten Dateien vorgesehen und so wird die Arbeit ohne Festplatte schnell zu einem öden Diskjockey-Job.

Doch selbst wer eine Festplatte besitzt, wird nicht optimal bedient: An einen Suchpfad zum Abspeichern hat leider niemand gedacht, so daß man sich immer aufs neue zum persönlichen Bilderlager durchklicken muß.

Wer eigene Hardware-Komponenten mit ins Programm einbinden will und außerdem über Assembler-Kenntnisse verfügt, findet eine Routine, die ihm dafür alle wesentlichen Funktionen bietet. Die entsprechenden Calls werden ausführlich im Handbuch aufgelistet.

Konnte man sich über die Qualität und Leistungsfähigkeit von Hard- und Software-Komponenten des Pakets durchaus freuen — das Handbuch verdient Kritik. Eigentlich darf man von einer Anleitung erwarten, daß sie Installation und Inbetriebnahme des Systems so voraussetzungsfrei erläutert, daß auch ein wenig erfahrener Kunde sein Gerät ohne langes Rätselraten in Betrieb nehmen kann...

Ein Wort zur erreichbaren Bildqualität: Wer aus 320 x 200 Pixeln lupenreine Detailgenauigkeit erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht. Der Atari kann mit seiner vergleichsweise kargen Auflösung gegen die hohe Qualität moderner Videogeräte nicht einmal ansatzweise Lorbeer ernten. Dementsprechend bescheiden fallt auch jedes Digitalisierergebnis aus, auch wenn das Werk über die Videokamera aufgenommen wieder vom Fernsehbildschirm strahlt. Die Umsetzung von Videobildmaterial auf dem Atari ST ist jedoch im Rahmen der Möglichkeiten des Computers mit Vidi ST praktikabel zu bewerkstelligen.

Vidi ST

Hersteller: Rombo UK

Preis: 448 Mark

Stärken: □ Hohe Wandlergeschwindigkeit □ Anpassung an Videosignal □ gute Steuer-Software □ Farbe und Monochrom

Schwächen: □ Monochromumrechnung langsam □ Änderung der Farbpalette nur per Nachladen □ Handbuch □ Handling der Massenspeicher

Fazit: □ Leistungsstarke Kombination aus Hard-und Software □ relativ preiswert

Auch die Münchner Firma »Print Technik« beschäftigt sich seit langem mit Grafik-und Videoanwendungen für den Atari ST. Der Digitizer aus München auf dem Prüfstand: »Pro 8900« von Print Technik. Auch dieses Digitizer-Paket besteht aus einem Hardware-Modul für den ROM-Port sowie Betriebs-Software nebst Dokumentation. Auch diverse Farbfilterscheiben gehören laut Hersteller zum Lieferumfang.

Extrem hohe Auflösung

Zum »Pro 8900« von »Print Technik« gehören »serienmäßig« ohne Aufpreis drei Farbfilter für die Videokamera

Der »Professional Digitizer« liefert nach korrekter Inbetriebnahme am ROM-Port Bilddaten in bemerkenswert hoher Auflösung. Die Tabelle nennt Werte zwischen 320 x 200 und 1024 x 512 Bildpunkten bei 16 Graustufen. Die Handhabung der Steuer-Software ist problemlos, allerdings schickte die Software den ST bei fehlendem Videosignal grußlos ins Nirwana. Die Software liegt in mehreren Versionen auf der Diskette vor. Wichtigster Bestandteil der Sammlung heißt »DE-HIMAI.PRG«. Es arbeitet mit einer Auflösung zwischen 320 x 200 und 1024 x 512 Bildpunkten.

Der eigentliche Digitalisierungsvorgang dauert entnervend lang: Gemäß dem Motto »Gut Ding will Weile haben« liegen die Wandlerzeiten des geruhsamen Zeitgenossen nicht unter 20 Sekunden — damit ist eine Umsetzung von Bildern aus einer laufenden Aufzeichnung nicht möglich. Für ein Bild im 1024 x 512-Format war die Software gar 63 Sekunden lang beschäftigt. Auch sonst arbeitet die Software äußerst träge: Wer beispielsweise die Funktion »Pic Param« (für Bild-Parameter) aktiviert, der darf erst einmal in Ruhe zuschauen, wie die Software das bereits gezeigte Bild Zeile für Zeile neu aufbaut, nur um schließlich in der oberen linken Ecke eine kleine Klickbox einzublenden...

Bemerkenswert dagegen ist die Funktion »Pretty View«. Sie findet sich im zweiten Schwarzweiß-Steuerprogramm »DEXPMAI.PRG«. Damit lassen sich die oft harten Übergänge zwischen den Helligkeitsrastern etwas verwischen. Wie wirkungsvoll das sein kann, zeigt unser Bild mit den Kuscheltierchen.

Der Haken: lange Wandlerzeit

Die Wandlungsergebnisse legt das Programm in allen wichtigen Formaten auf Massenspeicher ab. Je nach Rechnerauflösung (gering, mittel, hoch) liest und schreibt Pro 8900 die drei unkomprimierten Degas-Formate, das Neo-Chrome, das Doodle-, das Art-Director- und das Image-Format. Dazu kommt das eigene HIRES-Format. Auch die Farbtabelle läßt sich speichern bzw. nachladen.

Soviel zum Schwarzweißmodus. Für 200 Mark Aufpreis bekommt man zwar zusätzlich zum Pro 8900 einen RGB-Splitter und eine spezielle Software von Imagic, mit welcher sich Farbbilder im Imagic-Format schreiben lassen. Allerdings genügt es völlig, wenn man auf die drei Farbfilterscheiben für Rot, Grün und Blau zurückgreift. Denn damit und der im preiswerteren Paket enthaltenen Software gelingt echte Farbdigitalisierung.

Mit der Funktion »Pretty View« fassen sich weiche Übergänge erzielen

Echte Farbwiedergabe

Die Farb-Software arbeitet ähnlich verschlafen wie die Schwarzweiß-Variante. Farbdigitalisierung ist grundsätzlich nur mit stehenden Motiven möglich, denn die drei »Teilbilder« mit den Grundfarben Rot, Grün und Blau müssen nacheinander eingelesen werden. Dazu setzt man jeweils eine entsprechende Filterscheibe vor die Kamera. Die Ausstattung des Programms ist recht karg — schwacher Trost, daß es ja genügend Malprogramme gibt, um fehlende Funktionen zu kompensieren.

Unterm Strich eignet sich das Gerät aus München für alle, die sich beim Digitalisieren Zeit lassen können, aber auch für Farbanwendungen gerüstet sein wollen. (hu)

Pro 8900

Hersteller: Print Technik

Preis: 498 Mark

Stärken: □ Schwarzweiß- und Echtfarbbetrieb □ wählbare Auflösung □ gute Bildqualität

Schwächen: □ Langsam □ bearbeitet jeweils nur ein Bild □ Dokumentation ungenügend

Fazit: Empfehlenswert für Anwender mit viel Zeit

Print Technik, Nikolaistraße 2, 8000 München 40

PR8-Software, Lerchenweg 14, 8702 Margretshöchheim

So sieht die »normale« Graurasterung aus

Ulrich Hilgefort
Aus: ST-Magazin 12 / 1990, Seite 18

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