Genie - American Express

Amerika ist nach wie vor Trendsetter bei der Datenfernübertragung (DFÜ). »Genie« und »CompuServe«, zwei der größten und populärsten amerikanischen Mailboxsysteme, sind seit einiger Zeit über Datex-P zugänglich; bezahlt wird mit »Plastikgeld«.

Deutsche DFÜ-Anwender können bisher nur neidvoll auf das Angebot amerikanischer Mailboxen blicken. Dort spricht man übrigens nur von »Bulletin Board Services«, unter Mailbox verstehen Amerikaner ausschließlich den bunten Blechkasten vor ihrem Haus. Wohlgemerkt, wir sprechen hier von Privatanwendern, nicht etwa von kommerziellen Nutzern und ihren teuren Informationssystemen.

Genie, ausgeschrieben »General Electrics Network (for) Information Exchange«, ist eines dieser BBSs, und mit rund 200000 registrierten Kunden eines der größten.

Der Name ist zugleich ein Wortspiel, ausgesprochen »Dschinie« bedeutet das soviel wie »Djinn« oder »dienstbarer Geist«. Freunde leichter Fernsehkost wissen was gemeint ist.

Um in der Analogie zu bleiben, gibt es für den ST auch noch das speziell auf die Box zugeschnittene Terminalprogramm »Aladdin«, das eine Art Benutzeroberfläche anbietet und verschiedene Vorgänge automatisiert. Man kann es sich nach dem ersten »Logön« kostenlos auf den ST laden.

Die Zugangsprozedur wurde im Mai 1990 erleichtert. Man erreicht Genie über eine R-NUA, das ist eine Datex-P-Adresse, bei der der Empfänger die Gebühren trägt.

Neben einer Kreditkarte braucht man also zunächst einmal eine Berechtigung fürs Datex-P-Netz. Per Modem geht das in jeder größeren deutschen Stadt über einen PAD (Packet Assembler Dis-assembler) der Deutschen Bundespost Telekom.

Die Nummer für den nächstgelegenen PAD mit der entsprechenden Baudrate erfragen Sie entweder bei Ihrem Postamt (das kann Geduld erfordern, denn noch längst nicht alle Postbediensteten wissen über Teledienste Bescheid) oder Sie informieren sich in der örtlichen Mailboxszene.

Nach dem Connect geben Sie einen Punkt und ein Return ein, der PAD bestätigt darauf mit seiner Einschaltmeldung, daß er aktiv ist. Als nächstes müssen Sie die NUA eingeben, sie lautet »R 45221040880«. Sie bekommen vom PAD eine Verbindungsmeldung und anschließend die Login-Aufforderung von Genie. Als Usernummer und Paßwort tippen Sie hier »XTX99628,GEnie«. Achten Sie auf Groß- und Kleinschreibung! Danach gelangen Sie automatisch in die Registrierungsprozedur, wo etliche Angaben von Ihnen abgefragt werden, um Ihren »Account« einzurichten. An dieser Stelle kommt auch die Kreditkarte ins Spiel, eine Amex, Mastercard oder Visa sollte es sein, denn die Gebührenabrechnung erfolgt außerhalb der USA ausschließlich per »Plastikgeld«.

Gebühren werden, wie bei US-BBS's üblich, für Online-Zeit erhoben. Man zahlt also die Zeit, die man im System verbringt, unabhängig davon, was man damit anfängt. Ganz einheitlich ist die Preisgestaltung aus verschiedenen Gründen jedoch nicht. So gibt es z.B. zwei Zeitzonen, die »Prime Time« von 8:00 am bis 6:00 pm (amerikanische Ostküsten-Zeit) an Werktagen und die »Non-prime Time« während der übrigen Stunden und an Wochenenden. Prime-Time-Verbindungen sind, da in der Geschäftszeit, erheblich teurer.

Dazu kommt, daß verschiedene Einzelleistungen, die als »Value-Added products« bezeichnet werden, die Stundengebühr um unterschiedliche Zuschläge erhöhen. Auch müssen Dienste von Drittfirmen, die über die Mailbox in Anspruch genommen werden können, extra bezahlt werden.

Für deutsche Benutzer kommen dann noch die Da-texgebühren hinzu. Diese trägt zwar zunächst Genie via R-NUA, doch wird ein Aufschlag von 9 Dollar auf die normale stündliche Nutzungsgebühr addiert. Der Anrufer hat den Vorteil, daß er nur mit einer Stelle abrechnen muß und einen besseren Überblick über die anfallenden Kosten hat. Dazu muß man dann nur noch die Telefongebühren für die Verbindung bis zum PAD rechnen.

Daraus ergeben sich für deutsche Genie-User Kosten von 18 US-Dollar während der Non-prime Time bzw. 27 Dollar während der Prime Time. Durch die Zeitverschiebung beginnt die Prime Time nach mitteleuropäischer Zeit allerdings erst um 14 Uhr und läuft dann bis 24 Uhr.

Eine teilweise Abkehr vom Konzept der Zeitgebühren kommt Europäern leider vorläufig nicht zugute. Amerikaner und Kanadier können seit kurzem eine Auswahl von Diensten unter dem Schlagwort »Star-Services« statt gegen Zeitgebühr für eine Monatspauschale von ca. 5 US-Dollar in Anspruch nehmen. Dies gilt allerdings nur während der Non-prime Time. Springt der Benutzer einen dieser Star-Services an, wird die sonst ständig mitlaufende »Gebührenuhr« quasi angehalten. Genau hier liegt die Krux für uns Mitteleuropäer. Da über die Gebührenuhr auch die Datexgebühren »wegticken«, kann sie für uns nicht einfach gestoppt werden. Sie um einen entsprechenden Wert »herunterzuschalten« ist vorerst noch zu kompliziert.

Die Abrechnung mit der Mailbox erfolgt einmal monatlich über die Kreditkarte. Zum besseren Überblick kann man sich die aufgelaufenen Gebühren jederzeit online anzeigen lassen.

Eine Stunde Aufenthalt in der Box schlägt nach derzeitigem Dollarkurs mit ca. 50 DM zu Buche. Nicht gerade billig. Doch was bekommt man dafür?

Nach dem Login zunächst einmal ein Hauptmenü mit 14 Unterpunkten. Aber das ist nur die Spitze eines Eisbergs. Denn von hier aus, alle erreichbaren Unter- und Unteruntermenüs auch nur einmal kurz anzuspringen, um sie kennenzulernen, kostet fast eine Stunde Zeit bei einer Übertragungsrate von 2400 Baud.

Daher erfolgt die Bedienung der Mailbox auch in einer Mischung aus Menü- und Befehlssteuerung. Man kann sich also linear von Menü zu Menü bewegen, indem man jeweils die Nummer eines Untermenüs eingibt, hat jedoch andererseits die Möglichkeit, durch Eingabe eines Kennworts kreuz und quer zwischen Menüs und Funktionen zu springen. Zusätzlich gibt es dann noch den Befehl »Move«, sozusagen für die Feinabstimmung, mit dem exakt eine bestimmte Menüseite angesprungen wird, vorausgesetzt, man kennt die Seitennummer.

Gibt man z.B. den Begriff »Atari« ein, so sieht man sich folgendem Untermenü gegenüber:

Genie Atari Atari RoundTables
1. Atari ST 
2. Atari 8-Bit 
3. Atari Developers 
4. BBS 
5. CP/M 
6. Forth Interest Group 
7. Gadgets by Small 
8. Generic Software 
9. MichTron 
10. Soft Logik
11. WordPerfect 
12. Home Automation
13. Portfolio RT

Dahinter verbirgt sich wiederum ein reichhaltiges Angebot. Hier warten in der Software-Library z.B. über 17000 Files für den ST auf Downloads und hinter »GEnie Lamp« verbirgt sich eine »Online-ST-Zeitschrift«, die regelmäßig Händler, Entwickler und User zu Wort kommen läßt und das Wichtigste aus dem Bulletin Board lesergerecht aufbereitet. Die Zahl in Klammern hinter »GEnie Lamp« ist übrigens das Datum, an dem das Magazin zuletzt aktualisiert wurde.

Wer sich nicht nur für seinen ST interessiert, der kann in Genie ansonsten noch ca. 200 verschiedene Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Im wesentlichen lassen sie sich alle in die drei Bereiche Kommunikation, Information und Güterverkehr einordnen.

Zunächst einmal stehen natürlich die Kommunikationsformen zur Verfügung, die in jeder Mailbox üblich sind. Das heißt Mail (die in Genie »GE-Mail« genannt wird), Chat und Konferenz. Im Unterschied zu lokalen Mailboxen hat man hier jedoch nicht nur Teilnehmer aus dem Einzugsbereich einer einzelnen Großstadt als Gesprächspartner, sondern Menschen und Firmen aus aller Welt, speziell natürlich aus den Vereinigten Staaten. Wer z.B. Probleme mit seiner Software hat, kann fast sicher sein, daß er über GE-Mail direkt den Programmierer oder zumindest den Hersteller erreicht.

Die Konferenzen in Genie verbinden nicht nur »DFÜ-Freaks« mit Schlafproblemen, wie wir das in deutschen Mailboxen zu nachtschlafender Zeit gewohnt sind. Die mag's wohl auch geben. Aber dazu werden regelmäßig themenbezogene Konferenzen organisiert, in denen prominente Fachleute als »Gastdozenten« Rede und Antwort zu ihren Produkten oder ihrem Fachgebiet stehen. Dazu kommen Themenkonferenzen, die z.B. der Einarbeitung in bestimmte Software-Kategorien, dem Austausch zwischen Usern oder einfach nur der Entspannung dienen.

Schließlich gibt es, als Ergänzung zur GE-Mail, »Quikgram«. Das sind E-Mail-Nachrichten, die als Telegramme an jede Adresse in USA und Kanada ausgeliefert werden.

Das Informationsangebot in Genie ist nahezu unüberschaubar. Wer sich nicht auskennt, wird zu Anfang wohl mehr Zeit und Gebühren aufwenden, um sich die für ihn interessanten Themen zu erschließen, als für den eigentlichen Nachrichtenbezug.

Wer sein Informationsbedürfnis einmal in die richtige Bahnen gelenkt hat, kann dafür aus dem breit gefächerten Angebot den größten Nutzen ziehen. Die Spanne reicht von »Roundtable«-Gesprächen über Online-Nachrichtendienste wie »NewsGrid« oder »Newsbytes«, Finanzdienste wie »Charles Schwab« und »Dow Jones« bis hin zu »Grolier's Electronic Encyclopedia«, der elektronischen Ausgabe der »Academic American Encyclopedia«.

Unter den Roundtables finden sich neben Computerthemen alle möglichen Bereiche, in denen man sich mit anderen Benutzern über Alltagsthemen, berufliche oder Freizeitfragen austauschen kann. Ein Info-Brett für Anwälte fehlt hier ebensowenig wie eines zum Thema Ahnenforschung oder für Foto- oder Flug-Amateure. Für Anwender von Standard-Software dürften allerdings die Roundtables besonders interessant sein, die von Software-Firmen wie Ashton-Tate, Borland oder Microsoft gesponsert oder sogar als offizielle Support-Anlaufstellen angeboten werden. Neben Utilities und Tool-Boxen zum Download findet man hier kompetenten Rat, wenn man mit einem Produkt dieser Firmen Probleme hat. Dies allein kann schon manchmal die Investition für die Mailbox lohnen.

Wer sich dagegen für die neuesten Nachrichten aus den USA und aus aller Welt interessiert, ob speziell aus dem Computerbereich oder ganz allgemein, der läßt sich mit »Quicknews« für 25 Dollar pro Monat seine persönliche Zeitung zusammenstellen, die dann im privaten Postfach auf den »Download« wartet. Dazu stellt man einmal ein persönliches Profil zusammen, in dem Schlagwörter, Firmennamen oder Themenbereiche definiert sind, für die man sich interessiert.

»Newsgrid« liefert allgemeine Themen wie Wirtschaft, Politik und Sport und wird als Echtzeit-Nachrichtenservice von Presseagenturen wie UPI, AFP und DPA beliefert. »Newsbytes« befaßt sich mit Computerthemen und unterhält weltweit elf eigene Büros.

Für Sie war bisher noch nicht das richtige dabei? Dann sollten Sie sich einmal »Grolier's« anschauen. Diese Datenbank umfaßt über 31000 Stichwörter, die vierteljährlich auf den neuesten Stand gebracht werden. Dazu gehört ein Roundtable, in dem über unterschiedlichste Themen diskutiert werden kann, von den »Ursachen des Bürgerkriegs« bis zu »Pop-corn-Rezepten«.

Amerika ist das Land der »Call a Pizza«-Shops, also kann man über die Mailbox natürlich auch einkaufen. Von Erdnußbutterplätzchen über Unterhaltungselektronik bis zu Reisen gibt es alles bei Versandhändlern der »Shopping Mall«. Die Abrechnung erfolgt - natürlich -per Kreditkarte.

Dann gibt es noch die ca. 85000 Public-Domain- und Shareware-Programme und -Dateien, die man sich mit X-, Y- oder Z-Modemprotokoll auf den heimischen Rechner holen kann, was auch per Da-tex problemlos funktioniert. Für deutsche Anwender lohnt sich das allerdings aufgrund der hohen Zeitgebühren nur selten, außer man ist auf der Suche nach einer speziellen Datei. Ansonsten sind alle Programme ca. ein bis zwei Wochen später auch bei uns zu haben, in der Regel zu einem Bruchteil der Download-Kosten.

Wer nicht allzu sparsam sein muß und sich für 50 DM die Stunde auch einmal etwas Spaß und Spannung leisten kann, findet im Menüpunkt »Games« zwei Dutzend Online-Spiele, rund die Hälfte davon für mehrere Teilnehmer gleichzeitig. Das Nonplusultra für Flugsimulator-Fans ist »Air Warrior«, ein Luftkampfsimulator, in dem sich die Spieler mit Mustangs, Spitfires und Mes-serschmitts auf den Leib rücken, dank downloadbarem »Front End«-Programm in Echtzeit und Farbgrafik.

Als Fazit bleibt, daß keine deutsche Mailbox momentan auch nur annähernd das bieten kann, was Genie-User tagtäglich geboten bekommen. Dafür kann der Spaß natürlich reichlich teuer werden, wenn man von diesem Angebot wirklich ausführlich Gebrauch machen will. Insbesondere der Zugriff auf die zahlreichen Nachrichtendienste und die verschiedenen Möglichkeiten, rasche Kontakte nach Übersee herzustellen, können für manchen die doch beträchtlichen Kosten rechtfertigen. Wer solche Dienste allerdings nicht benötigt, hält sich wohl besser an eine inländische, günstigere Mailbox mit UUCP-Anschluß. (mb)


Karl Rohleder
Aus: ST-Magazin 02 / 1991, Seite 88

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