Minitext: abgespeckt zum Klassenziel

Gewöhnlich protzen Textsysteme mit Funktionen. »Minitext«, ein Programm gegen den Trend, verzichtet auf fast alle Schnörkel.

Kennen Sie den ganz alltäglichen Horror beim Schreiben am Computer? Schon beim Briefkopf quälen Sie sich mühevoll durch die ersten 100 Handbuchseiten. Ein bemerkenswertes Ereignis, wenn Erstanwender neben dem aufwendigen Studium der Betriebsanleitung noch ausreichend Zeit finden, Texte zu verfassen.

Übersichtlichkeit und die Beschränkung aufs Wesentliche sind indes keine unerfüllbaren Anwenderträume. »Minitext« ist der Spartaner unter den Textsystemen für den ST. Das Prinzip ist ebenso schlicht wie effizient: Das Schreibprogramm kann alles, was man zum Bearbeiten der Geschäftskorrespondenz braucht — mehr nicht, aber auch nicht weniger: Funktionslimits als Markenzeichen.

Das findet auch konsequent in der mitgelieferten »Hardware« seinen Niederschlag. Kein aufwendiges Hochglanzprodukt; Anleitung und Diskette stecken lose im Pappschuber: 33 DIN-A5-Seiten, nur mühsam von einer Plastikklammer gebändigt. Das muß reichen.

Nach dem Programmstart — Minitext läuft nur auf Monochrommonitoren — legen Sie in einer Dialogbox die maximale Textlänge fest: Die Software verwaltet wahlweise ein 12 OOOzeiliges Dokument oder zwei mit je 6000 Zeilen. Gleichzeitig lassen sich Vereinbarungen über Hintergrundfarbe — Schwarz oder Weiß — treffen. Sie sollten Ihren Augen zuliebe schwarze Schrift auf weißem Hintergrund wählen.

Anschließend gelangen Sie unmittelbar in den Editor, den computergesteuerten Teil Ihrer »Schreibmaschine«. Spätestens hier zeigt sich, daß »Minitext« ein Tiefstapler ist: Über der Statuszeile mit Zeilenlineal, Dateinamen, Angaben zur Textlänge und Cursor-Position, finden sich acht Pull-down-Menüs. Rund 70 Menüpunkte bieten alles andere als Schmalkost.

Schriftattribute und der Wechsel in eine andere Schriftart werden im Editor-Modus nicht am Bildschirm dargestellt. Im Gegensatz zum konfortablen »WYSIWYG«-Prinzip (What you see is what you get) erscheinen ganze Textpassagen, ähnlich wie bei betagten IBM-Textsystemen, eingerahmt von kryptischen Zeichen (s. Abb.). Hintergrund: Minitext verwaltet Texte im »ASCII«-Format und ergänzt sie durch »Escape«-Sequenzen, die Ihr Drucker zur Wiedergabe verschiedener Drucker-Fonts, der Schriftattribute und zur Interpretation von Sonderzeichen benötigt.

Neben den Variationen kursiv, fett oder hoch- und tiefgestellt (Sub- und Superscript) lassen sich sogar Download-Fonts definieren. Das reicht — abhängig vom Druckermodell und Druckerspeicher — von wenigen Sonderzeichen oder Buchstabenkombinationen bis zu kompletten Fonts oder Schriftenfamilien.

Das Zeichenwirrwarr aus Text und Escape-Codes wird vom Drucker jedoch korrekt entschlüsselt. Zur Kontrolle läßt sich der Text auch ohne Steuercodes anzeigen. Diese Methode hat durchaus mehrere Vorteile: Sie dient nicht nur der besseren Übersicht, sondern beschleunigt das in eher behäbigem GFA-Basic entwickelte Programm auf eine rasante Scroll-Ge-schwindigkeit.

Minitext speichert Texte auch im reinen ASCII-Format. Die Druckercodes werden dazu aus dem Text eliminiert. Diese Textdateien werden auch von anderen Editoren oder Textsystemen akzeptiert.

Anstandslos bearbeitet der Mini auch 1st Word Plus-Dateien. Word-Plus-Steuerzeichen werden dazu ausgetauscht oder gelöscht und »weiche« Worttrennungen in Zeilenumbrüche verwandelt.

Nahezu alle Features zur Textbearbeitung stehen zur Verfügung: Mit wenigen Handgriffen lassen sich ausgewählte Textpassagen nachträglich mit Schriftattributen versehen. Die Mini-Software beherrscht neben Blocksatz auch links- und rechtsbündigen Flattersatz. Linker und rechter Rand lassen sich dazu frei wählen. Eine Wortumbruchfunktion sorgt beim Schreiben dafür, daß der Text am Zeilenehde automatisch in die nächste Zeile fließt und gleichzeitig richtig formatiert wird.

So flott und unkompliziert sich Texte eingeben lassen: Beim Formatieren großer Dokumente tut sich der Mini naturgemäß schwer. Für 100 Textzeilen benötigt das Programm immerhin 15 Sekunden. Verwöhnte Anwender suchen zudem vergeblich eine Trennfunktion: Beim Blocksatz entstehen mitunter Löcher wie in einem Schweizer Käse. Schluß der Schelte.

Zur Minimalanforderung an Textprogramme gehören Blockfunktionen. Auch die beherrscht der Testkandidat mühelos: Textblöcke lassen sich markieren, in einem Puffer ablegen, verschieben, löschen, kopieren, auf Diskette speichern oder auf dem Drucker ausgeben. Zusätzlich können Textbausteine in den Text eingebunden werden. Dazu genügt es, an der gewünschten Stelle den Dateinamen einzutragen. Beim Ausdruck fügt Minitext automatisch alles zusammen.

Kurze Textpassagen lassen sich auch über die Funktionstasten aufrufen. Eine Floskeldatei erlaubt, jede Taste mit einer Redewendung oder Standardformulierungen zu belegen, die nach dem Programmstart jederzeit parat stehen.

Die Druckeranpassung, Sorgenkind vieler Textverarbeitungsprogramme, ist vorbildlich gelungen. Zum Programm gehören allerdings nur acht gängige Druckertreiber: neben Dateien für die »Star«-Drucker »LC-24« und »NL-10«, Steuerprogramme für »Epson«- und »Epson-LQ<.-Printer sowie für den »NEC P6« und »Oki 182«.

Besitzern anderer Modelle bleibt die Möglichkeit, eigene Treiber zu schreiben. Alle dafür erforderlichen Informationen werden in einem Textfile abgelegt. Wie's genau geht, erfahren Sie ausführlich beschrieben in der Anleitung. Trotzdem: Ein Ersatz für einen ausreichenden Bestand an Druckertreibern ist dieses Verfahren halt doch nicht.

Bequem und übersichtlich dagegen die Dialogbox zur Druckereinstellung: Beliebige Schriftarten lassen sich hier wählen, Seitenlänge, Papierart, Seitennumerierung und Seitenränder einstellen (s. Abb.).

Im Verhältnis zum günstigen Einstiegspreis gibt's verschwenderisch viele Sonderfunktionen. Der Editor lädt auf Wunsch alternative Bildschirm-Fonts, rechnet, sortiert, sucht und ersetzt. Letzteres sogar innerhalb einer Seite oder des ganzen Textes. Last not least lassen sich externe Programme von Editor aus aufrufen. Eine Sonderfunktion verwandelt Ihren Drucker sogar in eine Schreibmaschine. Dabei wird jeder eingetippte Buchstabe direkt vom Drucker ausgegeben.

Unangenehm macht sich letztlich nur das Fehlen eines Trennalgorithmus bemerkbar. Dagegen fallen kleinere Programmierfehler kaum ins Gewicht: Auch nicht, daß der Editor beim Aufruf der Drop-down-Me-nüs nicht deaktiviert ist. Beim Scrollen gibt's dann unweigerlich Zeichensalat. Unschön auch, daß die Punkte der Textseiten-Trennlinie zeitweise verschwinden, wenn sie der Cursor berührt.

Insgesamt bietet Minitext alle wesentlichen Funktionen, die zum schnellen und bequemen Texten notwendig sind. Auf in der Praxis kaum taugliche Rechtschreibhilfen läßt sich ohnehin verzichten. Wer jedoch unbedingt Grafik im Text benötigt, muß letztendlich doch auf eines der bewährten, aber komplizierteren Textsysteme ausweichen.

Minitext läuft natürlich auf allen STs und ist eine ideale Schreibhilfe für Unternehmer, die noch selbst tippen, genervte Sekretärinnen oder Einsteiger, die am Computer nicht gleich die Bodenhaftung verlieren. Ein Programm ganz gegen den Trend und eine gelungene Alternative zu Textsystemen, bei denen es täglich neue, nicht immer notwendige Funktionen zu entdecken gibt, (em)

Minitext

Art: Schreibprogramm
Preis: 49 DM

Vertrieb: PD-Soft Rese, Gießen

Stärken: einfache Bedienung; übersichtliche Menüs; günstiger Preis; liest Dokumente im »1st Wordplus«-Format

Schwächen: kein Trennalgorithmus eingebaut; Beschränkung auf wenige Druckertreiber; Editor in Drop-down-Menüs nicht deaktiviert

Fazit: einfaches Textsystem, das viel mehr kann, als sein Preis argwöhnen läßt



Aus: ST-Magazin 05 / 1991, Seite 104

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