MultiGEM - Fast wie sechs Richtige im Lotto

Multitasking boomt auf fast allen Rechnersystemen. Unter TOS ist leider bisher kaum ein Parallelbetrieb mehrerer Programme machbar. Maxon will dem mit Multigem Abhilfe schaffen und dem ST zu neuen Fähigkeiten verhelfen.

Multitasking ist für viele ST-Anwender ein Objekt des Neides. Während PC- und Amiga-Besitzer mit mehreren Applikationen gleichzeitig arbeiten können, müht man sich unter TOS von einem Programm ins andere. In der Vergangenheit gab es schon mehrere Versuche, hier gleichzuziehen. Produkte, wie »MicroRTX«, »VSH-Manager« oder »Mint« waren und bleiben aber nur Nischenlösungen. Andere Betriebssysteme wiederum, wie »OS9« oder »Minix« verweigern TOS-Programme.

Seit der CeblT '91 wird allerdings »PAM's Multigem« über »Maxon« vertrieben. Obwohl die erste Version indiskutabel instabil und auf dem TT nur mit Einschränkungen lauffähig war, wollten wir der zur Atari-Messe gelieferten Version 1.02 nochmal eine Chance geben — zurecht!

Geliefert wird Multigem auf einer Diskette mit einem 50seitigem Handbuch. Dieses enthält zwar die zum Betrieb nötigen Funktionen, aber besonders Laien würden sich über mehr Hilfestellungen freuen, wenn es mal nicht läuft.

Auf der Diskette liegt ein Installationsprogramm bei, das alle Dateien an die richtige Stelle kopiert. Außerdem bietet die Installation eine Anpassung der DESK-TOP.INF-Datei an. Leider fügt das Programm aber nicht die neuen Zeilen ein, sondern schreibt eine neue Datei aufs Bootlaufwerk. Diese Unart legten die Programmierer als Standardeinstellung fest. Also Vorsicht, daß man nicht seine Desktop-Einstellungen verliert.

Nach dem Booten zeigt sich der Desktop im gewohnten Bild. Nur unter Accessories sind jetzt alle Slots belegt. Wo kein Accessory steht, hat sich Multigem den Eintrag genommen.

Trick über Accessory-Leiste

Die neue Perle im Autoordner macht sich erst richtig bemerkbar, wenn ein Programm gestartet wird: Die offenen Fenster werden nicht wie gewohnt geschlossen, und auch der Desktop bleibt erhalten.

Da der Desktop noch vorhanden ist, kann man weitere Programme starten, bis keine freien Slots mehr vorhanden sind. Dazu hat man bei PAM auf die Multitasking-Fähigkeiten des GEM zurückgegriffen. Bekanntlich ist GEM (insbesondere das AES) in der Lage, neben der laufenden Applikation noch sechs Accessories zu verwalten. Alle sieben Programme laufen parallel, d.h., ein Accessory kann durchaus Aufgaben erledigen, während man im Hauptprogramm seine normale Arbeit verrichtet. Beispiele sind Uhren-Accessories oder Druckerspooler.

Durch Multigem können nun statt der Accessories auch Applikationen gestartet werden. Die laufenden Prozesse, also Accessories und Applikationen, bleiben weiterhin auf sieben beschränkt. Da der GEM-Desktop jetzt stets präsent ist, bleiben noch sechs freie Programme, die parallel im Speicher arbeiten können.

Zum Umschalten zwischen den Applikationen gibt es zwei Wege: Entweder man holt das Fenster der gewünschten Applikation nach oben oder holt den Accessories die gewünschte Applikation in den Vordergrund. In beiden Fällen werden ebenfalls Menüleiste und eventueller Desktop restauriert. Die Arbeit mit mehreren Programmen gestaltet sich also weiterhin wie gewohnt.

Zuteilung für Gefräßige

Da viele Programme den maximal verfügbaren Speicher belagern, schiebt Multigem einen Riegel vor und gibt nur eine begrenzte Menge Speicher pro Applikation frei. Sollte er nicht reichen, kann man in einem Konfigurationsprogramm mehr vorgeben. Zudem lassen sich hier auch noch andere Parameter setzen. Programme, die einem Multitasking-Betrieb nicht gewachsen sind, kann man im Single-Modus laufen lassen, in dem wie gewohnt nur eine Applikation läuft. Auch lassen sich hier Applikationen anmelden, die nach dem Start des Rechners geladen werden sollen. Das Multitasking des AES hat natürlich seine Einschränkungen. So können z.B. nur solche Programme im Hintergrund laufen, die häufig einen AES-Aufruf machen und es unterlassen, ihre Statusausgaben in Dialogboxen zu machen. Ein negatives Beispiel ist »Adimens«. Wenn Adimens importiert, wird in einer Dialogbox angezeigt, wie weit der Vorgang fortgeschritten ist. Dadurch sind aber alle anderen Programme in der Ausgabe blockiert.

Fataler ist es, wenn ein Programm längere Zeit arbeitet, ohne einen AES-Aufruf abzusetzen. In dieser gesamten Zeit kommt kein anderer Prozeß zum Zuge. Dies ist insbesondere bei TOS-Programmen der Fall, die ja ohne GEM arbeiten. Aber auch hier haben sich die Programmierer etwas einfallen lassen: Das Programm »Multiwin« läßt, ähnlich wie »Gemini«, alle TOS- und TTP-Anwendungen in einem Fenster ablaufen und sorgt nebenbei für einige AES-Aufrufe. Läßt man jetzt z.B. einen Datenkom-primierer im Hintergrund laufen, geht die Geschwindigkeit doch merklich herunter. Außerdem versteht Multiwin keine VT52-Steuercodes, was einen Einsatz für alle TOS- und TTP-Programme einschränkt.

Ein weiteres Problem ist die Zuordnung der Tastaturereignisse. Welche Applikation soll nun erfahren, welche Taste gedrückt wurde? Derzeit liefert Multigem die Tastenbefehle an die Applikation, die das oberste Fenster hat. Ist kein Fenster offen, bekommt der Desktop alles gemeldet. Dies ist recht unkomfortabel. Es wäre besser, wenn die Applikation die Tasten gemeldet bekäme, die die Menüleiste besitzt, vorausgesetzt, kein Fenster ist offen.

Eine wichtige Frage dürfte sicherlich sein, welche Programme unter Multigem laufen und welche nicht. Üblicherweise gibt's Probleme unter Multigem bei Applikationen, die jede Veränderung der Hardware oder Systemsoftware mit Abstürzen oder Fehlern quittieren. Eine zweite Gruppe sind solche Programme, die mangels GEM-Unterstützung kaum eine Chance zum Umschalten zu anderen Programmen bieten. »Signum« oder »Didot Lineart« z. B. gehören dieser Kategorie an.

Fast nur eitel Sonnenschein

Mit der dritten Gruppe wird die Arbeit unter Multigem langsam interessant: Dies sind solche Programme, die zwar GEM weitestgehend unterstützen, aber einen eigenen Desktop installieren. Zulässig unter GEM, behindert es aber die Arbeit mit mehreren Applikationen ein wenig. »Calamus«, »Cranach Studio« und »Wordplus« gehören z. B. zu dieser Gruppe.

Der Rest — oh Freude — sind Programme, mit denen ein Betrieb unter Multigem vorbildlich funktioniert. Dazu gehört z.B. »Turbo-C«/ »Pure-C« und »Script 2«. Aber auch Programme wie »Interface« oder »7up«, die ihren Desktop in ein Fenster legen bzw. ganz abmelden, sind unter Multigem hervorragend einsetzbar.

Als Edel-Switcher ist Multigem für den Betrieb mehrerer Programme — sowohl auf dem ST als auch dem TT — sehr gut einsetzbar. Echtes Multitasking ist insbesondere bei TOS- und TTP-Programmen nicht zu erwarten. Aber auch rechenintensive Programme blockieren den Betrieb. Da aber die meisten Programme des täglichen Bedarfs mehr auf den Anwender warten als umgekehrt, ist Multigem eine sehr sinnvolle Erweiterung des Betriebssystems.

Im Testbetrieb erwies sich Multigem als sehr stabil. Da der Desktop stets präsent ist und auch andere Applikationen mal eben gestartet werden können, schrumpft die Zahl der benötigten Accessories rasch. Die wenigen Probleme waren auf Unsauberkeiten der Programme zurückzuführen.

Vollkommenes Multitasking bietet Multigem also nicht, wer aber einen Weg sucht, mehrere GEM-Programme zu laden und gleichzeitig ausführen zu lassen, ist mit Multigem bestens bedient. Stabilität und Kompatibilität sind hoch, so daß Multigem aus vielen Anwendungen bald nicht mehr wegzudenken sein wird. Die Einschränkungen sind systembedingt und lassen sich kaum umgehen, (uw)

Multigem

Art: Multitasking-Betriebssystemerweiterung
Vertrieb: Maxon

Preis: 159 DM

Stärken: stabil, kompatibel, GEM-Umgebung für TOS-Programme, einzelne Applikationen konfigurierbar

Schwächen: Tastencodes an oberstes Fenster oder Desktop, Handbuch ist recht knapp

Fazit: vernünftiges Multitasking-Konzept für GEM-Programme. Wegweiser für zukünftige TOS-Versionen und deren Programmierung.

Michael Bernards



Aus: ST-Magazin 12 / 1991, Seite 38

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