MIDI-Drums: Achtung Baby (Folge 3)

Basis eines Songs ist sein Rhythmus. Am Beispiel des aktuellen U2-Albums »Achtung Baby« imitieren wir mit unserem Sequenzer einen Weltklasse-Drummer aus Fleisch und Blut.

In der letzten Folge variierten wir unser Percussion-Template, das Cubase bereits beim Start aus seiner Autoload-Datei holt, nur leicht und erhielten den Basis-Beat für »Zoo Station«, den ersten Song des aktuellen U2-Albums »Achtung Baby«. Der zweite Song »The Real Thing« eignet sich prima zur Demonstration einer Songstruktur aus der Sicht eines Schlagzeugers. Darüber hinaus lernen wir im Intro des Songs, wie wir die Percussion-Instrumente Toms, Shaker und Tamborine programmieren.

Die Songstruktur

The Real Thing startet mit einem selbständigen Thema, dem »Song-Intro«. Es besteht aus vier Takten, die sich leicht variiert wiederholen und im dritten Anlauf nach zwei Takten mit einem Fill enden.

Beim ersten Hören fällt das Percussion-intensive Arrangement im Song-Intro auf. Tamborine und Shaker bilden den Rahmen für drei synkopierte Tom-Beats. Die Eins wird von den begleitenden Gitarren immer vorgezogen, was dem Groove ein unbestimmtes, schwer greifbares Fundament verleiht. Ein Synthesizer mit starkem Portamento, der an einen alten Mini-Moog erinnert, betont in jedem Takt die Zwei und die Drei. Die Fuzz-Gitarren werden in diesem Moment geschickt im Mix zurückgenommen, so daß sie beim nächsten Einsatz — die vorgezogene Eins — wieder in voller Frische wirken. Besonders bei verzerrt gespielten Gitarren mit breitem Frequenzbild, wie U2 sie ja bevorzugt, muß man höllisch aufpassen, nicht alles zuzukleistern. Sonst endet der Song im Einheitsbrei, wo weder die Stimmen noch eine Dynamik auszumachen sind.

Für die Konstruktion des Intros bauen wir erstmal einen Eintakter. Wir beginnen mit dem markantesten Element, den Toms. Sie bilden den Kontrapunkt zu einem Instrument, das in Wirklichkeit gar nicht zu hören ist, aber dennoch latent im Raum schwebt. Dennoch spürt unser Bewußtsein diese »Stille Eins« recht genau. Wir wissen es noch aus dem Template, hier sollte eigentlich die Bass-Drum schwere Taktzeiten auf Eins und Drei markieren. Der Kontrapunkt kommt diesmal nicht von der Snare, sondern von den Toms — und zwar auf die Zwei und die Vier. Auch wenn wir in diesem Fall die Noten recht schnell eingeben könnten — wir schneiden aus unserem Template die Snare und kopieren sie in die Tom-Zeile. Noch eine kleine Variation: der zweite Tom-Beat wiederholt sich auf die »Vier-Und« als eine Art Echo.

Sehr schwer zu programmieren sind Tamborines. Schon alleine ein gutes Sample zu finden, ist gar nicht einfach: Sie programmieren zuerst einen passenden Groove und testen dann verschiedene Klänge. Variieren Sie dabei wenn möglich auch die Release-Zeiten. Je länger Ihr Instrument klingt, desto besser.

Der Doppler-Effekt

Das Tamborine spielt in The Real Thing einen verzierten Achtel-Groove. Damit der Überblick gewahrt bleibt, arbeiten wir mal ausnahmsweise mit zwei Tamborine-Spalten. Die erste erhält ein einfaches Achtel-Muster, die zweite verwenden wir für Ornamente. Das Achtel-Muster können wir direkt aus der HiHat-Spur unseres Template kopieren. Die Ornamente sollen jeweils die leichten Zeiten — also die Zwei und die Vier — vorbereiten. Dazu wollen wir eine 16tel-Triole, das ist eine 48tel Note, vor die beiden Tom-Pfeiler setzen. Experimentieren Sie mal mit den Ornamenten: Bereiten Sie auch die Eins und die Drei vor und sorgen Sie dafür, daß sich die Figur in den ersten vier Takten nie exakt wiederholt. In der Praxis garantiert allein schon die Beschaffenheit des Instruments mit seinen unkontrollierbaren Schellen Abwechslung und Lebendigkeit. Lohnend ist auch der Einsatz zweier verschiedener Tamborines. Dazu verwenden wir eine dritte Instrumenten-Spalte. Sie kopieren das Achtel-Muster und löschen die Eins, Zwei, Drei und Vier — es verbleiben somit nur Synkopen. Wer will, kann auch die Ornamentenspur auf zwei Klänge verteilen.

Song-Intro: Oben als Ein-Takter — unten die komplette Vier-Takt-Phrase

U2 doppelt im Song-Intro das Tamborine mit einem Shaker. Das wird sehr häufig gemacht, beide Instrumente harmonieren hervorragend und bilden eine echte Alternative zu einer HiHat-Begleitung. Achten Sie darauf, daß Ihr Shaker-Sound keine zu lange Einschwingphase hat. Das Instrument muß auch bei starkem Staccato sofort zu hören sein. Bei Shakern sollte Sie auch etwas mit Anschlagdynamik arbeiten. Stellen Sie das Instrument möglichst so ein, daß bei schwachem Tastendruck der Klang leiser und dunkler wird. Experimentieren Sie dann mit einem passendem Velocity-Wertepaar, wobei Sie geraden Schlägen — der Eins, Zwei, Drei und der Vier — einen kleineren und den Synkopen — also allen Und-Beats — einen entsprechend größeren Wert zuweisen. Für Ornamente eignet sich der Shaker weniger. Auch im U2-Song beschränkt er sich auf einen simplen Achtel-Groove ohne Schnörkel.

Erweitern Sie durch Kopieren alle Instrumente auf volle vier Takte und benennen Sie diesen Abschnitt mit »Song-Intro«. Beim Abhören werden Sie bemerken, daß die normale Grundeinstellung des Tempos von 120 Beats pro Minute (bpm) wohl doch etwas zu langsam ist. Wer Wert auf die exakte Geschwindigkeit des U2-Songs legt — Tempi lassen sich eigentlich recht gut schätzen — kommt ums Auszählen der Beats nicht herum. Freilich bieten einige Hersteller inzwischen kleine, digitale Wunderkästchen an, die Tempi rasch ausrechnen. Wir wollen uns auf einen Wert um 130 bpm einigen.

Nach vier Takten wiederholt sich das Song-Intro in leicht variierter Form. Eine weitere, zusätzliche Tom-Figur bringt eine erste Steigerung. Wir benötigen eine eigene Tom-Spalte, dazu möglichst auch eine andere Trommel. Beide Toms sollten nicht zu hell klingen, verwenden Sie also ein Low- oder Mid-Tom. Die Figur startet im dritten Takt mit vorgezogener Eins. Aus diesem Grund müssen wir an das Ende des zweiten Takts, auf das letzte 48tel, unseren ersten Tom-Beat setzen. Der zweite Tom-Beat liegt auf der Eins-Und in Takt drei — abgeschlossen wird der Riff mit einem Schlag auf die Zwei und die Drei. Diese Figur verdoppelt damit praktisch den Gitarren-Riff.

Ab Takt 9 scheint sich das Song-Intro noch ein drittes Mal zu wiederholen. Jedoch bricht in Takt 10 das Intro mit einem ganztaktigen Achtel-Fill ab und leitet ins Vers-Intro über. Als Fill verwendet U2 einen schnörkellosen, anschwellenden Tom-Wirbel. Die Toms starten bereits auf Eins-Und und plazieren auf jedes folgende Achtel einen weiteren Schlag. Dabei verwenden wir die zwei verschiedenen Trommeln gleichzeitig — für den benötigten Schwelleffekt sollten die Instrumente dynamisch auf Velocity reagieren. Um den Schwelleffekt zu verstärken, werden die Toms meist im letzten Teil des Fills auch noch mit der Snare gedoppelt. Das Ende des Fills entlädt sich in einem lauten Crash-Becken — auf die Eins des folgenden Abschnitts.

Erstmals hören wir ab Takt 11 den Basis-Groove. Wieder ein typischer U2-Beat: Ein 2taktiger Achtel-Beat mit fleißiger Beinarbeit an der Baßtrommel, die nahezu jedes Achtel — das die Snare nicht schon als leichte Zeit definiert — in Beschlag nimmt. Die Snare können wir wieder direkt aus dem Template übernehmen — sie spielt auf die Zwei und Vier. Auch die Bassdrum-Figur entwickeln wir aus unserer Vorlage (Eins und Drei). Im ersten Takt erhält Zwei-Und, Drei-Und und Vier-Und einen Bassdrum-Beat — im zweiten Takt liegen die zusätzlichen schweren Zeiten um ein Viertel nach vorn verschoben, also Eins-Und, Zwei-Und und Drei-Und. Dazu spielt eine straighte Achtel-HiHat, die wir ja ebenfalls im Template vorrätig haben.

Human Groove

Auch bei der HiHat können zwei verschiedene Klänge, raffiniert eingesetzt, für interessante Effekte sorgen. Der mächtige Punch in Bass- und Snaredrum stellt sich oft ebenfalls erst beim Doppeln ein. So könnte die eine Bassdrum speziell auf kleinen Billiglautsprechern den Druck bringen, den die andere Trommel erst auf teueren Qualitätsanlagen entfaltet.

Da wir bisher sämtliche Noten auf ein streng lineares Muster gesetzt haben, klingen die Drums in dieser Form noch recht steril und monoton maschinenhaft. Wie wir unserem Beat einen menschlichen Groove einhauchen, zeigen wir in der nächsten Folge.

1. Basis-Beat (ab Takt 11)
2. Song-Struktur (Takt 1 bis 17)
3. Fill (Takt 9 bis 11)
4. Tom-Variation (Takt 5 bis 9)

Manfred Neumayer
Aus: ST-Magazin 03 / 1992, Seite 76

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