TOS Extension Card mit TOS 2.06: Die ST-Verjüngungskur

Tos Extension Card mit TOS 2.06 verspricht, auch die »kleinen« STs mit Mega STE-Feeling auszustatten. Wir haben der Lösung von Artifex auf Bits und Bytes geschaut.

Nach dem Erscheinen der Atari STE- und TT-Serie sah es zunächst so aus, als seien die alten Rechner vom Zug des technischen Fortschritts abgehängt. Viele blickten neidisch auf den erweiterten Desktop des »Mega STE«, andere wünschten sich, die neuen und verbesserten Betriebssystemfunktionen zu nutzen, ohne sich dafür einen neuen Computer zu kaufen.

Doch da gab’s einige Hindernisse: Die Adresse, an dem der ST das TOS anzusprechen versucht, ist fest verdrahtet. Die aktuellen Betriebssysteme des STE und TT liegen jedoch in einem anderen Adreßraum als die alten. Diese Verschiebung wurde notwendig, weil das vergrößerte TOS an der alten Stelle die Grenzen des durch den 68000er adressierbaren Speichers gesprengt hätte.

Auf der Softwareseite bestand das Problem, daß »TOS 2.05« beim Systemstart zwar die Existenz bestimmter STE-spezifischer Bausteine testet, diese Abfrage aber nicht vollständig ist, so daß es sich teilweise auf deren Vorhandensein verläßt, was einen ST beim Versuch sie anzusprechen, natürlich abstürzen läßt.

Der neue leistungsfähige Desktop

Überzeugungsarbeit

Zwei Experten ließen sich trotz aller Widrigkeiten nicht von dem Ziel abbringen, Besitzer herkömmlicher STs wieder auf den Stand der Dinge zu hieven. Ulrich Lüding entwickelte eine Platine, die die für STs notwendige Adreßdecodierung vornimmt, während Laurenz Prüßner in mühevoller Kleinarbeit das TOS 2.05 ST-fest machte. Nachdem die Atari-Gewaltigen das stabil funktionierende Ergebnis bestaunen konnten, entschieden sie sich dafür, das z. Zt. der Atari-Messe ’91 kurz vor der Auslieferung stehende »TOS 2.06« um die für STs nötigen Abfragen und Rückgabewerte zu erweitern.

Nun ist die TOS Extension Card mit diesem TOS für jedermann erhältlich. Im Lieferumfang: neben der kleinen Platine, an die zwei Flachbandkabel angequetscht sind, ein knapp fünfzigseitiges Heft, das den Einbau in die verschiedenen ST- und Mega ST-Varianten sowie die neuen Fähigkeiten des TOS 2.06 beschreibt. Außerdem liegen eine Diskette mit Hilfsprogrammen und eine Registrierkarte für den Support bei.

Der Einbau

Es gibt mehrere Einbaualternativen. Besitzen Sie einen Mega ST, dessen Systembus noch nicht durch eine andere Erweiterung belegt, oder der Prozessor bereits gesockelt ist, sollten Sie für 25 Mark Aufpreis gleich die »TECbridge BUS« bzw. die »TECbridge CPU« mitbestellen. Sie ersparen sich dadurch das Anlöten von 22 Kabeln direkt an den Prozessor. Der Restaufwand beläuft sich dann auf das Anquetschen der TECbridge an das dafür vorgesehene Flachbandkabel der TEC, was allerdings eine Spezialzange erfordert.

Der Stecker des anderen Flachbandkabels wird nun in einen der Sockel der vorher entfernten alten TOS-ROMs eingesetzt. Die Anleitung beschreibt dies leicht verständlich. Lagepläne verschiedener Platinenversionen erleichtern das Auflinden der richtigen Positionen. Es wird auch erklärt, wie man TOS 2.06 und ein altes TOS mit wenigen Bauteilen umschaltbar einbauen kann. Achten Sie auf den Zettel mit der Korrektur eines Fehlers im Handbuch!

Zum Schluß befestigen Sie die TEC mit den beiliegenden Klebestreifen an einer geeigneten Stelle innerhalb des Gehäuses. Das wär’s.

Wenn Sie den Rechner nun einschalten, sollten Sie normalerweise ein großes Atari-Logo in der linken oberen Ecke des Bildschirms sehen. Falls nicht, ist irgendetwas nicht in Ordnung. Entweder, Ihnen ist beim Einbau ein Fehler unterlaufen, oder Sie haben dasselbe Problem wie wir mit einem unserer Testrechner, einem 260 ST aus der Anfangszeit, der sich partout nicht zum Laufen mit der TEC bewegen ließ. Unser Bremser scheint jedoch ein absoluter Ausnahmefall gewesen zu sein.

Nach einer Pause, die durch den Test auf angeschlossene AT-BUS-Festplatten (der ST-Book ist mit einer solchen ausgerüstet) bedingt ist, folgt ein Speichertest, der ebenfalls neu im TOS 2.06 ist. Der schrumpfende Balken, der jetzt auf dem Bildschirm erscheint, stellt die bis zum Booten von einer Festplatte noch verbleibende Zeit dar. Dadurch können Sie Computer und Festplatte ohne eine Vorrichtung zur Einschaltverzögerung gleichzeitig anschalten.

Neues Outfit

Sie können die ganze Prozedur schon ab dem Zeitpunkt des Speichertests beschleunigen, indem Sie eine Taste drücken. Dann bootet der ST sofort. Haben Sie allerdings weder eine Festplatte noch eine Floppy angeschlossen, werden Sie nun vermutlich einen Einbaufehler annehmen, denn vier Bomben zieren Ihren Monitor! — Keine Angst, hier hat sich nur ein kleiner Fehler ins TOS 2.06 eingeschlichen, Wenn Sie einen Massenspeicher anschließen, funktioniert wieder alles.

Bisher benötigten Sie für die Behebung von Fehlern der älteren TOS-Versionen einige Programme im Autoordner, wie »Poolfix3«, »TOS14Fix«. Diese teilen Ihnen nun beim Hochfahren des Computers erfreulicherweise mit, daß sie durch das neue TOS überflüssig geworden sind. Ein Anlaß, Ihren Autoordner von überflüssigem Ballast zu befreien.

Wenn der Autoordner abgearbeitet wurde, landen Sie, wie gewohnt, auf dem Desktop. Hier hat sich eine Menge getan, was Ihnen schon ein Streifzug durch die Menüs zeigt. Hinter vielen Optionen steht nun ein Buchstabe und signalisiert, daß sie nun alternativ zur Mausbedienung auch per Tastatur aufzurufen sind. Beispielsweise können Sie sich mit einem Tastendruck eine Information über vorher selektierte Dateien geben lassen. Die Tasten für den Aufruf der meisten Funktionen dürfen Sie frei bestimmen. Wenn Sie den Umgang mit sauber programmierten GEM-Programmen gewöhnt sind, werden Sie es sicherlich wie wir eigenartig finden, daß der Desktop nicht die übliche Art der Tastatursteuerung anbietet, die normalerweise auch die Control- und die Alternate-Taste hinzuzieht. Trotzdem ist diese Erweiterung ein großer Vorteil gegenüber dem alten Desktop.

Lag die Obergrenze der geöffneten Verzeichnisfenster bisher bei vier, sollten sieben Fenster jetzt selbst Anwendern mit Overscan oder Großbildschirm reichen, die Übersicht über ihre Dateien zu wahren.

Selektierte Dateien bleiben nun beim Scrollen in Fenstern, das im übrigen auch per Tastatur geht, angewählt. Es gibt jetzt eine Funktion zur unsortierten Anzeige in Fenstern. Damit können Sie leicht überprüfen, ob die Programme in Ihrem Autoordner, die auf eine bestimmte Startreihenfolge angewiesen sind, an der richtigen Stelle stehen. Außerdem wird auf Wunsch die Anzahl der nebeneinander dargestellten Dateien an die Breite der Fenster angepaßt.

Dem komfortablen Umgang mit Ihren Programmen dient — neben den Laufwerksymbolen — die zusätzliche Plazierung von Ordnern, Programmen und Dateien auf dem Desktop. So haben Sie künftig schnellen Zugriff, ohne sich durch etliche Verzeichnisse durchklicken zu müssen.

Das Aussehen der Icons können Sie über einen Menüeintrag einstellen. Eine Auswahl verschiedener Symbole ist im ROM schon enthalten. Erweitern können Sie sie, indem Sie eine Datei »DESKIC ON.RSC« mit einem Resource Construction Set auf Ihrer Bootpartition anlegen. Dann stehen Ihnen nach dem Start sämtliche darin enthaltene Bilder zur Verfügung. Eine solche Datei befindet sich auf der beigefügten Diskette.

Die Funktionstasten sind nun mit Programmen belegbar. Ein Druck genügt, und die Applikation wird sofort gestartet. Wie bisher können Sie Programme für einen bestimmten Dateityp anmelden, so daß beispielsweise beim Doppelklick auf eine Datei mit der Endung »IMG« automatisch ein Malprogramm aufgerufen wird, das diese Datei lädt.

Darüber hinaus kann jetzt für reine TOS-Anwendungen und auch für GEM-Program-me eine Kommandozeile definiert werden, die dem Programm beim Start automatisch übergeben wird. Damit läßt sich das automatisierte Ein- oder Auspacken von Dateien mit Packprogrammen durch Verschieben von Dateien auf deren Symbol bewerkstelligen.

Nicht nur den Desktop hat Atari einer Verjüngungskur unterzogen, auch die inneren Werte des neuen TOS machen von sich reden: Was keine Version bis dato zustandebrachte, war die korrekte Behandlung des Hardware Handshakes (RTS/ CTS) der seriellen Schnittstelle. Nun ist es endlich soweit. Besonders, wenn Sie ein schnelles Modem besitzen, wird Sie das freuen. Auch der kritische Fehler des Memory Pools in TOS 1.04, für den Sie Poolfix3 mitbooten mußten, wurde beseitigt.

Der Cookie Jar wird nun vom TOS selbst angelegt. Eingetragen werden Informationen über den Typ und die Ausstattung des Rechners. Einige Systemvariablen sind gegenüber TOS 1.04 hinzugekommen. In »__longframe« wird eingetragen, ob eine CPU mit langen Stackframes (neuere als der 68000) bei der Exceptionbehandlung installiert ist. Für die Ausgabe des Geräuschs bei Control-G und den Tastenklick existieren jetzt dokumentierte Zeiger, die sich auf eigene Routinen umbiegen lassen.

Die Menüs mit Tastatur-Shortcuts

Viele Verbesserungen

Die neue XBIOS-Routine »Bconmap()« erlaubt die Einbindung von Gerätetreibern. Auf die I/O-Redirection des GEMDOS können Sie sich nun eher verlassen, was der steigenden Anzahl von Programmen, die diese ausnutzen, gerecht wird.

Mit der neuen Funktion »Maddalt()« wird das System über »alternativen« Speicher informiert, der mit »Mxalloc()« alloziert werden kann.

Genaue Beschreibungen der Funktionen können Sie dem neuen Profibuch entnehmen, über das wir auf Seite-70 in dieser Ausgabe berichten. Eingetragene Entwickler erhalten bei Atari die Dokumentation über TOS 2.06.

So sieht der Umbau aus

Die Programmierer des TOS 2.06 haben sich etwas Hilfreiches aus der Welt der PCs abgeguckt: Bei gedrückter Alternate-Taste können Sie auf dem Ziffernblock einen ASCII-Wert eingeben, worauf das zugehörige Zeichen an der aktuellen Eingabeposition erscheint. Mit allen sauberen Programmen funktioniert dies.

Das Betriebssystem stellt nun sicher, daß alle Accessories nach einem »appl_exit()« das »AC_CLOSE« erreicht. Erst dann wird das Hauptprogramm beendet. Dem Datenverlust wird so ein Riegel vorgeschoben.

Seit der Version 1.06 ist TOS auf den Einsatz der leistungsfähigeren Nachfolger des MC68000 vorbereitet.

Der 68010 im ST

Da bietet sich der Einsatz eines 68010ers an. Diese 1983 erschienene CPU ist kompatibel zum 68K und bietet gegenüber dem vier Jahre älte ren Ahnen bei einigen Befehlen Beschleunigungen bis zu 50 Prozent. Dies kann sich in intensiv rechnenden Programmen bemerkbar machen (»Quick Index« zeigt für Divisionen 115% an). Darüber hinaus sind Grundvoraussetzungen für die virtuelle Speicherverwaltung geschaffen worden. [1]

Leider nützt die schöne neue Fähigkeit des TOS im STE wenig, da dort der Prozessor nicht mehr im herkömmlichen 64-Pin-Layout vorhanden ist und ein aufwendiger Adapter gebastelt werden müßte, um den 68010 zu verwenden.

Kompakt: die Platinen

Das Gespann ST — TOS 2.06 bietet erstmals einer breiten Anwenderschaft die Chance, mit geringem finanziellem Aufwand (ca. 30 Mark) die Vorteile des 68010 auszunutzen. Ein Prozessorsockel muß allerdings in jedem Fall nachgerüstet werden. Einer unserer Testrechner war mit der »TEC« und dieser CPU bestückt. Alle häufig benutzten Programme liefen klaglos. Lediglich auf dem Spielesektor gab es einige Ausreißer.

Die TEC mit TOS 2.06 ist Ihnen auf jeden Fall zu empfehlen, wenn Sie von einem TOS vor der Version 1.04 umsteigen wollen, denn für TOS 1.04 bezahlen Sie genausoviel wie für TOS 2.06 mit Extension Card. Aber auch die Benutzer des Rainbow-TOS kommen beim Umstieg durch die Steigerung des Komforts und der Betriebssicherheit auf ihre Kosten. Selbst dann, wenn sie anstatt des neuen Desktops lieber eine mächtige Shell wie den Shareware-Desktop Gemini benutzen möchten, ist der Aufstieg zur neuen TOS-Version durchaus sinnvoll.

Auf der mitgelieferten Diskette befinden sich auch das neue Atari-Kontrollfeld »X-Control« und »NoRoach«, das die Wartezeit auf die Festplatte beim Booten verkürzt. Zusammen mit dem gut gelungenen Handbuch rundet dies das allgemein positive Bild der »TOS Extension Card« ab. (uw)

WERTUNG

TOS Extension Card

Preise:
TOS Extension Card mit TOS 2.06:198 Mark
TECbridge BUS / CPU: je 25 Mark

Hersteller: Artifex Computer GmbH

Stärken: verhilft dem ST zum aktuellen Betriebssystem, viele Fehler entfernt, Bedienungskomfort erhöht, läuft mit neueren Prozessoren

Schwäche: Einbau nur für Geübte

Fazit: gute Alternative zur teuren Neuanschaffung eines Mega STEs.

Artifex Computer GmbH, Holbeinstraße 60, 6000 Frankfurt 70

[1] M68000 16/32-Bit Microprocessor, Programmer’s Reference Manual, Motorola Semiconductors


Patrick Dubbrow
Aus: ST-Magazin 03 / 1992, Seite 28

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