Electronic Consumer Trade Show London: Money for Nothing

Rechtzeitig zum Beginn des Weihnachtsgeschäfts gaben sich Fachhändler und Spielehersteller in London ein Stelldichein, um ihre neuesten Entwicklungen zu präsentieren.

Die Londoner ECTS wie immer im Business Design Center

Das Geschäft ist nicht mehr das, was es mal war. Ausnahmsweise gilt das nicht nur für Atari, sondern für Heimcomputerhersteller allgemein. Vor allem in England reißt die Rezession manchem treuen Kunden dicke Löcher in den Geldbeutel. Der durchschnittliche Elektronik-Entertainment Interessent ist nicht mehr bereit, in teuren Hardwareschnickschnack mit tausend unbenutzten Schnittstellen zu investieren, um anschließend hauptsächlich zu spielen oder vielleicht ab und zu einen Brief auszudrucken. Nicht zu unterschätzen sind dabei u.a. Eltern, die ihren Sprößlingen eigentlich zu Weihnachten, zum Geburtstag etc. einen Heimcomputer hinstellen wollten, dann aber doch lieber zur Konsole greifen, weil die Kids ja ohnehin nur spielen und Papi schon ganz gut einschätzen kann, daß es nicht sehr weit her sein wird mit dem Lerneffekt für die Schule.

So wundert es wenig, daß die Konsolenhersteller zweistellige Prozentzuwächse in Umsätzen verbuchen, während die (Heim-)Computerhersteller allesamt mit verheulten Augen über ihren Bilanzen trauern. Die Bedienung einer Konsole kapiert auch der Unbegabteste in Minuten, Zehnfingerschrift kann er weiterhin seiner Sekretärin überlassen. Sound und Grafik (Animation) sind in der Regel sogar besser als auf den Computerkonkurrenten. Mit einem Wort: Bei den Gamböern ist der 16-Bit-Heimcomputer gegenüber den 16-Bit-Spielkonsolen gründlich abgemeldet. Sogar der High-Flyer Amiga befindet sich bereits auf taktischem Rückzug aus dem Consumer-Markt und manches Softwarehaus (z. B. Sierra Online) verkündete auf der ECTS offiziell, daß in Zukunft nur noch für PC entwickelt werde. Manche Hersteller entwickeln gar nur noch für Spielkonsolen, denn neben den lukrativen Verträgen, die da winken, gibt es kaum Probleme mit Raubkopierern.

Ob dem Falcon 030 der Low-Budget-Trend zum Verhängnis wird oder ob er sich eher zur Chance für das »Ein-Gerät-für-alles«-Konzept entwickelt, wird sich zeigen. Paul Welch, Verkaufsleiter bei Atari UK, zeigte sich jedenfalls sehr optimistisch: Auf einem (von Händlern und Herstellern kaum beachteten!) Vortrag zum Falcon-Debüt in Großbritannien argumentierte er, der Falcon ersetze eine Menge Zusatzhardware und spare deshalb letztendlich Geld.

Außerdem sei der Kunde nicht mehr bereit, Geld für eine Maschine auszugeben, die sich möglicherweise nur wenige Monate auf dem Markt halten könne. Er zeigte sich überzeugt, daß der Falcon Innovation genug für die nächsten Jahre biete. In England soll der Falcon je nach Ausstattung zwischen 499 und 899 Pfund kosten.

UK-Debüt: Falcon 030

Wie der Falcon allerdings erfolgreich werden soll, wenn er noch nicht einmal verfügbar ist, konnte Welch nicht beantworten: Wie immer hängt alles von den Amerikanern bzw. der Serienproduktion in Taiwan ab. Welch sprach vorsichtig von maximal 10000 Maschinen, die Atari bis Jahresende produzieren könne. Den eigentlichen Start für den Falcon in Großbritannien erwartet Welch erst für März ’93. Die Antwort auf die Frage, ob es besonders geschickt sei, das entscheidende Weihnachtsgeschäft 1992 durch die Lappen sausen zu lassen, wollte er dann auch lieber den Amerikanern überlassen.

Auch die Frage, welche Entertainment-Labels denn bisher für den Falcon entwickelten, löste sichtliches Unbehagen aus. Nach wiederholtem Schulterzucken forderten die Briten endlich den Namen »D2D« (disk to diks) zutage, ein Label, das Harddisk-Recording auf dem Falcon realisieren soll. Von den großen und einflußreichen Softwarehäusern war jedoch nach wie vor keins im Gespräch.

Auf dem Messestand präsentierten die Briten dann auch glücklich zwei Falcons. Zu sehen war das Werbevideo (ohne Ton) und einige Grafikdemos. Auch in London liefen die Computer ohne MultiTOS. Einige schnell zusammenkopierte Blätter mit Leistungsdaten des Computers ergänzten die »Premiere einer neuen Computergeneration«.

Trotz alledem gab es eine Menge neuer Spiele für die alte ST-Familie zu sehen, allen voran eine zum Schreien niedliche Fortsetzung des Tüftelknüllers »Lemmings«. Sobald die Neuheiten auf dem deutschen Markt erhältlich sind, werden wir darüber berichten, (hu)


Hartmut Ulrich
Aus: ST-Magazin 11 / 1992, Seite 6

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