Artis 3: Evolution eines Künstlers

Schon vor drei Jahren verblüffte das Malprogramm »Artis« mit pfiffigen Effektfunktionen. Die nagelneue Version 3 kann noch erheblich mehr.

Zeichnen Sie gerne? Mit Kreide, Tusche, Pastellfarben, Kohle, Graphit? Um einen sicheren Strich zu bekommen, einen Blick für Farbe, Konturen, Licht und Schatten müssen Sie natürlich üben. Sehr viel üben. Die Hände werden staubig vom Abrieb, Fingerkuppen und Radiergummi schwarz vom Schummern, der Papierkorb füllt sich mit unbrauchbaren Entwürfen auf teurem Büttenpapier und Muttern hat Angst um den teuren Teppich. Warum eigentlich nicht mit dem Computer trainieren?

Zeichenübung

Kein Abfall, kein Dreck, Unbrauchbares verschwindet spurlos mit einem lockeren Mausschwung -und den notwendigen Abstand zum Bild lernen Sie vor dem Monitor ganz von selbst zu halten. Ein Stift ist niemals von der Maus zu ersetzen? Oh doch - wenn Sie statt der klotzigen Atari-Maus z.B. eine sensible Logimouse einsetzen.

Kaum ein farbfähiges Grafikprogramm auf dem neuesten Stand der Technik eignet sich derart gut für künstlerische Entwürfe und zum Üben am Bildschirm wie Artis 3. Das Malprogramm arbeitet auflösungsunabhängig auf allen TOS-Rechnern und ist für Multi-TOS-Betrieb vorbereitet. Begeisternde Ergebnisse liefern allerdings erst ein VGA-Monitor und die mittlere TT-Auflösung oder der Falcon 030. Festplatte ist mehr oder weniger Voraussetzung. Mit 2 MByte RAM kann man zwar arbeiten, doch Spaß macht die Sache erst ab 4 MByte aufwärts, besonders, wenn gescannte Grafiken im Spiel sind. Obwohl Artis 3 eine Schnittstelle für Scanner besitzt (für einen modularen Scannertreiber), liegt der Schwerpunkt (im Gegensatz zu Papillon) nicht bei der Bildverarbeitung sondern beim Entwurf eigener »Kunstwerke.

Artis 3 pflegt einige Eigenheiten, die man kennen sollte: Um Platz für Accessorys zu lassen, beansprucht der Künstler defaultmäßig nur 80 Prozent des Arbeitsspeichers. Dieser Wert läßt sich über das Parameter-Menü auf max. 99 Prozent (!) ausdehnen oder auch reduzieren. Entsprechend der Einstellung ist dann kein Zugriff auf Accessorys mehr möglich. Auch spezielle Fileselectboxen funktionieren u. U. nicht mehr.

Außerdem reserviert Artis bei Programmstart vier bis acht Bilder gleichzeitig und teilt den Arbeitsspeicher entsprechend auf. Bei ungünstiger Einstellung überfordert bereits ein 21 K-Byte großes DIN-A5-Mono-chrom-IMG mit 1703x2400 Pixeln einen 4-MByte-Speicher. Definiert man ein einzelnes Bild mit entsprechender Fläche (z. B. etwas mehr als DIN A5 2000x2999) erweist sich das Format eventuell als ungünstig groß. Artis 3 ist nämlich kein GEM-Programmm und die Arbeitsfläche befindet sich demnach nicht im Fenster. Ohne die geliebten Scrollbalken ist die Sucherei nach kleinen Motiven jedoch einfach lästig und unübersichtlich.

»Ein Punkt, dem wir besondere Bedeutung zumaßen, war die Schaffung einer benutzerfreundlichen Bedienungsoberfläche mit einer übersichtlichen Strukturierung ...« schreiben die Autoren Wolfgang Ante und Alexander Beza im Handbuch. Wie bereits die Version 2, bedient sich Artis 3 eines rein piktogrammgestützten Menüsystems, das aus mehreren Menü-Übersicht mit Grund- und Malfunktionen, Clip-/Lasso-, Effekt- und Blockoperationen Funktionsblöcken besteht. Alle Icons des Hauptmenü-Fensters wurden für jede Auflösung umgesetzt (z.B. TT low bei 256 Farben oder sogar ST low), was mit GEM-Fenstern und Menüleisten nicht immer möglich oder sinnvoll ist (deswegen läuft z. B. das GEM-Programm »Papillon« nicht in der niedrigen TT-Auflösung).

Trotzdem: Die Benutzerführung ist ungewohnt, weil sie keinem Standard entspricht. Mit Handbuch und dem praktischen Online-Helpsystem (erläuternde Texte zu jedem Menüpunkt auf Tastendruck) gewöhnt man sich zwar schnell an Artis, doch das ist keine Ausrede. Piktogramme und Arbeitsfläche ließen sich ohne Einbußen genausogut in GEM-Fenster verfrachten (Beispiel: Calamus).

Eigene Konzepte bewahren zwar vor langweiligem Einheitsbrei, doch bewährte und eingeführte Standards sind eben schon im Hinterkopf, bevor auch nur der Ladescreen erscheint. Und die Evolution von Benutzerkonzepten ist auch unter GEM möglich.

Artis 3 nutzt (wie auch Papillon) die Laderoutinen von Dieter Fiebelkorn (»GEM-View«). Es lädt folgende Formate: BMP, DOO, GIF, IMG (XIMG), PIC, PI?. Leider ignoriert es das verbreitete TIF-Format ebenso wie die beliebten PAC-Grafiken. Gespeichert werden können Bilder im XIMG-, BMP- und Screenformat (DOO, PIC). Bei Verständigungsschwierigkeiten sei auch hier »Convert 2« von Andreas Pirner empfohlen, das - leider nur für Monochrom 640x400 - zuverlässig den Formatdolmetscher spielt.

Das Hauptmenü teilt sich in zwei Bereiche: Oben die aktiven Zeichenfunktionen, unten allgemeine Funktionen wie Farbpalettenwahl, Einstellungen, Laden, Speichern, Löschen etc., voneinander getrennt durch eine Schlagzeile, die eine Kurzinfo zum jeweils angewählten Piktogramm präsentiert.

Artis 3 will dem Anwender möglichst viel Arbeit abnehmen und bietet entsprechend ausgeklügelte Funktionen. Bei den allgemeinen Zeichenoperationen finden sich z. B. Piktogramme, mit denen sich ausschließlich parallele oder zueinander rechtwinklige Linien zeichnen lassen (die Lage der Linien wird über zwei Punkte definiert), oder gleich mehrere Kreisfunktionen (normaler Kreis, Kreis über drei Punkte, Kreisausschnitt, Ellipsen). Die Funktionen »Mittelpunkt einzeichnen« oder »Gitter« erleichtern schnelles Konstruieren ebenso wie die Polygonzüge, Bezierkurven oder Bogenlinien.

Schriftgestaltung

Interessante Effekte ohne viel Arbeit ermöglichen die Blockfunktionen: Outline mit und ohne hinterlegten Schatten, Ausdünnen, Kristallisieren, »In Stein gehauen« etc. Wer spezielle Anforderungen an eine Blockfunktion stellt, programmiert sich ein Feld selbst. Artis 3 bietet dafür einen Editor mit einer eigenen Makrosprache, die auch kompliziertere Aktionen verknüpft und in einem einzigen Makro (Icon) zusammenfaßt. Die Blockoperationen eignen sich insbesondere hervorragend zur effektvollen Nachbearbeitung von Schriften (s. Abb.).

Apropos Schrift. Artis 3 bietet drei Möglichkeiten, Text ins Bild zu bringen: gewöhnliche Atari Systemschrift, skalierbare FSMG-DOS-Fonts (kein Panik, kompatibel zu Speedo) sowie die ebenso beliebten wie verbreiteten Signums-Schriften.

Nicht zu verwechseln mit den Blockoperationen sind die verschiedenen Lasso-und Clipfunktionen, die sich zum genauen Ausschneiden von Details eignen und wie die Blockfunktionen ein eigenes Untermenü belegen. Speziell im Farbbereich arbeiten die Funktionen zwar nicht so raffiniert wie Papillon (z. B. Farbtrennung), bieten dafür aber spektakuläre Bearbeitungsmöglichkeiten. »Kontur-Clipping« heißt das Zauberwort, mit dem sich problemlos Texte und Bilder ohne viel Aufwand zu eindrucksvollen Plakaten und Postern kombinieren lassen.

Last not least besticht Artis 3 durch seine Effektfunktionen: Wer keine Zeit, Lust oder einfach kein Talent zum Zeichnen hat, löst viele Aufgaben mit lustigen Effekten. Blubberblasen (die auf dem TT etwas zu schnell werden), rotierende Dreiecke, Lichteffekte, Sterne, Rahmen, Winkel etc. Natürlich ist manche Funktion in diesem Menü hoffnungslos verspielt, doch die vier Stiftarten »Pinsel«, »Füllfeder«, »Tuschefeder« und »Gänsekiel« bieten zusammen mit der variablen Sprühdose, den Blockeffekten, der Farbpalette und den Füllmustern (editierbar) ein mächtiges Werkzeug, das Artis 3 zu einem faszinierenden Experimentierfeld macht.

Innerhalb weniger Minuten (in Farbe) gezeichnet
Parameter-Menü

Die Sprühdose verhält sich bei richtiger Einstellung genau wie eine Pastell -kreide auf rauhem Bütten, der Gänsekiel wie das Werkzeug eines alten japanischen Tuschezeichners. Mit der Farbpalette ist schnell ein passendes Passepartout geschaffen, monochrom gefüllt oder mit Füllmuster- oder Farbverlauf. Das einfache Radiergummi (nur Rechtecksform) wird dabei fast überflüssig, denn man arbeitet geschickter, indem man Fehler mit Weiß oder der passenden Hintergrundfarbe übermalt bzw. einfach füllt.

Füllmuster und Palette
Schrift und Bild kombiniert zum effektvollen Poster

Sinnvoll wäre es, das schnelle Wechselspiel zwischen Zeichenwerkzeugen, Farbpalette und Füllmustern noch rationeller zu gestalten. Beim raschen Arbeiten im Bild hält das Icongeklicke nämlich spürbar auf.

Womit wir beim Ausdruck der Kunstwerke angelangt wären. Die Druckeransteuerung erfolgt modular, der jeweils aktive Treiber muß in »Printer.trb« umbenannt werden. Artis 3 bietet einen Druckertreiber für den HP-Deskjet 550 Color, für HP-Laser und für den NEC P6. Mit dem Deskjet ist zwar ein wichtiger Treiber vorhanden, doch der allein ist ganz schön dürftig.

Zusammenfassend eignet sich Artis 3 besser als jedes bisher bekannte TOS-Malprogramm dieser Preisklasse für drei Einsatzgebiete: künstlerisches Arbeiten (wobei der Computer als Staffelei-Ersatz fungiert) schnelles effektvolles Zeichnen (wobei die Clipping- und Blockfunktionen für rasche Ergebnisse z. B. bei Poster- und Plakatgestaltung sorgen) und Spielen mit netten Effekten (vor allem für ungeübte oder ganz junge Zeichner).

Weniger gut eignet sich Artis 3 für ausgesprochene EBV-Aufgaben. Hier hat Papillon eindeutig die Nase vorn: Vergrößern und Verkleinern beherrscht Artis 3 nur in der unbefriedigenden Direktumrechnung und außerdem nur im Maßstab 2:1 bzw. 1:2. Drehen von Blöcken dauert sehr lange und ist ungünstig gelöst, da der Drehpunkt (an der Blockecke) größere Motive aus dem Bildschirm schiebt und die präzise Positionierung erschwert. Präzise Gradangaben sind nicht möglich (weil kaum einzustellen), die Ergebnisse ausgefranst, der langwierige Berechnungslauf läßt sich nicht abbrechen.

Eines haben Papillon und Artis jedoch gemeinsam: eine altertümliche Lupe. Umständliches Hin- und Herschalten zwischen Radieren und Malen, umständliches Einfangen des Zoombereiches, nicht einmal die grundlegenden Zeichenfunktionen sind im Zoom wirksam. Sicher ist es nicht einfach, eine saubere VDI-Lupe zu programmieren, doch es ist auch nicht unmöglich [1] und die aktuelle Artis-Lupe ist ebenso wie die von Papillon einfach nicht ausreichend.

Trotz der angesprochenen Mängel: Artis 3 ist ein tolles Werkzeug - jetzt schon. (hu)

WERTUNG

Artis 3

Hersteller: Artis Software
Preis: 298 Mark, 2498 ÖS
Hardware: alle TOS-Rechner (auch F030), 4 Mbyte RAM (min. 2 MByte), Farbmonitor empfohlen (Mono mögl.), Festplatte (ca. 3 MByte frei), (Farb)Drucker

Stärken: mächtige Zeichenwerkzeuge (nach Bedarf konfigurierbar), mächtige Blockfunktionen (Makrosprache), wirksame Clipfunktionen (Kontur-Clipping), alle Auflösungen (2 - 65000 auf F030), komfortable Zusatzfunktionen, Farbdruckertreiber, Scannerschnittstelle, Zugriff auf Schriften möglich

Schwächen: kein GEM-Programm, schlechte Lupe, Blöcke Drehen & Vergrößern/Verkleinern unbefriedigend, zu wenig Druckertreiber, kein TIF- kein PAC-Format, Testversion hatte noch diverse kleinere Macken

Fazit: Tolles Werkzeug für Vielzeichner, Bildschirm-Picassos und Grafik-Neulinge, weniger geeignet für EBV-Aufgaben

[1] s. ST-Magazin 7/91 S. 58, Laurenz Prüßner: saubere VDI-Lupe

Bestellungen bei USAP Unternehmensberatung, Im Langenfeld 5, 6380 Bad Homburg oder direkt bei Artis Software, Hohlweggasse 40/54, A-1030 Wien


Hartmut Ulrich
Aus: ST-Magazin 02 / 1993, Seite 21

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite