Editorial: Sage nein!

Es ist wirklich nicht leicht. Nicht die Situation der Firma Atari ist diesmal gemeint, nicht die Situation der Fachhändler in Deutschland — diesmal ist Deutschland selbst gemeint.

Was um Himmels Willen haben Gedanken zum »Deutschen« in einem Computermagazin zu suchen? Ist das nicht ärgerlich, peinlich und im harmlosesten Fall schrecklich abgedroschen? Genügt es nicht, daß scheinheilige Politiker bei jeder Gelegenheit eifrig ihre »Bestürzung und Scham« bekunden, daß Medien aller Art ihr Publikum bis zum Erbrechen mit Berichten von umgestürzten Grabsteinen und Hakenkreuzparolen füttern?

Sicher passen solche Gedanken nicht unbedingt in jedes Computermagazin. Aber in dieses: Die Familie Tramiel, die aus den USA nach wie vor alle Aktivitäten ihrer ausländischen Atari-Niederlassungen lenkt, die Tramiels sind Juden. Natürlich geht es heute um Ausländerhaß allgemein, nicht (nur) um Antisemitismus.

Was bedeutet es, wenn der ehemalige Knesset-Sprecher Dov Shilansky, der das KZ überlebt hat, vor dem Parlament ausruft: »Hört endlich auf, zwischen gestern und heute zu unterscheiden. Es gibt nur ein Deutschland: das von Treblinka und Auschwitz!«? Das israelische Parlament diskutierte den Vorschlag, Juden in aller Welt zum Boykott deutscher Produkte aufzurufen.

Welche Meinung drängt sich dem amerikanischen Fernsehzuschauer auf, wenn TV-Sender, auf einschaltquotenträchtige Sensations-Storys eingeschossen, in epischer Länge Kameraeinstellungen von randalierenden Skins zeigen, von tatenloser deutscher Polizei und feixenden Rostocker Bürgern? Wenn sie eine 400000-Menschen-Lichterkette nur relativ kurz streifen, weil ein solch friedliches Bild kaum die Sensationslust der Masse befriedigt? Welches Bild wird der US-Zuschauer von den »Krauts« gewinnen? Sind es die »bösen« (US-)Medien, die alles falsch darstellen?

Bleibt zu hoffen, daß ein Jack Tramiel im Regen solcher Eindrücke genügend Geschäftssinn beweist, um seine Aktivitäten im deutschen Ausland nicht allzusehr von Emotionen abhängig zu machen. Bleibt auch zu hoffen, daß es ihm nicht ergeht, wie jenem chinesischen Papierfabrikanten, der eigentlich in Germany investieren wollte und statt der Verträge Prügel von Skins bekam.

Wenigstens brauchen die Tramiels nicht stets dunkle Anzüge zu tragen, um nicht mit vietnamesischen Flüchtlingen verwechselt zu werden, wie es die japanische Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf asiatischen Geschäftsleuten empfahl.

Was mich die Anzüge der Tramiels kümmern? Statistisch hängt in Deutschland jeder zweite Arbeitsplatz von Ex- und Import ab. Da müssen sie uns wirklich kümmern, die Anzüge: Wem das zu hoch hängt, der kann sich schon mal die Murmel rasieren lassen — er hat den Skinhead-Intelligenztest bestanden: »Deutsche! Kauft nur deutsche Bananen!«

Ob dieses Editorial nun notwendig war oder nicht — es ist sicherlich Geschmackssache. Ich möchte jedenfalls weder den Polit-Clown spielen, noch auf der Entrüstungswelle mitlabern, weil’s gerade »in« ist. Nur zum Nachdenken will ich anregen...

Es grüßt Sie herzlich


Hartmut Ulrich
Aus: ST-Magazin 02 / 1993, Seite 3

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