Chagall: Auf den Spuren alter Meister

Durch die neuen Möglichkeiten mit dem Falcon und zahlreiche Grafikerweiterungen gewinnt die elektronische Bildbearbeitung auch auf dem Atari immer mehr Freunde. Doch Sie brauchen die richtige Software dazu.

Den Namen »Chagall« wählten die Programmierer des neuen Bildverarbeitungsprogramms der Firma Trade iT nicht von ungefähr. Er weckt Assoziationen zu den farbkräftigen Traumgemälden des russischen Malers. In der Tat: Das Programm mit dem illustren Namen hat sich der Farbe verschrieben. So ist es kein Wunder, daß Chagall mit Grafikkarten aller Couleur, einschließlich True Color, zusammenarbeitet.

Anpassungsfähig

Das Programmpaket ist als offenes System konzipiert. So können es Module später um weitergehende Funktionen ergänzen. Jedoch sieht der Hersteller die Arbeit mit dem Programm nicht auf den Bildbereich beschränkt. Chagall bietet eine universelle Oberfläche, in die sich durchaus auch Komponenten zur Musikverarbeitung, MIDI und andere Multimedia-Bestandteile integrieren lassen. Es läuft auf allen Atari-Computern der 68000er Linie. Notwendig für den sinnvollen Betrieb sind mindestens 4 MByte RAM und eine Festplatte. Eine Beschleunigerkarte ist bei den kleinen Modellen sehr zu empfehlen, da viele Routinen sehr komplexe, zeitintensive Berechnungen erfordern. In jedem Fall sinnvoll ist eine Farbgrafikkarte. Selbst exotische Bildschirmspeicher-Formate bedient Chagall, wenn Sie die Kompatibilitätsoption zur ausschließlichen VDI-Benutzung verwenden. Viele Karten können jedoch auch ohne diese Option betrieben werden, was nach Aussage des Herstellers der Ausgabegeschwindigkeit sehr zugute kommt. Sind in Bildern mehr Farben enthalten, als Ihre Grafikkarte darstellen kann, können Sie zwischen den Rasterungsverfahren »Ordered Dither« und »Floyd Steinberg« für die Anzeige wählen.

Farbenpracht mit Chagall

Wird Chagall im Farbmodus gestartet, erscheinen die Dialogboxen automatisch in 3-D-Look. Bevorzugen Sie ein schlichteres Design, können Sie auf die übliche Darstellungsweise umschalten. Uns gefallen die dreidimensionalen Boxen gut, da sie zum Stil des Falcon- und des MultiTOS passen. Auf einem Monochrombildschirm ist es besser, dieses Feature nicht einzuschalten, da sonst die Übersicht durch den verminderten Kontrast getrübt wird. In bezug auf die Funktionalität verbucht Chagall Pluspunkte für die Option, Dialoge in Fenster legen zu können. Dadurch schlägt das Programm gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Erstens werden parallel laufende Applikationen unter MultiTOS durch geöffnete Fensterdialoge nicht behindert; zum anderen haben Sie mit mehreren, gleichzeitig geöffneten Fenstern ständig direkten Zugriff auf die verschiedenen Zeichenwerkzeuge und deren Optionen. Diese sind in Funktionsgruppen aufgeteilt. Solche Gruppen bestehen aus sinnverwandten Funktionen, die sich »Toolboxen« nennen. Sie können sie über die Menüleiste oder per Funktionstaste öffnen.

Symbolträchtige Oberfläche

Mit der Toolbox »Lineale« legen Sie den Modus fest, in dem Chagall arbeiten soll. Wie in allen anderen Toolboxen sind auch hier die Optionen über Icons — Bildsymbole — anwählbar. Calamus-Benutzern wird dies gleich vertraut sein. Vier grundlegende Arbeitsbereiche stehen zur Verfügung: Der Malmodus erlaubt, wie in jedem Malprogramm, das Zeichnen mit dem, an anderer Stelle, ausgewählten Werkzeug bei gedrückter linker Maustaste. Ist der Maskenmodus aktiv, beziehen sich alle Aktionen nur auf eine Maske, ohne daß das eigentliche Bild verändert wird. Falls nicht vorhanden, können Sie eine Maske zu einem Bild in der entsprechenden Toolbox auch nachträglich anlegen. Das Icon zum Textmodus, zur Neueingabe und Modifikation von Textobjekten, war in unserer Chagall-Testversion zwar vorhanden, die Funktion jedoch war noch nicht implementiert. Der Blockmodus gestattet das Markieren von Bildausschnitten zur Weiterbearbeitung. Die weiteren Icons zeigen, warum diese Toolbox »Lineale« heißt. Es sind bis auf eine Ausnahme — den Mauspfeil — geometrische Figuren, an denen das aktuelle Malwerkzeug entlanggeführt wird. Kreis und Rechteck sind klar; mit dem Kurvensymbol können Sie Bézier-Kurven zeichnen, die auch gerade Linien enthalten dürfen. Wählen Sie das Pfeil-Icon, folgt das aktuelle Werkzeug den Bewegungen des Mauspfeils.

Die Toolboxen liegen in Multi TOS-freundlichen Fenstern

Durch Doppelklick auf eines der Symbole öffnet sich die Toolbox »Werkzeugparameter«. Sie bezieht sich stets auf das aktivierte Malwerkzeug. So können Sie die Farbe in RGB-Verteilung über Schieber oder Direktklick in das Farbraumfeld selektieren, die Größe der Malfläche in Pixel einstellen und die Werkzeugform wählen. Die Justierung der Intensität entscheidet darüber, ob die Farbe, die vom Werkzeug aufgetragen wird, den Hintergrund völlig überdeckt oder ihn durchscheinen läßt. Mit Zusatzoptionen lassen sich mächtige Effekte erzielen: Sie können eine Maske gewissermaßen »durchrubbeln« und damit Bildern eine Struktur geben oder das, was Sie vorher in den Undo-Puffer befördert haben, als Werkzeug benutzen. Dies kann sogar ein ganzes Bild sein — dazu ist lediglich das Drücken der Leertaste notwendig.

Der Realität näher

Von den Parametern zu den Malwerkzeugen: Die Vielfalt der Utensilien dokumentiert den Unterschied zwischen dem Bildverarbeitungsprogramm Chagall und einfachen Malprogrammen. Neben den Standardoptionen wie Pinsel und Tuschestift finden Sie hier einen Marker, der die Stellen des Bildes hervorhebt, die heller als die verwendete Farbe des Markers sind sowie den Toner, der das Gegenteil bewirkt: dunklere Stellen werden markiert. Die Sprühdose kann auch mit Masken operieren. Besonders interessant der »Graustift«: Mit Hilfe dieses Instruments sind Sie in der Lage, in einem Farbbild Bereiche in Graustufen umzuwandeln. Dieser Effekt kann oft eine sinnvolle und sehenswerte Alternative zu anderen Hervorhebungen sein. Hilfreich bei der Nachbearbeitung von Bildern sind auch die Werkzeuge »Aufheller« und »Abdunkler«.

Im Zusammenhang mit der Werkzeug-Toolbox wartet Chagall mit Funktionen auf, die nicht durch ein Icon repräsentiert werden, aber viel zur Gestaltungsfreiheit des Benutzers beitragen. Sie erreichen sie über die Tastatur. Um einen Ausschnitt des Bildes als Zeichenwerkzeug zu übernehmen, klicken Sie einfach mit gedrückter Al-ternate-Taste an die gewünschte Position. Um den passenden Farbton für den Pinsel oder andere Utensilien zu wählen, können Sie mit Hilfe der Shift-Taste einen aus dem Bild herausgreifen. Für exaktes Zeichnen ist es praktisch, den Umriß des Zeichenwerkzeugs zu sehen. Das erreichen Sie durch einen Mausklick bei gedrückter Controltaste.

Unter dem Etikett »Spezial« finden sich eine Menge komplexer Funktionen der elektronischen Bildverarbeitung. Im »LUT-Diagramm« können Sie zwischen einer freien Kurve und der Gamma-Kurve wählen. Eine Be-zier-Kurvenfunktion war in unserer Testversion noch nicht selektierbar. Kontrast und Helligkeit werden über Schieberegler in weiten Grenzen eingestellt. Sie entscheiden, ob das gesamte Bild oder nur ein Ausschnitt von den Änderungen dieser Funktionen betroffen ist. Bei groben Schnitzern läßt sich glücklicherweise der Urzustand des Bildes wiederherstellen. Mit einer ganzen Palette von Filtern können Sie sowohl feine Detailarbeiten als auch starke Veränderungen vornehmen. Von Verwaschen bis Schärfen, Invertieren bis Aufhellen, ist vieles möglich. Den Wirkungsgrad jedes Filters geben Sie in Prozentschritten komfortabel über einen Schieber vor. Chagall stellt ferner Funktionen zum Füllen von Flächen und zur Generierung von Farbverläufen bereit. Ein besonders leistungsfähiges Instrument ist das Tauschen von Farbräumen. Hiermit können Sie ohne Verlust an Detailtreue Bilder — oder Objekte daraus — umfarben. An dieser Funktion wurde zum Zeitpunkt unseres Tests allerdings noch gearbeitet — wie auch an den Textroutinen zur Einstellung von Attributen, die daher nicht anwählbar waren. Last but not least erlaubt der Konvertierungsdialog die Wandlung von Färb-, Halbton- und Monochrombildern in die jeweils anderen Formate.

Einfache Bedienung bei komplexen Funktionen: Farbraumtausch

Neben den üblichen Ausschneide- und Kopierfunktionen für Blöcke offeriert Chagall auch die Skalierung und Drehung in frei wählbaren Prozent schritten. Die vertikale und horizontale Spiegelung von Bereichen läuft über entsprechende Parameterboxen. Ab der nächsten Programmversion können Sie einen Block auch an einer von Ihnen positionierten Linie spiegeln. Ebenfalls noch nicht implementiert, aber fest eingeplant, ist nach Aussagen der Programmierer die automatische Konvertierung beim Kopieren eines Blocks mit vom Zielbereich abweichender Farbzahl.

Chagall verwaltet Masken von Bildern grundsätzlich als Halbtonbilder mit 8 Bit Tiefe — selbst im Monochrommodus. Sie haben die gleichen Maße wie das Originalbild. Mit diesen Halbtonbildern lassen sich 256 verschiedene Abstufungen darstellen. Weiße Stellen der Maske sind durchscheinend. Wenn Sie die »Einbrenn«-Funktion anwenden, bleiben also alle Teile Ihres Bildes sichtbar, über denen sich weiße Stellen der Maske befinden. Für die kommende Chagall-Version wird zur Zeit die Funktion »Maske mit Zauberstab« implementiert. Mit ihr können Sie nicht nur global, sondern auch über von Ihnen definierte Farbbereiche eine Maske legen. Masken lädt und speichert Chagall im »ESM«-Format. Eine separate Bearbeitung der Maske als Bild ist daher ebenfalls möglich. Im übrigen unterstützt das Programm folgende Grafikformate: ESM, TIFF 5.0 (LZW, RLE, unkomprimiert), GIF, IMG, PAC, PIC, PI3 und IFF; hinzukommen sollen noch die PC-Formate TGA (Targa), PCX sowie TIFF 6.0.

Am verwaisten Menüpunkt »Module« wird laut Auskunft des Herstellers noch gearbeitet; aber bald soll das Konzept von Chagall, die Modularität, voll zum Tragen kommen. In Vorbereitung befinden sich Module zur automatischen Vektorisierung in Farbe, Vektorbearbeitung, Farbkalibration für Scanner, erweiterte Filterfunktionen sowie geometrische Verzerrungsfunktionen. In einer speziellen Halbtonversion wird Chagall als »Scan-Utility« für den Logitech-256-Graustufenscanner geliefert. Hier sorgt dann ein GDPS-Treiber für die Kommunikation (siehe auch Seite 42).

An Chagall gefällt vor allem der modulare Aufbau und die ständige Erreichbarkeit aller Funktionen durch die Fensterdialoge. Die Nachbildung gewohnter Zeichengeräte und die Oberflächengestaltung sind gelungen. Wichtige Funktionen sind auch per Tastatur zu erreichen. In der getesteten Version fehlte nur eine Funktion zum Wechseln des aktiven Fensters. Der teils etwas träge Bildaufbau ist nicht zuletzt in der lobenswerten GEM-Konformität begründet, die die Lauffähigkeit des Programms mit zukünftigen TOS-Versionen gewährleistet. Wir schließen uns der Empfehlung des Herstellers, das Programm WINX [1] von Martin Osieka zu benutzen, vorbehaltlos an. Nur dieses Tool ermöglicht es, unter dem Standard-GEM mehr als acht Fenster zu öffnen. Darüber hinaus optimiert WINX ab der Version 2.1 den Redraw von Fenstern. Es war bei unserem Test nicht zu übersehen, daß wir es mit einer noch unvollständigen Version zu tun hatten. So fehlte es auch an der Unterstützung von VDI-Druckertreibern. Verfügbar waren dagegen Treiber für Laser- und Tintenstrahldrucker von Hewlett-Packard — auch für deren Farbversionen. Die Druckeransteuerung bietet optimale Positionierung und Rasterung für das jeweilige Ausgabegerät sowie die Justierung des Kontrasts. Das Handbuch war noch nicht verfügbar, lediglich eine Kurzbeschreibung als Datei. Trade-iT-Mitarbeiter sind jedoch dabei, die Lücken zu schließen. So hat Chagall große Chancen, sich ein gutes Stück vom EBV-Kuchen abzuschneiden. (thl)

(1] GEM-Facelifting, P. Dubbrow, ST-Magazin 8/1992

Eine Demoversion von Chagall erhalten Sie per Modem u. a. aus den folgenden Mailboxen des MausNet: Wiesbaden 2, Münster 2.

Trade iT, Arheilgerweg 6a, D-6101 Roßdorf

Komfortable Druckeransteuerung
Die Werkzeuge sind Zeichengeräten gut nachempfunden

WERTUNG

Chagall

Hersteller: Trade iT

Stärken: modularer Aufbau, assoziative Nachbildung von Zeichenwerkzeugen, gefälliges Design, mächtige Funktionen

Schwächen: noch unvollständig

Fazit: ein gut konzeptioniertes EBV-Programm, dessen Weiterentwicklung Beachtung verdient

Preise:
699 Mark (Farbversion)
399 Mark (Halbtonversion)


Patrick G. Dubbrow
Aus: ST-Magazin 03 / 1993, Seite 30

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