Quo vadis, ST? Marktanalyse zu Textverarbeitungen und Anwenderprogrammen

Wer zu Opas Zeiten Unternehmer werden wollte, der hatte nur ein Problem - genügend Kapital und die entsprechenden Produktionsmittel aufzutreiben. Der Verkauf der Ware lief aufgrund des knappen Angebots von selbst. Heutzutage muß sich ein Anbieter genau auf die Wünsche seiner Zielgruppe einstellen, um sich am Markt durchzusetzen. Entsprechende Marktanalysen helfen, unternehmerische Fehlentscheidungen zu vermeiden.

Hier präsentieren wir eine Analyse des STTextverarbeitungsmarktes, welche die Firma Altex Textsysteme durchführte. Die Umfrage liefert wichtige Daten über die Einsatzgebiete des Computers sowie die Verbreitung und Bewertung ausgewählter Textverarbeitungen. Hochinteressant für künftige Entwicklungen ist die gewichtete Aufstellung der Anwenderwünsche und Preisvorstellungen. In einem Rundschreiben bot Altex 2550 zufällig ausgewählten ST-Besitzern die Teilnahme an der Befragung an. Anreiz für das Ausfüllen des umfangreichen Fragebogens waren 50 Preise im Wert von fast 3000 Mark. Auf den Hauptgewinner wartete eine nagelneue Festplatte Atari Megafile 30 im Wert von 1000 Mark. Bei solchen Chancen war es kein Wunder, daß innerhalb von vier Wochen genau 180 sauber ausgefüllte Bögen bei Altex einliefen. Wegen der zufälligen Auswahl der Teilnehmer erheben wir keinen Anspruch auf ein statistisch gesichertes Ergebnis -die Tendenz des Ergebnisses ist aber allemal richtig. Durch seinen exzellenten Schwarzweiß-Monitor war der Atari ST von Anfang an für ernsthafte Anwendungen wie Textverarbeitung prädestiniert.

Haupteinsatz: Anwendungen

Daß sich diese Tatsache in der Praxis bewahrheitet hat, zeigt Bild 1 eindeutig. 98 Prozent der befragten Anwender nutzen ihren ST zum Schreiben und Bearbeiten von Texten. 21 Prozent beschäftigen sich länger als die Hälfte ihrer Nutzungszeit mit Textverarbeitungsprogrammen. Viele Anwender arbeiten auch mit Grafiksoftware oder programmieren. Selbstverständlich sind auch Spiele beliebt. Ein leistungsstarker Computer wie der ST ist eben in jeder Beziehung zu gebrauchen.

Den Streit, ob der ST nun ein professioneller Computer sei oder nicht, beantwortet die Marktanalyse salomonisch. Der ST ist eindeutig dem semiprofessionellen Bereich zuzuordnen. 97 Prozent der Besitzer nutzen ihren Computer auch privat, 40 Prozent sogar ausschließlich privat. Für berufliche Zwecke setzen ihn immerhin 54 Prozent aller Befragten ein, und 20 Prozent geben an, gewerblich mit dem ST zu arbeiten. Allerdings werden auch die gewerblich eingesetzten STs zumeist noch kräftig für private Zwecke verwendet. Unter der Berücksichtigung, daß »Tempus« ein Texteditor und »Calamus« ein Desktop Publishing Programm ist, beherrschen zwei Produkte den Markt der Atari-Textverarbeitungen: »1st Word plus« und »Signum«. Sowohl der Bekanntheitsgrad (je 91 Prozent) als auch der Nutzungsgrad (46 bzw 47 Prozent) sind aufgrund der langen Marktpräsenz bzw. der guten Produkteigenschaften extrem hoch. Konkurrenzprodukte haben es da schwer, sich zu profilieren. Daß auch die Verbesserung existierender Programme Erfolg bringt, beweist »1st Proportional«. Dieses Zusatzprogramm druckt 1st Word plus-Texte in Proportionalschrift und mit beliebigen Zeilenabständen aus.

**Anwendungsgebiete:** Textverarbeitung ist das Haupteinsatzgebiet des Atari ST.
**Bekanntheitsgrad und Marktanteil:** 1st Word plus und Signum beherrschen den Markt.

Welche Ansprüche stellen ST-Anwender an eine Textverarbeitung, «wofür wollen sie ihren ST verwenden und was erwarten sie in Zukunft von ST und TT? Eine Analyse gibt Antwort.

Marktführer: Signum und 1st Word plus

Die Bewertung der ausgewählten Programme ergibt ein überraschendes Ergebnis. Nicht einer der Marktführer erhält die beste Durchschnittsnote in der Zufriedenheit seiner Anwender, sondern ein relativ unbekannter Newcomer: »That's Write«. Freilich sind die Bewertungsabstände beim Spitzentrio nur sehr gering, und statistische Abweichungen verfälschen unter Umständen die Reihenfolge, trotzdem schätzen die Anwender das Programm. Weniger gut sieht die Sache für »1st Word plus« aus. Eine vergleichsweise sehr schlechte Note von nur 2,92 deutet auf einige Unzufriedenheit seitens der Anwender hin. Sein hoher Nutzungsgrad ist auf die einfache Erlernbarkeit und Bedienung sowie auf einen Mangel an geeigneten Alternativen zurückzuführen.

**Bewertung ausgewählter Programme:** ein Newcomer in der Spitze der Anwendergunst.
**Anforderungen an die Wunschtextverarbeitung:** »Power without the price«, als oberste Maxime der ST-Besitzer.

Klassenbester: That's Write

Rechts neben den Balken für die Durchschnittsnoten finden wir das jeweils am besten bewertete Merkmal des Programmes. Oft steht an dieser Stelle die Eigenschaft, die das Programm berühmt gemacht hat - etwa die erstklassige Druckqualität von »Signum« oder die atemberaubende Geschwindigkeit von »Tempus«.

»Power without the price.« Das Preis/Leistungsverhältnis ist vielen ST-Anwendern wichtiger als als die ebenfalls sehr hoch geschätzte Druckqualität.

Die Anwender konnten 100 Prozentpunkte auf die einzelnen Merkmale ihrer Wunschtextverarbeitung verteilen. Das Ergebnis zeigt deutlich die Prioritäten der ST-Besitzer. »Power without the price« ist alles andere als ein leeres Schlagwort. Mit 13,6 Prozent ist das Preis-/Leistungsverhältnis sogar noch wichtiger als die ebenfalls sehr hoch geschätzte Druckqualität.

Druckqualität ist das Stichwort, das den überwältigenden Erfolg von Signum erklärt. Signum bietet für einen der größten Wünsche der ST-Anwender eine absolut überzeugende Lösung. Das erklärt den sehr hohen Marktanteil des Programms.

Daß eine grafische Benutzeroberfläche ihren Tribut an Rechenleistung fordert, zeigt sich an der deutlichen Forderung nach Geschwindigkeit. Wir sind gespannt, ob »Tempus Word« hier in die Fußstapfen des Tempus-Editors treten kann. Nach dem bei vielen Programmen erlebten »Bombenterror« legen die Anwender auch viel Wert auf Sicherheit. Wer will schon seine mühsam eingegebenen Texte verlieren, nur weil sich das Programm zum x-ten mal verabschiedet?

Textverarbeitung nach Maß

Wer sich bei dem vielfältigen Computerangebot für einen Atari ST entscheidet, tut dies oft wegen der wesentlich besseren Erlernbarkeit und komfortableren Bedienung z.B. gegenüber MS-DOS-Rechnern. Kein Wunder, daß sich diese Wünsche auf die Software übertragen, was die hohe Bewertung dieser Punkte beweist. Erwähnenswert erscheint uns der immer öfter auftauchende Wunsch nach Kompatibilität (ist unter Sonstiges zusammengefaßt). So sollten Textverarbeitungen grundsätzlich auch im ASCII-Format speichern. Noch besser: eine direkte Übertragung von formatierten Texten zwischen verschiedenen Programmen oder sogar verschiedenen Computern.

Hier begegnet uns der Atari-Slogan »power without the price« wieder. Für ein professionelles Textverarbeitungsprogramm wollen ST-Besitzer im Schnitt nur 410 Mark ausgeben. Da können große Softwarehäuser mit ihren festangestellten Software-Ingenieuren kaum wirtschaftlich vertretbar handeln. Dies zeigte etwa die zögernde Realisierung von »WordPerfect ST«. Trotz des hohen Preises von fast 800 Mark kostet die PC-Version dieses Programms immerhin noch glatt das Doppelte. Bei den integrierten Paketen und DTP-Systemen ist die Lage im PC-Bereich noch schlechter. Selbst bei Toolsammlungen sind am PC Preise von 200 bis 300 Mark keine Seltenheit.

Zieht man zudem die wesentlich aufwendigere Software-Entwicklung unter einem grafikorientierten Betriebssystem wie GEM in Betracht, so stehen die Zeichen für die Software-Zukunft des ST nicht gerade günstig. Manchmal entstehen neue Produkte nur durch das Engagement von idealistischen Programmierern - so geschehen etwa bei Signum.

**Preisvorstellungen:** Zu niedriges Preisniveau für große Softwarehäuser.
**Programmform:** Auch Accessories und Module sind gefragt.

Preisbewußtsein - ein Bumerang?

Es stellt sich die Frage, ob sich das ausgeprägte Preisbewußtsein der ST-Besitzer auf lange Sicht nicht als Bumerang erweisen wird. Ein Computer kann immer nur so gut wie seine Software sein. Software-Entwicklung ist aber mit hohen Kosten und Risiken verbunden, die sich in ebenso hohen unternehmerischen Chancen in Form von entsprechenden Preisen widerspiegeln müssen. Atari's Vertriebsmanager scheinen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben, wie die am oberen Rand des Spektrums liegenden Preise für WordPerfect und Calamus (je 800 Mark) zeigen.

Textverarbeitungen sind bei ST-Anwendern nicht nur als Programme begehrt. Hoch in der Gunst stehen neben ROM-Modulen auch Accessories als Programmform.

Es muß nicht immer ».PRG« sein. Die Frage nach der optimalen Programmform (normal ladbares Programm, Accessory, ROM-Port-Modul) lieferte überraschende Ergebnisse. So haben viele Anwender Probleme mit dem Speicherhunger von großen Programmpaketen wie etwa DTP-Systemen. Mehr als 10 Prozent würden daher lieber ein ROM-Port-Modul kaufen.

Programme für »zwischendurch«, wie Schöndruckprogramme und Texteditoren, hätten gut 20 Prozent der Anwender lieber als Accessory ständig zur Verfügung. Noch deutlicher tritt dieser Wunsch bei den kleinen Helfern im Computeralltag, den Tools, zutage: Hier sind es über 60 Prozent der Befragten, die sich für Accessories aussprechen.

Die eingezeichneten Balken ergeben zusammengerechnet keine 100 Prozent, da sich viele Befragte über die Programmform unschlüssig waren und keine Angabe machten.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft unseres Computers. Textverarbeitung wird weiterhin das Haupteinsatzgebiet für den ST bleiben. Der ST erfüllt viele Voraussetzungen für diese Anwendung, die bei anderen Computern entweder gar nicht oder nur zu sehr viel höheren Preisen zu haben sind. Stark im Kommen ist Desktop Publishing. Obwohl sich die allgemeine Euphorie gelegt hat, stecken in dieser Technik enorme Zukunftschancen. Der ST und vor allen Dingen der TT werden von dieser Entwicklung erheblich profitieren.

Gefahr: Entwickler wandern ab

Die Softwarepreise müssen sich trotz »power without the price« nach oben entwickeln. Es gibt fast kein Programm, das bereits in der Version 1.0 perfekt ist. Wirklich gute Software entsteht erst nach jahrelangem Anwenderkontakt und permanenter Weiterentwicklung. Die kann sich ein Softwarehaus aber nur leisten, wenn es genug verdient. Ansonsten wandern die guten Entwickler allesamt in den PC, MAC, UNIX und Großrechnerbereich ab, wo sie wesentlich bessere Perspektiven vorfinden. (uh)

Nähere Informationen zur Altex-Marktanalyse erhalten Sie bei: Altex Textsysteme, Dekan-Simbürger-Str. 13, 8300 Ergolding


Georg Altmann
Aus: TOS 05 / 1990, Seite 106

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