Schule der Mäusemaler (2. Teil): Alles über räumliche Gestaltung und die richtige Perspektive

Diesmal geht es um die Aufteilung eines Bildes und vor allem um die richtige Perspektive. Außerdem gibt es Hinweise zu komplexen Zeichenfunktionen, die nicht unbedingt in jedem Programm verfügbar sind, und Tips zum einfachen Übertragen von Vorlagen.

Schließen wir zunächst an die »Hausaufgabe« vom letzten Mal an. Haben Sie mit den verschiedenen Strichstärken und Füllmustern experimentiert? Die Ergebnisse unterscheiden sich in ihrer Wirkung teilweise sehr stark voneinander.

Grundsätzlich ist zu beachten: Feine Strichzeichnungen eignen sich für größere Bildausschnitte, dickere Konturen rücken ein bestimmtes Detail besonders in den Blickpunkt. Stellen Sie sich eine Gruppe von Menschen vor, die miteinander reden. Alle Figuren sind nur mit wenigen feinen Strichen gezeichnet. Umrisse und Andeutungen der Figuren genügen bereits. In der Mitte zeichnen Sie zwei Personen mit stärkeren Umrissen, schon ist die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Bildmitte gelenkt.

Bleiben wir bei diesem Motiv und betrachten dazu Bild 1. Es erlaubt uns einige Überlegungen zum Thema »Räumliche Gestaltung« und »Perspektive«. Zunächst ist es wichtig, eine ungefähre Vorstellung vom Aufbau des Bildes zu haben. Normalerweise gibt es einen Hintergrund, der die gesamte Szene einbettet und etwas über die allgemeine Situation aussagt. Das ist in diesem Fall ein Park mit einigen Bäumen, Büschen und einem großen Haus. Die Bäume und Büsche grenzen das Bild seitlich ein, das Haus bildet gewissermaßen den Abschluß des Parks.

In diesem »Rahmen« liegt der wichtige Teil des Bildes, die Gruppe der Leute. Sie bilden den Vordergrund in dieser Szene. Dabei ist ein Paar gegenüber den anderen deutlich herausgestellt. Decken Sie einmal den Hintergrund des Bildes ab oder konzentrieren sich nur auf die Personen. Eigentlich ist nur eine Figur gezeichnet. Diese wurde gespiegelt und mehrfach kopiert. Die Hervorhebung des einen Paares gelang anschließend in mehreren Schritten. Erst etwas vergrößern und weiter nach vorne rücken, dann die Linienstärke verdoppeln und schließlich mit Hilfe der Lupe mehr Details wie Gesicht, Haare und Hemdknöpfe ergänzen.

Bild 1. Parklandschaft mit Perspektive. Leider stimmt noch nicht alles so ganz. Jetzt kommen die Feinheiten.

Betrachtet man die Gruppe der Leute innerhalb des gesamten Bildes, fällt ein Fehler auf. Er passiert leicht beim Zeichnen, wenn auch nicht in dieser extremen Form. Die dünnen Männchen passen zwar zu dem stärker gezeichneten Paar im Vordergrund, aber nicht zum Rest des Bildes. Es sollte in der Wahl der Strichstärken immer eine Entwicklung von hinten nach vorne stattfinden, d.h. was am weitesten hinten liegt, ist auch am dünnsten zu zeichnen. Hier haben die Bäume und das Haus im Hintergrund die gleiche Strichstärke wie das Paar im Vordergrund. Das Bild wirkt, als wäre es aus unabhängigen Einzelobjekten zusammengesetzt. Richtig wäre, die dünnen Figuren stärker zu zeichnen und das Paar im Vordergrund noch erheblich größer zu gestalten.

Eine solche »Collage« (Collage = zusammengestückeltes Bild) unpassender Einzelteile entsteht häufig bei der Verwendung von Bildbibliotheken, die in großer Zahl auf dem Markt sind. Solche Sammlungen bieten für jeden Bereich Grafiken. Bedenken Sie: Plazierung ist gleichzeitig eine Gewichtung des Objektes. Der Betrachter mißt dem die größte Bedeutung zu, was ihm zuerst auffällt. Verstecken Sie den wichtigsten Teil Ihres Bildes also nicht irgendwo in der äußersten Ecke. Grundsätzlich gilt: In den Hintergrund kommen flächige Objekte, die einen Rahmen schaffen. Sie sind meist grob gezeichnet und weisen nicht viele Details auf. Im Vordergrund stehen die wichtigen Objekte. Sie sind verhältnismäßig groß und detailliert ausgeführt. Ihre Gestaltung bedarf besonderer Sorgfalt, häufig entstehen sie mit der Lupe. Die Hintergründe zeichnen Sie »mit leichter Hand«. Verwenden Sie einfache Formen wie Linien zur ersten Konstruktion. Zeichnen Sie unregelmäßige Flächen mit der »Freihand«-Funktion. Eng mit der Gestaltung eines Bildes verknüpft ist seine Perspektive. Perspektivisches Zeichnen vermittelt dem Betrachter einen räumlichen Eindruck, so als ob er die Szene »in natura« sehen würde. Je nachdem, was Sie perspektivisch darstellen, gibt es verschiedenes zu beachten. Grundsätzlich gilt: Entferntes ist kleiner und schmaler als Nahes. Die Begrenzungen eines Weges, der von hinten nach vorne ins Bild führt, beginnen eng zusammenliegend und laufen immer weiter auseinander. Zwei gleichgroße Personen, die hintereinander im Bild stehen, müssen unterschiedlich groß gezeichnet sein. Sonst entsteht leicht der Eindruck, die Personen stehen nebeneinander, z. B. auf verschiedenen Treppenstufen (vgl. Bild 2).

Ein wichtiges Hilfsmittel für die korrekte perspektivische Darstellung ist der »Fluchtpunkt«. Legen Sie in einer Zeichnung etwa 2 cm von oben am rechten Rand einen Hilfspunkt fest. Markieren Sie ihn am besten durch ein kleines Kreuz. Das ist unser Fluchtpunkt für die nächste Zeichnung. Nehmen wir jetzt als Beispiel ein Haus, von dem die Vorderseite und die rechte Seitenwand zu sehen sind. Zeichnen Sie mit der Funktion »Einzelne Linie« zunächst die sichtbaren senkrechten Ecken und die Vorderseite des Hauses. Die Linien können etwas länger sein als später nötig. Dabei stehen die beiden Ecken der Vorderseite auf einer Grundhöhe, die hintere Ecke der Seitenwand steht etwas höher. Die genaue Position der Pfeiler ergibt sich im nächsten Schritt. Ich numeriere die Hausecken von links nach rechts mit den Ziffern 1 bis 3.

Angewandte Mathematik fördert die Kunst: Komplexe Funktionen wie Strahlen, Polygonzüge, Splines, Bezierkurven und Interpolationslinien sind für Computermaler alltägliches Werkzeug.

Komplexe Zeichenfunktionen machen Grafikprogramme der herkömmlichen Zeichentechnik überlegen

Ziehen Sie die »Fußboden«-Linie der Seitenwand, und zwar von Pfeiler 2 unten bis zum Hilfspunkt am Bildschirmrand. Die Stelle, an der diese Linie Pfeiler 3 kreuzt, markiert die hintere untere Ecke des Hauses. Die nächste Hauskante verläuft von Pfeiler 2 oben bis zum Fluchtpunkt. Durch die beiden Schnittpunkte der Hauskanten mit Pfeiler 3 ergibt sich für die Hauswand der perspektivisch richtige Verlauf. Genauso ergänzen Sie das Dach, doch bedenken Sie: Alle Linien, die »nach hinten« laufen, landen in ihrer Verlängerung im Fluchtpunkt.

Nun eine Anregung, die ohne Fluchtpunkt auskommt: Zeichnen Sie eine Zick-Zack-Linie quer über den Bildschirm, hängen Sie an jeden Zacken eine gleichlange Linie und verbinden Sie die unteren Punkte. Färben Sie alle nach links weisenden Flächen schwarz. Es ergibt sich der sog. »Fischaugeneffekt« (Bild 4).

Kommen wir zu einigen weiteren Funktionen, die für bestimmte Anwendungen sehr nützlich sind. Viele Zeichenprogramme kennen »Strahlen«. Von einem fixierten Punkt aus zeichnen Sie mit jedem Mausklick eine neue Linie. Bewegen Sie die Maus mit gedrückter Taste schnell im Kreis, dann zeichnet das Programm vielleicht »Sonnenstrahlen«. Solche Strahlen eignen sich sehr gut zum Zeichnen von Lichtquellen. Bild 5 zeigt eine Kerze, die ihre Strahlen mit einer solchen Funktion erhielt. Die Mitte des Strahlenbündels ist einfach wegradiert. Im gleichen Bild sehen Sie noch eine andere Anwendung für die Strahlen. Die einzelnen Felder des großen Strahlenbündels sind mit unterschiedlichen Rastern eingefärbt, so daß der Eindruck einer hügeligen Ebene entsteht. Hier weist die Ebene zur Mitte eine Senkung auf.

Eine weitere hilfreiche Funktion ist der »Linienzug«, auch als Polygonzug bezeichnet. Sie markieren eine Linie, und der Endpunkt der ersten ist gleichzeitig der Anfangspunkt der zweiten Linie. Der bekannteste Polygonzug ist wohl das Zeichnen eines Hauses in einem Zug.

Vielleicht kennen Sie den Spruch: »Das-ist-das-Haus-vom-Ni-ko-laus«. Bild 5 enthält rechts oben das Nikolaushaus mit Angabe der Linien von Nummer 1 bis 8.

Bild 2. Mehrere Figuren auf Treppen oder hintereinander
Bild 3. Perspektivisch richtig dargestelltes Haus mit Fluchtpunkt
Bild 4. Eisplatten mit »Fischaugeneffekt«

Letzte Funktion für heute - die »Bezierkurve« und alle Verwandten wie »Splines« oder »Interpolationslinien«.

Eine Bezierkurve ist definiert durch einen Anfangs- und einen Endpunkt sowie einen Hilfspunkt. Dieser Hilfspunkt läßt sich in weiten Grenzen verschieben. Dadurch entstehen fast beliebige Kurvenverläufe. Vor allem für geschwungene Linien und Objekte sind Bezierkurven fast unverzichtbar. Splines besitzen mehr als einen Hilfspunkt, sodaß sich z. B. Schwingungsbilder mit einem einzigen Befehl darstellen lassen. Bild 6 zeigt einige solcher Kurven. Und auch die Wegränder und Baumstämme (nicht die Baumkronen) in Bild 1 sind mit solchen Funktionen gezeichnet.

Besonders häufig zum Einsatz kommen diese Funktionen, wenn es gilt, eine Vorlage in den Computer zu übertragen. Wer nicht über einen Scanner verfügt, und das sind wohl noch die meisten Anwender, der hilft sich z. B. folgendermaßen: Pausen Sie die Vorlage auf dünnes Pergamentpapier bzw. Butterbrotpapier durch und kleben das Bild mit Tesafilm vor den Bildschirm. Meist ist der Mauspfeil noch durch das dünne Papier zu sehen, und die Vorlage läßt sich, gewissermaßen rückwärts, auf den Bildschirm zeichnen. Einziger Nachteil dieses Verfahrens: Der Bildschirm ist gewölbt, dadurch ergeben sich leichte Verzerrungen bei der Übertragung, doch man hat zunächst die Proportionen auf dem Bildschirm.

Alle Bilder auf Diskette

Um Ihnen den Einstieg in die Zeichnerei noch schmackhafter zu machen und gleichzeitig die »Hausaufgaben« zu vereinfachen, finden Sie auf der TOS-Diskette alle abgedruckten Bilder dieses Beitrages und einige Bildversionen ohne Füllungen.

Kursübersicht

Teil 1: Raster- und Vektorgrafik, einfache Zeichenfunktionen

Teil 2: Komplexe Zeichenfunktionen, Hilfslinien, Perspektiven

Teil 3: Effektfunktionen, Projektionen, großformatige Bilder

Bild 5. Strahlen mit Ebene und Kerzen
Bild 6. Eine Auswahl von Bezierkurven und Splines

Wolfgang Klemme
Aus: TOS 07 / 1990, Seite 102

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