Hauslehrer: Computerkolleg Musik & Music Education System

ANGEHENDE MOZARTS UNSERER TAGE LEISTEN SICH EINEN PERSÖNLICHEN HAUSLEHRER, UM IHR MUSIKALISCHES TALENT ZU SCHULEN. GEHÖRBILDUNG, RHYTHMUSTRAINING UND HARMONIELEHRE STEHEN AUF DEM LEHRPLAN.

Themenschwerpunkte sind eine gute Gelegenheit, Anwendungen vorzustellen, die nicht immer auf den vordersten Plätzen der Bekanntheitsskala liegen. Lernprogramme für Musik gehören dazu, und offensichtlich erscheinen sie den Softwareentwicklern als lohnendes Thema: In diesem Jahr stellten sowohl die Firma Schott mit ihrem »Computerkolleg Musik« als auch C-Lab mit dem »Music Education System«, bestehend aus den Programmen »Alpha«, »Aura« und »Midia« entsprechende Software vor.

Kurz zur Geschichte des computerunterstützten Unterrichts: Mit der wachsenden Leistungsfähigkeit und steigenden Verbreitung von Heimcomputern gelangten entsprechende Computerprogramme in den 70er und 80er Jahren in Schulen und in den privaten Bereich. Als »Lehrerersatz« gleichermaßen gefeiert und verschrieen konnte sich das Lernprogramm aber weder als gleichberechtigtes Lernmittel neben Lehrer, Buch und Tafel etablieren noch die traditionellen Lernmittel verdrängen. Trotzdem entwickelten immer wieder begeisterte Pädagogen oder Programmierer Lernprogramme für alle Fächer. Vor allem stupide Übungs- und Kontrollaufgaben sollte der Computer übernehmen.

Im musikalischen Bereich eignet sich besonders das Thema »Gehörbildung« für eine Computer-unterstützte Umsetzung. Die meisten Computer sind in der Lage, mindestens einen in der Tonhöhe steuerbaren Klang von sich zu geben. Dementsprechend ist schnell ein kleines Programm geschrieben, das dem Anwender musikalische Tonabstände (Intervalle) vorspielt und nach der musikalisch korrekten Bezeichnung fragt.

Der ST mit dem dreistimmigen Soundchip und noch mehr seiner integrierten MIDI-Schnittstelle ist prädestiniert für diese Aufgabenstellung. Durch die Möglichkeit der mehrstimmigen Ausgabe ist keine musikalische Beschränkung nötig, und dem pädagogisch ambitionierten Entwickler erschließen sich alle Bereiche der Rhythmik und Harmonik zur Umsetzung in entsprechende Übungs- und Lernprogramme.

Bild 1. Ohne GEM kommt der »Computerkolleg Musik« aus. Hier eine Übungsseite zum Bestimmen der erklingenden Akkorde

Doch schon ergibt sich eine weitere Schwierigkeit, mit der die Entwickler zu kämpfen haben: die Auswahl und mediengerechte Präsentation des Unterrichtsmaterials. Der Computer hat mehr verdient, denn als »elektronische Blättermaschine« mißbraucht zu werden. Und der Anwender erwartet keinen Buchtext auf dem Bildschirm. Im Gegensatz zu anderer Software, die man anwenden will (!), steht bei Lernsoftware meistens ein Muß dahinter. Entsprechende Programme sollten sich deshalb in erhöhtem Maße durch motivationsfördernde und interaktive Elemente auszeichnen. Außerdem erscheint es sinnvoll, die fast unübersehbare Menge an »lehrbarem« Material in kleine, überschaubare Bereiche einzuteilen und entsprechend zielgruppenorientiert zu gestalten. Diesen Weg geht der »Computerkolleg Musik«, der von einer Arbeitsgruppe der Universität Osnabrück entwickelt wurde und, entsprechend der pädagogischen Zielsetzung, beim Musikverlag Schott, Mainz, im Programm ist. Das Programm beschränkt sich auf den Bereich Gehörbildung und behandelt in den ersten vier bisher verfügbaren Trainingsteilen die Themen »Intervalle, Skalen, Rhythmen und Akkorde«. Im zweiten Teil sind die Themen »Melodien, Kadenzen, Tanzrhythmen und Satzelemente« geplant. Die Kurse richten sich sowohl an musikinteressierte Laien wie auch an Schüler, Musikstudenten oder Musiker, die ihre Gehörbildung verbessern oder trainieren wollen.

INDIVIDUELLES LERNTEMPO

Jeder der vier Kursteile im Computerkolleg befindet sich auf einer eigenen Diskette. Alle Programme benötigen den gleichen Dongle (Stecker zum Kopierschutz), ein Betrieb von Festplatte ist vorgesehen. Nach dem Start verlangt jeder Kursteil in einer »Personalienbox« die Angabe einiger persönlicher Daten wie Name, Geschlecht und Alter. Diese Angaben dienen dazu, die Reaktionen des Programms individuell auf den Anwender abzustimmen. Überhaupt sind die flexiblen Reaktionen im Laufe der Übungen ein Hauptkennzeichen der Software. In Abhängigkeit von den Personendaten, aber vor allem in Reaktion auf die Leistungen bei den Übungen, variiert das Lerntempo. Habe Sie z. B. Schwierigkeiten, in der Intervallkunde die Oktave zu hören, taucht in den folgenden Aufgaben verstärkt dieses Intervall auf. Lösen Sie im umgekehrten Fall alle Aufgaben schnell und richtig, dann geht das Programm in größeren Schritten voran. Neben der internen Leistungsbewertung zeigt die Erfahrung mit Testpersonen, daß auch die Anzeige der erreichten Punktzahlen als positiver Leistungsdruck empfunden wird. Die spielerisch dargebotenen Aufgaben und grafische wie akustische »Belohnungen« erzeugen das Gefühl eines Unterhaltungsspiels.

BELOHNUNGEN BEI ERFOLG

Alle Kursteile sind nach folgendem Prinzip aufgebaut: Zunächst erhält der Anwender eine kurze theoretische Einführung in das Thema, dann folgen einige unbewertete Vorübungen, die auf den eigentlichen Übungsteil vorbereiten. So hört man sich z. B. im Leitern- oder Rhythmusteil zunächst an Leiternfragmenten oder halbtaktigen Pattern ein, bevor es im dritten und vierten Teil, den Übungen, richtig zur Sache bzw. um Punkte geht. Zunächst üben Sie unbewertet, dann in Abhängigkeit von Ihren Leistungen um Punkte und schnelleres Fortkommen in den Aufgaben. Hier greift eine sehr differenzierte Steuerung des Programms, das z. B. auch die Art der Fehler analysiert und gegebenenfalls mit gezielten Informationen weiterhilft.

Der Intervallteil trainiert alle Intervalle, auch über den Oktavraum hinaus. Die Töne erklingen zunächst nacheinander, später als Zweiklänge. Der Tonumfang erweitert sich mit fortschreitender Übung, es kommen auch transponierte Intervalle vor. Der Skalenteil informiert über Dur- und Moll-Tonleitern sowie kirchentonale, pentatonische, Zigeuner-, Blues-und Ganzton-Skalen. Auch hier sind transponierende Aufgaben in beiden Richtungen vorgesehen. Im Rhythmusteil stellt das Programm in verschiedenen Schwierigkeitsstufen Aufgaben für 3/4, 4/4, 5/4 und 6/8 Takte. Mit steigender Schwierigkeit enthalten die Aufgaben Punktierungen, Synkopen, Triolen und ständig steigendes Tempo. Im Akkordkurs geht es um Akkordtypen, -umkehrungen und -lagen für maximal vierstimmige Dreiklänge und Septakkorde. Dazu kommen Hörübungen mit Akkord-fremden Tönen sowie grundlegende Jazzakkorde. Spätestens in diesem Kursteil ist ein MIDI-Instrument dringend zu empfehlen, da die Aufgaben sonst kaum lösbar sind. Parallel zum Hörtraining ergibt sich durch die saubere Notendarstellung in allen Kursteilen ein entsprechender Übungseffekt im Notenlesen und Noten- bzw. Akkordbezeichnen.

Bild 2. Übersichtlich strukturiert, im bekannten GEM-Gewand präsentiert sich »Aura«, hier mit dem Übungsteil »Zufalls-Tonreihen«

Insgesamt erscheint der Computerkolleg Musik als weitgehend ausgreifte pädagogische und programmiertechnische Leistung. Es bleiben aber noch einige Wünsche und Anmerkungen. So ist das Erscheinungsbild der Aufgaben und Übungsteile zu uneinheitlich. Auch hätte ich mir im Handbuch nicht nur musikpädagogische Aufsätze sondern vielleicht eine Art musiktheoretisches Ergänzungswerk zum Programm gewünscht. Die Entscheidung für einen bildschirmseitenorientierten Aufbau des Programms halte ich für gut. Er führt den Anwender im Sinne eines sinnvollen Lernwegs durch die jeweilige Thematik.

Das »Education System« von C-Lab ist dagegen völlig anders aufgebaut, auch wenn es vergleichbare Ziele anstrebt. Das Gesamtsystem besteht aus den drei Programmen »Aura«, »Midia« und »Alpha«. Aura ist ein »universelles Gehörbildungs- und Rhythm ustrainingsprogramm«. Es umfaßt die Bereiche Intervalle, Akkorde, Tonleitern, Zufallsreihen und Rhythmusübungen. Bei Midia handelt es sich um ein MIDI-Lern- und -Analyseprogramm, das den Anwender spielerisch mit den Geheimnissen von MIDI vertraut macht.

Alpha schließlich heißt mit vollem Namen »Notator Alpha« und verrät damit bereits seine Herkunft. Dieses Programm ist ein reduzierter »Notator« zu einem sehr günstigen Preis. Der Schwerpunkt von Alpha liegt auf der Notendarstellung und dem entsprechenden Ausdruck. Der Sequenzerteil ist in seinem Funktionsumfang erheblich reduziert, reicht aber für die reine Eingabe und einfache Bearbeitungen aus. Zum Zeitpunkt des Berichts war Alpha leider noch nicht lieferbar, so daß wir diesen Teil des musikalischen Ausbildungssystems erst in der nächsten Ausgabe vorstellen können. Alle Programme laufen ohne Dongle und lassen sich auch von der Festplatte starten. Dabei muß allerdings die Originaldiskette im Laufwerk liegen. Wie alle Programme von C-Lab weisen auch Aura und Midia eine klar strukturierte Oberfläche auf, die alle wichtigen Eingaben und Befehle entweder über kurze Mauswege oder direkt per Tastatur erlaubt. Im Gegensatz zum Computerkolleg Musik sind die Programme »traditionell« aufgebaut, d. h. von einer Hauptseite verzweigt der Anwender in die entsprechenden Programmteile, alle nötigen allgemeinen Einstellungen sind in einer Menüleiste untergebracht. Doch bleiben wir zunächst bei dem mit dem Computerkolleg direktvergleichbaren Programm Aura. Es bietet dem Anwender in den Bereichen Intervalle, Akkorde, Leitern und Rhythmus praktisch alle musikalisch wichtigen Themen zur Übung an. Über Lektionen, die der Anwender auch selbst verändern kann, führt das Programm von einfachen Hörübungen weniger Intervalle bis zu komplexen Jazz-Akkorden und komplizierten rhythmischen Strukturen.

Bild 3. Grafische Elemente, Texterklärungen und MIDI-Datenlisten führen den MIDI-Novizen sicher durch den Datendschungel

GEHÖRBILDUNG UND AKKORDANALYSE

Aura geht von einer konsequenten Unterstützung durch ein MIDI-Instrumentaus. Die Höraufgaben erklingen nur über MIDI, und die Antworten geben Sie entweder per Mausklick oder via MI DI-Tastatur. Bei der Eingabe mit der Maus wählen Sie aus einer Reihe vorgegebener Antworten aus. So erscheint z. B. im Akkordteil eine Liste aller in dieser Übung vorkommenden Akkordtypen, und der Klick auf eine Angabe wählt den entsprechenden Typ als Antwort. Nur im Rhythmusteil erfolgt die Eingabe per Maus durch rhythmisches Klicken, ein Verfahren an das man sich schnell gewöhnt. Erste Ungenauigkeiten lassen sich mit Hilfe der vier Quantisierungsstufen überwinden, die Unregelmäßigkeiten bis zu einer 16tel-Note abfangen. Aura verfügt über eine statistische Auswertung der Antworten, die einen guten Überblick über den Leistungsstand geben. Alle wichtigen Funktionen des Programms lassen sich auch über MIDI von einer angeschlossenen Tastatur fernsteuern.

Im Intervallteil lassen sich einzelne Intervalle aus einer Lektion ausschließen oder anders gruppieren. Außerdem gibt Aura mit dem »Interval Edit« Gelegenheit, die Intervallbezeichnungen zu ändern. Der Akkordteil bietet vom einfachen Durakkord in Grundstellung bis zum komplexen Jazzakkord mit alterierten Nebentönen in beliebigen Umkehrungen alles, was das Musikerherz erfreut. Je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad gibt Aura Hilfen durch Zeigen des ersten Tones, des Grundtones, Warten auf den ersten richtigen Ton etc. Über eine Bibliotheksfunktion und das »Akkord Edit« lassen sich noch weitere, beliebig komplexe Akkorde in die Höraufgaben integrieren.

Hier geht Aura auch über die Aufgaben eines reinen Gehörbildungsprogramms hinaus, denn mit der Funktion »Akkord-Analyse« untersucht das Programm eingespielte Akkorde. Mancher Musikstudent wird sich nach der nächsten Analyse einer Partitur beim Programmierer für diese Funktion bedanken. Auch der Tonleiterteil arbeitet mit Bibliotheken, die sich beliebig erweitern bzw. verändern lassen.

In engem Zusammenhang mit der »normalen« Tonleiterhörübung steht der Teil »Zufalls-Tonleitern«. Hier erzeugt das Programm, ausgehend von einer einstellbaren Basistonleiter und in Abhängigkeit einiger Parameter wie Tonraum und Anzahl der Töne, zufällige Melodielinien, die entweder über MIDI-Tastatur oder über die Tastatur auf dem Bildschirm nachzuspielen sind.

Der Rhythmusteil verfügt über ein Feld mit Notenwerten, die, beliebig kombiniert, als Ausgangsmaterial für die Höraufgaben dienen. Sie legen zunächst Länge und Taktmaß der Aufgaben fest, und Aura erzeugt dann aus den angewählten

UNGENAUIGKEIT TOLERIERT

Elementen die Beispiele. Leider sind bisher nur Viertel- und keine Achtel-Taktarten vorgesehen, dafür gibt es bereits übergebundene Werte sowie Triolen und Sextolen. Bei der Beantwortung akzeptiert Aura Ungenauigkeiten während des Einspielens. In vier Quantisierungsstufen verringert sich die erlaubte Abweichung von einer 16tel Note bis zu einer 32tel-Triole, der schwierigsten Stufe.

Neben den einzelnen Lektionen bietet Aura noch »Auto-Lektionen«, eine beliebige Liste von Aufgabenteilen, die der Anwender selbst zusammenstellt. Hier liegt zweifellos eine weitere Stärke des Programms, das eine individuell abgestimmte Lernfolge erlaubt. Im Vergleich zum Computerkolleg Musik zeigt sich gerade an dieser Stelle der unterschiedliche Anspruch am deutlichsten. Für alle Teile von Aura gilt: Der Anwender muß wissen, was er üben will, und er muß mit dem Computer und seinem Instrument umgehen können. Er selbst wählt die Lektionen aus, ergänzt neue Tonskalen und Akkorde und kümmert sich um alle nötigen Einstellungen. Aura ist sehr leistungsstark für alle, die Hören »üben« wollen oder müssen und sich bereits mit der musikalischen Theorie auskennen.

Der Computerkolleg Musik eignet sich aufgrund seiner pädagogischen Orientierung für alle, die Harmonielehre »lernen und üben« wollen. Dabei sind auch diejenigen gut aufgehoben, die den Computer als neues Hilfsmittel zum Lernen betrachten und noch keine großen Erfahrungen mit dem Gerät und der MIDI-Technologie haben. Während der Lernaspekt bei Aura kaum zum Zuge kommt, fehlt dem Computerkolleg Musik noch die Flexibilität bei der eigenen Gestaltung von Höraufgaben. So empfiehlt er sich für den Einstieg, während Aura dem harten Training Vorbehalten bleibt. Auf jeden Fall muß sich der Anwender darüber klar sein, daß beide Programme nur einen Ausschnitt aus dem gesamten musikalischen Wissen behandeln. Wer glaubt, nur mit diesen Programmen zum Mozart unserer Tage zu werden, sollte die Finger davon lassen.

»Midia«, der zweite Teil des Educational Systems unterscheidet sich von den beiden eben vorgestellten Programmen sehr deutlich. Die Zielsetzung ist eindeutig: Midia ist ein Lernprogramm für MIDI. Es gibt bereits eine Reihe guter Bücher zu diesem Thema, doch die praktische Erkundung hat natürlich ihre Vorteile. Midia bietet eine genaue Analyse aller über MIDI in den Computer gelangenden Daten und zeigt die MIDI-Informationen in entsprechenden Listen an. Ansprechend ist die grafische Umsetzung der Daten, und über die entsprechenden Hilfstexte vermittelt das Programm seinem Anwender alles Wissenswerte über MIDI.

So ist Midia eine gelungene Umsetzung des Lernstoffs auf das Medium Computer, auch wenn sich an vielen Stellen pädagogisch begründbare Alternativen anbieten. Immerhin beschränkt sich das Programm nicht nur auf die Vermittlung der Fakten, sondern es bietet mit diversen Filter- und Dumpfunktionen sowie dem »Byte Rechner« vielfältige Manipulationsformen. Midia ist bisher einzigartig auf dem ST, und es stellt sich die Frage, warum eigentlich niemand eher auf die Idee zu diesem Programm gekommen ist. Für alle, denen Buchlektüre zu trocken ist, und die gerne praktisch das Thema MIDI erforschen möchten, ist Midia sehr interessant.

TOS-INFO

Name: Computerkolleg Musik
Preis: 298 Mark
Hersteller: Schott Verlag, Weihergarten, 6500 Mainz

Name: Aura
Preis: 190 DM
Hersteller: C-Lab, Postfach 700303, 2000 Hamburg 70
Name: Midia
Preis: 90 Mark
Hersteller: C-Lab Postfach 700303, 2000 Hamburg 70

54


Wolfgang Klemme
Aus: TOS 11 / 1990, Seite 50

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite