Maß für Maß: Der ST in der Meßtechnik

Mit welchem Maß in Deutschland gemessen wird, und was die Stunde schlägt, bestimmt die Physikalisch Technische Bundesanstalt in Braunschweig, kurz PTB. Einige STs stehen den Forschern dabei hilfreich zur Seite.

Jeder hat im Physikunterricht schon einmal von dem berühmten »Urmeter« gehört, der im »Bureau International des Poids et Mesures« in Sevres bei Paris aufbewahrt wird. Es ist das international gültige Maß für die Länge von einem Meter. Genauso gibt es für alle anderen Maßeinheiten sogenannte »Normale«, die eine spezielle staatliche Institution jedes Landes als Vergleichsmaßstab für alle verbreiteten Maße aufbewahrt.

In der Bundesrepublik ist das die PTB als technische Oberbehörde für das gesamte Meßwesen und Teile der Sicherheitstechnik. Als wissenschaftliches Staatsinstitut der Bundesrepublik Deutschland für Physik und Technik stellt sie die gesetzlichen Einheiten im Meßwesen dar, führt Prüfungen an Meßeinrichtungen durch und betreibt wichtige Grundlagenforschung und Entwicklungsarbeiten im Bereich des Meßwesens.

Die immer größeren Anforderungen an die Genauigkeit und Zuverlässigkeit von Messungen erfordert auch einen ständig steigenden Einsatz modernster Technologie. So sind die Labors der PTB gespickt mit Hightech, und der Umgang mit aktueller Computertechnologie gehört zum täglich Brot der Techniker und Ingenieure.

Auf die beiden Standorte Braunschweig und Berlin verteilt, arbeiten für die PTB etwa 1600 Angestellte in zehn verschiedenen Abteilungen, darunter auch eine Abteilung zum Betrieb des Forschungs- und Meßreaktors. Neun der zehn Abteilungen sind auf dem riesigen Gelände in Braunschweig-Wartenbüttel untergebracht. Im Labor 5.13 im »Bessel-Bau«, in dem sich unter anderem die Abteilung Industrielle Meßtechnik befindet, treffe ich meine Gesprächspartner Dickers und Reimann. Dickers ist im Labor für Mikrostruktur-Meßsysteme für den Bereich EDV zuständig, Reimann leitet das Labor Maß und Form.

Nach einem kurzen Ausflug in die mittlerweile über 100jährige Geschichte der PTB sowie des Vorgängerinstituts, der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt »PTR«, gibt mir Dickers einen Überblick über die Struktur der Bundesanstalt und erläutert die Aufgabenbereiche. Eine Reihe von Gesetzen bestimmen die Arbeit der PTB. Der umfangreichste Bereich ist das Eichwesen. Die PTB kontrolliert die Eichgeräte der jeweiligen Länderbehörden, mit denen z. B. der Durchfluß von Benzin an einer Zapfsäule gemessen wird. Angesichts der aktuellen Benzinpreise ein Bereich, der die meisten von uns angeht. Zu diesem Bereich gehören aber auch die Eichung von Geräten zur Verkehrsüberwachung, zum Strahlenschutz oder im Gesundheitswesen.

Die Meßwert-Erfassung und -Verarbeitung gehört zu den Hauptaufgaben der STs an der PTB

Den größten Bekanntheitsgrad aller Aufgaben hat die Einhaltung des Zeitgesetzes. In der PTB befindet sich eine Atomuhr, die genau anzeigt, welche Stunde es in Deutschland geschlagen hat. Über einen Langwellensender in Mainflingen bei Frankfurt sendet die PTB diese Zeitsignale aus, die eine entsprechend ausgerüstete Uhr direkt empfangen kann. Außerdem gehören zum Aufgabengebiet der PTB die Überwachung von Einheitengesetz, Atomgesetz (Strahlenschutz und Brennstoffkreislauf), Waffengesetz (ziviles Beschußwesen), Umweltschutz (Lärmschutz), Arbeitsschutz (Explosionsschutz) und Gefahrguttransporten mit Radioaktivität oder brennbaren Flüssigkeiten.

Für die Aufnahme der vielen Meßdaten, die bei allen Untersuchungen anfallen, setzen einige Labors STs ein. In den beiden Labors meiner Gesprächspartner stehen zusammen etwa 15 Geräte, z.T. original Mega STs, zum Teil 190er STs der Firma IBP Pfingstmann. Dazu Reimann: »Diese Geräte haben für uns einen großen Vorteil.

Sie sind kompakt, und wir bekommen die Geräte mit Schnittstellen, wie wir sie in der industriellen Meßtechnik benötigen«. Und Dickers ergänzt: »Der wichtigste Aspekt sind allerdings die Kosten. Wir haben einfach keine Zeit, uns die entsprechenden Anpassungen selbst zu bauen. Früher haben wir das vielleicht gemacht, aber inzwischen geht es nicht mehr. Es ist für uns einfach billiger, eine entsprechende Entwicklung in Auftrag zu geben, als einen oder zwei Mitarbeiter für einige Wochen oder Monate damit zu blockieren. Schließlich haben wir andere Aufgaben. Und wenn die Entwicklerfirma das Ganze noch weiter vermarkten kann, ist das ja noch besser.«

Dieser Gedanke der Zeit- und Kostenersparnis stand letztlich auch hinter der Entscheidung, immer mehr Meßverfahren auf ST-Basis abzuwickeln. Dazu Dickers: »Durch die einfache Bedienung kann ein Techniker sofort mit dem Gerät umgehen. Dafür sorgen wir auch bei unserer Software mit einer übersichtlichen und eindeutigen Benutzeroberfläche.

Natürlich spielen auch Vorlieben für einen Computer oder eine bestimmte Technologie eine Rolle, aber es kommt ja auch auf die Leistungsfähigkeit an. Die ist beim ST sowohl hardware- als auch softwareseitig gegeben. Wir verwenden den Computer zur Meßdatenerfassung und Steuerung. Die nötige Hardware lassen wir außer Haus entwickeln, die Software schreiben wir uns selber.

Wir verwenden dazu seit etwa zwei Jahren SPC-Modula, nachdem wir vorher mit anderen Sprachumgebungen experimentiert haben. Inzwischen entstehen jedoch auch außerhalb unseres Labors immer mehr Anwendungen in Modula, so daß wir über ein gutes Bibliothekskonzept sehr schnell straff organisierte Programme entwickeln können. Die Liste unserer Bibliotheksmodule erfordert bereits seit einiger Zeit dreistellige Ziffern und liest sich wie eine Aufzählung unserer Arbeitsgebiete. Es finden sich hardwareabhängige Module, die für bestimmte Meßdatenerfassungen zugeschnitten sind, ebenso wie Matrizenrechnung, Ausgleichsrechnung oder Bildverarbeitung.

Dazu kommt die Arbeitsumgebung 'SSWiS', die bei korrekter Anwendung eine ausgabeunabhängige Programmierung erlaubt. Ich entwickle jetzt auf einem 19-Zoll-Monitor mit 1280 mal 960 Punkten, und das fertige Programm läuft dann garantiert auch auf einem 5-Zoll-Monitor mit 640 mal 200 Punkten.

Eine ganze Reihe von STs sind bei der PTB im Einsatz, um vielfältige mathematische Probleme zu lösen und bei der Auswertung der Tunnel-Elektronen-Mikroskop-Daten zu helfen.

Jetzt wollen Sie wahrscheinlich wissen, warum wir keine Standardsoftware verwenden, evtl, mit speziellen Anpassungen. Die Antwort ist einfach, es gibt keine Firma, die die für uns nötige Software schreibt. Nehmen Sie als Beispiel die Auswertung von STM-Bildern in atomarer Auflösung. STM steht für 'Scanning Tunneling Microscope', eine erst 1983 entwickeltes Verfahren, das sogar einzelne Atome sichtbar macht. Wir machen mit einem Tunnel-Elektronen-Mikroskop z. B. Aufnahmen auf einer Silicium-Oberfläche. Die Daten aus dem Mikroskop liegen in 16-Bit-Breite vor. Natürlich lassen sich die Daten nicht einfach sichtbar machen, es sind eine Reihe von Methoden der Bildverarbeitung anzuwenden, um aussagekräftige Bilder zu erhalten. Und Standardsoftware mit den entsprechenden Leistungsmerkmalen gibt es einfach nicht.«

Der ST findet nicht nur innerhalb der PTB-Labors seine Anwender, sondern er geht zusammen mit Meßeinrichtungen auf Reisen. Neue Entwicklungen im Bereich der Lasermeßtechnik sind mit STs verknüpft und befinden sich zur Zeit auf Rundreise bei großen Industriefirmen. Über die Zuverlässigkeit von Hard- und Software gibt es keine Klagen. Die Geräte laufen problemlos. Sogar im harten Dauereinsatz tauchen keine Schwierigkeiten auf. Reimann: »Wir haben bei uns im Labor einige Rechner, die laufen seit ein paar Jahren ohne einmal ausgeschaltet zu sein. Die waren noch nie kaputt. Ein Gerät nimmt keinen Schaden, wenn es läuft. Kritisch wird es nur beim Ein- und Ausschalten.« Andere Anwendungen wie die Entwicklung von Platinenlayouts gibt es für den ST kaum. Lediglich eine Adimens-Anwendung zur späteren statistischen Auswertung von Meßergebnissen, z. B. über die Randbedingungen bei Messungen zur Oberflächenrauigkeit, gibt es. Auch dabei hilft die Modula-Umgebung. Mit Hilfe der ADI-Bibliothek schreibt man die Meßergebnisse direkt in eine Datenbank und verwendet später bei der Auswertung auch wieder die Modula-Werkzeuge. Und natürlich findet sich ein »Calamus« auf der Platte, falls mal schnell einige Seiten zu schreiben und in ansprechender Form zu drucken sind.


Wolfgang Klemme
Aus: TOS 12 / 1990, Seite 94

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