Ataris Dauerbrenner versteht nicht nur spezielle ST-Software. Wenn Sie ihn mit der Kraft von zwei Prozessoren ausstatten, ist der ST auch MS-DOS-Programmen gewachsen.
Viele ST-Besitzer arbeiten in der Firma oder Ausbildung mit einem IBM-kompatiblen Rechner und wollen verständlicherweise auch zu Hause nicht auf die gewohnten Programme verzichten. So verwundert es auch nicht, daß Atari am Anfang der ST-Ära, als kaum Programme für den neuen Computer erhältlich waren, die Entwicklung eines MS-DOS-Emulators ankündigte.
Die Enttäuschung war groß, als Atari aus marktpolitischen Erwägungen von diesem Vorhaben Abstand nahm. Damals war bereits ein Software-MS-DOS-Emulator erhältlich, der ein vernünftiges Arbeiten aus Geschwindigkeitsgründen aber leider nicht zuließ. Drittanbieter erkannten die Marktlücke und kündigten nun ihrerseits die Entwicklung von Hardware-MS-DOS-Emulatoren an. Leider dauerte es aber noch weit über ein Jahr, bis ein junger Tüftler, ohne große Ankündigung, den ersten funktionsfähigen MS-DOS-Emulator »PC-Speed« auf den Markt brachte.
Die Begeisterung über diesen XT-Emulator, der mit einem V30-Prozessor arbeitete, war groß. Endlich liefen PC-Programme auch auf dem ST. Der Datenaustausch zwischen ST und MS-DOS stellte kein Problem mehr dar. Doch seit dem Frühjahr 1989 ist einige Zeit vergangen, und die Entwicklung stand nicht still. Heute sind zwei Emulatoren auf 80286-Basis, die einen AT nachbilden, und drei XT-Emulatoren auf V30-Basis, erhältlich. Damit steht nun auch auf dem ST zum Teil sehr leistungsfähige Software wie beispielsweise Windows 3.0 zur Verfügung.
In diesem Emulatoren-Schwerpunkt war ursprünglich ein großer Vergleichstest der AT-Emulatoren »ATonce Plus«, »AT-Speed C16«, »Supercharger plus/286-16« und »Delta-Modul« geplant. Leider erreichten uns nur die beiden erstgenannten Geräte rechtzeitig. Beta Systems nennt nun Ende April als Liefertermin der neuen Super-Charger-Modelle, und Omega Computer sieht sich nicht in der Lage, einen endgültigen Liefertermin für das Delta-Modul anzugeben. Wir nutzten die Gelegenheit, den ATonce Plus und den AT-Speed äußerst gründlichen Tests zu unterziehen. Die Entwicklung der beiden anderen Emulatoren behalten wir selbstverständlich weiter im Auge.
Etwas zügiger ging die Entwicklung bei Macintosh-Emulatoren für den ST über die Bühne. Dies liegt daran, daß sich der Mac bezüglich der Hardware kaum vom ST unterscheidet. Beide Computer sind um einen MC 68000 von Motorola aufgebaut. Die ersten Mac-Emulatoren, »Aladin« und »Magic-Sac«, sind mittlerweile wieder von der Bildfläche verschwunden. Atari-ST-Anwender, die sich mit Hilfe eines Macintosh-Emulators den angebissenen Apfel in die Menüleiste zaubern, greifen heute auf den Spectre 128 oder auf den brandaktuellen Spectre GCR Version 3.0 zurück, der in Hannover auf der CeBIT vorgestellt wurde.
Ein ernsthaftes Problem bei der Emulation eines Macintosh stellte das Apple-eigene Diskettenformat dar. Das Apple-Diskettenformat orientiert sich im Gegensatz zum ST nicht am Diskettenformat (MFM-Format) der MS-DOS-kompatiblen Computer. Während bei diesen »normalen« Diskettenlaufwerken - wie sie auch beim Atari ST Verwendung finden - die Drehgeschwindigkeit konstant bleibt, rotieren beim Macintosh die Disketten je nach der Position des Lese-/Schreibkopfes in drei unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Das Atari-Diskettenlaufwerk weigert sich daher standhaft, auch nur ein Byte von den Disketten mit dem verqueren Mac-Diskformat zu laden.
Dem verzweifelten Emulatorbesitzer blieb nur der Ausweg, Daten und Programme mit einem Terminalprogramm per Kabel zwischen einem Mac und dem ST zu überspielen. Nun kann das Null-Modem-Kabel für die Übertragung der Mac-Software getrost in der Bastelkiste verschwinden. Die neueste GCR-Version beseitigt die Schwierigkeiten, die ST-Besitzer mit original Macintosh-Disketten haben. Um das GCR-Format (Group Code Recording) der Mac-Disketten mit dem ST-Laufwerk lesen und schreiben zu können, verfügt der Spectre GCR über eine eigene Floppycontroller-Logik auf dem ROM-Modul. Beim GCR wird das ROM-Port-Modul mit einem Kabel mit der Buchse des ST verbunden, an der normalerweise das zweite Diskettenlaufwerk angeschlossen ist. Diese Schnittstelle ist zwar nun belegt, jedoch läßt sich ein zweites Diskettenlaufwerk direkt am Spectre-Modul anschließen.
Zwar versprachen schon die ersten Versionen von Spectre GCR, direkt Mac-Disketten zu verarbeiten, doch tauchten in der Praxis häufig Schwierigkeiten auf. Die Version 3.0 scheint diese Kinderkrankheiten aber überwunden zu haben. Disketten im Spectre-Format erkennt der GCR gewohnt schnell. Wird eine original Macintosh-Diskette in das Laufwerk des ST geschoben, dauert es rund drei Sekunden, bis das Disketten-Icon auf dem Bildschirm erscheint.
Damit der GCR auf dem ST die Mac-Disketten richtig lesen kann, muß sich das Atari-Laufwerk in einem einwandfreien Zustand befinden. Bei verstelltem Lese-/ Schreibkopf oder ungleichmäßig rotierenden Laufwerken gibt es noch immer Schwierigkeiten. Auf der Spectre-Programm-Diskette befindet sich ein kleines Testprogramm »SPEED.PRG«, das feststellt, ob das Atari-Laufwerk auch konstant mit den 300 Umdrehungen pro Minute rotiert.
Um sinnvoll mit dem Mac-Emulator zu arbeiten, sollten am Atari ST mindestens zwei Diskettenlaufwerke angeschlossen sein. Richtig Spaß macht die Arbeit am Spectre jedoch erst mit einer Festplatte. Nervraubende Wartezeiten für Systemzugriffe entfallen dann. Steht nur ein Diskettenlaufwerk zur Verfügung, muß sich der Spectre-Anwender als geduldiger Jongleur zwischen Programm- und Systemdiskette bewähren. Da beim Macintosh im Gegensatz zum Atari nicht das gesamte Betriebssystem im ROM zu finden ist, greifen die Programme bei Bedarf auf die System-Diskette zurück.
Zum Macintosh-Betriebssystem gehören die Dateien »System« und »Finder«. Im System befinden sich die verschiedenen Schriftarten (Fonts) und die Accessories, die beim Mac »DA« heißen. Der Finder stellt die grafische Benutzeroberfläche dar und hat bei der Entwicklung des Atari-GEM als Vorbild gedient. Mit Hilfe des Mac-Utilities »Font/DA Mover« nehmen Sie die Fonts und DAs in das System auf oder entfernen sie aus dem System. Anwender ohne Festplatte müssen sich mit einem Betriebssystem bescheiden, das auf eine 720 KByte-Diskette paßt. Auf der Festplatte wird ein mit zahlreichen Schriften und DAs vollgepfropftes System auch schon mal 1,5 MByte groß.
Der Spectre läuft auf allen Atari ST-und TT-Modellen von einem MByte RAM Arbeitsspeicher aufwärts. Für Programme mit einem großen Speicherplatzbedarf wie »Pagemaker« oder »HyperCard« ist es jedoch besser, wenn mehr als 1 MByte Hauptspeicher zur Verfügung stehen. Auch der Multifinder, der den parallelen Betrieb mehrerer Anwendungsprogramme erlaubt, benötigt mindestens 2 MByte Speicher.
Leider emuliert die Version 3.0 auf dem TT noch keinen 68030er Mac, sondern nur einen Mac Plus, dafür ist aber die Arbeitsgeschwindigkeit erheblich höher. Den MC 68882-Coprozessor des TT erkennt Spectre, doch nutzen ihn diverse Programme nicht oder nur sehr langsam. Dave Small, der Entwickler des Spectre kündigte aber bereits in Hannover an, daß weitere Spectre-Versionen folgen, die dann die Fähigkeiten des Atari TT wie beispielsweise Fast-RAM und Coprozessor korrekt unterstützen. Als Fazit läßt sich aber schon heute auch bei den Macintosh-Emulatoren feststellen, daß einem Datenaustausch mit dem ST nichts mehr im Wege steht. Da die Mac-Emulation auf dem ST so gut gelungen ist, daß der ST/Mac sogar schneller läuft als das Original, machen Fleißaufgaben, die man von der Firma mit nach Hause nimmt, sogar Spaß.