Wie es euch gefällt: Freestyle, Arrangier-Software von Fröhlich Music Consulting

Arrangier-Programme sind zur Zeit der Renner auf dem Gebiet der MIDI-Software. Freestyle heißt der Kandidat, den Fröhlich Music Consulting für diese Disziplin an den Start schickt - für ein Rennen mit Start-Zielsieg.

Wer aufmerksam die MIDI-Rubriken der letzten TOS-Ausgaben mitverfolgte, hat schon einen guten Überblick über die Flut an Arrangiersoftware, die zur Zeit den Markt überschwemmt. Neben Mittelmaß und Katastrophen (siehe TOS 5/91) gibt es diesmal wieder einen strahlenden Stern am Software-Himmel zu vermelden.

Bereits beim ersten Rendezvous mit dem Testkandidaten läßt sich ein leichter Hauch von Nobelesse nicht verleugnen. »Freestyle« kommt nämlich nicht im schnöden DIN A5-Ringbuchschuber daher, sondern präsentiert sich in einer edlen, rotbraunen Kunstleder-Dokumentenmappe, die in geschwungenen goldenen Lettern den Namen des soeben erworbenen Produkts preisgibt. Neben den beiden Programmdisketten und dem Handbuch enthält dieses Schmuckstück einen Notizblock sowie einen umweltfreundlich unlackierten Bleistift.

Die Hauptseite des mit einem Diskettenkopierschutz versehenen Programms gibt sich - nach der glanzvollen Ouvertüre - gediegen schlicht. Nur die notwendigsten Informationen, zum Beispiel über Taktart, Stil oder Songnamen, sowie die gewohnten Tonband-Buttons zum Starten und Spulen fanden hier Platz. Diese Sparsamkeit sorgt für eine übersichtliche Arbeitsumgebung, und der Großteil des Bildschirms bleibt für die Arbeit am Arrangement frei.

Freestyle bedient sich beim Zusammenstellen eines Songs des sogenannten »Lead-Sheet«-Prinzips. Beim Lead-Sheet handelt es sich in der Regel um ein Stück Papier, auf dem das harmonische Gerüst eines Stücks sowie wenige rhythmische Strukturen notiert sind. Lead-Sheet-geübte Musiker können so nach kürzester Zeit auch ohne ausgeschriebene Partitur miteinander musizieren. Um nun in Freestyle zu einem Ergebnis zu kommen, müssen Sie nur die Harmonien sowie die favorisierte Stilrichtung eingeben und schon produziert das Programm ein fünfköpfiges MIDI-Begleitorchester.

Die Eingabe der Harmonien erfolgt über sogenannte »Entries«, wobei Sie jedem Entry eine Harmonie zuordnen. Bis zu zwei solcher Entries lassen sich zu einem Takt zusammenfassen. Insgesamt 14 Akkordtypen (inklusive einem neutralen Quintklang) stellt Freestyle zur Verfügung. Die Auswahl deckt die gängigsten Harmonien ab, für die Zukunft ist noch ein entsprechender Akkord-Editor wünschenswert. Da sich Freestyle wahlweise mit der Maus oder auch komplett über Tastatur bedienen läßt, geht das Zusammenstellen einer Songstruktur flott und mühelos von der Hand. Bei der Kreation eines Arrangements ist man nicht nur auf die momentan sichtbare Arbeitsseite beschränkt, vielmehr stehen dem Anwender beliebig viele »Pages« zur Verfügung, um auch umfangreichere Stücke übersichtlich auf den Bildschirm zu bringen. Die Verwendung mehrerer Pages innerhalb eines Songs empfiehlt sich aber auch, um die bei gut gefülltem Lead-Sheet durch etwas zögerlichen Bildschirmaufbau auftretenden Wartepausen zu vermeiden. Bevor nun Ihre Begleitband in Aktion tritt, müssen Sie ihr mitteilen, in welchem Stil sie spielen soll Bis zu acht verschiedene Stilrichtungen sind bei Bedarf in einem Free-style-Song zugelassen. Wer es extravagant mag, darf sogar taktweise den Groove ändern. Doch damit noch nicht genug. Freestyle beherrscht pro Takt mehrere Spielarten eines Stils. So läßt sich festlegen, ob der Originalstil, dessen Variation, ein Intro, Fill-In oder Ending (jeweils passend zu Original oder Variation) ertönen soll.

Haben Sie alle Voreinstellungen getroffen, bedarf es nur noch eines Klicks auf den Start-Button und Ihre Band legt los. Was dann aus den Lautsprechern tönt, läßt die Konkurrenz vor Neid erblassen. Freestyle entpuppte sich während unseres Tests als wahrer Meister des Lead-Sheet-Spiels. Die im Lieferumfang enthaltenen 40 Stile überzeugen bis auf wenige Ausnahmen - der Walzer dürfte auch dem hartgesottensten Tanzmusiker Magenschmerzen bereiten. Von Jazz bis Polka, von Funk bis Marsch findet der arrangierfreudige Musiker alles, was das Herz begehrt. Die von Freestyle produzierten »Backings« (so nennt man die Begleitung eines Songs) sind nicht nur brauchbar, sondern uneingeschränkt gut. Es gehört schon eine Menge Erfahrung und Können dazu, solche Arrangements in Eigenarbeit zu programmieren. Von den musikalischen Fähigkeiten Free-styles könnte sich auch so manche Keyboard-Begleitautomatik eine anständige Scheibe abschneiden. Sollte wider Erwarten unter den 40 vorgefertigten Styles einmal nichts Passendes vorhanden sein, kommt Freestyles modulares Stil-Konzept zum Tragen. Die Styles sind kein fester Bestandteil des Programmcodes, sondern von Diskette oder Festplatte nachzuladen. Daher ist die Bearbeitung oder Programmierung eigener Styles mit Hilfe eines externen Sequenzerprogramms problemlos zu bewältigen. Freestyle wächst durch dieses ausbaufähige System mit den Ansprüchen seiner Anwender. Auch so profane Dinge wie MIDI-Setup, Drumset-Belegung und Program-Changes lassen sich verändern, so daß selbst Besitzer exotischster Klangerzeuger von den Vorzügen dieses potenten Arrangierwunders profitieren.

Das Freestyle-Orchester spielt nicht nur nach fest vorgegebenen Lead-Sheets auf. Es ist auch in der Lage, den Musiker live zu begleiten. Schlagen Sie auf Ihrem Keyboard eine Harmonie an, dann liefert das Programm eine passende Begleitung im vorgewählten Style. Die von Freestyle erkannten Akkorde sind dabei mit den Harmonien des Lead-Sheet-Modus identisch. Der MIDI-Modus ist vor allen Dingen für Tanzmusiker und Alleinunterhalter geeignet, die sich vom stereotypen »uff-ta« der üblichen Begleitautomatik-Konserven abheben möchten. Die Steuerung des MIDI-Arrangers ist vielfältig und übertrifft gelegentlich sogar den Umfang gestandener Hardware-Kollegen. So produziert Freestyle beispielsweise per Tastendruck ein automatisches Fade-Out oder ein durch die Anschlagsdynamik gesteuertes Fill-In.

Nach soviel Leistung verwundert das Fazit unseres Tests nicht: Freestyle ist zur Zeit der ungekrönte König auf dem Gebiet der Begleit- und Arrangierautomaten für den Atari ST. Keinem anderen Produkt gelang es bis dato, so eindrucksvoll musikalisch zu überzeugen. Besonders hervorzuheben ist hierbei der modulare Aufbau der Styles, durch den sich Freestyle jederzeit an die eigenen Bedürfnisse anpassen läßt. Ob für den Jazzer, der mal eben eine Band für seine Real Book-Übungen benötigt, oder für den Gelegenheitsmusiker, dem das Programmieren eigener Arrangements zu aufwendig oder kompliziert erscheint: Das Arrangierprogramm Freestyle bietet in jedem Fall eine erstklassige Begleitung, frei nach Shakespeare: »Wie es Euch gefällt«. (wk)

Freestyle im Lead-Sheet-Modus. Nur wenige, übersichtliche Bildschirmelemente gestatten die Konzentration auf das Wesentliche.

WERTUNG

Name: Freestyle
Preis: 298 Mark
Hersteller: Fröhlich Music Consulting, 3550 Marburg 1

Stärken: Exzellente Preset-Styles □ gute Benutzerführung □ modulares Style-Konzept □ MIDI-Realtime Begleitautomatik □ durchdachtes Handbuch

Schwächen: Diskettenkopierschutz □ knappes Harmonie-Repertoire □ Bildschirm-Aufbau bei gefülltem Lead-Sheet etwas behäbig

Fazit: Das zur Zeit beste Arrangierprogramm für den Atari ST.


Kai Schwirzke
Aus: TOS 07 / 1991, Seite 132

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